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PDF anzeigenECLI:DE:BGH:2017:260417U2STR247.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 247/16
vom
26.
April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR:
ja
Veröffentlichung: ja
StPO §§
102, 105; §
161 Abs.
2 Satz
1
EMRK Art.
6 Abs.
1
1. Zur Rechtmäßigkeit sogenannter legendierter Kontrollen.
2. Es gibt weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Die Polizei kann auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungs-grundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden.
3. Ob auf präventiv-polizeilicher Grundlage gewonnene Beweise im Strafverfahren verwendet werden dürfen, bestimmt sich nach §
161 Abs.
2 Satz
1 StPO.
BGH, Urteil vom 26. April 2017 -
2 StR 247/16 -
LG Limburg an der Lahn
-
2
-
Der 2.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 19.
April 2017 in der Sitzung am 26.
April
2017, an denen
teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr.
Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr.
Krehl,
Dr.
Eschelbach,
Zeng,
Dr. Grube,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung und
bei der Verkündung
als
Verteidiger,
Justizangestellte
in der Verhandlung,
Justizangestellte
bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts Limburg an der Lahn vom 1.
März 2016 wird verwor-fen.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungs-mitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es
sichergestellte Betäubungsmittel und den PKW VW Touran des Angeklagten eingezogen sowie den erweiterten Verfall eines sichergestellten Geldbetrags in Höhe von 5.571,13
Euro angeord-net.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verlet-zung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1
2
-
4
-
I.
1.
Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte am 17.
August 2015 gegen 5.20
Uhr als Führer und alleiniger Insasse seines Fahrzeugs VW Touran von
der Bundesautobahn
A
3 kommend im Bereich der Ausfahrt L.
-S.
auf dem Gelände des nahe
gelegenen ICE-Bahnhofs einer polizeilichen Perso-nen-
und Fahrzeugkontrolle unterzogen. Dabei entdeckte die Polizei in einem eigens dafür präparierten Hohlraum hinter dem Armaturenbrett des Fahrzeugs insgesamt neun Päckchen Kokain (7.995
Gramm Kokain brutto; 6.500,6
Gramm
Kokainhydrochloridanteil). Der Angeklagte hatte das Kokain zuvor von einer unbekannten Person in den Niederlanden übernommen
und gegen 4.00
Uhr morgens zwecks gewinnbringenden Weiterverkaufs nach Deutschland eingeführt. Dies entsprach dem gemeinsamen Tatplan
des Ange-klagten mit dem gesondert Verfolgten
B.
, der sich zur Tatzeit in Ma-
rokko aufhielt. B.
hatte den Betäubungsmitteltransport telefonisch orga-
nisiert und den Kontakt zu dem Lieferanten in den Niederlanden hergestellt.
Der
Angeklagte
war
für die Entgegennahme und den Transport der Betäubungsmittel zuständig und hatte zuvor
noch ausstehende Geldbeträge
bei Betäubungsmittelabnehmern aus früheren Lieferungen für die Bezahlung
des Kokains einzutreiben.
2.
Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt un-ter anderem auf die bei der Durchsuchung des Fahrzeugs des Angeklagten er-langten Erkenntnisse und auf die Aussagen
der dabei tätig gewordenen Poli-zeibeamten gestützt. Es
hat deren
Aussagen zum Auffinden des Kokains im Fahrzeug, die hierzu gefertigten Lichtbilder und das Betäubungsmittelgutachten
des Bundeskriminalamts Wiesbaden vom 28.
September 2015
für verwertbar gehalten. Der Angeklagte hat der Verwertung von Beweismitteln, die mit der 3
4
-
5
-
Fahrzeugdurchsuchung im Zusammenhang stehen, in der Hauptverhandlung widersprochen,
dies vor folgendem Hintergrund:
a)
Im April 2015 hatte eine Vertrauensperson gegenüber der Kriminalpo-lizei Frankfurt am Main angegeben, dass eine marokkanische
Personengruppe
unter
Führung eines
im Frankfurter Stadtteil P.
in großem
Stil mit Drogen handele. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein
Ermittlungsverfahren
ein und führte im Weiteren verdeckte Ermittlun-gen
durch. Aufgrund
hierdurch
erlangter
Erkenntnisse wurden der Angeklagte und der gesondert Verfolgte
B.
identifiziert und in der Folge als Be-
schuldigte geführt. Durch
Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen er-hielten die Ermittlungsbehörden Hinweise auf einen für Mitte August 2015 ge-planten Betäubungsmitteltransport des Angeklagten, den der Hintermann
B.
, der Ende Juli 2015 mit seiner Familie vorübergehend
nach Marokko
gereist war, telefonisch organisiert hatte. Auf Grundlage eines ermittlungsrich-terlichen Beschlusses wurde das Fahrzeug des Angeklagten mit einem Peil-sender versehen. Ab dem 14.
August 2015 wurde der Angeklagte auch obser-viert, wodurch die Ermittlungsbehörde Kenntnis von seiner
Einreise am frühen Morgen des nächsten Tages in die Niederlande erlangte. Da eine Zusammen-arbeit mit den niederländischen Strafverfolgungsbehörden nicht zustande kam, wurde die Observation an der Landesgrenze abgebrochen.
b)
Am Tattag, dem 17.
August 2015 gegen 1.15
Uhr,
erhielten die ermit-telnden Frankfurter Kriminalbeamten über den Peilsender Kenntnis davon, dass sich das Fahrzeug des Angeklagten wieder in Richtung Deutschland in Bewe-gung gesetzt hatte. Sie
besprachen das weitere Vorgehen. Es erschien ihnen notwendig
zu verhindern, dass Betäubungsmittel in erheblichem Umfang in Deutschland in Umlauf gerieten; zugleich waren die Beamten an der Sicherung etwaiger Beweise interessiert. Sie
wollten auch
verhindern, dass der damalige 5
6
-
6
-
Mitbeschuldigte B.
, der sich zu diesem Zeitpunkt in Marokko aufhielt, von
den bereits laufenden Ermittlungen erfahren und eine Wiedereinreise nach Deutschland deshalb unterlassen würde. Darum beschlossen sie, das Fahrzeug des Angeklagten in Deutschland
wenn möglich
einer sogenannten
legen-dierten Kontrolle durch Beamte der Verkehrspolizei
zu
unterziehen, um den Er-folg der laufenden
Ermittlungsmaßnahmen gegen den
Hintermann
nicht zu ge-fährden. Durch die Legende einer Verkehrskontrolle sollte
verhindert werden, dass infolge des Zugriffs auf den Kurier bislang verdeckt geführte, technisch und
personell aufwändige Ermittlungen aufgedeckt und der Hintermann in Ma-rokko gewarnt würde. Bei vergleichbaren Lagen war
entsprechend verfahren worden, richterliche Durchsuchungsbeschlüsse für zu kontrollierende Fahrzeu-ge, bei denen ihr Anlass hätte aufgedeckt werden müssen (§
107 StPO),
waren nicht eingeholt
worden. Die Beamten hielten auch diesmal die Einholung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses in Fortsetzung der
üblichen Praxis für nicht erforderlich. Dementsprechend verständigten sie
die Autobahnpolizei Wiesbaden und fragten vorsorglich die Unterstützung durch einen Diensthunde-führer an.
