Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.08.2023, Az. 1 StR 125/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5461

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Gegenstand

Steuerhinterziehung bei Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln; Einziehung des Wertes der Taterträge


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 23. August 2022 wird

a) das Verfahren, soweit es ihn betrifft, hinsichtlich des Vorwurfs der Steuerhinterziehung in 32 Fällen, wovon es in vier Fällen beim Versuch blieb, eingestellt (Ziffer [X.]) der Urteilsgründe); insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen dieses Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) das Urteil

aa) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass dieser Angeklagte des Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter Verstoß gegen die [X.] in zwei Fällen schuldig ist,

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist, sowie

cc) in der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen auf 3.176.307,06 € herabgesetzt; im Übrigen wird von einer Einziehungsanordnung abgesehen.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Entscheidung über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter Verstoß gegen die [X.] in zwei Fällen (§ 95 Abs. 1 Nr. 4, § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 [X.], § 53 StGB) sowie wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen, wovon es in vier Fällen beim Versuch blieb (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 [X.], §§ 22, 23, 53 StGB), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe von 3.676.282,06 €, teilweise gesamtschuldnerisch, angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

2

1. Der [X.] stellt das Verfahren, soweit es sich gegen den Angeklagten [X.]richtet, auf Antrag des [X.] hinsichtlich des Vorwurfs der Steuerhinterziehung in 32 Fällen, davon in vier Fällen versucht (Ziffer [X.]) der Urteilsgründe), gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen ein. In diesen Fällen (Hinterziehung von Umsatz- und Gewerbesteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]), begangen zugunsten des Einzelunternehmens des Angeklagten und einer zusammen mit einem nicht revidierenden Mitangeklagten betriebenen oHG, tragen die Urteilsfeststellungen die vorbezeichnete Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht.

3

a) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe alle äußeren und inneren Tatsachen so vollständig angeben, dass darin die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands erkannt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 1989 – 3 StR 55/89, [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 4). Bei der Blankettstrafnorm des § 370 [X.], die erst zusammen mit den sie ausfüllenden steuerrechtlichen Vorschriften die maßgebliche Strafvorschrift bildet, muss sich deshalb aus den Feststellungen ergeben, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (st. Rspr.; etwa [X.], Beschlüsse vom 15. Dezember 2022 – 1 StR 295/22 Rn. 19; vom 4. November 2021 – 1 [X.] Rn. 12; vom 21. Mai 2019 – 1 [X.] Rn. 8 und vom 6. Juli 2018 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 14; Urteil vom 12. Mai 2009 – 1 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 12; jew. [X.]).

4

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil in den Fällen unter Ziffer [X.]) der Urteilsgründe nicht gerecht.

5

aa) Im Hinblick auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2017 bis 2020 und der Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis September 2021 (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) belegen die Urteilsfeststellungen die Steuerbarkeit der Umsätze (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) in [X.] nicht mit der für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit. Das [X.] hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte die über seinen Onlinehandel vertriebenen Potenzmittel ausschließlich an private Kunden in [X.] verkaufte und lieferte; dies lässt sich auch den im Urteil enthaltenen Tabellen nicht zweifelsfrei entnehmen. In Anbetracht des festgestellten Handelsvolumens ist weiter nicht auszuschließen, dass die Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 UStG i.d.F. vom 21. Februar 2005 (nachfolgend: aF) in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] jeweils überschritten wurde (vgl. dazu [X.], Urteil vom 14. Oktober 2020 – 1 [X.] Rn. 12 ff. [X.]). Dies lässt die Möglichkeit offen, dass die dortige Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen und im Bestimmungsland abzuführen war. Die unterlassene Erklärung von Umsätzen in einem anderen Mitgliedstaat, in dem die Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 2 UStG aF überschritten wurde, wäre ein weiterer Gesetzesverstoß (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2, Abs. 7 [X.]), der wegen des unterschiedlichen Erklärungsadressaten nicht von dem Verfahrensgegenstand umfasst ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. Oktober 2020 – 1 [X.] Rn. 15 [X.]).

