Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.06.2010, Az. I ZR 73/08

1. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5467

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Gegenstand

Frachtführerhaftung: Mitverschulden des Versenders am Ladungsverlust bei Kenntnis von Organisationsmängeln


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der [X.] für Handelssachen des [X.] vom 3. April 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2007 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist [X.] in [X.] (im Weiteren: Versenderin zu 1) und der [X.] in [X.] (im Weiteren: Versenderin zu 2). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem Recht der [X.] wegen Verlusts von Transportgut in zwei Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Beide [X.] nehmen am sogenannten EDI-Versandverfahren der Beklagten teil.

2

Im Schadensfall 1 beauftragte die Versenderin zu 1 die Beklagte am 24. März 2005 mit der Beförderung eines Pakets nach [X.]/[X.]. Das Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Ware im Wert von 2.490 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an.

3

Im Schadensfall 2 beauftragte die Versenderin zu 2 die Beklagte am 30. September 2005 mit dem Transport von sieben Paketen an eine in [X.] ansässige Empfängerin. Ein Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Waren im Wert von 2.430 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an. Die Beklagte zahlte für den Verlust des Gutes an die Versenderin zu 2 eine Entschädigung in Höhe von 510 €.

4

Die von der Beklagten im hier maßgeblichen Zeitraum verwendeten Beförderungsbedingungen (Stand 1/2005) enthielten auszugsweise folgende Regelungen:

2. Serviceumfang

Um die vom Versender gewünschte kurze Beförderungsdauer und das niedrige Beförderungsentgelt zu ermöglichen, werden die Sendungen im Rahmen einer Sammelbeförderung transportiert. Der Versender nimmt mit der Wahl der Versendungsart in Kauf, dass aufgrund der Massenbeförderung (…) nicht die gleiche Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden kann.

Eine Kontrolle des [X.] durch Ein- und Ausgangskontrollen an den einzelnen [X.] innerhalb des [X.] ist nicht Gegenstand der vereinbarten Leistung.

Der Versender sollte unter Berücksichtigung von Art und Wert des Gutes von der Möglichkeit Gebrauch machen, durch korrekte Angabe des Warenwerts und Zahlung des in der [X.] geregelten Zuschlags eine Beförderung seiner Sendung in der Leistungsart "Wertpaket" zu wählen. In dieser Leistungsart werden Pakete unter zusätzlichen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen transportiert.

5

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust der Transportgüter in voller Höhe. Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von 4.410 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

6

Die Beklagte hat zu ihrer Verteidigung geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der [X.] anrechnen lassen, weil diesen bekannt gewesen sei, dass durchgängige Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchgeführt würden.

7

Das Berufungsgericht hat die im ersten Rechtszug erfolgreiche Klage in Höhe von 2.460 € nebst Zinsen für begründet erachtet und sie im Übrigen abgewiesen.

8

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit es vom Berufungsgericht abgewiesen worden ist. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der [X.] für den Verlust der Pakete nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR und § 425 Abs. 1, § 435 HGB angenommen. Die Klägerin müsse sich allerdings ein Mitverschulden der [X.] gemäß § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, weil diese zumindest hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Beförderungsbedingungen der [X.], nach denen eine Schnittstellenkontrolle als nicht vereinbart gelte. Dementsprechend sei bei dem im Streitfall gegebenen Warenwert der Schadensersatzanspruch der Klägerin um insgesamt 1.950 € zu kürzen. Ein weiteres Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in Betracht.

II. Die gegen die Annahme eines Mitverschuldens der [X.] gerichtete Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen [X.]eils.

1. Die grundsätzlich unbeschränkte Haftung der [X.] für die in Rede stehenden Warenverluste nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Schadensfall 1) und § 425 Abs. 1, § 435 HGB (Schadensfall 2) steht in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit.

