Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.04.2012, Az. 2 BvR 211/12

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2012, 7439

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Rechtsschutzgarantie und Anforderungen an die Begründung eines Antrags gem §§ 23 ff EGGVG (juris: GVGEG) - hier: Verletzung des Rechtsschutzanspruchs durch überspannte Zulässigkeitsanforderungen gem § 24 Abs 1 GVGEG - Darlegungsanforderungen im Klageerzwingungsverfahren nicht auf Verfahren nach §§ 23 ff GVGEG übertragbar - jedoch keine Annahme geboten, da Antrag anderweitig nicht hinreichend begründet


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die formalen Anforderungen an die Begründung eines Antrags im Verfahren nach §§ 23 ff. [X.].

2

Der Beschwerdeführer, ein montenegrinischer Staatsangehöriger, wurde durch Urteil des [X.] vom 11. März 1998 wegen Mordes und versuchten Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

3

1. Die Staatsanwaltschaft [X.] lehnte mit angegriffenem Bescheid vom 21. Juni 2011 ab, von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Ablauf von 14 Jahren abzusehen (vgl. § 456a [X.]). Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] wies die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers mit angegriffenem Bescheid vom 31. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe sei aufgrund der Schwere der Schuld und der mangelnden Aufarbeitung der straftatursächlichen [X.] aus spezialpräventiven Gründen wegen der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers geboten. Die persönlichen, insbesondere familiären Gründe müssten hinter dem öffentlichen Interesse an der weiteren Vollstreckung zurücktreten.

4

2. Das Oberlandesgericht [X.] verwarf den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 28. November 2011 als unzulässig, da er den Begründungsanforderungen nach § 24 Abs. 1 [X.] nicht genüge.

5

a) Nach § 24 Abs. 1 [X.] müsse ein Antragsteller geltend machen, durch die angefochtene Maßnahme oder ihre Ablehnung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung genüge nicht. Erforderlich sei vielmehr eine - wenn auch zunächst in groben Zügen - die [X.] ermöglichende Sachdarstellung, also der Vortrag von Tatsachen, die im Falle ihres Zutreffens ergäben, dass dem Verurteilten zumindest unter einem denkbaren Gesichtspunkt die beanspruchten Rechte zustehen und die Behörde diese verletzt.

6

b) An einem solchen, aus sich heraus verständlichen Sachvortrag fehle es hier. Der Beschwerdeführer trage keine Tatsachen vor, aus denen sich ergebe, dass die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen wäre oder die gesetzlichen Grenzen des ihr in § 456a [X.] eingeräumten Ermessens überschritten hätte.

7

Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung seien die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Größe des bisher verbüßten Teils der Strafe und das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung mit den Belangen des Antragstellers, insbesondere seiner [X.] und familiären Situation abzuwägen. Daher erfordere eine die [X.] ermöglichende Sachverhaltsdarstellung insbesondere die Mitteilung der Feststellungen zur Sache des gegen den Antragsteller zu vollstreckenden Urteils. Hierzu enthalte der Antrag jedoch keine ausreichenden Angaben. Die bloße Mitteilung, es habe sich um eine Beziehungstat vor dem Hintergrund finanzieller Schwierigkeiten gehandelt, bei der der Beschwerdeführer seinen Schwiegervater erstochen und seine Schwiegermutter mit Stichen in den Bauch verletzt habe, genüge insoweit nicht.

8

Der Beschwerdeführer sieht sich dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, dass das Oberlandesgericht [X.] die Begründungsanforderungen nach § 24 Abs. 1 [X.] überspannt habe.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts [X.] verletzt den Beschwerdeführer zwar in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

a) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 40, 272 <274>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>). Dies muss auch der [X.] bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. [X.] 77, 275 <284>; 96, 27 <39>). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. [X.] 88, 118 <125>). Dies gilt für die Begründungsanforderungen nach § 24 [X.] ebenso wie für die [X.] nach § 172 Abs. 3 Satz 1 [X.].

