Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.11.2022, Az. 26 W (pat) 560/20

26. Senat | REWIS RS 2022, 7511

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – „Rheinstoff (Wortzeichen)“ - fehlende Unterscheidungskraft – Herkunftsangabe - Wortneuschöpfung


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2019 233 216.8

hat der 26. Senat ([X.]) des [X.] am 29. November 2022 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin [X.] sowie [X.] und Dr. von Hartz

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

2

[X.]stoff

3

ist am 14. Oktober 2019 unter der Nummer 30 2019 233 216.8 zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register angemeldet worden für Waren der

4

Klasse 33: Weine.

5

Mit Beschluss vom 26. März 2020 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 33 des [X.] die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich das Anmeldezeichen in werbemäßig anpreisender Form auf eine rein sachbezogene Angabe ohne erkennbaren herkunftshinweisenden Gehalt beschränke. Der Bestandteil „[X.]“ sei eine geografische Herkunftsangabe und „Stoff“ bezeichne in der Jugendsprache Getränke. [X.] linguistische Überlegungen zum Bedeutungsgehalt des – anders geschriebenen – Begriffs „[X.]stoff“ aus der Chemie seien nicht entscheidungsrelevant, da keine Chemikalien, sondern „Weine“ beansprucht würden, die am [X.], einem bekannten Weinanbaugebiet, hergestellt würden. Das Anmeldezeichen sei daher nur ein betriebsneutraler Hinweis auf bestimmte Eigenschaften dieser Waren. Bei Einwortmarken sei auf die Rechtsprechung zu Werbeslogans nicht einzugehen. Die angeführten Voreintragungen entfalteten keine Bindungswirkung.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, der Begriff „Stoff“ habe in der [X.] zahlreiche Bedeutungen. Er werde in der Umgangssprache zwar für eine illegale Rausch-Droge verwendet, jedoch weder für alkoholische Getränke noch für Wein. Dies möge in den Siebzigerjahren noch anders gewesen sein, nicht jedoch heute bzw. zum Anmeldezeitpunkt. Dies widerlegten auch zahlreiche Voreintragungen mit dem Bestandteil „Stoff“, wie die Wortmarken „[X.]“ (30 2016 011 3478), „[X.]“ (30 2016 011 348) und „[X.]“ (30 2019 206 302), jeweils u. a. eingetragen für Biere und alkoholische Getränke, belegten. Selbst wenn „Stoff“ ein in der Jugendsprache gängiger Ausdruck für Getränke wäre, handelte es sich bei der Wortkombination „[X.]stoff“ als fehlerhafte Schreibweise des in der Chemie gebräuchlichen Begriffs „[X.]stoff“ um ein vom Durchschnittsverbraucher in mehreren gedanklichen Schritten erkanntes Wortspiel, das über zahlreiche Indizien für die Unterscheidungskraft verfüge, nämlich Kürze, eine gewisse Originalität, Prägnanz, Mehrdeutigkeit und Interpretationsbedürftigkeit. Ferner genüge es, wenn es praktische bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gebe, das angemeldete Zeichen bei den Waren so zu verwenden, dass es vom Verkehr als Marke verstanden werde.

7

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

8

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des [X.] vom 26. März 2019 aufzuheben.

9

Mit gerichtlichem Schreiben vom 16. Mai 2022 unter Beifügung von [X.] (Anlagen 1 bis 4, [X.]. 27 – 65 [X.]) ist die Beschwerdeführerin auf die Schutzunfähigkeit des [X.] hingewiesen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

[X.].

Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 [X.] statthafte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens „[X.]stoff“ als Marke steht für die beanspruchten Waren „Weine“ der Klasse 33 das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen. Die Markenstelle hat die Anmeldung daher zu Recht zurückgewiesen (§ 37 Abs. 1 [X.]).

