Bundespatentgericht, Beschluss vom 16.01.2018, Az. 29 W (pat) 532/16

29. Senat | REWIS RS 2018, 15577

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "W¡R" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltebedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2015 107 693.0

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] am 16. Januar 2018 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin [X.] sowie der Richterinnen [X.] und Seyfarth

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.] vom 30. Mai 2016 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Bezeichnung

2

[X.]¡R

3

ist am 9. November 2015 zur Eintragung als [X.]ortmarke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für nachfolgende [X.]aren und Dienstleistungen angemeldet worden:

4

Klasse 35: [X.]erbung, Marketing und Verkaufsförderung; Kaufmännische Dienstleistungen und Verbraucherinformationsdienste, nämlich Auktions- und Versteigerungsdienste, Vermietung von Verkaufsautomaten, Vermittlungsdienstleistungen, Organisieren von Geschäftskontakten, Sammeleinkaufsdienste, kaufmännische Bewertungsdienste, Vorbereitung von [X.]ettbewerben, Agenturgeschäfte, Import- und Exportdienste, Verhandlungs- und Vermittlungsdienste, [X.], Preisvergleichsdienste, Beschaffungsdienste für Dritte, [X.], Einzel- und Großhandelsdienstleistungen in Bezug auf chemische Erzeugnisse, Anstrichmittel, [X.], Kosmetikwaren und Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe, [X.]aren des Gesundheitssektors, Maschinen, [X.]erkzeuge und Metallwaren, Bauartikel, [X.] und Gartenartikel, Ho[X.]ybedarf und Bastelbedarf, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Uhren und Schmuckwaren, Musikinstrumente, Druckereierzeugnisse, Papierwaren und Schreibwaren, Büroartikel, Täschnerwaren und Sattlerwaren, Einrichtungswaren und Dekorationswaren, Zelte, Planen, Bekleidungsartikel, Schuhe und Textilwaren, Spielwaren, Sportwaren, Lebensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Erzeugnisse, gartenwirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Tabakwaren und sonstige Genussmittel; Hilfe in Geschäftsangelegenheiten, Geschäftsführung und administrative Dienstleistungen; betriebswirtschaftliche Analyse-, Recherche- und Informationsdienstleistungen; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten;

5

Klasse 38: Telekommunikationsdienste; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten;

6

Klasse 42: IT-Dienstleistungen, nämlich Entwicklung, Programmierung und Implementierung von Software, Entwicklung von Computerhardware, Hosting -Dienste, Software as a Service [SaaS] und Vermietung von Software, Vermietung von Computerhardware und -anlagen, IT- Beratungs-, Auskunfts- und Informationsdienstleistungen, IT-Sicherheits-, Schutz- und -Instandsetzungsdienste, Datenvervielfältigungs- und -konvertierungsdienste, Datenkodierungsdienste, Computeranalyse und -diagnostik, Forschung und Entwicklung sowie Implementierung von Computern und Computersystemen, [X.], Datamining, digitale [X.]asserzeichen, Computerdienste, technologische Dienste im Bezug auf Computer, Computernetzwerkdienste, Aktualisierung der Speicherbanken von Computersystemen, Datenmigrationsdienste, Aktualisierung von [X.]ebsites für Dritte, Überwachung von Computersystemen durch Fernzugriff; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen; Prüfung, Authentifizierung und Qualitätskontrolle; [X.]; Verleih, Vermietung und Verpachtung von Gegenständen in Zusammenhang mit der Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten; Beratung und Information in Bezug auf vorgenannte Dienstleistungen, soweit in dieser Klasse enthalten.

7

Mit Beschluss vom 30. Mai 2016 hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie auf ihren Beanstandungsbescheid vom 28. Januar 2016 verwiesen, zu dem der Anmelder keine Stellungnahme abgegeben hat. In dem Bescheid ist ausgeführt, dass dem Anmeldezeichen für alle beanspruchten Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] fehle. Bei dem um 180 Grad gedrehten Ausrufezeichen handle es sich um ein werbeübliches Gestaltungsmittel, so dass das angemeldete Zeichen „[X.]¡R“ vom Verkehr mühelos als „[X.]“ gelesen und verstanden werde. Bei diesem Personalpronomen handele es sich um eine lediglich werbende Anpreisung, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und die Aufmerksamkeit des Publikums erregen bzw. zur Inanspruchnahme der Dienstleistungen animieren solle. Angesichts der [X.] „[X.]“ und seiner häufigen Ver[X.]dung in der [X.]erbesprache und vor allem wegen der überragenden [X.] Funktion dieses [X.]ortes sei es nicht schutzfähig. Der angesprochene Verkehr werde der Bezeichnung infolge des im Vordergrund stehenden beschreibenden [X.] einen betriebsindividualisierenden Herkunftshinweis auf einen bestimmten Anbieter nicht entnehmen können.

