Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2016, Az. 3 StR 521/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16924

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:280116B3STR521.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 521/15
vom
28. Januar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung
u.a.

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 28.
Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 [X.] einstimmig beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29.
Juni 2015 -
mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung -
mit den Feststellungen aufgeho-ben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatge-schehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewalt-schutzgesetz, der Körperverletzung in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat wegen eines Teils der [X.]
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likte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Ge-samtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und wegen der übrigen Straftaten auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten erkannt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Kranken-haus angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Adhäsionsentschei-dung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen leidet der An-geklagte an einer paranoid-psychotischen Störung bei affektiver Grund-erkrankung mit umschriebener Wahnbildung. Die affektive Grunderkrankung verursacht überwiegend manische, teils auch depressive Phasen. In der [X.] vom 20. November 2010 bis zum 22. September 2013 beging er die abgeurteil-ten Übergriffe gegen Polizeibeamte, einen Bekannten und Familienangehörige. Die [X.] hat dem gehörten Sachverständigen folgend für den gesam-ten Tatzeitraum nicht auszuschließen vermocht, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Grunderkrankung erheblich eingeschränkt war; bei einem Teil der Taten hat sie eine solche Einschränkung positiv [X.]. Bei zwei Vorfällen hat sie nicht ausschließen können, dass die [X.] des Angeklagten aufgehoben und seine Einsichtsfähigkeit erheb-lich eingeschränkt war.
2. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben; denn die Ausführungen des [X.]s zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft. Letzteres bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs und der Unterbringungsanordnung.
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a) Wenn sich das Tatgericht -
wie hier -
darauf beschränkt, sich der Be-urteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist ([X.], Beschluss vom 2. Oktober 2007
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3 [X.], [X.], 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht:
Das [X.] hat es bereits unterlassen, das vom Sachverständigen diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen. Sodann fehlt die Darlegung, wie die paranoid-psychotische Stö-rung auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten [X.] eingewirkt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2014 -
3 [X.], juris Rn. 4). Die §§ 20, 21 StGB
setzen voraus, dass die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit "bei Begehung der Tat" aufgehoben bzw. erheblich [X.] sind. Die Schuldfähigkeit ist deshalb in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Ein-sichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat ([X.], Beschluss vom 19.
Dezember 2012 -
4 [X.], [X.], 145, 146). Hierauf kann
allein unter Hinweis auf die allgemeine Diagnose nicht verzichtet werden
(st. Rspr.;
vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 13. August 2013 -
2 StR 128/13, [X.], 368, 369; vom 23. August 2012 -
1 [X.], [X.], 98; vom 2. Oktober 2007, aaO), denn deren Feststellung ist insbesondere auch bei bipolaren Störungen, bei denen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Ein-4
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sichtsfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund genügen die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht, die sich in den [X.] insoweit im [X.] in der Mitteilung im Rahmen der Beweiswürdigung erschöpfen, der Sachverständige habe bei vier Taten eine erhebliche Einschränkung der [X.] positiv festgestellt und im Übrigen auf der Grundlage der [X.]en Grunderkrankung nicht ausschließen können, dass der Angeklagte im gesamten Tatzeitraum krankheitsbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheb-lich eingeschränkt gewesen sei.
b) Da deshalb weder auszuschließen ist, dass der Angeklagte in den [X.] voll schuldfähig war, noch dass er im Zustand der Schuldun-fähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhe-bung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 [X.] ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Un-terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu spre-chen und eine Strafe zu verhängen ([X.], Beschlüsse vom 29. Juli 2015
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4 [X.], [X.], 315, 316; vom 5. August 2014 -
3 [X.], [X.]R [X.] § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Die jeweiligen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bei den einzelnen Taten beruhen auf einer man-gelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann in-soweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widerspre-chen. Der Adhäsionsausspruch unterliegt ebenfalls nicht der Aufhebung
([X.]/[X.], [X.], 58. Aufl.,
§ 406a Rn. 8 mwN).
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3. Im Übrigen
ist das neue Tatgericht auf Folgendes hinzuweisen:
a) Soweit das [X.] den Angeklagten wegen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt hat, belegen die bisherigen Feststellungen in den Fällen [X.] und II. 3. der Ur-teilsgründe bereits die Voraussetzungen des § 4 GewSchG nicht. Die [X.] nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anord-nung nach § 1 GewSchG setzt u.a. voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit
der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche
Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des [X.] ist es insoweit nicht gebunden ([X.], Beschluss vom 28. November 2013 -
3 [X.], [X.]St 59, 94). Tragfähige diesbezügliche Ausführungen enthal-ten die bisherigen Urteilsgründe -
auch in ihrem Gesamtzusammenhang -
nicht.
b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei fest-steht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höhe-ren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwen-dige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Per-sönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforde-rungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um 7
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einen Grenzfall handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012 -
4 [X.], [X.], 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen ([X.], Beschluss vom 24.
Oktober 2013 -
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StR 349/13, juris Rn. 5). Hieran gemessen erscheinen die bisherigen, eher knappen Urteilsausführungen nicht bedenkenfrei.
c) Sollte das neue Tatgericht für die einzelnen Taten ebenfalls Freiheits-strafen von unter sechs Monaten verhängen, wird es § 47 StGB und die dies-bezüglichen [X.] zu beachten haben.
[X.] Schäfer Gericke

Spaniol Tiemann
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Meta

3 StR 521/15

28.01.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2016, Az. 3 StR 521/15 (REWIS RS 2016, 16924)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16924

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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