1. a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet ([X.] GRUR 2015, 1198 [X.]. 59 f. – [X.]/[X.]]; [X.], 932 [X.]. 7 – #darferdas? I; [X.], 301 [X.]. 11 – [X.]; [X.], 934 [X.]. 9 – [X.]). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] GRUR 2010, 228 [X.]. 33 – [X.]/[X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] – #darferdas? I; a. a. O. – [X.]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] – [X.]). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] GRUR 2004, 428 [X.]. 53 – [X.]; [X.] [X.]. 15 – [X.]).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt ([X.] GRUR 2013, 1143 [X.]. 15 – [X.] werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] GRUR 2006, 411 [X.]. 24 – Matratzen Concord/[X.]; [X.] GRUR 2014, 376 [X.]. 11 – grill meister).

Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen ([X.] GRUR 2004, 674, [X.]. 86
– Postkantoor; [X.] [X.]. 8 – #darferdas? I; [X.], 270 [X.]. 11
– Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung
– stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.] – #darferdas? I; a. a. [X.]. 12 – [X.]; GRUR 2014, 872 [X.]. 21 – [X.]). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht ([X.] – #darferdas? I; a. a. O. – [X.]). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann ([X.] GRUR 2004, 146 [X.]. 32 – [X.]; [X.] GRUR 2014, 569 [X.]. 18 – [X.]); dies gilt auch für ein zusammengesetztes Zeichen, das aus mehreren Begriffen besteht, die nach diesen Vorgaben für sich genommen schutzunfähig sind. Der Charakter einer [X.] entfällt bei der Zusammenfügung beschreibender Begriffe jedoch dann, wenn die beschreibenden Angaben durch die Kombination eine ungewöhnliche Änderung erfahren, die hinreichend weit von der [X.] wegführt ([X.] [X.] 2007, 204 [X.]. 77 f. – [X.]; [X.] GRUR 2014, 1204 [X.]. 16 – DüsseldorfCongress).

b) Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] genügt das Wortzeichen „[X.]stoff“ nicht. Denn die angesprochenen inländischen Verkehrskreise haben es zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt, dem 14. Oktober 2019, nur als schlagwortartige, umgangssprachliche Sachaussage über die geografische Herkunft und Art der beanspruchten „Weine“ der Klasse 33 aufgefasst, nicht aber als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen wahrgenommen.

aa) Von der betroffenen Ware „Weine“ werden breite inländische Verkehrskreise angesprochen, nämlich sowohl der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher als auch der Getränke- und Weinfachhandel sowie der Gastronomiefachverkehr.

bb) Das Anmeldezeichen setzt sich erkennbar aus den beiden geläufigen [X.] „[X.]“ und „Stoff“ zusammen.

aaa) Der vorangestellte Bestandteil „[X.]“ ist der Name eines ca. 1.232 km langen Stroms in West- und Mitteleuropa und eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt (https://de.wikipedia.org/wiki/[X.]). Er gilt als längster Fluss innerhalb [X.], weil rund 865 Kilometer durch [X.] fließen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2280/umfrage/die-laengsten-fluesse-in-deutschland/). Der Natur- und Kulturraum des [X.]s wird durch Weinanbau geprägt, was zum präsenten Allgemeinwissen des Durchschnittsverbrauchers gehört. Landschaftsnamen wie der weltbekannte [X.]gau, [X.]hessen oder [X.] sind gleichzeitig Weinanbaugebiete (https://de.wikipedia.org/wiki/[X.]; [X.] 1 zum gerichtlichen Hinweis). Für die beanspruchte Ware „Weine“ stellt der Bestandteil „[X.]“ daher eine geografische Herkunftsangabe dar.