Die erhöhten [X.] im [X.], die das [X.] für zulässig erachtet hat (vgl. [X.], 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>), sind jedoch nicht auf das Verfahren nach §§ 23 ff. [X.] übertragbar. Während der Verletzte einer Straftat kein subjektives Recht auf Erhebung der öffentlichen Klage gegen den der Tat Verdächtigen hat (vgl. [X.] 51, 176 <187>), ist Gegenstand des Verfahrens nach §§ 23 ff. [X.] eine unmittelbare Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers durch eine staatliche Maßnahme oder ihre Ablehnung bzw. Unterlassung (vgl. § 24 Abs. 1 [X.]). Insoweit handelt es sich um klassische Eingriffe - hinsichtlich der Ablehnung eines positiven Bescheids gilt dies hier jedenfalls deshalb, weil dadurch dem Beschwerdeführer die Wiedererlangung der persönlichen Freiheit verwehrt wird. Die Grundrechtsrelevanz führt dazu, dass Art. 19 Abs. 4 GG besondere Bedeutung gewinnt (vgl. [X.] 60, 253 <266>) und an den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz jedenfalls nicht dieselben strengen Anforderungen wie im [X.] gestellt werden können.

b) Hieran gemessen ist der Zugang des Beschwerdeführers zu gerichtlichem Rechtsschutz in verfassungswidriger Weise beschränkt worden.

aa) Die vom Oberlandesgericht [X.] verlangte, eine [X.] ermöglichende Darlegung schränkt den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz zwar noch nicht unverhältnismäßig ein. Art. 19 Abs. 4 GG fordert nicht zwingend eine Auslegung des § 24 [X.] im Sinne der "Möglichkeitstheorie", wonach lediglich ein Sachverhalt vorgetragen werden muss, aus dem sich ein möglicher Rechtsanspruch ergeben kann, der verletzt sein könnte (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl. 2011, § 24 [X.] Rn. 1; [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2008, § 24 [X.] Rn. 2 f.; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die vom Oberlandesgericht [X.] aufgestellten Anforderungen bewegen sich auch unterhalb der strengen [X.] für das [X.].

bb) Das Oberlandesgericht [X.] hat jedoch dadurch, dass es die Annahme einer fehlenden Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung allein darauf gestützt hat, dass hinreichende Ausführungen zu den strafrechtlichen Urteilsfeststellungen fehlten, das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die formale Sichtweise des Oberlandesgerichts [X.], wonach der Sachverhalt nur durch Ausführungen im Antrag selbst und nicht durch Beifügung und Inbezugnahme entsprechender Schriftstücke dargelegt werden kann, führt zur Verweigerung der inhaltlichen Schlüssigkeitskontrolle. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht [X.] offenbar den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft [X.] vorgelegt hat, in dem die wesentlichen Urteilsfeststellungen wiedergegeben und gewürdigt worden sind.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Ein besonders schwerer Nachteil im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] ist dann nicht anzunehmen, wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>). Dies ist vorliegend der Fall.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung müsste auch bei einer erneuten Befassung vom Oberlandesgericht [X.] als unzulässig verworfen werden, weil er nicht hinreichend im Sinne von § 24 [X.] begründet worden ist. Aus seinen Ausführungen ergibt sich nicht, dass die Ermessensentscheidung nach § 456a [X.] fehlerhaft sein könnte. Der Beschwerdeführer hat sich nicht hinreichend mit den beiden entscheidenden [X.] des Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft [X.] - der Schwere der Schuld einerseits und der mangelnden Aufarbeitung der straftatursächlichen [X.] andererseits - auseinandergesetzt. Er hat lediglich [X.], die auch die Generalstaatsanwaltschaft [X.] herangezogen hat, anders als diese gewichtet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 211/12

05.04.2012

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 28. November 2011, Az: 2 VAs 11/11, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 93a Abs 2 Buchst b BVerfGG, §§ 23ff GVGEG, § 23 GVGEG, § 24 Abs 1 GVGEG, § 456a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.04.2012, Az. 2 BvR 211/12 (REWIS RS 2012, 7439)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7439

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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