Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.03.2018, Az. 2 C 37/17, 2 C 37/17 (2 C 36/16)

2. Senat | REWIS RS 2018, 12642

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anhörungsrüge im Revisionsverfahren; Überraschungsentscheidung bei bekannter höchstrichterlicher Rechtsprechung; Verhältnis von Anhörungsrüge und Gegenvorstellung


Gründe

1

1. Die innerhalb der gesetzlichen Frist nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobene Anhörungsrüge ist zulässig, sodass es der vom Kläger beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO nicht bedarf. Die Anhörungsrüge ist aber unbegründet.

2

Mit dem Revisionsurteil vom 20. Juli 2017 - 2 C 36.16 - hat der [X.] das angefochtene [X.]erufungsurteil aufgehoben und die Sache, soweit sie vom [X.] nicht selbst entschieden werden konnte (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Annahmen des [X.], der unionsrechtliche Haftungsanspruch wegen Zuvielarbeit setze keine erstmalige Geltendmachung durch den [X.]etroffenen voraus und verlange nicht den Nachweis der über die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden hinaus konkret geleisteten Dienststunden, verletzen revisibles Recht.

3

Mit der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO macht der Kläger geltend, das Revisionsurteil verletze seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Soweit sich der Kläger dabei inhaltlich gegen die Richtigkeit der Entscheidung des [X.]s wendet, hat sie eine solche Gehörsverletzung jedoch bereits nicht dargelegt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 und Abs. 4 Satz 1 VwGO). Im Übrigen ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs unbegründet.

4

Die Anhörungsrüge beschränkt sich im Wesentlichen darauf zu beanstanden, dass der [X.] sich die bereits im Revisionsverfahren von dem Kläger vorgetragene Rechtsauffassung nicht zu Eigen gemacht hat. Spezifische [X.]eanstandungen, die eine Verletzung rechtlichen Gehörs im geschilderten Sinne stützen könnten, werden entweder nicht hinreichend dargelegt oder ergeben sich daraus nicht.

5

Mit der Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO trägt der Kläger vor, das Revisionsurteil vom 20. Juli 2017 verletze seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, indem es gegen den Grundsatz der Amtsermittlung, die gerichtlichen Hinweis- und Dokumentationspflichten, das Prinzip des gesetzlichen Richters, den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Willkürverbot verstoße. Der [X.] habe sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, wie es sich aus den [X.]ehörden- und Gerichtsakten der Vorinstanzen und aus den im Revisionsverfahren vorgelegten Schriftsätzen ergebe. Der Kläger habe für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom Jahr 2007 bis zum [X.] sowohl Ansprüche aus Zuvielarbeit als auch solche aus behördlich genehmigter Mehrarbeit verfolgt. Dies sei in den angefochtenen [X.]escheiden und in den vorinstanzlichen Urteilen dokumentiert, vom [X.] aber verkannt worden. Der Kläger habe die entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen.

6

Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann, vermittelt den Prozessbeteiligten einen Anspruch darauf, sich zum Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dabei obliegt es den Gerichten, von sich aus den [X.]eteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 9. Oktober 1973 - 2 [X.]vR 482/72 - [X.]E 36, 85 <88>). Andererseits normiert Art. 103 Abs. 1 GG keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts, insbesondere nicht im [X.]lick auf dessen [X.] (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 15. Mai 1984 - 1 [X.]vR 967/83 - [X.]E 67, 90 <96>, Kammerbeschluss vom 1. August 2017 - 2 [X.]vR 3068/14 - NJW 2017, 3218 Rn. 49 f.).

7

Gemäß § 137 Abs. 2 VwGO umfasst die revisionsgerichtliche Prüfung eines angefochtenen Urteils allein die Verletzung revisiblen Rechts auf der Grundlage der "im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen", soweit nicht hinsichtlich dieser Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht werden. Die vom Kläger in der [X.]egründung der Anhörungsrüge eingehend dargestellten Ausführungen zum Sachverhalt und zur Rechtslage im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vor dem Ergehen des [X.]erufungsurteils indes sind revisionsrechtlich ohne [X.]elang. Im hier allein maßgeblich angefochtenen [X.]erufungsurteil fehlt es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Ausgleich von Mehrarbeit. Das [X.]erufungsgericht hat über eine etwaige Mehrarbeit des [X.] nicht entschieden, sondern allein über Ausgleichsansprüche aus Zuvielarbeit geurteilt (zur begrifflichen Abgrenzung von Zuvielarbeit zu Mehrarbeit vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 - 2 C 36.16 - juris Rn. 66). Deshalb ist dem [X.] von vornherein eine Entscheidung über etwaige Ansprüche des [X.] aus Mehrarbeit verwehrt gewesen.