Nachdem der Angeklagte gegen 4.00 Uhr wieder nach Deutschland ein-gereist war und die
Autobahn A
3 in Richtung Frankfurt am Main befuhr, traf sich
eine
Streife der Autobahnpolizei Wiesbaden
die Zeugen
POKin Bi.
und PK-A
A.
mit dem Leiter des Observationsteams und weiteren
Kriminalbeamten aus Frankfurt am Main auf dem Gelände des ICE-Bahnhofs
in
M.
. Der Streife wurde neben der Beschreibung und dem Kennzeichen
des Fahrzeugs des Angeklagten mitgeteilt, dass es um das Auffinden professi-onell verbauten
Rauschgifts gehe. Es solle versucht werden, das Fahrzeug an-zuhalten. Falls sich für eine Kontrolle ein Vorwand fände
. Sofern der Fahrer flüchten würde, sollte er jedoch nicht verfolgt werden. In der 7
-
7
-
Folge wurde die Streife
mit Hilfe des Observationsteams an den vom Angeklag-
Kurz vor der Abfahrt L.
-N.
beobachteten die
Beamten, dass der
Angeklagte an einer Baustelle etwa 10 km/h zu schnell fuhr und nahmen dies zum Anlass für eine
Verkehrskontrolle. Sie
überholten
und setzten
das Zeichen folgte dem Polizeifahrzeug an der Ausfahrt L.
-S.
auf das Gelände des
nahegelegenen ICE-Bahnhofs.
Dort teilte POKin Bi.
dem Angeklagten mit, dass er zu schnell gefahren
sei, verlangte dessen Papiere und fragte
ihn, ob er
verbotene Gegenstände bei sich führe, was dieser verneinte. Weitere Polizeibeamte kamen hinzu, unter anderem erschien ein Diensthundeführer mit einem Betäubungsmittelspürhund, der das Fahrzeug beschnüffelte und im Bereich der über dem Radio befindli-chen Lüftungsdüsen anschlug. Als die Polizeibeamten feststellten, dass die Lüf-tungsdüsen nicht funktionierten, durchsuchten sie das Fahrzeug eingehender und fanden nach Entfernen des Ablagefachs der Mittelkonsole neun Pakete mit Kokain in einem Hohlraum. Daraufhin belehrten sie den
Angeklagten
als Be-schuldigten
und nahmen ihn vorläufig fest.
c) Die
Beamten
der Verkehrspolizei fertigten auf der Dienststelle einen Bericht, in dem sie Hinweise
auf die Ermittlungen der Kriminalpolizei Frankfurt am Main unterließen, wodurch der
Eindruck entstand, es habe sich um eine zufällige Verkehrskontrolle gehandelt.
KOK Z.
von der Polizeidirektion Limburg, der die polizeilichen Ermitt-
lungen in der Folge führte, wurde nach Dienstantritt von der Sicherstellung des Kokains informiert und belehrte den Angeklagten ein weiteres Mal mündlich als Beschuldigten, ohne auf das Ermittlungsverfahren in Frankfurt am Main hinzu-weisen. Auf seine Frage, wieviel Kokain im Fahrzeug gewesen sei, antwortete 8
9
10
-
8
-
der Angeklagte: 6,5
kg. Auf Vorhalt, es seien aber bereits 8
kg brutto sicherge-stellt worden, zuckte er lediglich mit den Schultern. Weitere Angaben zur Sache machte der Angeklagte weder im Ermittlungsverfahren noch im Rahmen der Hauptverhandlung.
Der Haftrichter des Amtsgerichts Limburg
an der Lahn
erließ am 18.
August 2015 in Unkenntnis der
Ermittlungen der Kriminalpolizei in Frankfurt am Main antragsgemäß Haftbefehl gegen den Angeklagten
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Han-deltreiben
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der gesondert Ver-
folgte B.
reiste am 4.
September 2015 wieder in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Am 19.
Oktober 2015 wurde er aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem
in Untersuchungshaft. Mit Datum
vom 20.
Oktober 2015 übersandte die Kriminaldirektion Frankfurt am Main einen Vermerk an den Ermittlungsführer der Kriminaldirektion Limburg, der die Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfah-ren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main zusammenfasste. Daraus
ergab sich auch, dass die Fahrzeugkontrolle nicht zufällig durchgeführt worden war. Der Vermerk ging am 23.
Oktober 2015 bei der Staatsanwaltschaft Limburg ein, die ihn per Telefax am 26.
Oktober 2015, mehrere Wochen vor Anklageerhe-bung
am 7.
Dezember 2015, an den Verteidiger des Angeklagten übersandte.
11
-
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-
II.
Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensbeanstandungen, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten gegen die Verwertung der im Rah-men der
(vgl. hierzu LG Münster, Beschluss vom 1.
September 2014
9
Qs
220
Js
66/14
-
41/14, NStZ 2016, 126 mit Anm. Gubitz; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
105 Rn.
1a; Mosbacher, JuS 2016, 706, 707
f.; Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, 2015, S.
95 ff.; ders.
Kriminalistik 2013, 105 ff.; Mül-ler/Römer, NStZ 2012, 543 ff.; Tönsgerlemann, AW-Prax 2012, 168)
gewonne-nen Beweismittel wenden, dringen nicht durch.
1. Die auf eine Verletzung der
§
105 Abs. 1 Satz
1 StPO, §
102 StPO i.V.m. §
337 StPO gestützte Verfahrensrüge, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Verwertung von Beweismitteln wendet, die im Zusammenhang mit der polizeilichen Durchsuchung seines Fahrzeugs erlangt wurden, hat keinen Erfolg.
Die zulässig erhobene Rüge ist unbegründet. Das vom Angeklagten gel-tend gemachte Verwertungsverbot besteht nicht. Die
Durchsuchung des Fahr-zeugs ohne vorherige richterliche Anordnung war nach hessischem Gefahren-abwehrrecht zulässig, die aufgefundenen Beweismittel waren gemäß §
161 Abs.
2 Satz
1 StPO verwertbar
(vgl. BGH, Beschluss vom 8.
