Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2011, Az. 5 C 26/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 2268

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Gegenstand

Ausgleichsleistung; Anspruchsberechtigung bei "Schachtelbeteiligungen"


Leitsatz

Anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG sind auch natürliche Personen, die Anteilseigner einer Gesellschaft waren, welche ihrerseits an der Gesellschaft beteiligt war, deren Vermögen enteignet wurde, sofern der Wert der Anteilsrechte durch die Enteignung gemindert wurde.

Tatbestand

1

Die [X.] begehren als Erbinnen ihres [X.] Ausgleichsleistungen für den Verlust von Anteilsrechten an der [X.]H. (im Folgenden: GmbH).

2

Gesellschafterin der GmbH war u.a. die [X.], an der der Großvater der [X.] beteiligt war. Dieser verstarb im Jahre 1944 und wurde von seinem [X.], dem Vater der [X.], beerbt. Die oHG wurde noch im [X.] in eine Kommanditgesellschaft, die [X.] (im Folgenden: [X.]), umgewandelt, in die der Vater der [X.] als Kommanditist eintrat.

3

Im Frühjahr 1948 wurden das gesamte Betriebsvermögen wie auch das sonstige Vermögen der GmbH in Umsetzung der [X.], [X.] und [X.] enteignet. Im Juli 1948 wurde die GmbH im Handelsregister als Eigentümerin gelöscht und statt ihrer "Eigentum des Volkes" eingetragen.

4

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1995 lehnte das [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen einen Antrag des [X.] der [X.] auf Rückübertragung von Anteilen an der GmbH ab. Darin führte es aus, durch die Enteignung der GmbH seien mittelbar auch die Gesellschafteranteile enteignet worden. Zugleich wies es darauf hin, dass ein Anspruch auf etwaige Ausgleichsleistungen durch die Entscheidung nicht berührt werde und der Antrag als Antrag auf Ausgleichsleistungen weiterbearbeitet werde.

5

Mit Bescheid vom 6. Mai 2008 lehnte es die Anträge der [X.], ihnen als Erbinnen ihres [X.] Ausgleichsleistungen für den Verlust von Anteilsrechten an dem ehemaligen Unternehmen der GmbH zu bewilligen, ab. Die hierauf erhobene Klage blieb ohne Erfolg.

6

Mit ihren Revisionen verfolgen die [X.] ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, ein Anspruch auf Gewährung von Ausgleichsleistungen folge, wenn nicht bereits aus § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.], so doch jedenfalls aus § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Dieser stelle den mittelbar Geschädigten dem unmittelbar Geschädigten gleich, ohne insoweit Einschränkungen vorzusehen.

7

Der Beklagte tritt den Revisionen entgegen.

8

Der Vertreter des [X.] hält das Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revisionen der Klägerinnen sind begründet. Die Auffassung des [X.], Anteilseigner einer [X.], welche ihrerseits an einer auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteigneten [X.] beteiligt war, könnten eine Ausgleichsleistung für den durch diese Enteignung bedingten Verlust des Wertes ihrer Anteilsrechte nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht beanspruchen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Da die Tatsachenfeststellungen des [X.] nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über einen Anspruch der Klägerinnen als Erbinnen nach ihrem Vater auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.] zu ermöglichen, ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (2.).

1. Die Klägerinnen sind als Erbinnen ihres [X.], dessen Anteile an der [X.] ausweislich der Feststellungen des [X.] durch die entschädigungslose Enteignung des Unternehmens der GmbH auf besatzungshoheitlicher Grundlage in ihrem Wert gemindert wurden, grundsätzlich anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.].

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 [X.] durch entschädigungslose Enteignungen auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage im Beitrittsgebiet verloren haben, oder ihre Erben oder [X.] eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. Bei der Enteignung von Vermögen einer [X.] liegt ein Eingriff auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Grundlage nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] vor, wenn diese zu einer Minderung des Wertes der Anteile an der [X.] geführt hat.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] beschränkt die Gewährung von Ausgleichsleistungen auf natürliche Personen und deren Erben oder [X.]. Anspruchsberechtigt als "natürliche Person" soll nur eine Person sein, die selbst Erben oder [X.] haben kann. Nicht originär ausgleichsleistungsberechtigt sind damit juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften (Urteil vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 16.07 - BVerwGE 130, 214 = [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 14, jeweils Rn. 15 ff.). Der Ausschluss juristischer Personen vom Anwendungsbereich des [X.] ist dem [X.] nachgebildet und entspricht der Natur des Ausgleichsleistungsrechts als Wiedergutmachungsrecht. Er verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Sozialstaatsprinzip noch gegen das Rechtsstaatsprinzip ([X.], Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 2460/95, 1 BvR 2471/95 - [X.]E 102, 254 <319 f.>; BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2008 a.a.[X.] jeweils Rn. 16 f.). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den ordnungspolitischen Zweck, die Rückgängigmachung von Enteignungen, der im Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes die Einbeziehung juristischer Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten rechtfertigte, infolge des [X.] in § 1 Abs. 8 [X.] als nicht zu erfüllen ansah (BTDrucks 12/4887 [X.] f.).

