Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.09.2011, Az. X B 75/11

10. Senat | REWIS RS 2011, 2743

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Feststellung der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch Indizienbeweis - Revisionszulassung bei Doppelbegründung


Leitsatz

1. NV: Wenn ein FG aus der langjährigen widerspruchlosen Hinnahme von Vollstreckungsversuchen den Schluss zieht, dass die Gewerbesteuerbescheide, aus denen vollstreckt wird, dem Steuerpflichtigen zugegangen sind, liegt kein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, wenn das FG den weiteren Schluss zieht, dass dem Steuerpflichtigen auch die --gemeinsam mit den Gewerbesteuerbescheiden zur Post gegebenen-- Gewerbesteuermessbescheide zugegangen sind.

2. NV: Hat das FG seine Entscheidung auf zwei selbständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn für beide Begründungen jeweils ein Zulassungsgrund gegeben ist.

Tatbestand

1

I. [X.]egen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ergingen in den Jahren bis einschließlich 2000 für die Streitjahre 1996 und 1997 [X.]ewerbesteuermessbescheide, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Die Messbeträge waren zuletzt auf jeweils 0 [X.] festgesetzt worden.

2

Im [X.] an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) geänderte [X.]ewerbesteuermessbescheide, die die hebeberechtigte [X.]emeinde ([X.]) nach den Feststellungen des Finanzgerichts (F[X.]) am 28. Mai 2001 gemeinsam mit den geänderten [X.]ewerbesteuerbescheiden mit einfachem [X.] gab. Die Messbeträge wurden auf 26.315 [X.] (1996) bzw. 11.260 [X.] (1997) festgesetzt.

3

[X.]egen die aufgrund der Ergebnisse der Außenprüfung gleichfalls geänderten Einkommensteuerbescheide legte der Kläger Einspruch ein; ab dem [X.] schloss sich ein Klageverfahren an.

4

In den Jahren 2001 bis 2008 unternahm [X.] umfangreiche Vollstreckungsversuche wegen der rückständigen [X.]ewerbesteuer (einschließlich Nebenleistungen insgesamt ca. 222.000 [X.]). Beim Kläger erschienen mehrfach Vollziehungsbeamte, die sich vom Kläger Niederschriften unterzeichnen ließen. Auf einem [X.]rundstück des [X.] wurde eine Sicherungshypothek eingetragen; das [X.]rundstück wurde später zwangsversteigert. [X.] pfändete zudem das Bankkonto und den Arbeitslohn des [X.]. Schließlich gab der Kläger wegen der [X.]ewerbesteuer-Rückstände die eidesstattliche Versicherung ab.

5

[X.] kam es zu einer Verständigung in den wegen der Einkommensteuer anhängigen Klageverfahren. Infolgedessen erließ das [X.] geänderte Einkommensteuerbescheide und am 15. Juni 2010 auch die in diesem Verfahren angefochtenen, verfahrensrechtlich auf § 35b des [X.]ewerbesteuergesetzes ([X.]ewSt[X.]) gestützten geänderten [X.]ewerbesteuermessbescheide. Die Messbeträge wurden auf 4.380 [X.] (1996) bzw. 11.130 [X.] (1997) herabgesetzt.

6

Mit seinem Einspruch behauptete der Kläger erstmals, die [X.]ewerbesteuermessbescheide vom 28. Mai 2001 seien ihm nicht zugegangen. Da § 35b [X.]ewSt[X.] eine Änderung des [X.]ewerbesteuermessbescheids nur dann zulasse, wenn diese in engem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit einem Einkommensteuerbescheid stehe, könne im Jahr 2010 die an sich bereits im Jahr 2001 durchzuführende Änderung nicht mehr nachgeholt werden.

7

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das F[X.] folgerte aus einer umfassenden [X.]esamtwürdigung zahlreicher Einzelindizien, dass die [X.] vom 28. Mai 2001 dem Kläger zugegangen seien. Allerdings würden die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 35b [X.]ewSt[X.] im Jahr 2010 aus Rechtsgründen auch dann vorliegen, wenn die Behauptungen des [X.] zum Nichtzugang der [X.] als wahr unterstellt würden. Denn die vom Kläger vertretene Auffassung, erforderlich sei ein zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang zwischen Einkommensteuer- und [X.]ewerbesteuermessbescheid, lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck dieser Korrekturvorschrift ableiten.

8

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision. Hinsichtlich der Würdigung des F[X.], wonach die [X.]ewerbesteuermessbescheide ihm zugegangen seien, macht er Verfahrensmängel geltend. Hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen des F[X.] zu § 35b [X.]ewSt[X.] beruft er sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

9

Das [X.] hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Die vom Kläger in Bezug auf die Tatsachenwürdigung des [X.] vorgebrachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob für die rechtliche Zusatzbegründung des angefochtenen Urteils ein Zulassungsgrund gegeben ist.