Dezember 2015
3
StR 406/15, NStZ-RR 2016, 176
zu §§
22, 23 Nds. SOG).
a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts
stellt
die bundesgesetzli-che Norm des §
36 Abs. 5 StVO keine
Ermächtigungsgrundlage für die Fahr-zeugdurchsuchung
dar. §
36 Abs. 5 StVO berechtigt nur zu verkehrsbezogenen Maßnahmen, die der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienen, wie etwa zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit des Fahrers, des Zustands der Aus-12
13
14
15
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10
-
rüstung des Fahrzeugs oder dessen Beladung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23.
Juli 2012
31
Ss 27/12, StraFo 2012, 419, 420 f.; Müller/Römer, NStZ
2012, 543, 546; Janker/Hühnermann in:
Burmann pp., Straßenverkehrs-recht, 24.
Aufl., §
36
StVO Rn.
12; König
in:
Hentschel pp., Straßenverkehrs-recht, 43.
Aufl., §
36 StVO Rn.
24 mwN; differenzierend
Nowrousian, Heimli-ches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, 2015, S.
108
f.). Auf solche verkehrsbezogenen Umstände bezog sich die Fahrzeugdurchsu-chung aber gerade nicht, vielmehr diente sie allein dem Auffinden und der Si-cherstellung der im Fahrzeug vermuteten Betäubungsmittel.
b) Die Fahrzeugdurchsuchung war indes nach §
37 Abs. 1 Nr.
1 und Nr.
3 HSOG (i.V.m. §
36 Abs. 1 Nr.
1 HSOG bzw. §
40 Nr.
1 und 4 HSOG) ge-rechtfertigt. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung lagen in formeller und materieller Hinsicht alle Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungs-grundlage vor. Einer vorherigen richterlichen Anordnung bedurfte es nach die-sen Vorschriften nicht.
aa) Nach §
37 Abs. 1 Nr.
1 i.V.m. §
36 Abs. 1 Nr.
1 HSOG können die Polizeibehörden Sachen
durchsuchen, die
von einer Person mitgeführt werden, hinsichtlich der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Gegenstände mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Gleiches gilt
nach §
37 Abs.
1 Nr.
3 HSOG, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in der zu durchsuchenden Sache eine andere Sache befindet,
die sichergestellt werden darf.
Sichergestellt werden können Sachen nach hessischem Gefahrenabwehr-recht etwa,
um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren (§
40 Nr. 1 HSOG)
oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie zur Be-gehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebraucht oder verwertet werden sollen
(§
40 Nr. 4 HSOG). Danach gestatten die gefahrenabwehrrechtlichen Vorschriften insbesondere auch die Suche nach illegalen Betäubungsmitteln 16
17
-
11
-
(BGH, Beschluss vom 8.
Dezember
2015
3
StR 406/15, NStZ-RR 2016, 176 zu den
insoweit nahezu gleichlautenden §§ 22, 23, 26 Nds.
SOG;
Pewestorf/Söllner/Tölle, Praxishandbuch Polizei-
und Ordnungsrecht, S.
320 Rn.
215). Die wegen Art.
13 GG strengeren Voraussetzungen für die Durchsu-chung
von
Wohnungen (vgl. §§
38, 39 HSOG) gelten für eine Fahrzeugdurch-suchung nicht.
bb) Die Maßnahme diente
sowohl der Beweisgewinnung als auch der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, hier dem Inverkehrgelangen einer großen Menge von gefährlichen Betäubungsmitteln. Den
Beamten der Autobahnpolizei Wiesbaden war von den Kriminalbeamten aus Frankfurt
am Main
mitgeteilt worden, dass sie das Fahrzeug wegen "professionell verbauten Rauschgifts" überprüfen
sollten; zudem hatte während der Kontrolle der angeforderte Spür-hund angeschlagen. Damit lagen aus Sicht der handelnden Polizeibeamten tat-sächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte in seinem Fahrzeug (verbotene) Gegenstände im Sinne von §
37 Abs.
1 Nr.
1 und Nr.
3 HSOG (i.V.m. §
40 Nrn.
1 und 4 HSOG) mit sich führte, von denen eine Gefahr aus-ging. Die Durchsuchung des vom Angeklagten mitgeführten Fahrzeugs war für die Zweckerreichung, hier die Sicherstellung der im Fahrzeug befindlichen Be-täubungsmittel, auch unabdingbar.
c) Der polizeirechtlichen Rechtmäßigkeit der Maßnahme steht nicht ent-gegen, dass zum Zeitpunkt der
Fahrzeugdurchsuchung bereits ein Anfangsver-dacht einer Straftat gegen den Angeklagten vorlag, der auch ein Vorgehen nach §§
102, 105 StPO ermöglicht
hätte
(vgl. BGH, Beschluss vom 8.
Dezember 2015
3
StR 406/15, NStZ-RR 2016, 176; kritisch
Mosbacher,
JuS
2016, 706, 708).
18
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-
12
-
aa) Nach den Feststellungen beabsichtigte die Polizei nicht nur, die Be-täubungsmittel zwecks Gefahrenabwehr aus dem Verkehr zu ziehen, sondern verfolgte daneben auch das Ziel der Beweissicherung in einem potentiellen Strafverfahren gegen den Angeklagten
und dessen Hintermann. Damit handelte es sich bei der
Fahrzeugdurchsuchung
um
eine sogenannte
doppelfunktionale Maßnahme, bei der die Polizei mit jeweils selbständiger präventiver und repres-siver Zielsetzung tätig wurde (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 5.
November
2009
10 C
09.2122
BayVbl
2010, 220; Schoch, JURA 2013, 1115, 1116 ff.; Ehrenberg/Frohne, Kriminalistik 2003, 737; Götz, Allgemeines Polizei-
und Ordnungsrecht, 15.
Aufl., S.
209 Rn.
15; vgl. auch Bertram, Die Verwendung präventivpolizeilicher Erkenntnisse im Strafverfahren, 2009, S.
209
f.; Rieger, Die Abgrenzung doppelfunktionaler Maßnahmen der Polizei, 1994, S.
5 f.). Von
doppelfunktionalen Maßnahmen abzugrenzen sind polizeiliche Maßnahmen, die nur deswegen auch präventiven Charakter besitzen, weil durch die Strafverfolgung ein entsprechender unselbständiger
Nebeneffekt erzielt wird, etwa dass der
Betroffene durch Festnahme an der Fortsetzung seiner strafbaren Handlung faktisch gehindert wird.
In einem sol-cschon nach seiner alleinigen Zwecksetzung ausschließlich strafprozessualer Natur (vgl.
Denninger/Rachor, Handbuch des Polizeirechts, 5.
Aufl., S.
1252 Rn.
30; Götz
aaO S. 209 f.). So liegt der Fall hier nicht, da
die Durchsuchung des Fahrzeugs auch den selbständigen präventiv-polizeilichen Zweck
verfolgte, das Inverkehrbringen von
Betäubungsmitteln
in erheblichem Umfang in Deutschland
zu verhindern.
bb) Wie die Rechtmäßigkeit einer
echten
doppelfunktionalen
Maßnah-me der Polizei zu beurteilen ist und welche Konsequenzen sich daraus für das Strafverfahren ergeben, ist umstritten.
