Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2017, Az. 3 StR 535/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 15308

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:210217B3STR535.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 [X.]/16
vom
21. Februar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln
u.a.

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag
-
am 21.
Februar
2017
gemäß
§
349 Abs. 2
und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen -
ausgenommen diejenigen
zu den [X.], die aufrechterhalten bleiben -
aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen [X.]) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b)
im [X.].
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten von den Vorwürfen des [X.] von Straftaten in drei Fällen und des versuchten Erwerbs von Betäu-bungsmitteln freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und [X.] getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der 1
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Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.
1. Hinsichtlich einer
der drei dem Angeklagten zur Last liegenden Fälle des Vortäuschens von Straftaten (Fall [X.]) [2.
Tat vom 4.
Juni 2015]) hat das [X.] deshalb auf
Freispruch erkannt, weil das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand verwirklicht. Hinsichtlich der weiteren Vorwürfe (Fälle [X.]) [1.
Tat
vom 3.
Juni 2015], b) [Tat vom 17.
Oktober 2015] und c) [Tat vom 3.
Juli 2015]) hat es den Freispruch auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung gestützt, wobei es folgende rechtswidrige Taten festgestellt hat:
Am 3.
Juni und am 17.
Oktober 2015 versandte der Angeklagte per
E-Mail Bombendrohungen an das [X.], die er ernstgenom-men wissen wollte. Der Direktor des Amtsgerichts (3.
Juni 2015) bzw. der [X.] dessen Abwesenheit zuständige Vertreter (17.
Juni 2015) ging allerdings [X.]eils nicht davon aus, dass eine Sprengstoffexplosion oder Ähnliches drohe. Über "pro forma" getroffene Maßnahmen hinaus wurde nichts veranlasst.
Am 3.
Juli 2015 erwarb der Angeklagte in [X.] einen 0,2 g schweren "Krümel", den er für Heroin hielt.
Die festgestellten rechtswidrigen Taten hat das [X.]
zutreffend als Vortäuschen von Straftaten (§
145d Abs.
1 Nr.
2 i.V.m. §
126 Abs.
1 Nr.
6, §
308 StGB) in zwei Fällen und versuchten
Erwerb von Betäubungsmitteln (§
29 Abs.
1
Satz
1
Nr.
1, Abs.
2 BtMG, §§
22, 23 Abs.
1 StGB) gewertet.
2. Die Anordnung der Maßregel nach §
63 StGB (nF) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand; denn das [X.] hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit 2
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-
erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allge-meinheit gefährlich ist.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.]en auf
Grund eines psychi-schen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbege-hung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung
der Persönlich-keit des Täters, seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der [X.] ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den [X.] so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.] vom 24.
Oktober 2013 -
3 [X.], juris Rn.
5; vom 29.
April 2014
-
3 [X.], juris Rn.
5; vom 16.
September 2014 -
3 [X.], juris Rn.
4; vom 21.
Dezember 2016 -
1 [X.], juris Rn.
10 [X.]).
b) Die [X.] ist -
dem Gutachten des psychiatrischen Sachver-ständigen folgend
-
davon ausgegangen, der Angeklagte leide an einer
parano-iden Schizophrenie
in chronifizierter Form, die durch deutliche inhaltliche und formale Denkstörungen sowie durch eine gravierende Beeinträchtigung seiner 7
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5
-
Kritikfähigkeit geprägt sei. Er habe ein ganz eigenes, egozentrisches Verständ-nis von gesellschaftlichen Normen entwickelt, das einem selbstreflexiven Dis-kurs nicht mehr zugänglich sei. So sehe er sich als unrechtmäßig behandeltes Opfer von öffentliche
Aufgaben wahrnehmenden Personen, insbesondere den Richtern des [X.], die gegen ihn eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt und mehrmals präventive landesrechtliche Unter-bringungen in psychiatrischen Einrichtungen angeordnet hatten. Daneben [X.] beim Angeklagten seit vielen Jahren eine Polytoxikomanie.
Die [X.] hat weiter angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten auf
Grund der [X.] Schizophrenie aufgehoben war (§
20 StGB). Die
Taten
beruhten auf krankheitsbedingter Realitätsverkennung. Die Ausprägung des psychotischen Erlebens sei von der symptomprovokativen Wirkung der zuvor konsumierten stimulierenden Betäubungsmittel abhängig gewesen. Motivation für die Taten sei die krankheitsbedingte Überzeugung des Angeklagten gewesen, sich als Justizopfer -
nur noch
-
mit Bombendrohungen wehren zu können und ohne den Drogenkonsum "zu 80 % schwerbehindert"
zu sein (der [X.] sei ihm "gestattet").
Die [X.] hat ferner die Prognose getroffen, dass der Angeklagte "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" weitere rechtswidrige Taten begehen wird, zum einen den [X.]en ähnliche Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohun-gen", zum anderen Warenkredit-
und Leistungsbetrügereien über das
[X.]. Schließlich seien auch Gewalttaten ernsthaft zu befürchten, "die sich am ehes-ten in Form einer direkten einfachen körperlichen Aggression, wie etwa einem Schlag, äußern" könnten.