bbb) Das Substantiv „Stoff “ bezeichnet in der Alltagssprache in erster Linie ein aus Garn gewebtes, gewirktes, gestricktes Erzeugnis und eine in chemisch einheitlicher Form vorliegende Materie, Substanz bzw. Masse. In einer seiner weiteren Bedeutungen bezeichnet „Stoff“ in der Umgangssprache auch „Alkohol“ ([X.], Das große Wörterbuch der [X.], 3. Aufl. 1999, Band 8, S. 3753, Stichwort: „Stoff“, Ziff. 3. a); [X.], [X.], 8. Aufl. 2006, S. 1421, Stichwort: „Stoff“, Ziff. 6.1, [X.] 2 zum gerichtlichen Hinweis). Aus den im [X.] genannten [X.]n „unser Stoff geht aus; neuen Stoff aus [X.] holen; wir haben keinen Stoff mehr“ geht hervor, dass mit „Stoff“ auch alkoholische Getränke bezeichnet werden. Bei den vorliegend beanspruchten Waren „Weine“, bei denen es sich um klassische alkoholische Getränke handelt, steht dieser Bedeutungsgehalt daher klar im Vordergrund. Der [X.] hat zahlreiche [X.], bei denen Wein vor dem maßgeblichen Anmeldetag, dem 14. Oktober 2019, als „Stoff“ bezeichnet worden ist, ermitteln können (vgl. [X.] 3a zum gerichtlichen Hinweis):

- „Die Wein Punks … Das soll auch der Firmenname „Geile Weine“ deutlich machen: „Wenn Winzer über einen Wein sprechen, sagen sie nicht, wie blumig er im Abgang ist, sondern dass sie „geilen Stoff“ im [X.] haben. Daran haben wir uns orientiert“, so [X.]. …“ (09.02.2017; https://www.businessinsider.de/gruenderszene/allgemein/geile-weine-mainz-portraet/);

- „[X.] Können Weinhändler überhaupt Lieblingsweine haben? Und wenn, sind das nicht immer die besten und teuersten, die 100+ Punkte-Weine oder der Freakstoff, den nicht einmal [X.] versteht? … Bei aller feingeistigen Anschauung bleibt nach dem Absetzen des Glases aber auch eine simple körperliche Erkenntnis: ungemein süffiger Stoff! …“ (20.06.2015; https://www.koelner-weinkeller.de/weinblog/unsere-mosel-lieblinge/);

- „Ein Hochamt für edlen Stoff – Drei [X.] Klassiker und erstmals auch die [X.] [X.] – beim Finale des [X.] kürte eine hochkarätige Jury … die besten Tropfen“ ([X.] 49/2015, S. 134);

- „RIESLING KABINETT [X.] [X.] nur in einer Flasche. Zugreifen, denn der Stoff ist schnell vergriffen. … Ernte: 25.09.2019“ (https://www.vagabundweine.de/weine-1/);

- „[X.], [X.] und [X.] … Im Mund ist er trotz Goldkapsel schlank, extrem fein, pikant, dicht mit Aromen von kandierter Zitrone, salzigen und tonischen Anklängen. Das ist göttlicher Stoff.“ (17.10.2016; https://www.originalverkorkt.de/2016/10/mosel-saar-und-ruwer-vorsprung-durch-klassik/);

- „… Spannende [X.]aufränkische, gereifte Bordeauxs und eine Reihe weiterer Stoff bescherten uns einen richtig tollen Abend. … [X.] und ich entschieden uns gegen 02:00 Uhr für eine Spätlese von [X.] – und wir konnten mit dem Genießen nicht aufhören. War das ein geiler Stoff! …“ (30. Juli 2017; https://bjrlebouquet.com/mythos-mosel-2017/);

- „… Wir verkosteten einen 2006 Weißburgunder Brut, der seit 2007 auf der Hefe liegt: Großartiger Stoff! …“ (18.01.2010; https://drunkenmonday.wordpress.com/2010/01/18/zu-besuch-auf-dem-weingut-k-j-thul-thornich-mosel/);

- „… Wunderbare Spätburgunder, Sauvignon blancs und Rieslinge - besonders der Riesling … blieb [X.] in Erinnerung – ich schmecke den kristallklaren Stoff heute noch auf der Zunge, da muss Magie im Spiel sein!“ (30.12.2018; https://www.nikos-weinwelten.de/beitrag/top_10_der_wein_gourmetwelten_die_kollektionen_des_jahres/);

- „2016 Rosé trocken „Welch ein Stoff“ Nr. 8“ (https://www.wein-fitz-schneider.de/weine/detail?id=24);

- „Weißer Stoff 2017, Pulker“ (https://www.wein-hinterecker.de/Weisser_Stoff_2017_Pulker.html);

- „Weinwissen für Anfänger: endlich alt genug für guten Stoff (30.05.2017; https://www.40-something.de/weinwissen-fuer-anfaenger/);

- „… Die Qualität der [X.]n Spätburgunder der letzten Jahre ist enorm gestiegen, gerade im Bereich der [X.] kann man unter 10 € reichlich guten Stoff finden. …“ (28.12.2017; [X.]#: …).

