Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.05.2016, Az. V ZR 225/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 11312

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Gegenstand

Auslegung einer Anpassungsklausel in einem Erbbaurechtsvertrag


Tenor

Die Revision gegen das Urteil des [X.] - 2. Zivilkammer - vom 17. September 2015 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagten sind Erbbauberechtigte an einem im Eigentum des [X.] stehenden Grundstück. Zur Höhe des [X.] findet sich in dem Erbbaurechtsbestellungsvertrag vom 5. März 1970 u.a. folgende Regelung:

"Alle fünf Jahre, beginnend mit der erstmaligen Zahlung des [X.] wird der [X.] für die folgenden fünf Jahre neu festgesetzt, wenn sich der Lebenshaltungsindex für alle privaten Haushalte in der [X.] gegenüber dem Stand vor jeweils fünf Jahren um mehr als zehn Punkte nach oben oder unten geändert hat. Die Neufestsetzung des [X.] erfolgt im gleichen Verhältnis, in dem sich dieser Lebenshaltungskostenindex gegenüber dem jeweils maßgeblichen Stand geändert hat. (…) Diejenige Vertragspartei, die aufgrund dieser Vereinbarung die Neufestsetzung des [X.] verlangt, muss dies jeweils vier Wochen vor Ablauf der [X.] der anderen Partei mitteilen. Einfache schriftliche Mitteilung genügt. Erfolgt innerhalb dieser [X.] von keiner Partei eine entsprechende Mitteilung, so kann die nächste Neufestsetzung des [X.] erst wieder nach Ablauf von weiteren fünf Jahren beantragt werden. (…)"

2

Zuletzt wurde der [X.] am 13. Januar 1995 auf einen Betrag von umgerechnet 963,94 € erhöht. Im Oktober 2014 verlangte der Kläger ab dem 1. Januar 2015 einen jährlichen [X.] in Höhe von 1.299,39 €. Der (umbasierte) Verbraucherindex betrug im Juli 1994 79,4 Punkte und im Juli 2014 107,0 Punkte, so dass sich für diesen Zeitraum eine Steigerung um 34,8 % ergibt.

3

Das Amtsgericht hat der auf Verurteilung zur zukünftigen Zahlung des erhöhten [X.] gerichteten Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

4

Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger eine Anpassung des [X.] nicht verlangen. Der Wortlaut der Anpassungsklausel sei eindeutig, so dass für eine Auslegung kein Raum sei. Sie lasse eine Erhöhung des [X.] nur dann zu, wenn der Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte in den letzten fünf Jahren vor dem Anpassungsverlangen um mindestens zehn Punkte gestiegen sei, woran es fehle. Auch die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage führten nicht zu einer Anpassung des [X.].

II.

5

Die Revision ist wegen der Bindung des Senats an die Zulassung durch das Berufungsgericht (§ 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO) statthaft; sie ist auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

6

1. Im Ergebnis zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger könne auf Grundlage der im Erbbaurechtsbestellungsvertrag vereinbarten Anpassungsklausel die Zahlung eines erhöhten [X.] nicht verlangen, weil es an den danach notwendigen Voraussetzungen für eine Erhöhung fehle.

7

a) Soweit das Berufungsgericht die Anpassungsklausel unter Verweis auf ihren eindeutigen Wortlaut für nicht auslegungsbedürftig hält, ist dies allerdings rechtsfehlerhaft.