8

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders, mit der er sinngemäß beantragt,

9

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.]s vom 30. Mai 2016 aufzuheben.

Der Anmelder hat seine Beschwerde nicht begründet.

[X.]egen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die nach §§ 66, 64 Abs. 6 [X.] zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

[X.]¡R als Marke stehen hinsichtlich der beanspruchten Dienstleistungen keine absoluten Schutzhindernisse gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] entgegen.

[X.]¡R“ kommt für die beanspruchten Dienstleistungen die erforderliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zu.

1. Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden [X.]aren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese [X.]aren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet ([X.] [X.] 2010, 228 Rn. 33 – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] 2008, 608 Rn. 66 f. – [X.]; [X.] [X.] 2016, 934 Rn. 9 – [X.]; [X.], 173 Rn. 15 – for you; [X.] 2013, 731 Rn. 11 – [X.]; [X.] 2012, 1143 Rn. 7 – [X.]). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten [X.]aren und Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] a. a. [X.] – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] a. a. [X.] – [X.]; a. a. [X.] – for you). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] a. a. [X.] – [X.]; a. a. [X.] – for you). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke ver[X.]detes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] [X.] 2004, 428 Rn. 53 – [X.]; [X.] a. a. [X.] Rn. 10 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 16 - for you; [X.] [X.] 2001, 1151 – marktfrisch; [X.] 2000, 420 – RATIONAL SOFT[X.]ARE CORPORATION).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt ([X.] [X.] 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten [X.]aren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die [X.]ahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen [X.]aren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] [X.] 2006, 411 Rn. 24 - Matratzen Concord/[X.]; [X.] 2004, 943 Rn. 24 – SAT 2; [X.] [X.]RP 2014, 449 Rn. 11 – grill meister).

Ausgehend hiervon besitzen [X.]ortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, [X.]n ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen ([X.] [X.] 2004, 674, Rn. 86 – Postkantoor; [X.] [X.] 2012, 1143 Rn. 9 – [X.]; [X.] 2012, 270 Rn. 11 – Link economy) oder die Zeichen sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten [X.]aren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen ([X.] [X.] 2014, 1204 Rn. 16 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 16 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 23 – TOOOR!).

Ferner kommt die Eignung, [X.]aren oder Dienstleistungen ihrer Herkunft nach zu unterscheiden, solchen Angaben nicht zu, die aus gebräuchlichen [X.]örtern oder [X.]endungen der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr - etwa auch wegen einer entsprechenden Ver[X.]dung in der [X.]erbung - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.] [X.] 2016, 934 Rn. 12 – [X.]; [X.] 2014, 872 Rn. 21 – [X.]; [X.] 2014, 569 Rn. 26 – [X.]; [X.] 2012, 1143 Rn. 9 – [X.]; [X.] 2012, 270 Rn. 11 – Link economy; [X.] 2010, 640 Rn. 13 – hey!; [X.] 2009, 952 Rn. 10 – DeutschlandCard).

[X.]¡R. Selbst [X.]n das hier relevante Publikum das Zeichen ohne weiteres mit dem Personalpronomen „wir“ – gegebenenfalls mit verstärkter Aussagekraft im Sinne von „[X.]!“ – gleichsetzen wird, wie es die Markenstelle angenommen hat, beinhaltet es in dieser Bedeutung aber weder eine [X.] noch kann festgestellt werden, dass das Zeichen von den angesprochenen Verkehrskreisen stets nur als [X.]erbeaussage ohne Unterscheidungskraft aufgefasst wird.

