Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2016, Az. AK 1/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16948

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:280116BAK1.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 1/16
vom
28. Januar 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 28. Januar 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
Der Angeschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrich-ters des [X.] vom 29.
Mai 2015 -
6 [X.] -
am 18. Juli 2015 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe unter dem Decknamen "[X.]

" von Juni 2013 bis Juni 2014 in [X.], [X.] und an anderen Orten als [X.] der "Partiya [X.]" ("[X.]", im Folgenden: [X.]) und ihrer [X.] "[X.] [X.]" ("[X.] in [X.]", im Folgenden: [X.]) in Kenntnis der Ziele, Programmatik und Methoden der Gesamtorganisation eine Führungsfunktion ausgeübt, indem 1
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er den [X.]-Sektor "Mitte" geleitet habe. Dadurch habe er sich an einer Verei-nigung im nicht [X.] Ausland beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§
212 StGB) zu be-gehen (§ 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Das [X.] hat am 6. September 2011 die [X.] zur strafrechtlichen Verfolgung der jeweiligen Verantwortlichen für die in [X.] bestehenden Sektoren der [X.] erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).
Unter dem 30.
November 2015 hat der [X.] beim Bun-desgerichtshof wegen des im Haftbefehl aufgeführten [X.] Anklage ge-gen den Angeschuldigten vor dem [X.] [X.] erhoben.

II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszu-gehen:
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aa) Die [X.] wurde 1978 u.a. von [X.] in der [X.] als [X.] mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die [X.] verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 -
unter dieser Bezeichnung -
die "Koma Civakên [X.]"
("Vereinigte Gemeinschaften [X.]", im Folgenden: [X.]), die auf einen staatsähnlichen "konföderalen" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der [X.], [X.], [X.] und [X.] abzielt und dabei umfangreiche staatliche [X.] beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und [X.].
Die [X.] ist, ebenso wie die [X.], auf die Person von [X.] ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der [X.] etwa über den "Kongra Gele [X.]" ([X.], "Volkskongress [X.]s") und den [X.]-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern [X.] regelmäßig Be-richt über ihre Tätigkeit zu erstatten.
Fester Bestandteil der Strukturen der [X.]/[X.] sind auch die "[X.]" ("[X.]", im Folgenden: [X.]), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorge-nommenen "Selbstverteidigung" einen [X.] als legitimes Mittel. Die [X.] verübten vor allem im Südosten der [X.] mittels Sprengstoff und Waf-fen Anschläge gegen [X.] Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich seit der Aufkündi-gung eines "Waffenstillstands" zum 1. Juni 2004 zu über 100 Anschlägen.

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Für verschiedene Anschläge auch auf zivile Ziele in [X.]n Großstäd-ten und Touristenzentren, die ebenfalls von dem Kommando der [X.] unter-stehenden
Einheiten begangen wurden, übernahmen nicht die [X.], sondern die "Teyrêbazên Azadîya [X.]" ("Freiheitsfalken [X.]s", im [X.]: [X.]) nach außen die Verantwortung. Die [X.]/[X.] bezweckt damit, sich offiziell von diesen Anschlägen distanzieren zu können, um ihren nach außen propagierten "Friedenskurs" nicht in Frage zu stellen, durch den sie sich erhofft, als politischer Ansprechpartner im In-
und Ausland anerkannt zu werden.
Das Präsidium des Exekutivrats der [X.] erklärte, nachdem [X.] aus der Haft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer ge-waltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die [X.] zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der [X.] auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; viel-mehr war mit der Erklärung bereits der Vorbehalt verbunden, dass man im Fall von Angriffen von dem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch machen und Vergeltung üben werde.
Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der [X.] liegen in den von [X.] bevölkerten Gebieten in der [X.], in [X.], im [X.] und im [X.]. Zahlreiche -
auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem [X.]n Staat ausgerichtete -
Aktivitäten be-treibt die [X.] jedoch auch in [X.] und anderen Gebieten [X.]. Dazu bedient sie sich der [X.], die die Vorgaben der [X.]-Führung umzu-setzen hat; sie dient namentlich dazu, die in [X.] lebenden [X.] zu orga-nisieren. Unterhalb der Führungsebene ist [X.] in Sektoren, Gebiete, [X.] und Stadtteile eingeteilt, die jeweils von mindestens einem Führungskader 11
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geleitet werden. Diese Organisationseinheiten stellen der [X.] Finanzmittel be-reit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda.
bb) Der Angeschuldigte war spätestens seit Anfang Juni 2013 als haupt-amtlicher Führungskader mit den typischen Leitungsaufgaben eines Sektorver-antwortlichen
befasst und koordinierte die organisatorischen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten in dem ihm zugeteilten [X.]-Sektor "[X.]", der die Gebiete [X.], [X.], [X.], [X.], [X.]/[X.], [X.] und [X.] umfasst.
Dabei agierte er unter dem parteiinternen Decknamen "[X.]

