Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.11.2008, Az. 5 StR 495/08

5. Strafsenat | REWIS RS 2008, 597

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

5 [X.][X.] vom 27. November 2008 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen zu 1 und 3 gefährlicher Körperverletzung

zu 2 versuchten Totschlags u. a. - 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 27. November 2008 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 6. September 2007 werden mit der Maß-gabe (§ 349 Abs. 4 StPO) nach § 349 Abs. 2 StPO als unbe-gründet verworfen, dass jeweils ein Monat der verhängten Jugendstrafen zur Entschädigung für die überlange [X.] als vollstreckt gilt. Es wird davon abgesehen, den Beschwerdeführern die Kos-ten ihrer Rechtsmittel aufzuerlegen; der Angeklagte [X.]hat jedoch die durch seine Revision dem Nebenkläger ent-standenen notwendigen Auslagen zu tragen. [X.]e
Das [X.] hat die Angeklagten [X.]. und [X.]wegen gefähr-licher Körperverletzung zu Jugendstrafen von drei Jahren und sechs Mona-ten bzw. zwei Jahren und elf Monaten, den Angeklagten [X.]

wegen ver-suchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen [X.] sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Der Verurteilung lag ein ge-walttätiges Geschehen bei einer Schulfeier zugrunde. 1 1. Die Revisionen sind zum Schuldspruch unbegründet; dies gilt im Ergebnis auch für den Strafausspruch. 2 Auch die Bemessung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld richtet sich grundsätzlich in erster Linie nach erzieherischen Erfordernissen, 3 - 3 - während der äußere Unrechtsgehalt der Tat insoweit keine selbständige Be-deutung hat. Die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt [X.] ist (vgl. [X.]R [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 8; [X.] 1982, 416; [X.], Beschluss vom 17. September 2008 [X.] 5 StR 411/08). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil noch gerecht. Gerade die für die Strafzumessung des [X.] zentralen strafschärfenden Gesichtspunkte (—immense Gewaltbereit-schaftfi, —geringe [X.], —brutales Vorgehenfi, [X.]) sind sol-che, die nicht nur für das Ausmaß der verwirklichten Schuld, sondern auch für den bestehenden Erziehungsbedarf von erheblichem Gewicht sind. Dass jeder einzelne Angeklagte sich nach den Urteilsfeststellungen nicht nur ohne ersichtliche Bedenken dem gewalttätigen gruppendynamischen Geschehen überlassen, sondern jeweils aktiv an der Erreichung neuer Eskalationsstufen mitgewirkt hat, legt für sich schon das Bestehen deutlicher [X.] nahe. Angesichts der ins Einzelne gehenden Feststellungen des Urteils zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten ist dabei nicht zu besorgen, das [X.] könnte bei der Strafzumessung verkannt haben, dass die Persönlichkeitsentwicklung zumindest bei den Angeklagten [X.]. und [X.]bisher ohne größere Probleme verlaufen ist, alle Angeklagten unbestraft sind und aus Familien stammen, in die sie nach ihrer Haftentlassung zurückkeh-ren können. Auch zu ihrem Verhalten in der Untersuchungshaft, das bei dem Angeklagten [X.]. vorbildlich war, hat das [X.] Feststellungen getrof-fen. Daher besteht kein durchgreifender Anlass für die Besorgnis, es könnte erzieherische Wirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft auf die Ange-klagten außer [X.] gelassen haben (vgl. [X.] StV 1986, 69). Schließlich hat das [X.] den [X.] auch unter erzieherischen Gesichtspunkten erhebli-chen [X.] Umständen, dass die Angeklagten [X.] und [X.]. teilgeständig [X.], von ihren Familien bei der Wiedergutmachung des verwirklichten [X.] durch Schmerzensgeldzahlungen unterstützt worden sind und alle 4 - 4 - Angeklagten Ansätze von Reue gezeigt haben, die ihnen zukommende Be-deutung beigemessen. Die jeweils verhängten Jugendstrafen erscheinen auch im Ergebnis unter [X.] nicht unverhältnismäßig. Insoweit ist näm-lich zu beachten, dass von einer dem verwirklichten Unrecht unangemessen milden Reaktion bestärkende Wirkungen auf jugendliche Täter ausgehen können (vgl. [X.] NStZ-RR 1996, 120). 