1. Der Kläger sieht einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) in [X.]estalt eines Verstoßes gegen die Denkgesetze darin, dass das [X.] aus der Hinnahme der [X.] gefolgert habe, dem Kläger seien die [X.]ewerbesteuermessbescheide zugegangen. Er ist der Auffassung, bei Beachtung der [X.]esetze der Logik hätte sein Verhalten allenfalls den Schluss auf den Zugang der [X.] zulassen können, die jedoch von den [X.] zu unterscheiden seien; der Zugang der [X.] werde aber ebenfalls bestritten.

Insoweit kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage offenbleiben, ob es sich bei einem Verstoß gegen die Denkgesetze lediglich um einen --nicht von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O erfassten-- materiell-rechtlichen Fehler oder aber um einen Verfahrensfehler handelt. Denn dem [X.] ist der vom Kläger gerügte Verstoß nicht unterlaufen. Das [X.] hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass [X.] die [X.]ewerbesteuermessbescheide am 28. Mai 2001 gemeinsam mit den [X.]n zur Post gegeben hat. In einem solchen Fall gehen aber entweder beide [X.] zu oder es fehlt hinsichtlich beider [X.] am Zugang. Wenn das [X.] daher aus der langjährigen widerspruchslosen Hinnahme umfangreicher [X.] folgert, dem Kläger seien die zugrunde liegenden [X.] zugegangen, durfte es zugleich auf den Zugang der entsprechenden, gleichzeitig übersandten Messbescheide schließen.

[X.]egen die Feststellung des [X.], beide [X.] seien gemeinsam zur Post gegeben worden, hat der Kläger keine [X.] erhoben. Eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung war im Übrigen bereits in der Einspruchsentscheidung enthalten, ohne dass der Kläger im Klageverfahren hierzu Abweichendes vorgetragen hätte.

2. Ferner führt der Kläger an, der vom [X.] ergänzend herangezogene Erfahrungssatz, ein Steuerpflichtiger müsse ausstehende Steuerbescheide anmahnen, existiere nicht. Auch hätte das [X.] nicht zu seinen Lasten verwerten dürfen, dass er das Datum der [X.] vom 28. Mai 2001 gekannt habe, da er im [X.] Kopien dieser [X.] von [X.] erhalten habe. Bei diesem Vorbringen handelt es sich indes um materiell-rechtliche Einwendungen gegen die [X.]esamtwürdigung des Tatrichters, die nicht unter die gesetzlichen Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 [X.]O fallen (vgl. hierzu Beschluss des [X.] --BFH-- vom 24. September 2008 IX [X.]/08, [X.], 39).

3. Das [X.] hat auch nicht gegen die Pflicht verstoßen, seine Überzeugung aus dem [X.]esamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) zu gewinnen.

Der Kläger rügt insoweit, die von ihm mit der Klageschrift eingereichte eidesstattliche Versicherung zum fehlenden Zugang der [X.] sei vom [X.] weder im Tatbestand noch in den [X.]ründen berücksichtigt worden. Stattdessen habe das [X.] sich --unter anderem-- darauf gestützt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf entsprechende Fragen von Seiten der Richterbank "ausweichend geantwortet" habe.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das [X.] auf Bl. 9 seiner Entscheidung die eidesstattliche Versicherung ausdrücklich erwähnt und deren Inhalt umfassend darstellt. Es hat allerdings die darin aufgestellten Tatsachenbehauptungen durch die übrigen Umstände des Verfahrens --insbesondere durch das tatsächliche Verhalten des [X.] als widerlegt angesehen. § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O gewährt nur einen Anspruch darauf, dass die von den Beteiligten vorgetragenen Umstände in die [X.]esamtwürdigung einbezogen werden; es besteht aber kein Anspruch darauf, dass der Tatrichter dem Tatsachenvortrag eines Beteiligten auch inhaltlich stets folgt.

4. Weil damit hinsichtlich der --das angefochtene Urteil selbständig tragenden-- tatsächlichen Würdigung des [X.], die [X.] vom 28. Mai 2001 seien dem Kläger zugegangen, kein Zulassungsgrund gegeben ist, braucht der Senat nicht näher zu prüfen, ob hinsichtlich der weiteren, selbständig tragenden Rechtsausführungen der Vorentscheidung zur Auslegung des § 35b [X.]ewSt[X.] Zulassungsgründe vorliegen könnten (vgl. zur fehlenden Klärungsfähigkeit bei [X.] vom 18. März 2004 [X.], [X.], 978, und vom 4. August 2005 [X.]/04, [X.] 2005, 2229).

Meta

X B 75/11

30.09.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 14. April 2011, Az: 6 K 2583/10 G, Urteil

§ 122 Abs 2 AO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30.09.2011, Az. X B 75/11 (REWIS RS 2011, 2743)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2743

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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