20
21
-
13
-
(1) Nach einer Literaturmeinung
ist
ein Rückgriff auf Normen des Gefah-renabwehrrechts immer dann ausgeschlossen, wenn gegen den Betroffenen der Maßnahme gleichzeitig ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der ab-solute Vorrang
strafprozessualer Vorschriften sei unabdingbar, weil
ansonsten eine Umgehung der teilweise strengeren Voraussetzungen der Strafprozess-ordnung bzw. ein Kontrollverlust der Justiz drohe (Gubitz, NStZ 2016, 128; Mül-ler/Römer, NStZ 2012, 543, 547; KK-StPO/Schoreit, 6.
Aufl., §
152 Rn.
18c).
(2) In Anlehnung an die sogenannte Schwerpunkttheorie (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.
Juni
2001
6 B 25/01, NVwZ 2001, 1285, 1286; Urteil vom 3.
Dezember 1974
I C 11.73, BVerwGE 47, 255, 264 f.; BayVGH, Beschluss vom 5.
November 2009
10
C
09.2122
BayVbl 2010, 220; weitere Nachweise in Schenke, NJW 2011, 2838, 2841 f.), die für die Prüfung der Rechtswegzu-ständigkeit zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbar-keit entwickelt wurde
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.
Juni 2001
6 B 25/01, NVwZ 2001, 1285, 1286), soll für die Beurteilung, ob eine
Maßnahme an Er-mächtigungsgrundlagen aus dem Gefahrenabwehrrecht oder aus der Strafpro-zessordnung zu messen sei, entscheidend sein, wo der Schwerpunkt des poli-zeilichen Eingreifens liegt (vgl. etwa Ehrenberg/Frohne, Kriminalistik 2003, 737, 749 f.).
(3) Nach anderer Auffassung endet mit der Annahme
eines konkreten Anfangsverdachts einer Straftat nicht die Möglichkeit der Polizei, auch nach Gefahrenabwehrrecht vorzugehen (LG Münster, Beschluss vom 1.
September 2014
9
Qs
220 Js
66/14
41/14, NStZ 2016, 126, 127; Nowrousian, Heimli-ches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, 2015, S.
97 ff.; ders., Kriminalistik 2013, 105 ff.; Tönsgerlemann, AW-Prax 2012, 168, 169). Vielmehr könnten nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zulässigerweise parallel betrieben werden (Kniesel, ZRP 22
23
24
-
14
-
1987, 377, 378 f.). Beide Aufgabenbereiche stünden gleichberechtigt neben-
einander (vgl. Tönsgerlemann, AW-Prax 2012, 168, 169). Eine echte doppel-funktionale Maßnahme sei schon dann rechtmäßig, wenn sie zur Verfolgung nur eines der beiden Zwecke rechtmäßig ist (vgl. Schwan, VerwArch 79 [1979], 109, 129). Teilweise wird der Polizei ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie auf straf-prozessualer oder polizeirechtlicher Grundlage tätig wird
(Bäcker, Kriminalprä-ventionsrecht, 2015, S. 358 f.). In Situationen, in denen sich die Notwendigkeit ergebe, sowohl zum Zweck der Gefahrenabwehr als auch zum Zweck der Strafverfolgung tätig zu werden, wie z.B. typischerweise bei Entführung, Gei-selnahme oder Terrorlagen,
habe
die Polizei im Einzelfall zu entscheiden, wel-cher Staatsaufgabe der Vorrang einzuräumen sei (Rudolphi, SK-StPO, 10.
Aufb.
Lfg.
[1994], Vorbem. §
94 Rn.
12; Nowrousian, Kriminalistik 2013, 105, 106 f.). Im Zweifelsfall gelte
vorrangig Gefahrenabwehrrecht
(Kniesel,
Kriminalistik 1987, 316; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei-
und Ordnungsrecht, 8.
Aufl., S.
24
f. Rn. 12). Dies bringe den verfassungsrechtlichen Grundsatz zur Geltung, dass im Zweifel die Abwehr drohender Gefahren wichtiger sei als die Verfolgung schon begangener Straftaten, und komme in Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Po-lizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwalts
(Anlage
A
zur RiStBV, BAnz 2007, 7950)
zum Ausdruck. Diese sehen in Abschnitt B.
III vor,
dass der Staatsanwalt allgemeine Weisungen erteilt,
der Polizeibeamte die Ausführung übernimmt, beide einvernehmlich zusammenarbeiten, im Einzelfall abgewogen wird, ob Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung den Vorzug verdient und dass im Zweifel der Polizeibeamte entscheidet.
cc) Nach Ansicht des Senats
besteht weder
ein allgemeiner Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt ein solcher
des Gefahrenabwehrrechts gegenüber der Strafprozessordnung. 25
-
15
-
Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts
einer Straftat im Sinne des §
152 Abs. 2 StPO ist
ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundla-gen
rechtlich
möglich. Insbesondere bei sogenannten
Gemengelagen, in denen
die Polizei sowohl repressiv als auch präventiv agieren kann und will, bleiben strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen grundsätzlich ne-beneinander anwendbar. Im Einzelnen:
(1) Das Gesetz kennt keinen Vorrang strafprozessualer Vorschriften ge-genüber dem Gefahrenabwehrrecht.
Gefahrenabwehr
ist
eine zentrale staatliche Aufgabe, die gegenüber der Strafverfolgung eigenständige Bedeutung hat und nicht hinter ihr zurücktritt
(vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14.
September 1989
2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367, 380 und vom 8.
März 1972
2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373, 380). Vielmehr stehen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als staatliche Aufgaben mit unterschiedlicher Zielrichtung gleichberechtigt nebeneinander
(vgl. BVerwG,
Beschluss vom 22.
Juni 2001
6 B 25/01, NVwZ 2001, 1285, 1286).
So spricht die gesetzgeberische Entscheidung in §
10 Abs. 3 ZollVG da-für, dass die Anwendung der Regelungen zur Gefahrenabwehr auch bei Vorlie-gen eines strafprozessualen Anfangsverdachts
weiterhin möglich ist (vgl. auch LG Münster, Beschluss vom 1.
