Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.06.2013, Az. 10 B 12/13

10. Senat | REWIS RS 2013, 4694

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Gründe

1

Die Beschwerde, mit der ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die von dem Kläger erhobenen Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.

"ob die Reisewarnung des [X.] gilt oder je nach Staatsangehörigkeit unterschiedlich"

bzw.

"ob eine Abschiebung nach ganz [X.] möglich ist und sich die vielen Tatsachen hinsichtlich Übergriffen und Überfällen in [X.] zu einer Rechtsfrage verdichtet haben"

bzw.

"ob eine Unterscheidung nach der Herkunft eines afghanischen Flüchtlings nach der jeweiligen Region - sogenanntes 'Bodycount' - rechtlich zulässig ist".

und verweist zur Begründung auf die angespannte Sicherheits- und Versorgungslage, die das [X.] veranlasst habe, hinsichtlich [X.]s eine Reisewarnung zu erlassen, was die höchste Stufe einer Einteilung bilde. Eine Reisewarnung werde nur selten ausgesprochen und erfolge nur dann, wenn aufgrund einer akuten Gefahr für Leib oder Leben vor Reisen in ein Land oder in eine bestimmte Region eines [X.] gewarnt werden müsse.

5

Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zur medizinischen Versorgungslage und der Sicherheitslage in [X.], für die eine Reihe von Berichten über Übergriffe, Tötungen und Kampfhandlungen aufgelistet werden und geltend gemacht wird, spätestens seit der sogenannten Frühjahrsoffensive der [X.] bestehe in ganz [X.] eine extreme Gefahrenlage und in ganz [X.] ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.], zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf. Denn dieses Vorbringen zielt der Sache nach nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem [X.] vorbehaltene Prognose, ob dem Kläger aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse angesichts der politischen Gegebenheiten in seiner Heimat bei einer Rückkehr eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] droht bzw. eine extreme Gefahrenlage besteht, die in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 [X.] eine Abschiebung nach [X.] hindert. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Vielzahl der von dem Kläger vorgelegten Berichte über sicherheitsrelevante Vorfälle aus der [X.] auch nach dem für die rechtliche Überprüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) belegen zwar, dass die Sicherheitslage in [X.] weiterhin prekär sein mag; zu einer Rechtsfrage verdichten sich diese Tatsachen indes nicht. Das gilt auch für das Vorbringen, der mitgeteilte [X.] stelle eine neue Qualität dar.

6

Der von dem [X.] ausgesprochenen Reisewarnung kommt auch die ihr von dem Kläger zugeschriebene Indizwirkung für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1, 3 [X.], bei der in verfassungskonformer Auslegung der Regelungen ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht anzunehmen ist, nicht zu. Nach dem Wortlaut der Reisewarnung und den vom Kläger mitgeteilten Grundsätzen für den Erlass einer solchen Reisewarnung ist auszuschließen, dass die hierfür maßgebenden rechtlichen Maßstäbe zur Bewertung der Verfolgungs- bzw. Sicherheitslage und damit auch der von dem Kläger aufgezeigten sicherheitsrelevanten Ereignisse mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 [X.] zu beurteilen ist (s. dazu Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 [X.] 15.12 - [X.] 2013, 241). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob für Reisewarnungen nach der Staatsangehörigkeit zu unterscheiden sei, stellt sich mithin bereits im Ansatz nicht.

7

1.3 Soweit die Beschwerde geltend macht, das Abstellen auf die Herkunftsregion bedeute im Ergebnis das Zählen der Toten in einem bestimmten [X.]raum in einer bestimmten Gegend - das sogenannte "Bodycount" -, was mit dem vom Grundgesetz absolut geschützten Recht auf Leben unvereinbar sei, legt dies ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Denn es ist in der Rechtsprechung des [X.] rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 60 Abs. 7 Satz 2 [X.]) besteht (s. etwa Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 [X.] 43.07 - BVerwGE 131, 198 = [X.] 451.902 Europ. [X.] u. Asylrecht Nr. 22, vom 27. April 2010 - BVerwG 10 [X.] 4.09 - BVerwGE 136, 360 = [X.] 451.902 Europ. [X.] u. Asylrecht Nr. 38 und vom 17. November 2011 - BVerwG 10 [X.] 13.10 - [X.] 451.902 Europ. [X.] u Asylrecht Nr. 58) bzw. von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, bei der in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 [X.] [X.] auch dann zu gewähren ist, wenn eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 [X.] nicht ergangen ist (s. etwa Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 [X.] 14.10 - BVerwGE 140, 319, Rn. 22 f. m.w.N.), und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte u.a. jener quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf, welche die Beschwerde unter dem Begriff des "Bodycount" als vermeintlich grundgesetzwidrig erachtet. In der Rechtsprechung der [X.] ist des Weiteren geklärt (Urteil vom 31. Januar 2013 - BVerwG 10 [X.] 15.12 - juris Rn. 13), dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des [X.] nach § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] auch dann erfüllt sein können, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt, und daher auch eine Betrachtung geboten sein kann, die für die Gefahrenprognose nach Herkunftsregionen innerhalb des Heimatstaates differenziert. Die Beschwerde lässt keinen weiteren oder neuerlichen Klärungsbedarf erkennen.

8

2. Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.

9

2.1 Die von der Beschwerde der Sache nach geltend gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind nur dann ausreichend dargelegt, wenn substanziiert vorgetragen wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Die Rüge, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sei verletzt, erfordert regelmäßig die substanziierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. Beschluss vom 19. März 1991 - BVerwG 9 [X.] - [X.] 310 § 104 VwGO Nr. 25 S. 12 m.w.N.). Schließlich ist bei allen Verfahrensrügen darzulegen, dass und inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruht, d.h. inwiefern die nicht aufgeklärte Tatsache - vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts - zu einer günstigeren Entscheidung hätte führen können.

2.2 Angesichts der von dem Berufungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel (Ladungsverfügung vom 12. Dezember 2012 sowie ein weiteres Erkenntnismittel, das in der mündlichen Verhandlung eingeführt worden ist) sowie deren Auswertung in dem angegriffenen Urteil genügt die Beschwerde diesen Maßstäben nicht, wenn vorgetragen wird, es verstoße gegen das rechtliche Gehör, "dass die vielen weiteren Auskünfte zu [X.], beispielsweise die Reise- und Sicherheitshinweise des [X.]es, die internen Berichte der [X.], die vielfachen [X.]ungsberichte nicht zu einer Entscheidung herangezogen werden und diesbezüglich weiter nachgeforscht wird."

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

10 B 12/13

27.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Februar 2013, Az: 13a B 11.30515, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.06.2013, Az. 10 B 12/13 (REWIS RS 2013, 4694)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4694

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

M 17 K 16.35021

M 17 K 16.35668

M 17 K 16.34868

M 17 K 16.35547

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