Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2011, Az. III B 123/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 8830

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Gegenstand

(Keine Kindergeldberechtigung geduldeter Ausländer - Keine Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X bei Rückforderung von Kindergeld)


Leitsatz

1. NV: Es bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass der Ausschluss geduldeter Ausländer von der Kindergeldberechtigung nicht verfassungswidrig ist .

2. NV: Der Gesetzgeber war nicht gehalten, eine der Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X entsprechende Vorschrift in das System steuerlicher Änderungsvorschriften und Aufhebungsvorschriften aufzunehmen .

Tatbestand

1

I. Die aus [X.] stammende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) reiste im Jahr 1992 mit ihrer Familie in die [X.] ([X.]) ein. [X.] wurde sie als asylberechtigt anerkannt. Danach erhielt sie Kindergeld für ihre beiden Kinder, das auf die Sozialhilfeleistungen angerechnet wurde, welche die Klägerin bezog. [X.] wurde für ein weiteres Kind der Klägerin Kindergeld festgesetzt. Die Asylberechtigung der Klägerin wurde im Jahr 1998 aberkannt, danach war der Aufenthalt der Klägerin in der [X.] lediglich geduldet. Mit Bescheid vom 17. Oktober 2005 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab März 1999 auf. Der Einspruch der Klägerin war erfolglos. Im Verlauf des anschließenden Klageverfahrens hob die Familienkasse die Festsetzung erst ab Januar 2002 auf und forderte einen Betrag von 19.404 € zurück. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage für den verbliebenen Streitzeitraum ab.

2

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensmängel geltend. Es sei die Frage zu beantworten, ob § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in jeder Sachlage abschließend sei und fehlendes Verschulden des Kindergeldempfängers und das Vorliegen einer besonderen Härte, die zur erhöhten Sozialhilfebedürftigkeit geführt habe, in jedem Fall unberücksichtigt bleiben müssten. Im Sozialrecht wäre das fehlende Verschulden nach § 48 des [X.] ([X.]) zu berücksichtigen. Die Anwendbarkeit der Vorschrift scheide im steuerlichen Kindergeldrecht aus. Dies könne jedoch nicht bedeuten, dass es überhaupt nicht mehr darauf ankomme, ob ein Verschulden vorliege.

3

Das angefochtene Urteil verstoße auch gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Das [X.] ([X.]) habe in der Entscheidung vom 6. Juli 2004  1 BvL 4/97 ([X.]E 111, 160) festgestellt, dass die ausschließliche Abhängigkeit des [X.] vom aufenthaltsrechtlichen Status gegen den Gleichheitssatz verstoße. Sie, die Klägerin, sei vom Kindergeldanspruch ausgeschlossen, weil sie nur über eine Duldung verfügt habe. Das [X.] habe im Beschluss vom 6. November 2009  2 BvL 4/07 ([X.], 153) ausgeführt, dass eine Duldung eine Vorstufe zu einem Daueraufenthalt sein könne. Zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung habe sie, die Klägerin, sich seit 13 Jahren in der [X.] aufgehalten. Allein die Tatsache, dass sie seit über zehn Jahren nicht abgeschoben worden sei, spreche gegen die Vermutung einer baldigen Ausreise. Damit verstoße die Aufhebungsentscheidung gegen Art. 3 GG.

4

Darüber hinaus habe das [X.] das rechtliche Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Sie, die Klägerin, habe im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen, die ausschließliche Behandlung nach Finanzprozessrecht führe zu einer unangemessenen Härte. Das [X.] habe diesen Vortrag nicht berücksichtigt. Es habe lediglich behauptet, § 70 EStG ermögliche keinen Ermessenspielraum. Es habe den Vortrag, wonach ein atypischer Fall vorliege, der aufgrund der Schnittstelle von Steuerrecht und Sozialrecht eine andere Betrachtungsweise erfordere, nicht zur Kenntnis genommen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Bes[X.]hwerde hat keinen Erfolg und wird deshalb zurü[X.]kgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O). Die geltend gema[X.]hten Zulassungsgründe wurden ni[X.]ht in der na[X.]h § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O erforderli[X.]hen Weise dargelegt oder liegen ni[X.]ht vor.

6

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzli[X.]hen Bedeutung der Re[X.]htssa[X.]he (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinrei[X.]hend bestimmten Re[X.]htsfrage, die im konkreten Streitfall voraussi[X.]htli[X.]h [X.] ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Re[X.]htslage abhängt (z.B. Bes[X.]hluss des [X.] --[X.]-- vom 25. August 2006 [X.], [X.], 2122). Dazu gehört au[X.]h die Darlegung, in wel[X.]hem Umfang, von wel[X.]her Seite und aus wel[X.]hen Gründen die Frage umstritten ist (z.B. [X.] vom 20. Februar 2002 [X.]/01, [X.], 803).