September 2014
9 Qs-220 Js 66/14
41/14, NStZ 2016, 126, 127). §
10 Abs. 2, 3 ZollVG gestattet die Kontrolle und Durch-suchung von Personen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass vorschriftswidrig Waren eingeführt werden, die der zollamtlichen Überwachung unterliegen. Aus solchen Anhaltspunkten kann sich gerade auch ein Anfangs-verdacht für strafbewehrte Verstöße etwa gegen das Waffengesetz, das Gesetz über explosionsgefährliche
Stoffe (SprengG) oder das Betäubungsmittelgesetz ergeben; gleichwohl ist in §
1 Abs.
3 ZollVG gesetzlich vorgesehen, dass die 26
27
28
-
16
-
dem Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnende zollamtliche Überwachung der Gewährleistung der Einhaltung der nationalen und der gemeinschaftsrechtli-chen Verbote und Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs dient (vgl. Erbs/Kohlhaas/Häberle, Strafrechtliche Nebengesetze, 212. Erg.Lfg., ZollVG §
1 Rn. 7). Die Vorschrift richtet sich damit nicht nur gegen Störer, son-dern typiSie wäre sinnlos, würde der Anfangsverdacht strafbaren Handelns ihre regelmäßig gegebene Anwendung hindern
(vgl. Nowrousian, Kriminalistik 2013, 105, 106 f.).
Auch die
verfassungsrechtliche
Kompetenzordnung
schließt den Zugriff auf Vorschriften
der Landespolizeigesetze in der vorliegenden Konstellation nicht aus. Vielmehr sind die
einschlägigen landesrechtlichen Regelungen des allgemeinen Polizei-
und Ordnungsrechts grundsätzlich weder der konkurrie-renden Gesetzgebung des Bundes zuzuordnen
(vgl. Maunz/Dürig/Uhle, GG, 79.
EL, Art.
70 Rn.
111 mwN)
noch enthält das Bundesrecht Vorschriften, die einen Ausschluss
entsprechender Präventivmaßnahmen im Geltungsbereich der Strafprozessordnung normieren
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.
Juni 2001
6 B 25/01, NVwZ 2001, 1285, 1286).
Eine starre Verweisung auf die Strafprozessordnung würde es den Ge-fahrenabwehrbehörden unmöglich machen, adäquat und flexibel auf neue, häu-fig nicht vorhersehbare Gefahrenlagen zu reagieren.
Die Grenzen zwischen präventivem Handeln und repressivem Vorgehen können fließend sein und sich je nach Sachlage kurzfristig und kaum vorhersehbar verändern.
Relevant wird dies etwa bei Ermittlungen im Bereich des Terrorismus (vgl. etwa BGH, Urteil vom
14. August 2009
3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 78 ff.
bei Vorfeldstraftaten des kriminalpräventiven Strafrechts (etwa §
89a StGB),
bei
denen der Anfangsverdacht regelmäßig eng an der Schnittstelle zur Gefahren-abwehr liegt (vgl. hierzu Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S.
358 f.). Ei-29
30
-
17
-
ne Kombination von Strafverfolgung und Verhütung von Straftaten ergibt sich typischerweise auch bei Geiselnahmen (vgl. Schäfer, GA 1986, 49, 56 f., wo-nach der Präventionsauftrag
z.B. bei Tötung des Geiselnehmers
einen so-gar strafverfolgungsverhindernden Vorrang gewinnen kann). Von den zuständi-gen Polizeibehörden verlangt das Gesetz insbesondere in diesen Konstellatio-nen die Wahrnehmung beider staatlicher Aufgaben mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung.
Schließlich lässt sich auch dem Legalitätsprinzip (§
152 Abs.
2
StPO, §
163 Abs.
1 StPO) kein generelles Über-
oder Unterordnungsverhältnis von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr entnehmen
(vgl. Bäcker, Kriminalpräven-tionsrecht, 2015, S. 359; anders Schoreit, DRiZ 1987, 401, 402). Solange der repressive Zugriff zeitlich nur hinausgeschoben und nicht ganz oder teilweise unterlassen wird, ist Raum für kriminalstrategisches Vorgehen (vgl. etwa KK-StPO/Diemer, 7.
Aufl., §
152 Rn.
6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
152 Rn. 6; SK-StPO/Wesslau/Deiters,
5.
Aufl., Vor §
151 ff. Rn.
19).
(2) Die Gefahr der bewussten Umgehung strafprozessualer Vorausset-zungen bzw. der Aushöhlung von Beschuldigtenrechten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
105 Rn.
16; MüKo-StPO/Hauschild, §
108
Rn.
7; Müller/Römer, NStZ 2012, 543, 547) wird
erst
bedeutsam, wenn es um die
Verwertbarkeit der präventiv-polizeilich gewonnenen Erkenntnisse im Straf-verfahren geht
(dazu unten
II.1.d)
und rechtfertigt
nicht die Annahme
eines ge-setzlich nicht vorgesehenen Vorrangs des Strafprozessrechts vor dem Gefah-renabwehrrecht.
(3) Dieser Auffassung steht Rechtsprechung anderer Senate des Bun-desgerichtshofs nicht entgegen.
31
32
33
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18
-
(a) Der
Entscheidung des 1.
Strafsenats zum Lockspitzeleinsatz (BGH, Urteil vom 18.
November 1999
1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 337 f.),
wonach
präventive Vorschriften in der dort vorliegenden Konstellation nicht anzuwenden waren, lag zugrunde, dass das Ziel des Einsatzes der Vertrauensperson als Lockspitzel von vornherein ausschließlich repressiver Natur war. Danach kann
eine Behörde, die mit ihrem Handeln allein repressive Ziele verfolgt, ihre Maß-nahmen nicht auf Normen der Gefahrenabwehr stützen (so auch Nowrousian, Kriminalistik 2013, 105, 106 f.).
Zu einem allgemeinen Vorrang der Strafpro-zessordnung gegenüber der Gefahrenabwehr bei echten doppelfunktionalen Maßnahmen verhält sich die
Entscheidung nicht.
(b) Ebensowenig ist in
Entscheidungen des 4.
und des 5.
Strafsenats zu einer polizeirechtlichen Zollkontrolle bei der Durchsuchung von Gepäck eines Beschuldigten am Flughafen (BGH, Beschluss vom 21.
Juli 2011
5
StR 32/11, StraFo 2011, 358, 359) bzw. einer
durch die Polizei vorgetäuschten
allgemei-nen
Verkehrskontrolle, nachdem die Polizei zuvor Luft aus dem Reifen des Täterfahrzeugs
gelassen hatte (BGH, Urteil vom 11.
Februar 2010
4
StR
436/09, NStZ 2010, 294), ein Vorrang der Strafprozessordnung gegen-über dem Polizeirecht postuliert worden. Vielmehr sind
jeweils nicht tragend
die
Rechtsgrundlage der Verwendung präventiv-polizeilich gewonnener Daten im Strafverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 21.
Juli 2011
5
StR 32/11, StraFo
2011, 358, 359) bzw. das Erfordernis der Aktenwahrheit
unter dem Ge-sichtspunkt der Darstellung eines unwahren Sachverhalts in der Ermittlungsakte erörtert
worden (vgl. BGH, Urteil vom 11.