§ 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] überträgt diese Grundsätze auf die Situation der Enteignung von Vermögen einer [X.]. Anspruchsberechtigt sind auch in diesem Fall nur natürliche Personen; nicht anspruchsberechtigt ist hingegen die [X.], deren Vermögen enteignet wurde, als solche. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist nicht auf natürliche Personen beschränkt, die Anteile an der unmittelbar geschädigten [X.] besaßen, deren Wert durch die Enteignung gemindert wurde. Er erfasst auch natürliche Personen, die Anteilseigner einer [X.] waren, welche ihrerseits an der [X.] beteiligt war, deren Vermögen enteignet wurde, sofern der Wert der Anteilsrechte (bei Personenhandelsgesellschaften der Kapitalkonten) durch die Enteignung gemindert wurde. Durch das Merkmal der enteignungsbedingten Wertminderung ist das Erfordernis des personalen Bezuges zu dem enteigneten [X.]svermögen (vgl. [X.], Urteil vom 22. November 2000 a.a.[X.] S. 319) gewahrt. Gerade in den Fällen einer Verflechtung familiengeführter [X.]en ist dieser personale Bezug regelmäßig nicht auf die unmittelbar geschädigte [X.] beschränkt.

Dass der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] an eine enteignungsbedingte Minderung des Wertes der Anteile an "der" [X.] anknüpft, zwingt nicht zu dem Schluss, leistungsberechtigt seien nur Inhaber von Anteilen an "dieser" [X.], nicht hingegen auch Anteilseigner anderer [X.]en, die an der [X.], deren Vermögen enteignet wurde, beteiligt sind.

Auch der Gesetzessystematik ist nicht zu entnehmen, dass es sich bei den [X.] um solche an der von der Enteignung unmittelbar betroffenen [X.] handeln muss.

Ein derartiges Normverständnis wird zudem dem Gesetzeszweck nicht gerecht. Sowohl § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] als auch § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] tragen der mit dem [X.] verbundenen Zielsetzung Rechnung, den Kreis der Anspruchsberechtigten grundsätzlich auf natürliche Personen zu beschränken und juristische Personen wie auch Personenhandelsgesellschaften von der [X.] auszunehmen. Dieser Zielsetzung liegt der im Sozialstaatsprinzip verankerte Gedanke der Wiedergutmachung für fremdes Unrecht zugrunde. Danach ist die Gewährung von Ausgleichsleistungen auf natürliche Personen zu konzentrieren, da [X.] Gleichheit nur im Verhältnis der originären Grundrechtsträger untereinander, nicht aber zwischen diesen und den zur besseren Wahrnehmung gemeinsamer Interessen in der Form von juristischen Personen oder Personenhandelsgesellschaften gebildeten [X.] gefordert werden kann ([X.], Urteil vom 22. November 2000 a.a.[X.] S. 319 = Rn. 272; BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2008 a.a.[X.]). Die Konzentration auf natürliche Personen gebietet es hingegen nicht, die Ausgleichsleistungsberechtigung in den von § 1 Abs. 2 [X.] erfassten Fällen auf natürliche Personen zu beschränken, die an der unmittelbar geschädigten [X.] direkt beteiligt sind. Von Ausgleichsleistungen stets ausgeschlossen bleiben danach alle juristischen Personen auch und gerade dann, wenn keine natürlichen Personen hinter ihnen stehen (wie beispielsweise im Fall einer Gebietskörperschaft), die als Anteilseigner direkt oder mittelbar einen personalen Vermögensverlust erlitten haben. Für Familienstiftungen und Familienvereine hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Satz 4 [X.] eine besondere Regelung geschaffen.

