Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.03.2013, Az. 5 C 15/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 7397

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Gegenstand

Entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage; Ausschlusstatbestand des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems; Unwürdigkeit des verstorbenen Rechtsvorgängers


Leitsatz

In die Prüfung, ob ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG wegen erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems ausgeschlossen ist, ist auch derjenige einzubeziehen, auf den die entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage abgezielt hat, selbst wenn er im Zeitpunkt der Enteignung bereits verstorben war (Bestätigung der Urteile vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 C 16.04 - und vom 23. Februar 2006 - BVerwG 3 C 22.05).

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Vermögensverwaltungsgesellschaft, begehrt aus abgetretenem Recht die Gewährung einer Ausgleichsleistung für die Enteignung eines Rittergutes.

2

Ehemaliger Eigentümer des 775 ha großen Rittergutes [X.] war [X.] Dieser trat im Dezember 1931 in die [X.] ein und hatte ab April 1933 das Amt des [X.] der [X.] inne. Am 3. Mai 1945 nahm er sich das Leben. Seine Ehefrau verstarb wenige Tage später. Das Rittergut wurde nach der Verordnung über die Bodenreform in der [X.] vom 6. September 1945 entschädigungslos enteignet.

3

Im Juli 2008 traten die Erben und Erbeserben des [X.] ihre Ansprüche nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz für das Rittergut an die Klägerin ab.

4

Mit Bescheid vom 19. August 2010 lehnte das [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen die Gewährung einer Ausgleichsleistung mit der Begründung ab, der Anspruch sei wegen der Aktivitäten und Funktionen [X.] in der [X.] nach § 1 Abs. 4 Ausgleichsleistungsgesetz ([X.]) ausgeschlossen. Dieser habe dem [X.] System in erheblicher Weise Vorschub geleistet.

5

Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Gewährung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 312 910,63 € mit Urteil vom 1. März 2012 stattgegeben. Der [X.] des erheblichen Vorschubleistens nach § 1 Abs. 4 [X.] sei nicht erfüllt. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht auf den zum [X.]punkt der Enteignung bereits seit mehreren Monaten verstorbenen vormaligen Eigentümer des Rittergutes, [X.], abzustellen. Maßgeblich seien allein dessen Erben, die zum [X.]punkt der Enteignung Eigentümer des [X.] gewesen und als solche geschädigt worden seien. Diese erfüllten den [X.] jedoch nicht. Die Ausgleichsleistungen sollten erkennbar dem zugutekommen, der von dem Unrecht des [X.] betroffen war und nicht selbst maßgeblich für die Ursachen für die Unrechtsmaßnahmen verantwortlich gewesen sei. Dies könne nur eine Person sein, die zum [X.]punkt der Enteignung noch gelebt habe. Nur diese Person habe das wiedergutzumachende Unrecht erlitten. Auf die Unwürdigkeit eines Rechtsvorgängers komme es nicht an. Die Maßnahme verliere ihren Unrechtsgehalt, der auszugleichen sei, nicht dadurch, dass der Geschädigte die Eigentümerposition erst kurze [X.] inne gehabt habe. Umgekehrt würde ein Abstellen auf den im Sinne von § 1 Abs. 4 [X.] unwürdigen Rechtsvorgänger, der bereits vor der Enteignung verstorben gewesen sei, zu einem geradezu unerträglichen Ergebnis führen, wenn es sich bei dem durch die Enteignung tatsächlich Geschädigten etwa um eine Person handeln würde, die im Widerstand zum [X.] Regime gestanden hatte. Die Einbeziehung des im [X.]punkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits Verstorbenen, sofern die Enteignung auf ihn abziele, würde in vielen Fällen - wie auch dem vorliegenden - erhebliche Anwendungsschwierigkeiten nach sich ziehen.

6

Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 1 Abs. 4 AusglLeist[X.] In die Prüfung, ob ein Anspruch nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sei, sei auch derjenige einzubeziehen, auf den die entschädigungslose Enteignung auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage abgezielt habe, selbst wenn er im [X.]punkt der Enteignung bereits verstorben gewesen sei. Diese Auslegung sei sowohl vom Normzweck her als auch aus systematischen Gründen geboten. Dies habe auch das [X.] bereits in zwei Urteilen aus den Jahren 2005 und 2006 entschieden. Diese Rechtsprechung sei nicht durch spätere Entscheidungen aufgegeben worden.