7

Diesen Voraussetzungen genügt das Vorbringen der Klägerin ni[X.]ht. Die Frage, ob die Rü[X.]kforderung von Kindergeld aus Gründen des Vertrauenss[X.]hutzes ausges[X.]hlossen ist, wenn den Betroffenen kein Vers[X.]hulden daran trifft, dass Zahlungen zu Unre[X.]ht geleistet worden sind, hat keine grundsätzli[X.]he Bedeutung. Sie ist dur[X.]h die Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] bereits geklärt. Die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung ri[X.]htet si[X.]h allein na[X.]h den Vors[X.]hriften des EStG und der Abgabenordnung. Der Gesetzgeber war ni[X.]ht verpfli[X.]htet, aus Gründen des Vertrauenss[X.]hutzes eine § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X entspre[X.]hende Regelung in das System steuerli[X.]her Änderungs- und Aufhebungsvors[X.]hriften aufzunehmen (s. Senatsurteil vom 19. November 2008 [X.]/06, [X.]/NV 2009, 357, zu § 45 SGB X).

8

2. Au[X.]h soweit die Klägerin --sinngemäß-- rügt, die Regelung der Kindergeldbere[X.]htigung von Ausländern sei verfassungswidrig, ist die Bes[X.]hwerde unzulässig.

9

Ma[X.]ht ein Bes[X.]hwerdeführer mit der Ni[X.]htzulassungsbes[X.]hwerde verfassungsre[X.]htli[X.]he Bedenken gegen eine gesetzli[X.]he Regelung geltend, so ist au[X.]h eine substantiierte, an den Vorgaben des [X.] und der eins[X.]hlägigen Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] und des [X.] orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderli[X.]h (vgl. Senatsbes[X.]hluss vom 16. Oktober 2008 [X.]/08, [X.]/NV 2009, 169). Hieran fehlt es im Streitfall.

Im Übrigen hat si[X.]h der Senat bereits mehrfa[X.]h mit der Verfassungskonformität des § 62 Abs. 2 EStG befasst (z.B. Urteile vom 15. März 2007 [X.]/03, [X.]E 217, 443, [X.], 905, sowie vom 22. November 2007 [X.], [X.]E 220, 45, [X.], 913). Er hat ents[X.]hieden, dass der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldbere[X.]htigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel na[X.]h dem [X.] abhängig ma[X.]hte und bei einzelnen Titeln, die einen s[X.]hwä[X.]heren aufenthaltsre[X.]htli[X.]hen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen re[X.]htmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im [X.] sowie von einer bere[X.]htigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen na[X.]h dem [X.] oder von der Inanspru[X.]hnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], Nr. 3 EStG). Es ist verfassungsre[X.]htli[X.]h unbedenkli[X.]h, dass geduldete Ausländer ni[X.]ht kindergeldbere[X.]htigt sind. An dieser Re[X.]htsansi[X.]ht hat si[X.]h au[X.]h dur[X.]h die Vorlagebes[X.]hlüsse des Bundessozialgeri[X.]hts na[X.]h Art. 100 Abs. 1 [X.] vom 3. Dezember 2009 [X.] EG 5/08 R, [X.] EG 6/08 R sowie [X.] EG 7/08 R (juris), die zur wortglei[X.]hen Regelung der Bere[X.]htigung von Ausländern zur Inanspru[X.]hnahme von Erziehungsgeld na[X.]h § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit ergangen sind, ni[X.]hts geändert (s. Senatsurteil vom 28. April 2010 [X.], [X.]E 229, 262, [X.], 980).

3. S[X.]hließli[X.]h hat au[X.]h die Rüge der Verletzung des re[X.]htli[X.]hen Gehörs keinen Erfolg.

Der Anspru[X.]h auf re[X.]htli[X.]hes Gehör (Art. 103 Abs. 1 [X.], § 96 Abs. 2 [X.]O) verpfli[X.]htet das [X.], die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und si[X.]h mit [X.] ihres Vorbringens auseinanderzusetzen. Das re[X.]htli[X.]he Gehör ist erst dann verletzt, wenn si[X.]h aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutli[X.]h ergibt, dass das Geri[X.]ht Vorbringen entweder überhaupt ni[X.]ht zur Kenntnis genommen oder do[X.]h bei seiner Ents[X.]heidung ersi[X.]htli[X.]h ni[X.]ht in Erwägung gezogen hat (z.B. Senatsbes[X.]hluss vom 27. Juli 2007 III S 8/07, [X.]/NV 2007, 2135). Das Geri[X.]ht ist jedo[X.]h ni[X.]ht gehalten, si[X.]h mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Ents[X.]heidung ausdrü[X.]kli[X.]h zu befassen ([X.] vom 26. November 2007 [X.], [X.]/NV 2008, 397). Die Gewährung re[X.]htli[X.]hen Gehörs bedeutet ni[X.]ht, dass das [X.] si[X.]h der Re[X.]htsansi[X.]ht des [X.] ans[X.]hließen müsste ([X.] in [X.]/NV 2008, 397). Das [X.] hat somit ni[X.]ht deshalb das re[X.]htli[X.]he Gehör der Klägerin verletzt, weil es die Re[X.]htsmeinung, die diese gegenüber dem [X.] geäußert hatte, ni[X.]ht teilte.

Meta

III B 123/10

08.03.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 8. Juni 2010, Az: 3 K 173/10, Urteil

§ 62 Abs 2 EStG 2002, § 70 Abs 2 EStG 2002, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2011, Az. III B 123/10 (REWIS RS 2011, 8830)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8830

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