Februar 2010
4
StR 436/09, NStZ 2010, 294), wobei wohl auch der 4.
Strafsenat davon ausgeht, dass bei einer legendierten Kontrolle sichergestellte Betäubungsmittel grundsätzlich zu Be-weiszwecken verwertbar sind.
34
35
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19
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(c) Der 3.
Strafsenat (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015
3
StR 406/15, NStZ-RR
2016, 176; kritisch
Mosbacher, JuS 2016, 706, 708) geht ausdrücklich von einem möglichen Nebeneinander
von Strafprozessrecht und Gefahrenabwehrrecht aus. Besteht
bei einer Verkehrskontrolle wegen wahrge-nommenen Cannabisgeruchs der auf Tatsachen basierende Verdacht, dass sich in dem Fahrzeug oder bei den im Wagen befindlichen Personen Betäu-bungsmittel befinden, so ist die Durchsuchung gefahrenabwehrrechtlich zuläs-sig
und
die daraus gewonnenen Erkenntnisse
sind
gemäß §
161 Abs.
2 StPO verwertbar.
d) Die aufgrund der gefahrenabwehrrechtlich zulässigen Fahrzeugdurch-suchung gewonnenen Erkenntnisse konnten im vorliegenden Fall nach
§
161 Abs.
2 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten im Strafverfahren verwendet wer-den.
aa) Die Vorschrift
regelt die Verwendung von Daten im Strafverfahren, die durch andere
nichtstrafprozessuale
hoheitliche Maßnahmen erlangt wurden. §
161 Abs. 2 StPO (sowie weitere
Verwendungsregelungen, vgl. §
477 Abs.
i-21.
Dezember 2007 (BGBl. I
S.
3198) in die Strafprozessordnung eingefügt. Der Bundesgesetzgeber wollte damit unter anderem die verfassungsrechtlichen An-forderungen
an die
Datenverwendung umsetzen. Er
hat
daher d-anderer
insbesondere präventiv-polizeilicher
Rechtsgrundlage erlangter
Da-ten als Beweismittel in Strafverfahren in §
161 Abs.
2 StPO gesetzlich geregelt (BT-Drucks. 16/5846, S. 3, 64).
Gedanklicher
Anknüpfungspunkt des §
161 Abs. 2 StPO ist die Idee des hypothetischen Ersatzeingriffs (BT-Drucks.
16/5846, S.
64)
als
genereller
Maßstab für die Verwendung von personenbezo-36
37
38
-
20
-
genen Informationen zu Zwecken des Strafverfahrens, die nicht auf strafpro-zessualer Grundlage erlangt worden sind
(vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
161
Rn.
18b; HK-StPO/Zöller, 5.
Aufl., §
161
Rn.
31; BT-Drucks. 16/5846, S.
64). Mit
Blick auf das Prinzip des
hypothetischen Ersatzeingriffs hat sich der Gesetzgeber in Kenntnis der unterschiedlichen formellen Vorausset-zungen gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen für eine Lösung nach rein mate-riellen
Gesichtspunkten entschieden. Damit kommt es von auf präventiv-polizeilicher Rechtsgrundlage erlangter
Daten nach §
161 Abs.
2 Satz 1 StPO gerade nicht darauf an, ob die formellen
Anordnungsvo-raussetzungen nach der
Strafprozessordnung, wie hier etwa das Vorliegen ei-ner richterlichen Durchsuchungsanordnung,
gewahrt worden
sind
(vgl. SSW-StPO/Ziegler/Vordermayer, 2.
Aufl., §
161 Rn.
27; HK-StPO/Zöller, 5.
Aufl., §
161 Rn.
31).
Vielmehr setzt die Datenverwendung nach §
161 Abs. 2 Satz
1 StPO grundsätzlich nur voraus, dass die zu verwendenden Daten polizeirecht-lich rechtmäßig erhoben wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015
3
StR 406/15, NStZ-RR 2016, 176; Urteil vom 14. August 2009
3
StR 552/08, BGHSt 54, 69,
79 mwN;
so wohl auch BGH, Beschluss vom 5.
November 2013
5
StR
173/13;
Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
161 Rn.
18b, c), sie zur Aufklärung einer Straftat dienen, aufgrund derer eine solche Maßnahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dür-fen, und dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Beweisgewinnung gemäß der Strafprozessordnung
vorgelegen haben.
Die mögliche Gefahr der Umgehung der engeren formellen Voraussetzungen der strafprozessualen Eingriffsnorm hat der Gesetzgeber gesehen, aber ersichtlich hingenommen (vgl. BR-Drucks. 275/07, S. 148).
bb) Diese
Voraussetzungen des §
161 Abs. 2 Satz 1 StPO
sind
vorlie-gend gegeben. Die Erkenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung dienten zur Aufklärung einer
im Sinne des §
100a Abs. 2 Nr.
7 StPO,
39
-
21
-
aufgrund derer eine Durchsuchung nach der Strafprozessordnung ohne weite-res hätte angeordnet werden dürfen.
Dem steht nicht entgegen,
dass die gefahrenabwehrrechtliche Durchsu-chung des Kraftfahrzeugs nach §
37 Abs. 1 Nr.
1 und Nr.
3 HSOG (i.V.m. §
36 Abs. 1 Nr.
1 HSOG bzw. §
40 Nr. 1 und 4 HSOG)
anders als bei einer Durch-suchung nach §§
102, 105 StPO
grundsätzlich auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zulässig ist. Entscheidend ist, dass ein Ermittlungs-richter bei hypothetischer Betrachtung einen entsprechenden richterlichen Durchsuchungsbeschluss auf strafprozessualer Grundlage zweifelsfrei erlassen hätte.
Eine
den Rückgriff auf hypothetische Erwägungen hindernde
rechts-missbräuchliche Umgehung der Anordnungsvoraussetzungen der strafpro-zessualen Eingriffsmaßnahme durch die Wahl der Maßnahme (vgl. BGH, Urteil vom 14.
August 2009
3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 89 f. mwN) ist hier nicht ersichtlich. Eine
solche Umgehung läge etwa vor,
wenn Gefahrenabwehrrecht zur Legitimierung einer in Wahrheit bezweckten Strafverfolgungsmaßnahme vorgeschoben wird, weil in Wirklichkeit keine Gefahrenabwehr bezweckt wird. Entsprechendes gilt,
wenn eine gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme nur des-halb gewählt wird, weil eine vergleichbare Maßnahme nach der Strafprozess-ordnung
nicht möglich wäre, z.B.
weil die Annahme bestanden hätte, dass ein Ermittlungsrichter einen nach der Strafprozessordnung
erforderlichen Be-schluss aus einem anderen Grund nicht erlassen hätte.