6

bb) [X.] genügen auch hinsichtlich der Verurteilung wegen (versuchter) Gewerbesteuerhinterziehung für die Jahre 2017 bis 2019 gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] den an sie zu stellenden Anforderungen nicht. Denn – ungeachtet der auch im Übrigen nicht beanstandungsfreien Darstellung der Besteuerungsgrundlagen (vgl. dazu etwa [X.], Beschluss vom 13. Juni 2023 – 1 StR 53/23 Rn. 9 [X.]) – hat das [X.] bei der Gewinnermittlung versäumt zu prüfen, ob diese nach § 4 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 EStG durchzuführen ist. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG setzt keine Buchführungspflicht voraus und stellt den Regelfall dar. Sie findet Anwendung, wenn der Steuerpflichtige keine (wirksame) Wahl für die Gewinnermittlungsart nach § 4 Abs. 1 oder § 4 Abs. 3 EStG getroffen hat (vgl. [X.], Urteil vom 5. November 2015 – [X.], [X.]E 252, 304 Rn. 20; [X.], Beschluss vom 22. März 2023 – 1 StR 361/22 Rn. 35).

7

cc) Der Umfang der für hinreichende Feststellungen erforderlichen weiteren Aufklärung des Sachverhalts rechtfertigt aus Gründen der Verfahrensökonomie und zur Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der [X.] Verurteilung wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter Verstoß gegen die [X.] in zwei Fällen, die [X.] des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO.

8

2. Die [X.] des Verfahrens hat in Bezug auf den Angeklagten [X.] die Änderung des Schuldspruchs, den Wegfall der hiervon betroffenen [X.] sowie die Aufhebung der Gesamtstrafe zur Folge. Der [X.] wendet § 354 Abs. 1b StPO entsprechend an, der die Möglichkeit eröffnet, das Tatgericht auf eine Entscheidung im [X.] nach §§ 460, 462 StPO zu verweisen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. Januar 2022 – 6 [X.] Rn. 6 [X.] und vom 3. März 2020 – 5 StR 595/19 Rn. 4). Diesem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.

9

3. Bereits die [X.] entzieht zudem der Einziehung der jeweilig angenommenen Steuerersparnis die Grundlage. Hinsichtlich dieses Teilbetrages von 499.975 € (vgl. [X.]) sieht der [X.] zusätzlich nach § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO mit Zustimmung des [X.] von einer Einziehung ab. Soweit das [X.] die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten angeordnet hat, bleibt diese von der Beschränkung unberührt.

4. Hingegen lassen die Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in zwei Fällen und die hierauf fußende Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler erkennen. Bei der Bestimmung des Einziehungsumfangs (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hat das [X.] insbesondere zutreffend gemäß § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB davon abgesehen, die für den Vertrieb der verschreibungspflichtigen Potenzmittel angefallenen Aufwendungen (etwa für Beschaffung, Einfuhr und Lagerung) in Abzug zu bringen. Was bewusst in Verbotenes investiert wird, ist unwiederbringlich verloren (BT-Drucks. 18/11640, S. 79 [zur ratio des Abzugsverbots nach § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB]). So liegt es hier, denn für Potenzmittel wie die verfahrensgegenständlichen, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen (§ 95 Abs. 1 Nr. 4, § 43 Abs. 1, § 48 [X.] zu § 1 Abs. 1 AMVV), besteht außerhalb der Apotheken ein Handelsverbot. Sie sind nicht verkehrsfähig; ein Abzug von Aufwendungen kommt gemäß § 73d Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StGB nicht in Betracht (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 2020 – 1 StR 261/19, [X.]R StGB § 73d Abs. 1 Satz 2 Abzugsverbot 2 Rn. 3). Der abzuschöpfende Wert der [X.] ist mit der Summe von insgesamt 3.176.307,06 € ([X.]      : 2.022.250,32 €, [X.]    : 1.109.218,94 €, [X.]    : 44.837,80 €) demnach zutreffend bestimmt.

Jäger     

  

Bär     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 125/23

09.08.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 23. August 2022, Az: 21 KLs 8/22

§ 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 267 Abs 1 StPO, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 73d Abs 1 S 2 StGB, § 4 Abs 1 EStG, § 4 Abs 3 EStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.08.2023, Az. 1 StR 125/23 (REWIS RS 2023, 5461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5461

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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