Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.09.2010, Az. V ZB 199/09

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 2843

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[X.]BESCHLUSS V ZB 199/09 vom 30. September 2010 in dem Zwangsversteigerungsverfahren - 2 - Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 30. September 2010 durch [X.] Dr. [X.], [X.] [X.] und [X.], die Richterin [X.] und [X.] [X.] beschlossen: Dem Schuldner wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren mit Wir-kung vom 19. März 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin [X.] bewilligt. Der weitergehende [X.] wird zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 17. November 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des [X.] vom 12. März 2009 ([X.]. 2 K 6/06) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Schuldners gegen den Zuschlagsbeschluss einstweilen eingestellt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Gerichtskosten auf 11.900 • festgesetzt. - 3 - Gründe: [X.] Seit Januar 2006 ist die Zwangsversteigerung des im Rubrum näher be-zeichneten Grundstücks angeordnet. In dem Versteigerungstermin vom 21. Ja-nuar 2009 ist der Beteiligte zu 3 Meistbietender geblieben. In dem auf den 5. Februar 2009 anberaumten [X.] und in der Folgezeit hat der Schuldner - gestützt auf ärztliche Atteste - geltend gemacht, die Suizidgefähr-dung seiner Ehefrau stehe einer Fortführung des Verfahrens entgegen. Dem ist das Vollstreckungsgericht nicht gefolgt und hat den Zuschlag erteilt. 1 Gegen die Zuschlagsentscheidung hat der Schuldner sofortige Be-schwerde eingelegt und zur Begründung unter anderem auf ein Schreiben des behandelnden Facharztes vom 11. Juni 2009 verwiesen. In diesem heißt es, die Krisensituation spitze sich weiter zu. Als verantwortlicher Nervenarzt könne er die Verantwortung nicht mehr allein tragen. In dem von dem [X.] einge-holten Sachverständigengutachten kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass eine akute Suizidgefahr derzeit "wohl nicht vorhanden" sei. Es liege aber eine "erhöhte Suizidgefahr" vor. Die bisherige fachärztliche Therapie sei "völlig unzureichend" gewesen. Um der derzeit bestehenden Gefahrenlage zu begeg-nen, sei baldmöglichst eine stationäre psychiatrische Therapie angezeigt. Sollte sich die Ehefrau einer solchen Maßnahme nicht freiwillig unterziehen, sei die Bestellung eines Betreuers erforderlich, um eine Heilbehandlung auch gegen den Willen durchzusetzen. Aus ärztlicher Sicht werde eine Einstellung des [X.] auf die Dauer von etwa drei Monaten unter Auflagen empfohlen. 2 Das [X.] hat die Zuschlagsbeschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner die Versagung des Zuschlages erreichen. Die Gläubigerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels. 3 - 4 - I[X.] Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 765a ZPO seien nicht gegeben. Eine akute Suizidalität liege "im jetzigen Ver-fahren" derzeit nicht vor. Der lediglich erhöhten Suizidgefahr könne durch eine stationäre psychiatrische Therapie und eine engmaschige medizinische Be-treuung poststationär begegnet werden. Da sich die Ehefrau in der Vergangen-heit von ihrem Facharzt habe behandeln lassen, sei davon auszugehen, dass sie auch bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen werde. 4 II[X.] 1. Die gemäß § 96 [X.] i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverwei-sung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Auf der Grundlage des derzeitigen [X.] lassen sich die Voraussetzungen des § 765a ZPO nicht verneinen. 5 a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.], dass selbst dann, wenn mit der Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen [X.] ist, eine Zwangsversteigerung nicht ohne weiteres einstweilen einzustellen ist. Vielmehr ist in solchen Fällen stets eine Abwägung erforderlich zwischen dem Interesse des Lebensschutzes (Art. 2 Abs. 2 GG), dem Vollstreckungsin-teresse des Gläubigers und dem Interesse des [X.] an einem endgültigen Eigentumserwerb (ausführlich dazu zuletzt Senat, Beschluss vom 15. Juli 2010 - [X.], Rn. 10 ff. [X.]; ferner etwa [X.], Beschluss vom 4. Mai 2005 - [X.], [X.]Z 163, 66, 73; Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2007 - [X.], [X.], 586, 587). 6 - 5 - In die Abwägung einzustellen ist nach der Rechtsprechung des Senats nur eine konkrete Suizidgefahr. Dabei kommt es in Konstellationen, in denen der Zuschlag bereits erteilt worden ist, ausschlaggebend darauf an, ob eine sol-che Gefahr für den Fall des endgültigen [X.]es anzunehmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2010 - [X.], [X.], 1810 Rn. 12 f.). Bezogen auf diesen Zeitpunkt ist tatrichterlich zu würdigen, ob die ernsthafte Befürchtung der Selbsttötung besteht. [X.] diese Voraussetzung, hat er dies nicht zuletzt mit Blick auf den hohen Rang, der dem Schutzgut Leben zukommt, nachvollziehbar zu begründen (§ 286 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das gilt umso mehr, wenn das Gericht - wie hier - selbst von einer erhöhten Suizidgefahr ausgeht, diese aber nicht für [X.] erachtet. 