So verhielt es sich hier indes nicht: An einer jedenfalls auch präventiven Zwecksetzung der Maßnahme durch die Polizeibeamten besteht bei der Suche nach mitgeführten gefährlichen Gegenständen (wie Betäubungsmittel, Waffen, Sprengstoff) kein Zweifel
(anders etwa, wenn die Durchsuchung ausschließlich 40
41
42
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22
-
h--Händlers). Aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht durfte die Polizei eingreifen, weil anderenfalls eine große Menge gefährlicher Betäubungsmittel in Umlauf zu gelangen drohte. Angesichts der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung und der Observation sowie des sich daraus erge-benden Verdachts eines schwerwiegenden Betäubungsmitteldelikts hätte ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss gegen den Angeklagten auch ohne wei-teres erwirkt werden können. Vom Einsatz strafprozessualer Maßnahmen wur-de allein deshalb abgesehen, um die gegen den gesondert Verfolgten B.
laufenden Ermittlungen nicht zu offenbaren, wodurch dessen Ergreifung verei-telt worden wäre. Eine staatliche Pflicht,
gegenüber dem Angeklagten strafpro-zessual tätig zu werden,
und ihm gegenüber damit zwangsläufig sämtliche Er-mittlungsergebnisse zu offenbaren, bestand aus rechtlichen Gründen
zu diesem Zeitpunkt nicht
(vgl. dazu unten
II.3.
und 4.).
2. Ohne Erfolg bleibt auch die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe die Aussage des Zeugen KOK Z.
über die teilgeständige Einlassung
des
Angeklagten bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 17.
August 2015 wegen eines Verstoßes gegen §
163a Abs.
4 Satz
2 StPO i.V.m. §
136 Abs.
1 Satz
2 StPO zu Unrecht verwertet.
a) Nach den Feststellungen
belehrte der Zeuge KOK Z.
den Angeklag-
ten als Beschuldigten, fahren in Frankfurt und die bereits seit .
Die Revision ist der Auffassung, die Beschuldigtenbelehrung habe nicht den Anforderungen des §
163a Abs.
4 Satz
2 StPO i.V.m. §
136 Abs.
1 Satz
2 StPO entsprochen. Zum einen hätte
der Angeklagte auf das schon länger dau-ernde Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen 43
44
45
-
23
-
ihn und den gesondert Verfolgten B.
und die sich daraus ergebenden
Verdachtsmomente hingewiesen werden müssen. Zum anderen müsse die Be-lehrung über den Tatvorwurf auch unvollständig gewesen sein, insbesondere hätte dem Angeklagten der Tatvorwurf der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben
mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eröffnet werden müssen.
b) Ungeachtet einer etwaigen Unzulässigkeit
der Rüge
die Revision teilt den genauen Inhalt der Belehrung nicht mit und verschweigt im Übrigen, dass der Belehrung durch KOK Z.
bereits eine Beschuldigtenbelehrung durch
PK Mo.
unmittelbar nach dem Auffinden des Kokains im Fahrzeug vorausge-
gangen war
hätte die Rüge auch in der Sache keinen Erfolg.
aa) Nach §
163a Abs. 4 Satz 1 StPO ist dem Beschuldigten bei seiner ersten Vernehmung durch Beamte des Polizeidienstes zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Grundsätzlich gelten für die Belehrung eines Beschul-digten dieselben Regeln, gleichgültig ob er von einem Richter (§
136 StPO), einem Staatsanwalt (§
163a Abs. 3 Satz 2 StPO) oder von einem Polizeibeam-ten vernommen wird (§
163a Abs. 4 StPO). Eine Ausnahme gilt nach §
163a Abs.
4 Satz 1 StPO lediglich insoweit, als ein Polizeibeamter, anders als ein Richter oder Staatsanwalt, nicht verpflichtet ist, die möglichen Strafvorschriften zu nennen (vgl. BGH, Beschluss vom 6.
März 2012
1 StR 623/11, NStZ 2012, 581, 582; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
163a Rn. 4). Der Tatvor-wurf muss dem Beschuldigten in groben Zügen so weit erläutert werden, dass er sich sachgerecht verteidigen kann, jedoch nicht so weit, dass die Aufklärung des Sachverhalts und damit die Effektivität der Strafverfolgung darunter leiden (KK-StPO/Diemer, 7.
Aufl., §
136 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
136 Rn.
6; SK-StPO/Rogall, 5.
Aufl., §
136 Rn.
69 mwN.). So ist der Verneh-mende nicht verpflichtet, dem Beschuldigten alle
bis dahin bereits bekannten
46
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-
24
-
Tatumstände mitzuteilen; insbesondere hat der Vernehmende hinsichtlich der Ausgestaltung der Eröffnung im Einzelnen einen gewissen Beurteilungsspiel-raum (BGH, Beschluss vom 6.
März 2012
1 StR 623/11, NStZ 2012, 581, 582; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO; KK-StPO/Diemer, aaO; SSW-StPO/Ziegler/
Vordermayer, 2.
Aufl., §
163a Rn. 25; MüKo-StPO/Schuhr, §
136 Rn. 21). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die Tat
und nicht die Beweismittel zu eröffnen sind
sowie aus
§
147 Abs. 2 StPO, wonach Akten-einsicht versagt werden kann, soweit dies den Untersuchungszweck gefährdet (vgl. SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., §
136 Rn. 69 mwN).
bb) Nach diesen
Maßstäben musste der
Polizeibeamte
nicht sämtliche Ermittlungsergebnisse aus der Telefonüberwachung und der Observation of-fenbaren. Eine Belehrung über die Genese des Tatverdachts zu diesem frühen Zeitpunkt war vor dem Hintergrund der laufenden verdeckten Ermittlungsmaß-nahmen gegen den in Marokko befindlichen Hintermann B.
aus ermitt-
lungstaktischen Gründen nicht erforderlich.
Fraglich ist jedoch, ob KOK Z.
sollte er die Hintergründe der Fahr-
zeugkontrolle überhaupt gekannt haben
den ihm als Vernehmenden zu-stehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, wenn
er dem Beschuldig-ten den Tatverdacht hinsichtlich der Einfuhr des sichergestellten Kokains ver-schwiegen
hätte. Zwar kann bei mehreren Taten die Vernehmung zunächst auf nur eine Tat beschränkt werden, sofern insoweit eine Trennung sachlich mög-lich ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
136 Rn. 6; KK-StPO/Diemer, 7.
Aufl., §
136 Rn. 8; aA Löwe-Rosenberg/Gleß, StPO, 26.
Aufl., §
136 Rn.
24
f.).
Ob das auch gilt, wenn zwei Betäubungsmittelstraftaten
wie Einfuhr und Handeltreiben
tateinheitlich begangen werden, ist zweifelhaft, kann hier aber
dahinstehen.