5 Dass dem [X.] bei der Bemessung der Jugendstrafe die Fol-gen der Strafe für die weitere Entwicklung der Angeklagten (vgl. [X.]R [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 3) durchaus vor Augen standen, ergibt sich zum einen aus seinen Feststellungen zu der bisherigen schulischen und beruflichen Entwicklung der Angeklagten, die durch den Vollzug der Untersuchungshaft zum Stillstand gekommen ist. Zum anderen zeigt es sich in den Ausführun-gen unter Punkt V.3. der Urteilsgründe. Das [X.] hat den Angeklag-ten darin einen Weg gewiesen, die mit der Aufhebung der Haftbefehle ver-bundene Chance zu nutzen, ihre unterbrochene Schul- oder Berufsausbil-dung wieder aufzunehmen, um —sich die Strafvollstreckung im offenen [X.] zu erarbeitenfi ([X.]). 6 2. Indes ist zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein geringer Teil der gegen die Angeklagten verhängten Jugendstrafen als vollstreckt anzu-ordnen (vgl. [X.]St [X.] GS [X.] 52, 124; [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensver-zögerung 8, 10; [X.] wistra 2002, 464). 7 a) Nach Eingang der Revisionsbegründungen der Angeklagten bis zum 1. Dezember 2007 ist es zu einer Verletzung des Gebots zügiger Ver-fahrenserledigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gekommen. Nachdem die Akten mit Vermerk des Vorsitzenden der [X.] vom 31. Januar 2008 vom [X.] an die 8 - 5 - Staatsanwaltschaft übersandt worden waren, gab die Staatsanwaltschaft erst am 27. August 2008 auf die auch mit der Verfahrensrüge geführte Revision des Angeklagten [X.]eine Gegenerklärung ab. Bei dem [X.] gingen die Akten am 26. September 2008 ein. b) Der Senat erkennt eine allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführende, nicht mehr hinnehmbare Verzögerungen von etwa sechs Monaten bis zum Eingang der Akten beim [X.]. Der damit vorliegende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK ist entsprechend den Grundsätzen des Großen Senats des [X.] für Strafsa-chen in dessen Beschluss vom 17. Januar 2008 ([X.]St 52, 124) [X.] auch vom Revisionsgericht (vgl. [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensver-zögerung 10) [X.] zu kompensieren. Gerade in [X.] sind die Strafver-folgungsbehörden und Gerichte wegen des das Jugendgerichtsgesetz be-herrschenden [X.] gehalten, alles zu tun, um unnötige [X.] auszuschließen ([X.]R [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15). 9 c) Der Senat hat sich bei der Bemessung der Höhe des als Kompensation für die Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklärenden Teils der Jugendstrafen einerseits davon leiten lassen, dass sich eine die Angeklagten besonders belastende Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens nur noch darauf beziehen konnte, ob die sie verurteilenden erst-instanzlichen Erkenntnisse rechtskräftig werden würden (vgl. [X.], [X.] vom 11. März 2008 [X.] 3 StR 36/08). Bei der Beurteilung des Ausma-ßes der Belastung, die die Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft für die Angeklagten nach sich gezogen hat, ist einerseits zu berücksichtigen, dass sie sich in einer Phase der schulischen und beruflichen Orientierung befin-den, in der Planungssicherheit besonders wünschenswert ist. Andererseits waren die gegen sie bestehenden Untersuchungshaftbefehle mit der [X.] des erstinstanzlichen Urteils aufgehoben worden und ihnen war damit die Chance eingeräumt worden, ihre Lebensumstände neu zu ordnen 10 - 6 - und zu stabilisieren und sich im Rahmen einer —Vorbewährungfi günstige Ausgangspositionen für eine Einweisung in den offenen Jugendstrafvollzug und gegebenenfalls für eine frühzeitige Strafaussetzung zur Bewährung ge-mäß § 88 [X.] zu verschaffen. Die Gefahr, dass der hier gewährte Ausgleich für die Verfahrensverzögerung zur Unterschreitung der zur Erziehung erfor-derlichen Dauer der Jugendstrafe führen könnte ([X.]R [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15), vermag der Senat angesichts des gerin-gen als vollstreckt anzusehenden Teils der Jugendstrafen auszuschließen.
[X.] [X.] Dölp

Meta

5 StR 495/08

27.11.2008

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.11.2008, Az. 5 StR 495/08 (REWIS RS 2008, 597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 597

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 330/10 (Bundesgerichtshof)


5 StR 330/10 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafverfahren: Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Wege des so genannten Vollstreckungsmodells


5 StR 80/08 (Bundesgerichtshof)


5 StR 478/07 (Bundesgerichtshof)


1 StR 551/17 (Bundesgerichtshof)

Jugendstrafe: Anwendbarkeit der sog. Vollstreckungslösung zur Kompensation überlanger Verfahrensdauer


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.