a) Angesprochene Verkehrskreise sind hier je nach konkreter Dienstleistung der Fachverkehr, so beispielsweise im Bereich der Dienstleistungen der Klasse 35 und 42 ein unternehmerisch tätiges Publikum (in Klasse 35 z. B. „[X.]erbung; Marketing; betriebswirtschaftliche Analyse-, Recherche- und Informationsdienstleistungen; Geschäftsführung“ oder in Klasse 42 z. B. die speziell genannten IT-Dienstleistungen „Aktualisierung von [X.]ebsites für Dritte; Datamining“ wie auch die [X.]) und teilweise im Bereich der Dienstleistungen der Klasse 42 insbesondere technisch und technologisch geschultes Personal (z. B. „wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen“). Ein Teil der maßgeblichen Dienstleistungen richtet sich aber auch an den Endverbraucher (z. B. die Handelsdienstleistungen und Verbraucherinformationsdienste der Klasse 35, die Telekommunikation der Klasse 38 und die [X.], [X.] der Klasse 42).

b) Das verfahrensgegenständliche Zeichen setzt sich zusammen aus dem Großbuchstaben „[X.]“, dem umgedrehten Ausrufezeichen „¡“ und dem Großbuchstaben „R“. Es ist zutreffend als [X.]ortmarke im Sinne von § 7 [X.] angemeldet und erfasst worden, denn die vom [X.] ver[X.]dete Druckschrift „[X.]“ umfasst neben allen Buchstaben (groß oder klein geschrieben) und Zahlen auch übliche Schriftzeichen. Zu diesen ver[X.]dbaren Schriftzeichen zählt das umgedrehte Ausrufungszeichen (vgl. die unter www.dpma.de bekannt gegebene Liste der als [X.]ortmarke ver[X.]dbaren Zeichen).

c) Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass das angesprochene Publikum das umgedrehte Ausrufezeichen ohne analysierende Betrachtung und gedankliche Zwischenschritte zwanglos als Ersetzung des Buchstaben „I/i“ lesen und damit als „[X.]“ oder „[X.]iR“ auffassen wird.

aa) Ein Ausrufezeichen ist ein Satzzeichen, das nach [X.], [X.]unsch- und Aufforderungssätzen sowie nach [X.] und nach bedingten indirekten Fragen steht (vg. [X.] unter www.duden.de). Im [X.] existiert das Ausrufezeichen, das hier „signo de exclamación“, jedoch manchmal auch „signo de admiración“ („Bewunderungszeichen“) genannt wird, in zwei Formen. Neben dem auch in anderen Sprachen üblichen, einen Satz abschließenden Zeichen „!“ gibt es das – im verfahrensgegenständlichen Anmeldezeichen ver[X.]dete – öffnende Ausrufezeichen „¡“, das betonten Sätzen oder [X.]örtern vorangestellt wird. Die Hervorhebung einer Aussage durch ein Ausrufezeichen ist auch in der [X.]erbung ein häufig ver[X.]detes Stil- und Gestaltungsmittel. Mittlerweile wird es u. a. in der [X.] inflationär ver[X.]det (vgl. Artikel „[X.] überzeichnet“ in Süddeutsche Zeitung-Magazin Heft 21/2014 unter „sz-magazin.[X.]“ sowie [X.] „Lasst! Sie!! [X.]eg!!!“ aus der [X.] vom 02.03.2016 unter „[X.]). Die grammatikalisch richtige Ver[X.]dung spielt dabei keine Rolle. Vielmehr wirkt das Ausrufezeichen unabhängig davon, an welcher Stelle es angeordnet ist, als Hinweis darauf, wie wichtig die Aussage ist; es dient dazu, den Inhalt der [X.]ortfolge oder des vorangehenden [X.]ortes werbemäßig hervorzuheben bzw. dessen Aussage besonders zu unterstreichen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 25.03.2014, 29 [X.] (pat) 34/12 - [X.]! Ein Land in Bewegung; Beschluss vom 28.02.2012, 27 [X.] (pat) 22/11 – [X.] [X.]!; Beschluss vom 27.11.2012, 27 [X.] (pat) 89/11 – ! Solid; Beschluss vom 21.05.2010, 27 [X.] (pat) 530/10 – [X.]). Ferner ist es als bloßes Gestaltungsmittel, z. B. als sog. „Eyecatcher“ werbeüblich (vgl. [X.], Beschluss vom [X.], 27 [X.] (pat) 46/09 – LIVE![X.]; Beschluss vom 13.09.2006, 29 [X.] (pat) 68/04 – [X.] pur EINFACH! KOCHEN) wie auch als Ersetzung des Buchstaben „I/i“ (vgl. z. B. [X.]erbeaussage „[X.]!R S!ND DABE!“ unter www.bw-stiftung.de).