8

Ob eine vertragliche Regelung schon wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht auslegungsbedürftig ist, ist eine Rechtsfrage (§§ 133, 157 [X.]), die der Prüfung des Revisionsgerichts (§ 546 ZPO) unterliegt (Senat, Urteil vom 10. Februar 1960 - [X.], [X.], 60, 63; [X.], Urteil vom 8. Dezember 1982 - [X.], [X.]Z 86, 41, 47). In diesem Zusammenhang kann die grundsätzliche Frage offenbleiben, ob eine vertragliche Regelung nach Wortlaut und Zweck einen derart eindeutigen und zweifelsfreien Inhalt haben kann, dass für eine Auslegung kein Raum bleibt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - [X.], [X.], 3164, 3165; [X.], Urteil vom 10. Oktober 1957 - [X.], [X.]Z 25, 318, 319; Beschluss vom 13. Dezember 2006 - [X.], NJW 2007, 1460 Rn. 10), oder sich die Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, gerade erst durch eine alle Umstände berücksichtigende Auslegung treffen lässt (vgl. [X.], Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.], 1260, 1261; [X.], Beschluss vom 9. April 1981 - [X.], [X.]Z 80, 246, 249 f.; MüKo[X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 133 Rn. 53). Die von dem Berufungsgericht angenommene Eindeutigkeit des Wortlauts der vertraglichen Regelung ist jedenfalls nicht gegeben.

9

Der Wortlaut legt zwar nahe, dass eine Anpassung nur möglich sein soll, wenn der Lebenshaltungskostenindex in den letzten fünf Jahren vor dem Anpassungsverlangen um mindestens zehn Punkte gestiegen ist. Zwingend ist das aber nicht. Die Revision weist zutreffend darauf hin, die Klausel könne auch dahin verstanden werden, dass die Frist von fünf Jahren nur den Zeitraum festlege, nach dessen Ablauf ein erneutes Anpassungsverlangen frühestens möglich sei. Wenn es in der Klausel weiter heiße, dass eine Neufestsetzung bei einer Veränderung des Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte in der [X.] "gegenüber dem Stand vor jeweils fünf Jahren" von über 10 Punkten zu erfolgen habe, könne dies auch dahingehend ausgelegt werden, dass auf die Veränderung seit der letzten Anpassung abgestellt werde. Der Zeitraum von fünf Jahren steht bei diesem Verständnis als Synonym für die letzte Anpassung. Eine solche Auslegung ist mit dem Wortlaut durchaus noch vereinbar. Sie wäre auch nicht fernliegend; die Klausel würde es dem Eigentümer dann ermöglichen, den [X.] auch an eine schleichende Erhöhung der Lebenshaltungskosten anzupassen.

Das Berufungsurteil kann daher mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Da weitere tatsächliche Feststellungen zu maßgeblichem [X.] nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Klausel selbst auslegen (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 4. Mai 1990 - [X.], [X.]Z 111, 214, 217 mwN).

b) Die Auslegung der Anpassungsklausel ergibt, dass kein Anspruch auf Erhöhung des [X.] besteht.

aa) Nach dem Wortlaut der Klausel ist für eine Anpassung des [X.] erforderlich, dass sich der Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte gegenüber dem Stand von vor jeweils fünf Jahren um mehr als zehn Punkte nach oben oder unten geändert hat. Bezugspunkt für die Prüfung, ob die maßgebliche Änderung der Lebenshaltungskosten eingetreten ist, ist danach der Indexstand vor fünf Jahren. Gegen die Annahme der Revision, gemeint sei der Indexstand zum Zeitpunkt der letzten Anpassung, die mindestens fünf Jahre zurückliegen müsse, spricht entscheidend die weitere Regelung, dass das Anpassungsverlangen innerhalb von vier Wochen vor Ablauf der [X.] der anderen Partei mitgeteilt werden muss. Wird diese Frist nicht gewahrt, kann die nächste Anpassung erst wieder nach weiteren fünf Jahren beantragt werden, wobei dann wieder neu zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen der Anpassungsklausel vorliegen. Dies verdeutlicht, dass die Parteien den zeitlichen Intervallen von fünf Jahren mit den Bezugspunkten der jeweiligen Indexstände zu Beginn und zum Ende des jeweiligen Zeitraums eine entscheidende Bedeutung beigemessen haben.