Wie die vorgenannten Belege zeigen, ist das Wort „Stoff“ entgegen der Ansicht der Anmelderin nicht nur in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Synonym für alkoholische Getränke gewesen, sondern ist jedenfalls bei Wein auch bis ins Jahr der Anmeldung 2019 so benutzt worden.

ccc) Zwar können das Nomen „Stoff“ und das Adjektiv „stoffig“ im Zusammenhang mit Wein zumindest vom Fachverkehr auch im Sinne von geschmackliche Fülle und [X.] alkohol- und extraktreicher Weine verstanden werden (vgl. [X.] 4 zum gerichtlichen Hinweis), aber diese ebenfalls warenbeschreibende Bedeutung dürfte bei der angemeldeten Wortkombination „[X.]stoff“ nicht im Vordergrund stehen, da bei [X.] zwar von Weinen „mit Stoff“ bzw. mit viel oder wenig Stoff die Rede ist, hierbei aber nicht weiter nach Art des „Stoffs“ oder gar mit vorangestellten Flussnamen nach der geografischen Herkunft des „Stoffs“ im Sinne geschmacklicher Fülle und Körperreichtum unterschieden wird. Bei der vorliegend beanspruchten Verbindung der vorangestellten Fluss- und Weinanbaugebietsbezeichnung „[X.]“ mit dem Wort „-stoff“ passt jedoch allein das Verständnis von „Stoff“ im Sinne eines alkoholischen Getränks.

cc) In seiner Gesamtheit erschließt sich das angemeldete Wortzeichen „[X.]stoff“ daher ohne weiteres im Sinne von alkoholischen Getränken, die vom [X.] stammen bzw. am [X.] hergestellt werden.

dd) Aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise hat das Anmeldezeichen am 14. Oktober 2019 daher nur den schlagwortartigen, umgangssprachlichen Sachhinweis vermittelt, dass die so gekennzeichneten „Weine“ der Klasse 33 als alkoholische Getränke im [X.]gebiet angebaut und produziert worden sind. Damit hat es sich in einer saloppen Sachaussage über die Herkunft und Art der beanspruchten Ware als alkoholische Weine aus der [X.]gegend erschöpft, womit es im Wesentlichen dasselbe bezeichnet wie die gleichartig aufgebaute Bezeichnung „[X.]wein“.

aaa) Der inhaltlich mit dem Anmeldezeichen identische Gesamtbegriff „[X.]wein“ ist vor dem maßgeblichen Anmeldetag zur Bezeichnung von Weinen mit dieser Herkunft auch verwendet worden ([X.], a. a. O., Band 7, S. 3195.; [X.], a. a. O., S. 1232; https://falstaff.de/nd/wein-am-rhein-europas-hauptschlagader/; vgl. [X.] 1 zum gerichtlichen Hinweis). Tatsächlich sind vor dem Prioritätszeitpunkt auch sog. [X.]weine als „Stoff“ bezeichnet worden (vgl. [X.] 3b zum gerichtlichen Hinweis):

- „Klassiker vom [X.] …Während in der Nachbarschaft billig-süßer Stoff aus [X.]hessen strömte, schenkten die [X.] schon frühzeitig herben Riesling von eigenen Lagen aus (02.06.2006; https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/lifestyle/falkensteins-weinmacher/weinprobe-klassiker-vom-rhein/2662010.html);

- „[X.] – 2016, 2014, 2011, 2010 – träumen und genießen - Ein (Riesling-)Stoff, aus dem man Träume webt, der in guter Gesellschaft neue Netzwerke knüpft. …“ (https://www.werk2weine.de/werkstoff/);