Angesichts des umfangreichen und vielfältigen Einsatzes des Ausrufezeichens in der [X.]erbung geht der Senat davon aus, dass die hier angesprochenen Verkehrskreise auch das umgedrehte Ausrufezeichen als Ersatz für den Buchstaben „I/i“ und damit als werbliches Hervorhebungsmittel verstehen werden. Dies zum einen auch deshalb, weil das um 180 Grad gedrehte Ausrufungszeichen dem Kleinbuchstaben „i“ schriftbildlich sehr ähnlich ist und daher in dem Begriff „[X.]iR“ nur etwas nach unten verrutscht wirkt. Zum anderen ist die Ersetzung von Buchstaben durch andere Zeichen durchaus üblich, so z. B. die Ersetzung von [X.] Begriffen durch klangidentische oder -ähnliche Zahlen („4“ für „for“, „2“ für „to“) oder auch im [X.] das Ersetzen von Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern oder Sonderzeichen, sog. Leetspeak (auch [X.]; von [X.] elite, „Elite; vgl. hierzu [X.] Online Enzyklopädie unter www.wikipedia.de). Letztlich braucht die Frage, ob es sich tatsächlich bei der Ver[X.]dung dieses Schriftzeichens um ein werbeübliches - und damit nicht schutzbegründendes - Gestaltungsmittel handelt, nicht abschließend beurteilt werden. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob ein relevanter Teil des Verkehrs nicht auch die Bedeutung des ver[X.]deten Sonderzeichen als Semikolon „;“ in Betracht ziehen wird und daher das Zeichen im Sinne zweier durch einen [X.] getrennte Buchstaben wie „[X.] ; R“ auffasst.

Denn ungeachtet der Lesart des Zeichens als „[X.]“, „[X.]iR“ oder „[X.] ; R“ kann dem Zeichen die Schutzfähigkeit nicht abgesprochen werden.

[X.]) Erfasst der angesprochene Verkehr das Anmeldezeichen als Personalpronomen „[X.]“ bzw. „[X.]ir“ (was am naheliegendsten erscheint), so ist es in Alleinstellung in Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen nicht beschreibend und unterscheidungskräftig, weil die Aussage zu vage ist.

Bei der Bezeichnung „[X.]“ handelt es sich um ein Personalpronomen der 1. Person Plural. Es kann für mehrere Personen stehen, zu denen die eigene ebenfalls dazugehört. Zusätzlich wird es auch in vertraulicher Anrede, beispielsweise gegenüber Kindern oder Patienten ver[X.]det (vg. [X.] unter www.duden.de). Das [X.]ort „[X.]“ vermittelt somit Zusammenhalt oder das Vorhandensein einer Gemeinschaft, aber auch eine gewisse Vertraulichkeit gegenüber dem Angesprochenen.

Dass das Personalpronomen „[X.]“ - auch in der hier konkreten Schreibweise - als im Vordergrund stehende beschreibende [X.] anzusehen ist, kann nicht festgestellt werden. [X.]elchen beschreibenden Inhalt „[X.]¡R“ bzw. „[X.]“ haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen und hat die Markenstelle auch nicht konkret erläutert. Das Personalpronomen ist weder eine Angabe über Gegenstand, Inhalt oder Bestimmung der hier beanspruchten Dienstleistungen noch steht es sonst in einem engen beschreibenden Bezug hierzu.