8

Im Übrigen hat der [X.] das Vorbringen des [X.] zur Mehrarbeit zur Kenntnis genommen und gewürdigt, wenn er im Revisionsurteil wörtlich ausführt ([X.]VerwG, Urteil vom 20. Juli 2017 - 2 C 36.16 - juris Rn. 68):

"10. Nach den für den [X.] revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des [X.]erufungsurteils ist dem Kläger allein [X.] für von ihm unionsrechtswidrig geleistete Zuvielarbeit zugesprochen worden. [X.] gemäß § 76 Abs. 2 S. 3 L[X.]G [X.][X.] ist dem Kläger hingegen nicht gewährt worden (vgl. zur Abgrenzung von [X.] und Mehrarbeiten oben und II 9.). [X.]ereits im zweiten Eingangssatz des Tatbestands des [X.]erufungsurteils heißt es, dass der Kläger zuletzt einen [X.] für geleistete Zuvielarbeit begehrt. In den Entscheidungsgründen wird im Obersatz der [X.]egründetheitsprüfung ausgeführt, dass dem Kläger ein Anspruch auf den ihm vom Verwaltungsgericht zugesprochenen [X.] für rechtswidrig geleistete Zuvielarbeit zusteht. Auch in der Folge der Ausführungen des [X.]erufungsurteils (vgl. etwa [X.] und 14) wird von Zuvielarbeit und auszugleichender Zuvielarbeit gesprochen. [X.] ist dem Kläger zwar, dass das [X.]erufungsgericht neben dem [X.]egriff der Zuvielarbeit wohl synonym auch den [X.]egriff der 'freiwilligen Mehrarbeit' verwendet, etwa bei der Auslegung von Art. 22 [X.] 2003/88/[X.] ([X.]). Eine Entscheidung über etwa im Fall des [X.] angeordnete Mehrarbeit der [X.]eklagten nach § 76 Abs. 2 L[X.]G [X.][X.] hat das [X.]erufungsgericht im hier angefochtenen Urteil aber nicht getroffen. Denn es hat weder die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür mitgeteilt noch hat es sich in den Entscheidungsgründen zu einem etwaigen Anspruch auf Mehrarbeit gemäß § 76 Abs. 2 L[X.]G [X.][X.] verhalten. Angesichts des im Tatbestand des [X.]erufungsurteils sinngemäß wiedergegebenen [X.] - 'die [X.]eklagte zu verurteilen, für die vom Kläger im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2011 geleistete Mehrarbeit über die 48. wöchentliche Dienststunde hinaus an den Kläger 16 147,20 € zu zahlen', wird das Oberverwaltungsgericht im zurückverwiesenen Verfahren zu prüfen haben, ob dem Kläger ggf. Vergütungsansprüche wegen geleisteter Mehrarbeit zustehen. Mit dem vorliegenden Urteil verneint der [X.] abschließend allein vom Kläger geltend gemachte und vom [X.]erufungsgericht ausgeurteilte Ansprüche aus Zuvielarbeit im Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis zum 31. Dezember 2010."

9

Soweit mit der Anhörungsrüge darüber hinaus geltend gemacht wird, der [X.] habe das rechtliche Gehör verletzt, weil er für den Kläger auch hinsichtlich der Frage der Ausgleichsansprüche wegen Zuvielarbeit überraschend entschieden habe, ist sie ebenfalls zurückzuweisen. Es kommt zwar im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. Mai 1991 - 1 [X.]vR 1383/90 - [X.]E 84, 188 <190>). Hier verkennt der Kläger indes abermals, dass das Revisionsgericht lediglich zu einer anderen als der von ihm vertretenen Rechtsauffassung gelangt ist und deshalb die Klage teilweise abgewiesen hat. Darin liegt kein Gehörsverstoß.