- „… Einer der [X.] von der Gemarkung Weil am [X.] wird im Gault & Millau wie folgt beschrieben: „Sehr puristisch und geradlinig, dabei delikat und balanciert, ein Stoff, aus dem Träume geschneidert werden“. Dabei handelt es um eine Verkostungsnotiz des Ortsweins 2017 Weiler Spätburgunder …“ (https://www.verlagshaus-jaumann.de/inhalt.weil-am-rhein-qualitäetsbestrebungen-honoriert. ... );

- „… und bei dem der Winzer, bei dem wir noch eine Stunde zuvor zu Gast waren, ausgerufen hätte: „ganz geiler Stoff“, nein, beeindruckt durch die Präsenz, …“ ([X.]; [X.] …).

bbb) Zwar hat sich die angemeldete Wortkombination „[X.]stoff“ selbst nicht belegen lassen, jedoch konnte mehrfach die parallele Variante „[X.]stoff“ als Bezeichnung von [X.]weinen aufgefunden werden (vgl. [X.] 3c zum gerichtlichen Hinweis):

- „[X.] 2012 – eine Abrechnung … Ich habe großartige Weine probiert – gereifte Rieslinge, … [X.]stoff – und viele spannende Sessions mitgemacht. …“ (2012; https://utecht.wordpress.com/2012/03/19/vinocamp-2012-eine-abrechnung/amp/);

- „… MIC SAGT: Erster Eindruck: lecker [X.]stoff!“ (10. [X.] 2017 [X.] 21:18 UHR, https://www.weinamlimit.de/folge-294-der-29-livestream-das-fio-riesling-paket-von-niepoort-und-klettern/);

- „… Neuer [X.]stoff! [X.] aus Piesport …“ (05.07.2013, weinhaus-bluhm2070.overblog.com);

- „[X.] Riesling 2018. … Toller ausgewogener [X.]stoff. …“ (https://www.fassstark.de/...).

ee) Auch wenn es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wortkombination um eine Wortneuschöpfung handelt, fehlt es an Besonderheiten in syntaktischer oder semantischer Hinsicht und damit an einer ungewöhnlichen Änderung, die hinreichend weit von der [X.] wegführt, weil sie [X.] aus zwei Substantiven gebildet ist, einen sinnvollen, beschreibenden Gesamtbegriff bildet und sich, wie bereits dargelegt, in vergleichbare [X.] Wortverbindungen einreiht (vgl. [X.] GRUR 2004, 146 [X.]. 32 – [X.]; GRUR 2004, 680 [X.]. 38 – [X.]).

ff) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem Anmeldezeichen ein Wortspiel mit dem in der Chemie gebräuchlichen Begriff „[X.]stoff“ erkennen.

aaa) Als [X.]stoff bezeichnet man in der Chemie einen Stoff, der einheitlich aus nur einer chemischen Verbindung oder einem chemischen Element zusammengesetzt ist im Gegensatz zu einem Gemisch. Ein [X.]stoff kann auch einen „isotopen-reinen“ Stoff, etwa reines schweres Wasser, oder eine in einer definierten Position völlig isotopen-markierte Verbindung bezeichnen (https://de.wikipedia.org/wiki/[X.]stoff).

bbb) Abgesehen davon, dass das verfahrensgegenständliche Wortzeichen für die Ware „Weine“ und nicht für chemische Substanzen beansprucht wird, ist weder dem Durchschnittsverbraucher noch dem hier angesprochenen Fachverkehr aus dem Getränke-, Wein- und Gastronomiebereich dieser chemische Fachbegriff bekannt. Die Verkehrsteilnehmer werden daher die angemeldete Wortverbindung nicht als Wortspiel mit einem „[X.]stoff“ im chemischen Sinne verstehen.

ccc) Im Zusammenhang mit Weinen steht bei dem Anfangswort „[X.]“ allein die geografische Herkunftsbezeichnung im Vordergrund. Auch die belegte Verwendung der Gesamtbegriffe „[X.]wein“ – klanglich identisch mit „[X.]wein“ – und „[X.]stoff“ spricht gegen ein Verständnis als Wortspiel.