Ferner handelt es sich bei „[X.]¡R“ nicht um eine werblich-anpreisende [X.] über besondere Eigenschaften oder den Tätigkeitsschwerpunkt der Dienstleistungsanbieter. In der [X.]erbesprache findet das [X.]ort „wir“ zwar umfangreich Ver[X.]dung zur Präsentation von [X.]ert-, Eigenschafts-, Tätigkeits- und Umstandsversprechen, allerdings nur in Verbindung mit weiteren Begriffen bzw. eingebunden in konkrete [X.]erbeaussagen (vgl. [X.], [X.]örterbuch der [X.]erbesprache, 1991, S. 375ff. – Stichwort: „wir“). Die Recherche des Senats, unter anderem in „slogans.de“, hat dies bestätigt. Gefunden wurde das persönliche Fürwort „wir“ innerhalb von [X.]ortfolgen, die zusammen eine sinnvolle, sachlich anpreisende Aussage bilden; vgl. Aussagen wie „[X.]ir sind die Auskunft.“; „[X.]ir arbeiten für die Kommunikation.“; „[X.]ir bewegen Menschen.“; „[X.]ir bauen fürs Leben gern.“; „[X.]ir machen Sie internett.“ u. v. m.

Soweit das [X.]ort „[X.]/[X.]ir“ in Alleinstellung – vielfach in grafischer Ausgestaltung und auch als Akronym für eine beschreibende [X.]ortfolge – ermittelt werden konnte, zeigen diese Rechercheergebnisse einen kennzeichenmäßigen bzw. werktitelmäßigen Gebrauch, z. B. „[X.] – [X.] Förderprogramm“; „wir │ Das Magazin für Unternehmerfamilien“; „[X.]! Stiftung pflegender Angehöriger“; „[X.]!R – eine Elternbeilage der Zeitung „Der [X.]“; „wir! [X.]andel durch Innovation in der Region“; „[X.].I.R work and integration for refugees“ etc.

Die Ver[X.]dung des Begriffs „wir“ eingebunden in Slogans rechtfertigt nicht den Schluss, dass der angesprochene Verkehr das Anmeldezeichen in Alleinstellung, also ohne einen konkretisierenden Bezug, als werblich anpreisende [X.] versteht. Vielmehr ist das Anmeldezeichen in Alleinstellung in Bezug zu den hier maßgeblichen Dienstleistungen in seinem Aussagegehalt unklar, weil für den Verkehr nicht eindeutig erkennbar wird, was mit ihm zum Ausdruck gebracht werden soll. Ohne zusätzliche Angaben enthält das angemeldete Zeichen mithin keine beschreibende Aussage über die beanspruchten Dienstleistungen. Die Markenstelle verweist zur Begründung der Schutzunfähigkeit des [X.]ortes „wir“ unter anderem auf die sehr alte [X.]-Entscheidung zur Anmeldung „[X.].I.R Zeitarbeit“ (Beschluss vom 17.07.1996, 29 [X.] (pat) 9/95). Dort ist ausgeführt, dass dem Personalpronomen „[X.]“ die erforderliche Unterscheidungskraft fehle, weil die Verkehrskreise daran gewöhnt seien, einem Personalpronomen in Alleinstellung dann zu begegnen, [X.]n sich aufgrund des Zusammenhangs ergebe, für [X.] das Pronomen stehe; sie vermuteten daher in dem Pronomen nicht zugleich den Namen eines Unternehmens, weshalb dem Fürwort „wir“ nicht die Eignung zukomme, für sich allein auf einen bestimmten Betrieb hinzuweisen. Diesen Ausführungen kann nicht (mehr) gefolgt werden. Denn nach aktueller Rechtsprechung ist Gegenstand der Prüfung im Eintragungsverfahren stets das Zeichen in seiner angemeldeten Form; es dürfen daher bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit keine zusätzlichen Angaben oder sonstigen Ergänzungen – auch im Rahmen eines möglichen Benutzungszusammenhangs – hinzugedacht werden (vgl. [X.] a. a. [X.] Rn. 24,25 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 22, 23 – for you; [X.] 2011, 65 Rn. 10, 17 – Buchstabe T mit Strich; [X.], Beschluss vom 18.08.2017, 29 [X.] (pat) 523/15 – Glanzlicht; Beschluss vom 27.03.2017, 26 [X.] (pat) 522/14 – [X.]; s. auch [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 12. Auflage, § 8 Rn. 36 ff und 134).

cc) Schließlich lässt sich nicht feststellen, dass „[X.]¡R“ bzw. das Personalpronomen „wir“ ein alltägliches [X.]erbeschlagwort bzw. gebräuchliches Signalwort der [X.]erbung ist, das stets nur als [X.]erbung und nicht auch als Unterscheidungsmittel verstanden wird.