" und nahm auf die Arbeit der ihm unterstehenden Gebietsverantwortlichen in den von ihm geleiteten Sektor bestimmenden Einfluss. Er stand mit ihnen in regelmäßiger Verbindung, koordinierte ihre Arbeit, gab ihnen Anweisungen und ließ sich über die Entwicklungen in den Gebieten berichten. Er selbst befolgte die von der [X.]führung erteilten Weisungen und war dieser gegenüber berichtspflichtig. Über die wesentlichen Vorgänge in den Gebieten seiner Sektoren informierte er die [X.]führung regelmäßig.
Seit der jährlichen Kaderrotation, die Anfang Juli 2014 in [X.] beschlossen wurde, übt der Angeschuldigte -
soweit ersichtlich -
keine Funktion innerhalb der [X.]/[X.] aus.
b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des vorstehenden Sachver-halts ergibt sich aus einer Vielzahl von sichergestellten Unterlagen, der [X.] zahlreicher Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, öffentlichen Verlautbarungen der Organisationen und zahlreichen Zeugenaussagen. Wegen
der Einzelheiten wird auf die ausführlichen Darlegungen im Haftbefehl des Er-mittlungsrichters des [X.] und in der Anklageschrift des Gene-14
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ralbundesanwalts Bezug genommen. Danach besteht aufgrund der auch in [X.] Ermittlungsverfahren vorliegenden Erkenntnisse der dringende Verdacht, dass die [X.] an die Organisationsstrukturen der [X.]/[X.] angebunden ist (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 14. November 2012 -
AK 32/12, juris Rn. 16 f.).
c) Der Angeschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mit-gliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen stellt die von der [X.] [X.] eine Vereinigung dar, bei der sich der Einzelne entspre-chend den intern bestehenden Regeln unter den [X.] unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen -
indes nicht gegebe-nen -
"Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre weiteren [X.], die [X.] und die [X.], verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§
212 StGB) zu begehen. Für die Anschläge [X.] auch kein Rechtfertigungsgrund nach Völkervertrags-
oder Völkerge-wohnheitsrecht ([X.], Beschluss vom 6.
Mai 2014 -
3 [X.], [X.], 274).
2. Es besteht jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr.
2 StPO). Der Angeschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung eine empfindli-che, einen erheblichen Fluchtanreiz begründende Freiheitsstrafe zu gewärti-gen. Dem stehen keine ausreichend gewichtigen, die Fluchtgefahr für den [X.] Angeschuldigten hemmenden Umstände entgegen. Zudem verfügt der Angeschuldigte nach den Erkenntnissen aus der Überwachung seines [X.] über zahlreiche Auslandskontakte, die ihm eine Flucht erleichtern können.
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Daneben ist der Haftgrund der [X.] gemäß § 112 Abs. 3 StPO gegeben.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschnei-dende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§
116 StPO).
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§
121 Abs.
1 StPO) liegen vor.
Der besondere Umfang des Verfahrens -
die Sachakten umfassen
über 50 Stehordner, die Anklageschrift des [X.]s hat einen Um-fang von über 160 Seiten, das Beweismittelverzeichnis von über 30; in einer möglichen Hauptverhandlung werden zahlreiche Urkunden zu verlesen und überwiegend fremdsprachige Gesprächsprotokolle aus der Überwachung von 17 Telekommunikationsanschlüssen einzuführen sein -
hat ein Urteil innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Angeschuldigte in Untersuchungshaft ge-nommen worden ist, noch nicht zugelassen.
Das Verfahren ist auch mit
der gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden:
In Vorbereitung der Anklageerhebung war hinsichtlich der konkreten Be-tätigungshandlungen des Angeschuldigten aus der Vielzahl der überwachten Telefonate und Textnachrichten zunächst eine Vorauswahl der Gespräche zu treffen, von denen [X.] anzufertigen waren, was mit einem erhebli-chen Übersetzungsaufwand verbunden war. Die am Tag der Festnahme durchgeführte Dursuchung der Wohnung des Angeschuldigten hat eine [X.] von Beweismitteln erbracht, insbesondere umfangreiche schriftliche Unter-lagen in [X.]r Sprache, die zu sichten und ebenfalls zu übersetzen waren. 21
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Daneben ergaben sich aus in einem Notizblock festgehaltenen E-Mail-Adressen mit Passwörtern weitere Ermittlungsansätze, deren Ergebnisse das [X.] mit Vermerk vom 11. November 2015 zur Akte gereicht hat.
Die Anklageschrift des [X.]s ist dem Verteidiger des Angeschuldigten Dr. F.

von der Vorsitzenden des zuständigen 7. Straf-senats des [X.]s [X.] unverzüglich mitgeteilt und ihre Übersetzung für den Angeschuldigten -
mit Fristsetzung zum 11.
Januar 2016 -
in Auftrag gegeben worden. Die vom [X.] bestimmte Erklärungs-frist von einem Monat wird durch die Zustellung der Anklageschrift an den [X.] unmittelbar nach Eingang der Übersetzung in Gang gesetzt und nach Ablauf der Frist über die Eröffnung entschieden werden.
4. [X.] steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§
120 Abs.
1 Satz
1 StPO).
Becker [X.]Gericke

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Meta

AK 1/16

28.01.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2016, Az. AK 1/16 (REWIS RS 2016, 16948)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16948

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3 StR 265/13

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