ddd) Sollte der Verkehr das Zeichenwort bei der akustischen Wahrnehmung tatsächlich dennoch als „[X.]stoff“ verstehen, so würde er es in Verbindung mit den so gekennzeichneten Weinen ebenfalls als rein beschreibende Angabe, nämlich als Bezeichnung eines „reinen Stoffs“, also eines unverpanschten und/oder unvermischten Weines auffassen. In diesem – unwahrscheinlichen – Fall könnte allein der Umstand, dass dem Anmeldezeichen verschiedenen Bedeutungen zukommen, keine Schutzfähigkeit begründen, weil dann alle möglichen Deutungen beschreibend und damit zur Erfüllung einer Herkunftsfunktion ungeeignet wären. Der allein durch die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten hervorgerufene Interpretationsaufwand des Verkehrs reicht für die Bejahung der Unterscheidungskraft nicht aus ([X.] a. a. O. – [X.]; a. a. O. – [X.]; [X.] GRUR 2014, 872 [X.]. 25 – [X.]; GRUR 2014, 569 [X.]. 18 – [X.]; GRUR 2013, 522 [X.]. 13 – [X.] schönste Seiten).

2. Die Schutzunfähigkeit des [X.] zum Anmeldezeitpunkt besteht auch unabhängig vom Anbringungsort.

a) Bei der Prüfung, ob das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft besteht, ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor abzustellen (vgl. [X.] GRUR 2019, 1194 [X.]. 24 und 33 – AS/[X.] [#darferdas?]; [X.] GRUR 2020, 411 [X.]. 13 – #darferdas? [X.]; [X.], 932 [X.]. 18
– #darferdas? I, [X.]). Hierzu rechnen die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht werden. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf der Ware angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft oder als bloß beschreibendes oder dekoratives Element auffasst, kann nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren (vgl. [X.] – #darferdas? [X.]; a. a. O. – #darferdas? I, [X.]). Dabei muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher [X.] der angemeldeten Marke geprüft werden (vgl. [X.] a. a. [X.]. 33 – AS/[X.] [#darferdas?]; [X.] [X.]. 15 – #darferdas? [X.]). Sind in der maßgeblichen Branche mehrere [X.] praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen [X.] berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (vgl. [X.] a. a. [X.]. 25 – AS/[X.] [#darferdas?; [X.] – #darferdas? [X.]]).

b) Auch unter Berücksichtigung sämtlicher praktisch bedeutsamer und daher wahrscheinlicher [X.] auf den Etiketten oder Verpackungen der beanspruchten „Weine“ ist das Anmeldezeichen von den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen wegen seines ausschließlich beschreibenden Charakters auch schon zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt nicht als betriebliches Unterscheidungsmittel aufgefasst worden.

3. Da schon das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] vorliegt, kann dahinstehen, ob das angemeldete Wortzeichen für die in Rede stehende Ware zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt auch gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] freihaltebedürftig gewesen ist.

4. Die von der Anmelderin angeführten Voreintragungen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Wegen der Einzelheiten wird auf den gerichtlichen Hinweis vom 16. Mai 2022 Bezug genommen.

Meta

26 W (pat) 560/20

29.11.2022

Bundespatentgericht 26. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.11.2022, Az. 26 W (pat) 560/20 (REWIS RS 2022, 7511)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7511

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

26 W (pat) 554/18 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdesache – "HERZBLATT (Wort-/Bildzeichen)" – fehlende Unterscheidungskraft – Freihaltebedürfnis


26 W (pat) 522/19 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – „LIQUID LOVE“ – keine Unterscheidungskraft für einen Teil der Waren und Dienstleistungen – …


26 W (pat) 1/20 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - „Familienwein“ – Teillöschung – keine Unterscheidungskraft, Freihaltungsbedürfnis für einen Teil der …


26 W (pat) 56/20 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Brauhaus Garmisch" – fehlende Unterscheidungskraft


26 W (pat) 539/19 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Rebhuhn" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.