Der Senat muss ebenfalls
nicht entscheiden, ob die
möglicherweise unzulängliche
Belehrung überhaupt das
Aussageverhalten 48
49
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25
-
des Beschuldigten beeinflusst hat
und damit ein Verwertungsverbot
begründen könnte (vgl.
BGH, Beschluss
vom 6.
März 2012
1 StR 623/11, NStZ 2012, 581, 582), zumal der noch mehrere Wochen vor Anklageerhebung umfassend über den Tatvorwurf unterrichtete Beschuldigte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht
hat. Jedenfalls ist
auszuschließen, dass das Urteil auf einem etwaigen Verstoß gegen Belehrungsvorschriften be-ruht. Die
knappe Einlassung des Beschuldigten gegenüber KOK Z.
, es hande-
le sich bei dem
aufgefundenen Kokain um 6,5 kg, war
für die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Viel-mehr hat sie ihre Überzeugung von der Einfuhr und dem
täterschaftlichen Han-deltreiben
mit 8
kg Kokain aufgrund der Inhalte der
Telefonüberwachung und der Observationsmaßnahmen sowie aufgrund der Sicherstellung der Betäu-bungsmittel gewonnen.
3. Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Beweisverwertungs-verbot ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes
gegen das faire Verfahren.
Auch Verstöße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens müssen mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 11.
Februar 2010
4 StR 436/09, NStZ 2010, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., Art.
6 MRK
Rn. 5a; KK-StPO/Schädler/Jakobs, 7.
Aufl., Art. 6 MRK
Rn. 35). Ei-ne zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Die Revision greift die Verwertung von Beweismitteln ausschließlich mit der Begründung an, die Poli-zeibeamten hätten gegen den Richtervorbehalt gemäß §
105 StPO verstoßen
und
bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung Belehrungspflichten verletzt. Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren werden damit nicht geltend gemacht.
50
51
-
26
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4. In der Sache merkt der Senat an:
a) Das
Verhalten der Ermittlungsbehörde, die in Frankfurt geführten Hin-tergrundermittlungen gegen den Angeklagten zunächst nicht aktenkundig zu machen und damit dem Ermittlungsrichter in Limburg einen unvollständigen Sachverhalt zu unterbreiten, ist im Hinblick auf den Fair-trial-Grundsatz und das Gebot der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit nicht unbedenklich. Grundsätzlich muss sich aus den Akten ergeben, welche konkreten Ermitt-lungsmaßnahmen durchgeführt worden sind und welchen Erfolg sie gehabt ha-ben. Zwar besteht bei Gefährdung des Untersuchungszwecks unter anderem nach §
147 Abs.
2 Satz
1 StPO die Möglichkeit, dem Verteidiger vor Abschluss der Ermittlungen die Einsicht in die Akten insgesamt oder teilweise zu versa-gen. Auch die Unterrichtung über die durchgeführte Observation konnte aus diesem Grund bis zu zwölf Monate ohne richterliche Zustimmung zurückgestellt werden (vgl. §
101 Abs.
4 Satz
1 Nr.
11, Abs.
5, Abs.
6 Satz
1 StPO). Jedoch muss das im Vorverfahren tätige Gericht
hier der Ermittlungsrichter in Lim-burg
den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können, denn es muss in einem rechtsstaatlichen Verfahren schon der bloße Anschein ver-mieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016
2 BvR 2474/14, StV 2017, 361, 362 f.). Eine et-waige Aktenunvollständigkeit hat die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermitt-lungsverfahrens zu vertreten. Sie hat für ein justizförmiges Verfahren
auch durch ihre Ermittlungspersonen
zu sorgen. Sie trägt die Grundverantwortung für die rechtlich einwandfreie Beschaffung der Beweismittel (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016
2 BvR 2474/14, aaO). Das wiederum setzt
wie hier ge-schehen
eine umfassende und vollständige Information der ermittelnden Staatsanwaltschaft durch die Polizei voraus. Zwar entscheidet die Polizei grundsätzlich in eigener Verantwortung, ob sie auf präventiver Grundlage tätig wird. Ob und in welcher Weise dabei angefallene Erkenntnisse als Beweismittel 52
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27
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in das Strafverfahren eingeführt werden, obliegt jedoch einzig der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die deshalb über etwaige Hintergründe von polizeili-chen Ermittlungen bzw. präventiver Maßnahmen nicht im Unklaren gelassen werden darf. Nur dann ist ein faires rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet.
b) Welche Konsequenzen sich aus einem Verstoß gegen die vorskizzier-ten Maßstäbe ergeben
würden, ist abhängig von den Umständen des Einzel-falls.
Hier
sind die Erkenntnisse der Kriminalpolizei Frankfurt am Main zu den Observations-
und Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen mehrere Wochen vor Anklageerhebung zur Akte gelangt und der Verteidigung unverzüg-lich durch die Staatsanwaltschaft übermittelt worden. Damit war dem Angeklag-ten die Möglichkeit eröffnet, sich in Kenntnis aller ihn belastenden Umstände durch rechtzeitige Benennung seiner Mittäter und
umfassende Aufdeckung der Tat gemäß §
31 BtMG die Stellung eines Kronzeugen zu verschaffen.
Auch konnte die Strafkammer
wie hier geschehen
den Umstand, dass es sich um ein observiertes Betäubungsmittelgeschäft gehandelt hatte, bei ihrer Strafzu-messungsentscheidung berücksichtigen
(vgl. Senat, Beschluss vom 24.
Januar 2017
2 StR 477/16).
Die Verteidigungsrechte des Angeklagten in der Haupt-verhandlung waren damit
in keiner Weise berührt (vgl. BGH, Urteil vom 11.
Februar 2010
4
StR
436/09, NStZ 2010, 294, sowie Müller/Römer, NStZ 2012, 543, 545).
54
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28
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III.
Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
Appl
Krehl
Eschelbach
Zeng
Grube
56
Meta
26.04.2017
Bundesgerichtshof 2. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2017, Az. 2 StR 247/16 (REWIS RS 2017, 11902)
Papierfundstellen: REWIS RS 2017, 11902
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
2 StR 247/16 (Bundesgerichtshof)
Strafverfahren: Rechtmäßigkeit sog. legendierter Kontrollen; Tätigwerden der Polizei aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlage zum Zweck der Gefahrenabwehr …
2 StR 180/17 (Bundesgerichtshof)
2 StR 180/17 (Bundesgerichtshof)
Strafrechtliches Ermittlungsverfahren: Befugnis zur Durchsuchung des Kraftfahrzeugs eines Tatverdächtigen
2 StR 128/17 (Bundesgerichtshof)
Beweisverwertung im Strafverfahren: Verwertung von gewonnenen Beweismitteln bei einer vom Zoll durchgeführten Durchsuchung
2 StR 128/17 (Bundesgerichtshof)
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