Diese Beschränkung lässt sich schließlich auch mit der Entstehungsgeschichte nicht begründen. Der Allgemeine Teil der Begründung des Entwurfs des Entschädigungs- und [X.] stellt die Ausgleichsleistungsberechtigung von Anteilseignern in einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem Ausschluss juristischer Personen von Ausgleichsleistungen (BTDrucks 12/4887 S. 30 f.), ohne insoweit eine Einschränkung zu formulieren. Die Begründung des Entwurfs des § 1 Abs. 1 [X.], der zufolge eine "Beschränkung auf die hinter den Kapitalgesellschaften stehenden natürlichen Personen" erforderlich sei, "um dem damals von den Enteignungen Betroffenen und von einer Restitution ausgeschlossenen Anteilseigner die Ausgleichsleistung zu gewähren", (BTDrucks 12/4887 [X.]) verdeutlicht, dass der Gesetzgeber von einem personalen Bezug der mittelbar geschädigten Anteilseigner zu der [X.], deren Vermögenswerte enteignet wurden, ausging. Dass er die Ausgleichsleistungsberechtigung im Falle einer mittelbaren Schädigung zugleich auf die Anteilseigner dieser [X.] beschränkt wissen wollte, ist auch der Begründung des Entwurfs des § 1 Abs. 2 [X.] nicht zu entnehmen. Der Hinweis, Absatz 2 stelle klar, dass auch mittelbare Enteignungen der Inhaber von [X.] nach diesem Gesetz auszugleichen sind, (BTDrucks 12/4887 [X.]) lässt eine Begrenzung des [X.] der Anspruchsberechtigten gerade nicht erkennen.

Die Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] auf die mittelbar geschädigten Anteilseigner steht auch mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang. Danach ist es dem Gesetzgeber verboten, wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist hierbei nur anzunehmen, wenn die Verschiedenheit der gleich geregelten Sachverhalte so bedeutsam ist, dass ihre Gleichbehandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist ([X.], Beschluss vom 3. Dezember 1980 - 1 BvR 409/80 - [X.]E 55, 261 <269> = juris Rn. 34). Im Bereich des Wiedergutmachungsrechts kommt dem Gesetzgeber ein besonders weites Beurteilungsermessen zu ([X.], Urteil vom 22. November 2000 a.a.[X.] S. 299).

Die Gleichbehandlung natürlicher Personen, deren Anteilsrechte durch die Enteignung gemindert wurden und die einen personalen Bezug zu dem geschädigten Eigentum aufweisen, mit natürlichen Personen, die unmittelbar an der [X.], deren Vermögen enteignet wurde, beteiligt waren, erweist sich nicht als mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise unvereinbar. Vielmehr gewährleistet das [X.] der Minderung des Wertes der Anteile (bei Personenhandelsgesellschaften der Kapitalkonten) eine auch im Lichte der sozialstaatlichen Prägung des Wiedergutmachungsrechts sachgerechte Beschränkung des [X.] der [X.]. Es ermöglicht zugleich eine Abgrenzung zu sonstigen Verflechtungen, bei denen ein personaler Bezug zu dem enteignungsbedingten Verlust von Vermögenswerten nicht (mehr) feststellbar ist.

2. Der Senat kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht selbst abschließend entscheiden, ob sich das Urteil des [X.] aus anderen Gründen als richtig oder falsch darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die von diesem bislang festgestellten Tatsachen erlauben weder die Beurteilung, ob auch die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung einer Ausgleichsleistung nach den §§ 1 ff. [X.] erfüllt sind, noch ggf. deren Berechnung.

Der Rechtsstreit ist daher schon aus diesem Grunde zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Da insoweit schon aus Rechtsgründen eine erneute Tatsachenfeststellung und -würdigung vorzunehmen ist, kommt es auf die von den Revisionen erhobenen Verfahrensrügen nicht an.

Meta

5 C 26/10

19.10.2011

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Greifswald, 4. Mai 2010, Az: 2 A 836/08, Urteil

§ 1 Abs 1 S 1 AusglLeistG, § 1 Abs 2 S 1 AusglLeistG, § 1 Abs 8 VermG, § 2 Abs 2 VermG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2011, Az. 5 C 26/10 (REWIS RS 2011, 2268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2268

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1408/95

1 BvR 2307/94

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