2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der [X.] auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB, Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], [X.]. v. 13.8.2009 - I ZR 76/07, [X.] 2010, 145 [X.]. 13; zu Art. 29 CMR, [X.], [X.]. v. 21.1.2010 - I ZR 215/07, [X.] 2010, 189 [X.]. 18, jeweils m.w.N.).

3. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der [X.] an der Entstehung des geltend gemachten Schadens zurechnen lassen, weil die [X.] hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats kann ein Mitverschulden des Auftraggebers eines Spediteurs/Frachtführers nicht allein darin gesehen werden, dass dieser Transportaufträge in Kenntnis dessen erteilt, dass der Transporteur keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführt. Die Frage, ob sich eine derartige Kenntnis aus Nummer 2 der Beförderungsbedingungen der [X.] entnehmen lässt, braucht daher nicht entschieden zu werden. Denn unabhängig davon reichen jedenfalls die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation des Spediteurs/Frachtführers durch einen Auftraggeber für sich gesehen nicht aus, um ein Mitverschulden zu bejahen ([X.], [X.]. v. 15.11.2001 - I ZR 182/99, [X.] 2002, 302, 304; [X.]. v. 13.2.2003 - I ZR 128/00, [X.] 2003, 255, 258; [X.]. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, [X.] 2004, 399, 402; [X.]. v. 30.3.2006 - I ZR 57/03, NJW-RR 2006, 1264 [X.]. 35 = [X.] 2006, 250, 252; [X.]. v. 11.9.2008 - I ZR 118/06, [X.] 2008, 362 [X.]. 17). Eine Anspruchsminderung nach § 425 Abs. 2 HGB i.V. mit § 254 Abs. 1 BGB wegen Beauftragung eines ungeeigneten Transportunternehmens kommt nach der Rechtsprechung des Senats erst dann in Betracht, wenn der Versender einen Spediteur/Frachtführer mit der Transportdurchführung beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen aufgrund von groben Organisationsmängeln immer wieder zu Verlusten kommt. Die Auftragserteilung stellt unter solchen Umständen die Inkaufnahme eines Risikos dar, dessen Verwirklichung allein dem Schädiger anzulasten unbillig erscheint und mit dem § 254 BGB zugrunde liegenden Gedanken von [X.] und Glauben unvereinbar ist (vgl. [X.], [X.]. v. 29.4.1999 - I ZR 70/97, [X.] 1999, 410, 411; [X.] [X.] 2004, 399, 402). Die Revisionserwiderung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung geben.

b) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass den [X.] vor Erteilung der Beförderungsaufträge bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, dass es im Unternehmen der [X.] wegen grober Organisationsmängel immer wieder zu [X.] gekommen war. Anhaltspunkte für eine solche Annahme ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der [X.] in den Vorinstanzen.

Ein Mitverschulden der [X.] im vorliegenden Fall ergäbe sich auch dann nicht, wenn sie die Geschäftsbeziehung zur [X.] nach den streitgegenständlichen Schadensfällen fortgesetzt hätten. Dieser Umstand könnte sich nur auf künftige Schäden auswirken. Ein eingetretener Verlust lässt sich durch einen Abbruch der Geschäftsbeziehungen nicht mehr verhindern (vgl. [X.]Z 149, 337, 356; [X.], [X.]. v. 14.5.1998 - I ZR 95/96, [X.] 1998, 475, 477).

III. Danach ist das angefochtene [X.]eil auf die Revision der Klägerin insoweit aufzuheben, als wegen eines Mitverschuldens der [X.] zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. Die Berufung der [X.] gegen das erstinstanzliche [X.]eil ist insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Bergmann                                   Pokrant                                    Büscher

                         Schaffert                                 [X.]

Meta

I ZR 73/08

24.06.2010

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Düsseldorf, 3. April 2008, Az: 31 S 11/07, Urteil

§ 425 Abs 2 HGB, § 254 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.06.2010, Az. I ZR 73/08 (REWIS RS 2010, 5467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5467

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

I ZR 73/08

Zitiert

I ZR 215/07

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