Die vom Kläger in der Sache angegriffene [X.]srechtsprechung zur Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen wegen Zuvielarbeit kann ihn zudem schon deshalb nicht überrascht haben, weil der [X.] bereits lange vor Zulassung der Revision im vorliegenden Verfahren - 2 C 36.16 - ([X.]eschluss vom 27. September 2015 - 2 [X.] 84.15 -) durch Urteil vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - ([X.]VerwGE 143, 381 Rn. 26 f. ) entschieden hat, dass Ausgleichsansprüche für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit auf die ab dem Folgemonat der erstmaligen Geltendmachung geleisteten Zuvielarbeit begrenzt sind. Der [X.] hat diese Rechtsprechung in der Folgezeit fortentwickelt (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 17. September 2015 - 2 C 26.14 - [X.] 232.0 § 87 [X.] 2009 Nr. 1 Rn. 26 f. , vom 17. November 2016 - 2 C 23.15 - [X.]VerwGE 156, 262 Rn. 29 und vom 6. April 2017 - 2 C 11.16 - NVwZ 2017, 1627 Rn. 39 ). Auf diese Rechtsprechung hat der [X.]svorsitzende zudem während der mündlichen Verhandlung des Revisionsverfahrens am 20. Juli 2017 hingewiesen. Aufgrund all dessen musste jeder Verfahrensbeteiligte in seine rechtlichen Überlegungen einbeziehen, dass der streitgegenständliche Anspruch wegen Zuvielarbeit (teilweise) an diesem Erfordernis scheitern könnte.

2. Schließlich ändert auch die vom Kläger hilfsweise erhobene Gegenvorstellung nichts an dem Ergebnis. Es kann dahinstehen, ob die Gegenvorstellung, soweit sich der Kläger damit gegen die teilweise Abweisung und Zurückverweisung seiner Klage durch das angegriffene Revisionsurteil wendet, deshalb unzulässig ist, weil der Gesetzgeber mit der Schaffung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zum Ausdruck gebracht hat, dass daneben die nicht geregelte Gegenvorstellung nicht mehr zuzulassen ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. Februar 2017 - 5 [X.] 56.16 - juris Rn. 2 und vom 25. August 2014 - 5 [X.] 24.14 - juris Rn. 2 m.w.N.) oder sie jedenfalls deshalb nicht statthaft und damit unzulässig ist, weil die Gegenvorstellung die gleiche Zielrichtung wie die Anhörungsrüge verfolgt (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. Januar 2017 - 5 [X.] 77.16 - juris Rn. 9 m.w.N.). Denn die Gegenvorstellung hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil der Vortrag des [X.] aus den obigen Gründen keinen Anlass zur Korrektur und Aufhebung des angegriffenen Revisionsurteils gibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

2 C 37/17, 2 C 37/17 (2 C 36/16)

08.03.2018

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 18. Juni 2015, Az: OVG 6 B 32.15, Urteil

§ 76 Abs 2 S 3 BG BB, § 137 Abs 2 VwGO, § 152a VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.03.2018, Az. 2 C 37/17, 2 C 37/17 (2 C 36/16) (REWIS RS 2018, 12642)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12642

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 C 61/17, 2 C 61/17 (2 C 33/16) (Bundesverwaltungsgericht)

Anhörungsrüge; Begrenzung von Ausgleichsansprüchen wegen unionrechtswidriger Zuvielarbeit durch den Grundsatz der vorherigen Geltendmachung


2 C 64/17, 2 C 64/17 (2 C 43/16) (Bundesverwaltungsgericht)


2 C 62/17, 2 C 62/17 (2 C 35/16) (Bundesverwaltungsgericht)


2 C 63/17, 2 C 63/17 (2 C 42/16), 2 PKH 10/17, 2 PKH 10/17 (Bundesverwaltungsgericht)


2 C 70/11 (Bundesverwaltungsgericht)

Berliner Feuerwehr; Geldentschädigung für Feuerwehrbeamte für rechtswidrig abverlangten Dienst; unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch; beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch; Verjährungsfrist


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 3068/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.