Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2014, Az. 1 StR 212/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2838

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 212/14

vom
17. September
2014
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 17. September
2014
gemäß §
349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Dezember 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fäl-len, Sachbeschädigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Ausübung der tatsächli-chen Gewalt über eine Kriegswaffe und mit vorsätzlichem Besitz von Munition, Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomati-schen Kurzwaffe und mit vorsätzlichem Besitz von Munition und wegen vorsätz-licher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe, mit vorsätzli-chem Führen von zwei Schalldämpfern, mit vorsätzlichem Besitz von Munition sowie mit vorsätzlichem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen zu der Ge-samtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Es hat weiter seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
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Sein Rechtsmittel ist in vollem Umfang begründet (§ 349 Abs. 4 StPO), weil sowohl ein Verfahrensfehler als auch ein materiell-rechtlicher Fehler vor-liegt.
1. Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO
(§ 231b Abs. 1 StPO) hat Erfolg, weil die Hauptverhandlung (hier Einnahme eines [X.]s) in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt ist.
Durch Beschluss des [X.] wurde der Angeklagte gemäß § 177 [X.] für die weitere Vernehmung der [X.] am 15. November 2013 aus dem Sitzungszimmer entfernt, nachdem er zuvor mehreren [X.] Anordnungen des V

Nach Entfernung des Angeklagten machte die Zeugin weitere Angaben. Im Protokoll heißt es sodann: "Die von der Polizei gefertigten Lichtbilder der Wohnung der Geschädigten B. wurden in Augenschein genommen."
Die Zeugin machte sodann weitere Angaben zur Sache. Der Angeklagte wurde über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage B. informiert (§§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO).
Die Lichtbilder werden im Protokoll anschließend nicht mehr erwähnt.
a) Die Rüge ist zulässig erhoben.
Der [X.] hat diesen Sachverhalt vollständig vorgetragen. Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO war es im vorliegenden Fall nicht [X.], die Lichtbilder im Einzelnen zu beschreiben, wenn dies auch im Einzelfall zur erforderlichen Klarstellung schon verlangt wurde (vgl. [X.], Urteil vom 3
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1 [X.]). Dies war weder notwendig, um die Frage beant-worten zu können, ob die Abwesenheit bei einem wesentlichen Teil der [X.] stattfand, noch ob es sich nur um einen
Vernehmungsbehelf han-delte. Hier ergibt sich aus den
auf die Sachrüge zugänglichen schriftlichen [X.], dass die Lichtbilder für das erkennende Gericht wesentlich waren, denn sie werden bei der Beweiswürdigung dreimal angeführt ([X.], 26, 27). Nicht wesentlich waren für das Gericht die Einzelheiten der Bilder, denn es ist nur von "Lichtbildern ihres Schlafzimmers", "Lichtbildern der Wohnung" und "Bildern ihrer Wohnung" die Rede. [X.] Vortrag war daher im vorliegenden Fall für die Beurteilung durch das Revisionsgericht entbehrlich (vgl. auch [X.], Urteil vom 7. April 2004 -
2 [X.]). Dies gilt auch für die Prüfung der [X.], ob lediglich von einem Vernehmungsbehelf auszugehen ist (vgl. hierzu auch nachfolgend 1b).
b) Die Rüge ist auch begründet.
Durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274
StPO), dass während der Vernehmung der [X.], bei der der Angeklagte nach § 177 [X.] ausgeschlossen war, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder durchgeführt wurde. Nach
den Gesamtumständen ist hier davon auszugehen, dass es sich um einen förmlichen Augenschein gehandelt hat
und die Lichtbil-der nicht lediglich als Vernehmungsbehelf eingesetzt worden sind (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2002 -
5 StR 477/02).
Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlaufe einer Zeugenvernehmung hätte keiner Aufnahme in die [X.] bedurft (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2014 -
4 [X.] mwN).
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Der Wortlaut des Protokolls
ist eindeutig: Die Bilder wurden "in [X.] genommen". Auf die Einschätzung des [X.] in seiner Gegenerklärung, wo nach seiner Erinnerung die Lichtbilder "als Hilfe dienten, die Angaben des [X.] betreffend ihrer Wohnverhältnisse nachvollziehen zu können", kommt es danach nicht an.
Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass kein förmli-cher Augenschein erfolgt ist. Denn dort heißt es: "Dieses Geschehen konnte B. [X.]) und "[X.]" ([X.]). Umstände, die die Beweiskraft des Urteils in Zweifel ziehen könnten (vgl. hierzu u.a. [X.], Beschluss vom 13. November 2002 -
1 [X.]), liegen danach nicht vor.
Eine gegebenenfalls zulässige Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.
Danach ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorgenommen und auch nicht in seiner Anwesenheit [X.] worden (vgl. hierzu u.a. [X.], Beschluss vom 19. Juli 2007 -
3 [X.]). Dass der Angeklagte hier nicht nach § 247 StPO sondern nach § 177 [X.] ent-fernt wurde, ist für die Beurteilung des Verstoßes ohne Bedeutung. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil ein Teil der [X.] in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2014 -
4 [X.]), ohne dass dies durch den Entfernungsbeschluss gedeckt war; denn die [X.] gehörte nicht zur Vernehmung (vgl. auch [X.]/[X.] 57. Aufl. Rn. 7 und 20 ff. zu §
247 StPO). Es stand auch nicht zu befürchten (vgl. § 231b Abs. 1 StPO), dass der Angeklagte bei nachträglicher Inaugenscheinnahme der Lichtbilder 14