7

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung und An[X.]dung des § 1 Abs. 4 [X.] ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 ([X.] 1665), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. März 2011 ([X.] 450). Weil die für eine abschließende Entscheidung zu dieser Vorschrift erforderlichen Tatsachen vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt worden sind, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Die Beteiligten wie im Ergebnis auch die Vorinstanz gehen zu Recht davon aus, dass die Klägerin nach § 1 Abs. 1 [X.] anspruchsberechtigt ist. Danach erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 [X.] durch entschädigungslose Enteignungen auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weitere Erben ([X.]) eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe des [X.]. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Nach den Feststellungen des [X.] ist das Rittergut [X.] auf der Grundlage der Verordnung über die Bodenreform in der [X.] vom 6. September 1945 (Verordnungsblatt der Provinzialverwaltung [X.] 1945 Nr. 1 S. 8, abgedruckt bei [X.]/[X.], [X.], Enteignung und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen [X.], [X.], 2.6.1) entschädigungslos enteignet worden. Bei dieser Bodenreformenteignung handelte es sich - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend annimmt - um eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 1 [X.] (vgl. Urteile vom 24. September 2003 - BVerwG 8 [X.] 27.02 - BVerwGE 119, 82 <84> = [X.] 428 § 1 Abs. 8 [X.] Nr. 25 S. 88; vom 28. September 1995 - BVerwG 7 [X.] 28.94 - BVerwGE 99, 268 <271 f.> = [X.] 428 § 1 [X.] Nr. 54 S. 152 f. und vom 30. November 1995 - BVerwG 7 [X.] - [X.] 112 § 1 [X.] Nr. 58 S. 172).

Die Anspruchsberechtigung der Erben und [X.] des [X.], die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des [X.] am 1. Dezember 1994 lebten und dadurch die Berechtigtenstellung nach § 1 Abs. 1 [X.] erlangten (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008 - BVerwG 5 [X.] 31.07 - BVerwGE 132, 200 = [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 15 Rn. 11), ist im Wege der rechtsgeschäftlichen Übertragung, gegen deren Wirksamkeit Bedenken weder ersichtlich noch sonst geltend gemacht worden sind, auf die Klägerin übergegangen.

2. Die Rechtsauffassung des [X.], dass es im Rahmen der Prüfung des [X.] 4 [X.] nur auf eine Person ankommen könne, die im Zeitpunkt der Enteignung noch lebte, ist mit dieser Vorschrift nicht vereinbar. Nach § 1 Abs. 4 [X.] werden unter anderem dann keine Ausgleichsleistungen gewährt, [X.]n der nach § 1 Abs. 1 [X.] Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder dem [X.] System erheblichen Vorschub geleistet hat.

Das Verwaltungsgericht ist zwar im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass [X.] nicht Berechtigter im Sinne dieser Vorschrift war (a). Es hat jedoch verkannt, dass in die Prüfung des zweiten Merkmals des § 1 Abs. 4 [X.] ("derjenige, von dem er seine Rechte ableitet") derjenige einzubeziehen ist, auf den die entschädigungslose Enteignung auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage abgezielt hat, selbst [X.]n er im Zeitpunkt der Enteignung bereits verstorben war (b). Auf dieser Grundlage hätte das Verwaltungsgericht [X.] in die Prüfung des [X.] einbeziehen müssen (c).

a) Berechtigter im Sinne von § 1 Abs. 4 [X.] ist nur derjenige, in dessen Person der Anspruch auf Ausgleichsleistung bei Inkrafttreten des [X.] am 1. Dezember 1994 entstanden ist, also der Geschädigte oder - [X.]n dieser zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes nicht mehr lebte - sein Erbe oder ggf. Erbeserbe (Urteile vom 15. März 2007 - BVerwG 3 [X.] 37.06 - BVerwGE 128, 194 = [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 10 Rn. 14 f. und vom 14. Mai 2009 - BVerwG 5 [X.] 15.08 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 18).