Zwar kommt eine werbende Anpreisung nicht nur bei aus mehreren [X.]örtern bestehenden [X.]erbeslogans in Betracht, sondern auch bei einem prägnanten Einzelwort, [X.]n dessen Bedeutung ohne weiteres eine anpreisende [X.]irkung in Bezug auf konkrete [X.]aren oder Dienstleistungen beinhaltet ([X.] a. a. [X.] Rn. 20 – [X.]). Eine ausschließlich anpreisende Bedeutung folgt aber vorliegend nicht bereits daraus, dass bei einer Ver[X.]dung für die in Rede stehenden Dienstleistungen das [X.]ort „[X.]/[X.]ir“ für sich genommen eine positiv besetzte Aussage – nämlich im Sinne einer Verbundenheit – vermittelt. Denn der anpreisende Sinn einer Bezeichnung schließt deren Eignung, als Herkunftshinweis zu wirken, nicht aus (vgl. [X.] [X.] 2014, 872 Rn. 23 – [X.]). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung, dass der Verkehr die Bezeichnung

[X.]ie bereits oben unter [X.]) angesprochen, zeigen die ermittelten Ver[X.]dungsbeispiele von „[X.]ir/[X.]“ in Alleinstellung einen kennzeichenmäßigen bzw. werktitelmäßigen Gebrauch auf. Dies steht aber der Annahme entgegen, dass der Begriff nur im Sinne einer allgemeinen werblichen Anpreisung verstanden werde.

dd) Soweit schließlich das Anmeldezeichen im Sinne der Buchstabenfolgen „[X.]iR“ oder „[X.]“ gelesen werden und damit theoretisch als Abkürzung in Betracht kommen könnte, führt auch dies vorliegend nicht zur Schutzunfähigkeit.

Die Buchstabenfolge „[X.]iR“ steht für die Begriffe „[X.]irtschaftsrat“, „[X.]irtschaftsrecht“ oder „[X.]issenschaftsrat“ (vgl. unter „[X.]“); die Buchstabenfolge in Großbuchstaben „[X.]“ ist erfasst u. a. für „[X.]orld Investment Report“ und „[X.]iring“ sowie für „[X.]erbung im [X.]“ und „[X.]ichtungsregister“ (vgl. www.abkuerzungen.de und Peter [X.]ennrich, Internationales Verzeichnis der Abkürzungen und Akronyme der Elektronik, Elektrotechnik, Computertechnik und Informationsverarbeitung). Eine im Vordergrund stehende beschreibende [X.] ergibt sich aus diesen Einträgen in [X.] aber nicht.

Denn eine Abkürzung ist nur dann nicht schutzfähig, [X.]n sie im Verkehr als solche gebräuchlich oder aus sich heraus verständlich ist sowie von den beteiligten Verkehrskreisen ohne weiteres der betreffenden Sachangabe gleichgesetzt und insoweit verstanden werden kann (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 224, 226, 227). Zu berücksichtigen ist ferner, dass der inländische Verkehr, der Kennzeichen regelmäßig in der Gesamtform aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten, erfahrungsgemäß [X.]ig geneigt ist, sie begrifflich näher zu analysieren, um beschreibende Bedeutungen herauslesen zu können (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 155). Eine schwerpunktmäßige oder einheitliche Ver[X.]dung der Abkürzungen „[X.]iR“ bzw. „[X.]“ für eine bestimmte (Sach)Aussage ist in den hier maßgeblichen Dienstleistungsbereichen aber nicht festzustellen. Es kann daher – erst recht angesichts der konkreten Schreibweise mit dem umgedrehten Ausrufezeichen – nicht ernsthaft von einem im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt bzw. einer feststehenden beschreibenden Abkürzung ausgegangen werden. Schließlich ergibt sich auch in der Lesart „[X.] ; R“ kein beschreibender Aussagegehalt.

Dem Anmeldezeichen kann nach alledem die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis nicht abgesprochen werden.

B) Da das angemeldete [X.]ortzeichen keinen unmittelbar beschreibenden Begriffsinhalt in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen hat, besteht auch kein Freihaltungsbedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Meta

29 W (pat) 532/16

16.01.2018

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 16.01.2018, Az. 29 W (pat) 532/16 (REWIS RS 2018, 15577)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15577

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