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(bei seiner Unterrichtung gemäß §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO) den [X.] der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde.
c) Der dargestellte [X.] führt zur Aufhebung der [X.] des Angeklagten wegen den beiden Vergewaltigungsfällen, bei denen
sich das [X.] ausdrücklich auf die Lichtbilder gestützt hat,
und
der Gesamt-strafe sowie
der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-kenhaus (§ 63 StGB).
Hingegen gefährdet dieser Verfahrensfehler den Bestand der [X.] wegen der [X.] nicht. Ein Einfluss des Verfahrensfehlers ist in-soweit ausgeschlossen (vgl. u.a. [X.]/[X.] aaO Rn. 2 zu § 338), weil sich die Beweisaufnahme durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder bei der Vernehmung der [X.] darauf nicht bezog (vgl. auch [X.], Urteil vom 7. April 2004 -
2 [X.]).
2. Die Rüge einer Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO, § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.], der mit Wirkung vom 1. September 2013 durch Art. 2 StORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs) vom 26. Juni 2013 ([X.] I S. 1805) neu gefasst wurde,
hat ebenfalls Gewicht.
In der Hauptverhandlung, die am 4. November 2013 begann, wurde mehrfach durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 [X.] ausgeschlossen.
a) Wie der [X.] zutreffend ausführt, ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben. Denn diese Vorschrift ist bei unzulässiger Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar (vgl. u.a. [X.], 18
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Urteil vom 21. November 1969 -
3 [X.], [X.]St 23, 82, 85; 176, 178; [X.], Urteil vom 19. Dezember 2006 -
1 [X.]).
b) Es liegt aber ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 [X.] vor, der zurzeit der Hauptverhandlung galt.
aa) Die Rüge ist in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Form erhoben. Ein Vortrag dazu, dass nach der Wiederherstellung der Öffent-lichkeit tatsächlich auch Zuhörer den Verhandlungssaal betreten haben, würde die Anforderungen überspannen, zumal da diese Mitteilung nicht für den [X.] notwendig ist, sondern allenfalls für die Frage der Prü-fung eines Beruhens des Urteils auf dem Rechtsfehler von Belang sein könnte.
bb) Gemäß § 171b Abs. 5 [X.] sind die Entscheidungen nach den [X.] bis 4 (grundsätzlich) unanfechtbar. Der Beurteilung des [X.] unterliegen Entscheidungen nicht, die ausdrücklich für unanfechtbar er-klärt sind (§ 336 Satz 2 StPO; vgl. auch [X.], Urteil vom 19. Dezember 2006
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1 [X.]; [X.], Beschluss vom 31. August 1999 -
1 [X.], [X.] NJW 2007, 709).
Gleichwohl neigt der [X.] im vorliegenden Fall dazu, in dem das [X.] überhaupt keine Entscheidung getroffen, sondern nur der Vorsitzende
(einige [X.] vorher und deshalb zu diesem Zeitpunkt rechts-fehlerfrei, weshalb eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO nicht zu verlan-gen ist) die Wiederherstellung der Öffentlichkeit angeordnet hat, die [X.] zu bejahen (vgl. hierzu auch [X.], Urteil vom 21. Juni 2012 -
4 [X.]). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das erkennende Gericht nach dem Gesetzeswortlaut ("ist die Öffentlichkeit auszuschließen") keinen Beurteilungs-spielraum hatte. Einer Anfechtbarkeit durch den Angeklagten steht hier auch 23
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nicht entgegen, dass die Vorschrift in erster Linie dem Opferschutz geschuldet ist. Denn § 171b [X.] dient insgesamt dem Schutz der Privatsphäre, auch des Angeklagten als Prozessbeteiligten.
Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem u.a. auch mehrmals die Öffentlichkeit auf Antrag des Angeklagten ausgeschlossen wurde, weil entspre-chende Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache [X.] sollten.
Danach wird insoweit von einer Anfechtungsbefugnis des Angeklagten auszugehen sein. Ob der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO) hier durchgreift oder ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dieser Gesetzesverlet-zung beruht, kann der [X.] offenlassen.
Hinsichtlich der Vergewaltigungen war das Urteil schon im Hinblick auf die unter 1. dargestellte Verfahrensrüge aufzuheben; die Verurteilung wegen der weiteren Delikte hat schon aus materiell-rechtlichen Gründen (nachfolgend 3.) keinen Bestand.
3. Der Schuldspruch wegen der verschiedenen [X.] war aus sachlich-rechtlichen Gründen aufzuheben. Zutreffend führt der Generalbundes-anwalt
in seiner Antragsschrift vom 27. Mai 2014 dazu aus, dass das [X.] rechtsfehlerhaft insoweit von drei selbständigen Taten ausgegangen ist, statt insgesamt Tateinheit (§ 52 StGB) anzunehmen (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 -
4 [X.]). Der beantragten [X.] durch den [X.] steht hier § 265 StPO entgegen. Der [X.] kann nicht sicher ausschließen, dass sich der Angeklagte nach einem entsprechenden Hinweis anders als geschehen eingelassen und sich erfolgreicher verteidigt hätte.
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Die zugehörigen Feststellungen können danach ebenfalls nicht bestehen bleiben.
Die Sache war daher insgesamt zu neuer Verhandlung und Entschei-dung an eine andere Strafkammer des [X.] zurückzuverweisen.
Raum

[X.] Jäger

Mosbacher Fischer
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Meta

1 StR 212/14

17.09.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2014, Az. 1 StR 212/14 (REWIS RS 2014, 2838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2838

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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