Dies trifft auf [X.] nicht zu. Er war zwar zu seinen Lebzeiten Eigentümer des Rittergutes, konnte aber durch die besatzungsrechtliche Enteignungsmaßnahme im September 1945 nicht mehr selbst geschädigt werden, weil er bereits im Mai 1945 verstorben war. Geschädigt wurden dadurch seine Erben (bzw. [X.]), denen das Rittergut zum [X.] im September 1945 zugestanden hat. Berechtigte im Sinne des § 1 Abs. 4 [X.] waren mithin diejenigen Erben und [X.] des [X.], in deren Person der Anspruch auf Ausgleichsleistung bei Inkrafttreten des [X.] entstanden ist.

b) Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass [X.] auch nicht derjenige im Sinne des § 1 Abs. 4 [X.] sein konnte, von dem der Berechtigte seine Rechte ableitet. Der Senat hält an der Rechtsprechung des [X.] fest, dass auch Personen in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] einzubeziehen sind, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte (Urteile vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 [X.] 16.04 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 4 und vom 23. Februar 2006 - BVerwG 3 [X.] 22.05 - [X.] 428.4 § 1 [X.] [X.]; vgl. auch Urteil vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 [X.] 38.05 - BVerwGE 128, 155 <158> = [X.] 428.4 § 1 [X.] [X.] Rn. 16). Dieses Auslegungsergebnis wird durch systematische (aa) und insbesondere durch historisch-teleologische Gründe ([X.]) getragen. Ihm stehen weder der Wortlaut der Rechtsnorm (cc) noch sonstige Erwägungen entgegen (dd).

aa) Für die Einbeziehung desjenigen, auf den die Enteignung abzielte, spricht zunächst der systematische Zusammenhang zwischen der entschädigungslosen Enteignung und dem Ausschluss vermögensrechtlicher Ansprüche nach § 1 Abs. 8 Buchst. a [X.] auf der einen und der wesentlich auf dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes beruhenden ersatzweisen Begründung eines [X.]s nach § 1 [X.] auf der anderen Seite. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 [X.] beinhaltet nämlich ein Surrogat für den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a [X.] ausgeschlossenen Restitutionsanspruch, das an die entsprechende Enteignung anknüpft, die auch dann als wirksam anzusehen ist, [X.]n sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 [X.] 14.94 - BVerwGE 96, 253 <256 ff.> = [X.] 428 § 1 [X.] Nr. 1 S. 55 ff.). Diese Verknüpfung von Enteignung und [X.] spricht - wie das [X.] bereits ausgeführt hat (Urteile vom 24. Februar 2005 a.a.[X.] und vom 23. Februar 2006 a.a.[X.]) - dafür, auch für den [X.] auf die entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung des [X.] einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt hat.

Dieses systematische Argument wird entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nicht dadurch entwertet, dass die Regelungen des § 1 Abs. 8 Buchst. a [X.] einerseits und des § 1 Abs. 1 [X.] andererseits bei isolierter Betrachtung unterschiedlichen Zwecken dienen. Auch soweit eine unterschiedliche Zwecksetzung vorliegt, wird dadurch die beiden Vorschriften zugrunde liegende systematische Verknüpfung zwischen einer entschädigungslosen Enteignung, die auch wirksam auf bereits Verstorbene gerichtet sein kann, und dem jeweils darauf bezogenen [X.] nicht hinfällig. Zudem kommt es im Hinblick auf die Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm nicht maßgeblich auf die Regelung über die Anspruchsberechtigung (§ 1 Abs. 1 [X.]) an, sondern auf die des hier in Rede stehenden [X.] 4 [X.]. Gerade die Zwecksetzung dieses sog. Unwürdigkeitstatbestandes spricht jedoch mit besonderem Gewicht für das Auslegungsergebnis des Senats.

[X.]) Der Zweck des § 1 Abs. 4 [X.] besteht darin zu verhindern, dass diejenigen, welche die Hauptverantwortung für die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen tragen, das [X.] nicht zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen (vgl. etwa Urteile vom 17. März 2005 - BVerwG 3 [X.] 20.04 - BVerwGE 123, 142 <143 f.> = [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 5 S. 9 und vom 14. Mai 2009 a.a.[X.]). Das ergibt sich bereits ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift (vgl. BTDrucks 12/4887 [X.]). Entsprechende Ausschlussregelungen finden sich in allen vergleichbaren gesetzlichen Regelungen wie z.B. im Bundesentschädigungsgesetz oder im [X.]. Der [X.] 4 [X.], der in der Fassung des [X.] (vgl. BTDrucks 12/4887 S. 12) noch auf den "nach Absatz 1 und 2 Berechtigten oder das enteignete Unternehmen" beschränkt war, wurde hinsichtlich des ausgeschlossenen Personenkreises in den [X.] um den Zusatz "oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet" erweitert und erhielt damit seine geltende Fassung (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 12/7588 S. 12). Diese Ergänzung ist damit begründet worden, es solle klargestellt werden, dass auch die Unwürdigkeit des [X.] des Berechtigten zum Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleichsleistung führe (BTDrucks 12/7588 S. 41).