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich daraus auch ein stimmiges Gesamtkonzept der Anpassungsklausel. Dieses besteht darin, nur wesentliche Veränderungen der Lebenshaltungskosten zur Anpassung des [X.] ausreichen zu lassen, wobei die [X.] erst dann erreicht ist, wenn der Lebenshaltungskostenindex in einem bestimmten Ausmaß steigt oder sinkt und hierfür nicht länger als fünf Jahre benötigt. Das Risiko, dass sich die Lebenshaltungskosten lediglich schleichend verändern, so dass unter Umständen für einen längeren Zeitraum keine Anpassung stattfinden kann, ist nach der gewählten Formulierung bewusst in Kauf genommen und von beiden Seiten gleichermaßen zu tragen. Daher verstößt ein Verständnis der Anpassungsklausel, wonach die Veränderung des [X.] nach dem Ablauf von jeweils fünf Jahren für die Frage einer Veränderung des [X.] maßgebend ist, auch nicht gegen den Grundsatz einer beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung.

cc) Begleitumstände, aus denen darauf geschlossen werden könnte, dass die Parteien der Klausel das von ihr für richtig gehaltene Verständnis beigelegt haben, zeigt die Revision nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] trägt die Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände - sei es zum Nachweis eines vom [X.] abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 [X.]) - beruft, die Darlegungs- und Beweislast für deren Vorliegen (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - [X.], [X.], 3164, 3165 mwN).

dd) Auch aus dem Inhalt des notariellen Vertrages vom 13. Januar 1995, mit dem zuletzt der [X.] erhöht wurde, ergibt sich keine andere Beurteilung. Unabhängig davon, dass sich aus ihm nur dann Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen der Parteien des [X.] ziehen ließen (vgl. zu dieser Möglichkeit Senat, Urteil vom 24. Juni 1988 - [X.], NJW 1988, 2878, 2879), wenn diese mit den Parteien des [X.] identisch wären (vgl. Senat, Urteil vom 19. April 1999 - [X.], [X.], 677), enthält die [X.]erhöhungsvereinbarung vom 13. Januar 1995 keine von der im Erbbaurechtsbestellungsvertrag getroffenen Vereinbarung abweichende Regelung der Anpassungsvoraussetzungen. Soweit für die Berechnung des [X.] auf den Indexstand sechs Monate vor [X.] Anpassung abgestellt wurde, ist dies darauf zurückzuführen, dass die vorhergehende Anpassung ihrerseits vor fünf Jahren erfolgte.

c) Vor diesem Hintergrund kann auch keine planwidrige vertragliche Regelungslücke festgestellt werden, die eine ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 [X.]) erforderlich machte (vgl. zu diesem Erfordernis nur Senat, Urteil vom 23. Mai 2014 - [X.], NJW 2014, 3439 Rn. 8; Urteil vom 12. Oktober 2012 - [X.], NJW-RR 2013, 494 Rn. 9 jeweils mwN).

2. Schließlich weist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler darauf hin, dass die Zahlung eines erhöhten [X.] auch nicht nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage verlangt werden kann. Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts entsprechen der Rechtsprechung des Senats. Danach besteht ein Anspruch auf Erhöhung des [X.] nur, wenn die Lebenshaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt um mehr als 150 % gestiegen sind (Senat, Urteil vom 18. September 1992 - [X.], [X.]Z 119, 220, 222; Urteil vom 18. November 2011 - [X.], [X.]Z 191, 336 Rn. 19). Diese Schwelle ist nach den - von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erreicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann                           Brückner                           Weinland

                        Kazele                          [X.]

Meta

V ZR 225/15

13.05.2016

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Hof, 17. September 2015, Az: 24 S 36/15

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 9 ErbbauV, § 9a ErbbauV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.05.2016, Az. V ZR 225/15 (REWIS RS 2016, 11312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11312


Verfahrensgang

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Az. V ZR 225/15

Bundesgerichtshof, V ZR 225/15, 13.05.2016.


Az. 24 S 36/15

LG Hof, 24 S 36/15, 17.09.2015.


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