7 b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeentscheidung nicht ge-recht. Zweifelhaft ist bereits, ob das Beschwerdegericht das Vorliegen einer konkreten Suizidgefährdung bezogen auf einen endgültigen [X.] überhaupt geprüft und verneint hat. Ausdrücklich verhält sich das Beschwerde-gericht hierzu nicht; auch das eingeholte Sachverständigengutachten nimmt diese Situation nicht in den Blick. Soweit das Beschwerdegericht ausführt, es sei davon auszugehen, die Ehefrau des Schuldners werde auch bei einer Ver-schlechterung ihres Gesundheitszustandes in der Lage sein, fachärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, fehlt für diese Annahme jedenfalls eine plausible Begrün-dung. Allein aus dem Umstand, dass die Ehefrau des Schuldners bislang re-gelmäßig ihren Facharzt aufgesucht hat, lässt sich nicht ohne weiteres folgern, diese werde sich auch bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes weiterhin verantwortungsvoll verhalten. Durch das eingeholte [X.] wird diese Annahme denn auch nicht gestützt, wenn in diesem eine weitere nur ambulante Behandlung für "völlig unzureichend" angesehen und jedenfalls bei einer Zunahme der Krankheitssymptomatik eine stationären 8 - 6 - Behandlung notfalls auch gegen den Willen der Betroffenen für erforderlich an-gesehen wird. c) Kann die Beschwerdeentscheidung danach keinen Bestand haben, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses [X.] Feststellungen zu der Gefährdungslage bezogen auf den Zeitpunkt des end-gültigen [X.]es treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 ZPO). 9 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: 10 a) Die von dem Sachverständigen für den Bereich der Suizidgefährdung vorgenommene und von dem Beschwerdegericht offenbar übernommene Un-terscheidung u.a. zwischen [X.], erhöhter und akuter Suizidalität erscheint mit Blick auf die im Rahmen des § 765a ZPO zu beantwortende [X.], ob eine konkrete Suizidgefahr vorliegt, nicht hilfreich. Wie oben dargelegt, kommt es auf das Vorliegen einer konkreten Suizidgefahr an. Der Tatrichter hat zu würdigen, ob die ernsthafte Befürchtung der Selbsttötung besteht. Die damit einhergehende Prognoseentscheidung hat er mit Tatsachen zu untermauern. Dagegen wird die Voraussetzung einer konkreten Lebensgefahr allein durch die Wiedergabe von Begriffen, die ebenfalls nur das Ergebnis einer Würdigung dar-stellen, weder belegt noch widerlegt. 11 b) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde setzt die sorgfältige Prüfung voraus, ob [X.] nach § 574 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO gege-ben sind. Allein der Umstand, dass eine Entscheidung im grundrechtsrelevan-ten Bereich ergeht, genügt hierfür nicht. Vielmehr kommt eine Zulassung des Rechtsmittels auch dann nur in Betracht, wenn der Sache grundsätzliche Be-deutung zukommt oder eine Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung erforderlich ist. Letzteres kommt insbesondere bei Vorliegen einer ent-12 - 7 - scheidungserheblichen Divergenz und im Übrigen nur in Fällen zum Tragen, in denen dem Beschwerdegericht zulassungsrelevante Rechtsfehler (ausführlich dazu etwa [X.]/[X.], 3. Aufl., § 543 Rn. 17 ff.; vgl. auch [X.]/[X.], § 574 Rn. 8) unterlaufen sind. Da das Zivilprozessrecht im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Nichtzulassungsbeschwerde kennt, dürf-te die zuletzt genannte Fallgruppe allerdings nicht praktisch werden, weil das Beschwerdegericht kaum von der Unrichtigkeit seiner eigenen Entscheidung ausgehen wird. Dass es die Beurteilung der Rechtslage für zweifelhaft hält, reicht für den genannten [X.] nicht aus. 3. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der [X.] vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des [X.] dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des [X.] nach § 574 Abs. 1, § 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechts-beschwerdegericht auszusprechen (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2007 - [X.], NJW 2007, 3719, 3721; Beschluss vom 15. Juli 2010 - [X.], Rn. 16 [X.]). 13 - 8 - [X.] Der Senat hat dem Schuldner Prozesskostenhilfe erst mit Wirkung vom 19. März 2010 bewilligt, weil erst an diesem Tag die nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO erforderliche Erklärung eingegangen ist. 14 [X.] [X.] Schmidt-Räntsch
Stresemann [X.]
Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 12.03.2009 - 2 K 6/06 - [X.], Entscheidung vom 17.11.2009 - 5 [X.]/09 -

Meta

V ZB 199/09

30.09.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.09.2010, Az. V ZB 199/09 (REWIS RS 2010, 2843)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2843

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