Der zuvor beschriebene Regelungszweck greift unabhängig davon ein, ob die "Hauptverantwortlichen", die nach dem hier in Rede stehenden Merkmal des § 1 Abs. 4 [X.] dem [X.] System erheblichen Vorschub geleistet haben, vor oder nach der entschädigungslosen Enteignung verstorben sind. Das gesetzgeberische Ziel, gerade die Hauptverantwortlichen - und damit not[X.]dig auch deren Erben und [X.] - von der Ausgleichsleistung auszuschließen, würde vereitelt, soweit trotz eines erheblichen Vorschubleistens Ausgleichsleistungen beansprucht werden könnten, weil der Hauptverantwortliche zum Zeitpunkt der Enteignung nicht mehr lebte. Dem Gesetzeszweck wird vielmehr nur dann hinreichend Rechnung getragen, [X.]n die Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 [X.] auf denjenigen erstreckt wird, auf den - wegen seiner Mitverantwortung für das Unrechtssystem - die Enteignung auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage auch abzielte. Die im angegriffenen Urteil des [X.] vorgenommene Beschränkung auf die im [X.] Geschädigten führte demgegenüber zu der am Regelungszweck vorbeigehenden Konsequenz, dass es vom Zeitpunkt des Todes des nach § 1 Abs. 4 [X.] Ausgeschlossenen abhängen würde, ob - bei Tod vor der entschädigungslosen Enteignung - eine Ausgleichsleistung zu zahlen ist oder - im Falle des Todes erst nach der entschädigungslosen Enteignung - nicht (Urteile vom 24. Februar 2005 a.a.[X.] und vom 23. Februar 2006 a.a.[X.]).

Nach der in § 1 Abs. 4 [X.] zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist es entgegen der Rechtsansicht der Klägerin für den Anspruchsausschluss ohne Belang, dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 [X.] zur Last fällt. Es verhält sich - wie das [X.] ebenfalls bereits ausgeführt hat (Urteile vom 24. Februar 2005 a.a.[X.] und vom 23. Februar 2006 a.a.[X.]) - gerade nicht so, dass unbelasteten Erben auf jeden Fall ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Vielmehr bleibt ein - wegen der (Haupt-)Verantwortlichkeit ihres [X.] - ausgeschlossener Anspruch auch für diese verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere durch ein Vorschubleisten belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben ist, [X.]n gerade seine Belastung allein- oder mitursächlich für den Zugriff auf den Vermögenswert und die entschädigungslose Enteignung war.

cc) Dem vorgenannten anhand systematischer und historisch-teleologischer Gründe ermittelten Ergebnis der Auslegung des § 1 Abs. 4 [X.] steht dessen Wortlaut nicht entgegen. Es liegt innerhalb des möglichen [X.], dass derjenige, von dem der Berechtigte seine Rechte ableitet, auch der zum [X.] bereits verstorbene (frühere) Eigentümer und Rechtsvorgänger des oder der Berechtigten sein kann. Der Wortlaut gibt keine zwingende Begrenzung dahin vor, dass dies nur derjenige sein kann, der durch die Enteignung selbst geschädigt worden ist.

Zwar ver[X.]det das Gesetz den Singular und spricht von "demjenigen", von dem der Berechtigte seine Rechte ableitet, was darauf hinweisen mag, dass nicht not[X.]dig alle Rechtsvorgänger des oder der Berechtigten erfasst werden (Urteil vom 15. März 2007 - BVerwG 3 [X.] 37.06 - BVerwGE 128, 194 = [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 10 Rn. 16, wonach die sog. Zwischenerben nicht in die Unwürdigkeitsprüfung einzubeziehen sind). Allerdings schließt auch die Ver[X.]dung des Singulars keineswegs ein Verständnis aus, dass mit dem Begriff "derjenige" neben dem Geschädigten auch dessen Rechtsvorgänger gemeint sein kann. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch und insbesondere in der Gesetzessprache wird nicht selten eine Person im Singular genannt, obgleich davon nicht nur eine einzelne Person, sondern zugleich auch mehrere Personen oder Personengesamtheiten erfasst werden sollen (vgl. etwa Art. 104 Abs. 2 und 3 GG: "der [X.]"; §§ 266, 267, 270 ff. BGB: "der Schuldner" bzw. "der Gläubiger"; §§ 903 ff. BGB: "der Eigentümer").