9
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6
-
c) Diese Begründung trägt die Anordnung der Unterbringung des Ange-klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
Das [X.] hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten zu den [X.] ein länger andauernder,
das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von §
20 StGB erfüllender
psychischer
Defekt bestand, auf dem die Begehung der Taten beruhte und der zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit führ-te. Die im Urteil dargelegte
Gefährlichkeitsprognose hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand:
[X.]) Die vom
[X.] erwarteten,
den [X.]en ähnlichen
Betäu-bungsmitteldelikte und "Bedrohungen" sind nicht erheblich
im Sinne von §
63 Satz
1 StGB. Für den Erwerb von 0,2
g ([X.] versteht sich dies von selbst. Aber auch die vom Angeklagten versandten Bombendrohungen waren nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen. Nach der konkreten Ausgestaltung der E-Mails trug die Ankündigung aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht die naheliegende Gefahr der Verwirklichung in sich (vgl. [X.], Urteil vom 22.
Dezember 2016
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4
StR 359/16, juris Rn.
15;
Beschluss vom 18.
Juli 2013 -
4
StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385, [X.]. [X.]). Vielmehr nahmen der Direktor des [X.] und sein Vertreter die Bombendrohungen gerade nicht ernst. [X.] hat das [X.] daher keine rechtswidrige Tat der Störung des öf-fentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach §
126 Abs.
1 Nr.
6 StGB bejaht. Das künftig anderes zu erwarten wäre, belegen die Feststellungen und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung nicht.
bb) Hinsichtlich der vom [X.] besorgten [X.]betrügereien ge-nügen die Ausführungen unter mehreren Gesichtspunkten nicht den rechtlichen Anforderungen. Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus den [X.] selbst, ordnet das Gericht nach §
63 Satz 2 StGB die Unterbringung in 11
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-
7
-
einem psychiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustan-des in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder
körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird ([X.], Urteil vom 22.
Dezember 2016 -
4
StR 359/16, [X.]O Rn.
14). Solche besonderen [X.] sind hier nicht dargetan. Zu den vom Angeklagten bisher begangenen [X.] fehlen konkrete durch die Beweiswürdigung unterlegte Feststellun-gen. Die pauschale Angabe, der Angeklagte habe in der Vergangenheit in zahl-reichen Fällen im [X.] Waren bestellt und Telefonverträge geschlossen, oh-ne seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist insoweit nicht ausrei-chend. Des Weiteren ist die Gefahr eines schweren wirtschaftlichen Schadens
nicht festgestellt. Hierzu ist lediglich ausgeführt, dass der Betreuer diese Ge-schäfte "im gewissen Maße" habe "eindämmen" können, künftige Schäden al-lerdings "nicht gänzlich verhindert werden" könnten, wobei das Schadensaus-maß "schwer bezifferbar" sei, aber "eine ganz erhebliche Größe annehmen" könne. Schließlich bleibt der symptomatische Zusammenhang zwischen festge-stelltem
psychischen Defekt und zu erwartenden Betrugstaten (s.
Fischer, StGB, 64.
Aufl., §
63 Rn.
14a; MüKoStGB/[X.], 3.
Aufl., §
63 Rn.
56
ff.)
offen. Bei der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bekundeten Vorstellung, er führe ein Wirtschaftsunternehmen, handelt es sich augenschein-lich um ein divergierendes psychotisches Erleben; hierzu verhält sich das Urteil nicht.
cc) Dass der Angeklagte mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades künftig Gewalttaten begehen werde, ist ebenso wenig tragfähig begründet. [X.] mit der allgemein erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefährlichkeitsprognose -
auch unter Berücksichtigung der symptom-provokativen Wirkung von konsumierten Betäubungsmitteln
-
nicht begründet 14
-
8
-
werden (vgl. [X.], Urteil vom 11.
August 2011 -
4 [X.], juris Rn.
15; [X.] vom 7.
Juni 2016 -
4
StR 79/16, [X.], 306, 307); erst recht
können darin keine besonderen Umstände im Sinne von §
63 Satz 2 StGB ge-sehen werden, welche die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelager-ten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BeckOK
StGB/[X.], §
63 Rn.
10).
Soweit das [X.] angeführt
hat, der Angeklagte habe mit den E-Mails "Gewalt-phantasien" geäußert, ist
es nicht darauf eingegangen, auf
Grund welcher [X.] Umstände nunmehr deren Umsetzung wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für das verbal aggressive Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie gegenüber seinem Vater und seinem Betreuer, zumal dazu, dass der Angeklagte "in Bezug auf die Kinder .... (des Betreuers) gedroht" habe, nichts Näheres
mitgeteilt
wird. Soweit das [X.]
darauf abgestellt
hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit "gegenüber anderen Personen ... bereits ver-einzelt körperlich aggressiv geworden"
sei, bleiben
die Ausführungen vage. Zu etwaigen strafrechtlichen Vorverurteilungen des Angeklagten oder wegen Schuldunfähigkeit ergangenen Freisprüchen oder Einstellungen verhält sich das Urteil nicht. Die "Handgreiflichkeiten gegenüber der Mutter"
werden nicht [X.]; weitere individualisierte
Gewalttaten werden nicht benannt. Belege finden sich nicht. Nach alledem ermöglichen es die -
nicht hinreichend tatsa-chenfundierten
-
Ausführungen dem Senat nicht, die vom [X.] getroffe-ne Gefährlichkeitsprognose nachzuvollziehen.
d) Die Anordnung der Maßregel nach §
63 StGB kann daher nicht [X.] bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des §
358 Abs.
2 Satz 2 StPO ist
auch der
Freispruch des Angeklagten in den Fällen [X.]) (1. Tat), b) und c) der Ur-teilsgründe
aufzuheben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5.
August 2014 -
3
StR 271/14, [X.]R StPO §
358 Abs.
2 Satz
2 Freispruch
1; vom 12.
Oktober 2016
-
4 [X.], [X.], 74, 75). Die zu den Tatgeschehen in objektiver 15
-
9
-
und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.
3. Zu den [X.] erweist sich die Revision als un-begründet.

[X.] Schäfer

Spaniol

Berg Hoch

16

Meta

3 StR 535/16

21.02.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.02.2017, Az. 3 StR 535/16 (REWIS RS 2017, 15308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15308

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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