Das Wort "ableitet" im Sinne des § 1 Abs. 4 [X.] bezeichnet zudem nicht not[X.]dig einen derivativen Erwerb, sondern bedeutet soviel wie "herleitet" oder "zurückführt" (Urteil vom 15. März 2007 a.a.[X.] jeweils Rn. 17). Vor diesem Hintergrund ist auch ein Verständnis sowohl vom Wortsinn gedeckt als auch rechtssystematisch naheliegend, wonach der Berechtigte seine Rechte (d.h. die Berechtigung nach § 1 Abs. 1 und 2 [X.], also den Anspruch auf die Ausgleichsleistung) auch von demjenigen "ableitet", der durch das wiedergutzumachende Geschehen der entschädigungslosen Enteignung getroffen werden sollte. Dies kann nicht nur der unmittelbar Geschädigte (also der Eigentümer zum [X.]), sondern auch derjenige (Vor-)Eigentümer gewesen sein, auf den - auch [X.]n er zum [X.] bereits verstorben war - die Enteignung wegen seines erheblichen Wirkens für den Nationalsozialismus abzielte. Bei diesem besteht auch insofern eine Verknüpfung zum wiedergutzumachenden Enteignungsgeschehen, als der unmittelbar Geschädigte gerade auch wegen der Person und des Verhaltens des [X.] enteignet worden ist.

dd) Der zuvor genannten Auslegung steht nicht das Argument des [X.] entgegen, dass die Einbeziehung des im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits Verstorbenen, sofern die Enteignung auf ihn abziele, in vielen Fällen erhebliche "An[X.]dungsschwierigkeiten" nach sich ziehe. Zwar erfasste - wie auch andere [X.]en - die in Rede stehende Verordnung über die Bodenreform in der [X.] vom 6. September 1945 zum einen - unabhängig von der Größe - den Grundbesitz "der Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen" sowie der "Naziführer und aktiven Verfechter der [X.] und ihrer Gliederungen" sowie der "führenden Personen des [X.]" (Art. II Ziff. 2 der Verordnung) und zum anderen den gesamten "feudal-junkerlichen Boden" und "Großgrundbesitz über 100 ha" (Art. 2 Ziff. 3 der Verordnung), so dass sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - zumindest bei der zuletzt genannten Gruppe die Not[X.]digkeit ergeben wird festzustellen, ob die damalige Enteignung (allein) wegen der Größe der landwirtschaftlichen Flächen oder (auch) wegen der Verstrickung des bereits verstorbenen [X.] in die Machenschaften des [X.] Regimes durchgeführt worden ist. Diese Feststellung mag heute nicht mehr leicht zu treffen sein.

Der daraus gezogene Schluss mangelnder Praktikabilität bei der Rechtsan[X.]dung kann aber - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - das im Wege der Auslegung des § 1 Abs. 4 [X.] gewonnene Ergebnis nicht in Frage stellen. "An[X.]dungsschwierigkeiten" oder Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung sind einer Rechtsmaterie, die sich mit Sachverhalten auseinanderzusetzen hat, die Jahrzehnte zurückliegen, nicht fremd. Ein gesondertes Kriterium für die Gesetzesauslegung sind sie nicht.

c) Der Maßstab, dass auch Personen in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] einzubeziehen sind, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte, ist - was das Verwaltungsgericht verkannt hat - auch im vorliegenden Fall zugrunde zu legen, obgleich das Rittergut des [X.] eine Grundstücksfläche von 775 ha aufwies.

Es trifft entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nicht zu, dass sich die vom Sinn und Zweck des § 1 Abs. 4 [X.] gebotene Auslegung, dass derjenige in die Prüfung dieser Vorschrift einzubeziehen ist, auf den die Enteignung abzielte, von vornherein nur auf diejenigen erstreckt, die von [X.] unterhalb der 100 [X.] betroffen worden sind. Zwar waren die Sachverhalte in den Entscheidungen, in welchen das [X.] diese Rechtsprechung begründet hat (Urteile vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 [X.] 16.04 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 4 und vom 23. Februar 2006 - BVerwG 3 [X.] 22.05 - [X.] 428.4 § 1 [X.] [X.]), so gelagert, dass es jeweils um diese Fallgestaltung ging. Allerdings hat das [X.] in den genannten Urteilen im Hinblick auf den abstrakten Prüfungsmaßstab nicht zwischen [X.] unterhalb der 100 [X.] und Enteignungen oberhalb dieser Grenze unterschieden. Daran ist, weil sich für eine solche abstrakte Differenzierung im Hinblick auf die Auslegung des § 1 Abs. 4 [X.] keine tragfähigen Gründe ergeben, festzuhalten. Hinsichtlich des rechtlichen Maßstabes greifen vielmehr die Gründe dafür, dass es bei der Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] auch auf denjenigen ankommt, auf den die Enteignung abzielte, bei [X.] oberhalb der 100 [X.] in gleicher Weise wie bei Enteignungen unterhalb dieser Grenze. Ebenso [X.]ig wie es geboten ist, nach diesen Kriterien zu differenzieren, [X.]n es der durch die Enteignung unmittelbar Geschädigte selbst war, der erheblichen Vorschub geleistet hat, ist es geboten, danach zu unterscheiden, [X.]n auf denjenigen abzustellen ist, auf den die entschädigungslose Enteignung abzielte. Es widerspräche dem Regelungszweck, einen "Hauptverantwortlichen", dessen Verstrickung im [X.] System den Anlass für die Enteignung gab, nur deshalb [X.], weil zugleich auch die Enteignungsvoraussetzungen der [X.] erfüllt waren, die sich auf sog. [X.] (Grundbesitz über 100 ha) beziehen.

Von der Frage, gegen [X.] die Enteignung gerichtet gewesen und wer dadurch (unmittelbar) geschädigt worden ist, ist mithin die Frage zu unterscheiden, auf [X.] die Enteignung abzielte. Dies ist derjenige, in dessen Person oder in dessen Verhalten der Enteignende den Grund für die entschädigungslose Enteignung auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage gesehen hat (Urteile vom 24. Februar 2005 a.a.[X.] Rn. 12 und vom 23. Februar 2006 a.a.[X.] Rn. 15). Soweit - wie hier - Grundbesitz oberhalb der 100 [X.] betroffen ist, genügt es nach der dargelegten Zwecksetzung des § 1 Abs. 4 [X.] für ein [X.] im vorgenannten Sinne, [X.]n der Enteignende die Enteignung auch wegen der Person des [X.] oder deren Verhalten (in der [X.]) durchgeführt hat. Das [X.] ist also nicht streng final zu verstehen; vielmehr reicht es im Sinne einer Mitverursachung aus, [X.]n nicht nur der Grundbesitz über 100 ha einen Grund für die Enteignung abgegeben hat, sondern zugleich auch die Person oder das Verhalten des zum [X.] bereits verstorbenen [X.].

3. Das Verwaltungsgericht hat - was auf der Grundlage seiner Rechtsansicht konsequent war - weder abschließend geprüft, ob die besatzungshoheitliche Enteignung auf [X.] im vorgenannten Sinne abzielte, noch hat es Tatsachen festgestellt und gewürdigt, welche die - im Falle eines [X.]s der Enteignung auf [X.] - sich stellende Frage beantworten könnten, ob dieser im Sinne von § 1 Abs. 4 [X.] gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen und/oder dem [X.] System erheblichen Vorschub geleistet hat. Die entsprechenden Tatsachenfeststellungen und -würdigungen, die dem Revisionsgericht verwehrt sind, sind vom Verwaltungsgericht nachzuholen. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Meta

5 C 15/12

14.03.2013

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Greifswald, 1. März 2012, Az: 6 A 938/10, Urteil

§ 1 Abs 1 AusglLeistG, § 1 Abs 4 AusglLeistG, § 1 Abs 8 Buchst a VermG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.03.2013, Az. 5 C 15/12 (REWIS RS 2013, 7397)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7397

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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