Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.12.2016, Az. VI R 15/16

6. Senat | REWIS RS 2016, 792

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Gegenstand

Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung - Berechnung der Opfergrenze


Leitsatz

Hat der Steuerpflichtige nur einen Teil des Jahres Anspruch auf Freibeträge für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG, Kindergeld oder eine andere Leistung für Kinder (§ 65 EStG), ist dies bei der Berechnung der Opfergrenze durch eine monatsbezogene Kürzung der anzusetzenden kinderbezogenen 5 %-Pauschale zu berücksichtigen .

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. April 2016 2 K 1213/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob bei der [X.]erechnung der Opfergrenze eine monatsbezogene [X.]etrachtungsweise angezeigt ist, wenn der Steuerpflichtige für ein Kind nicht ganzjährig [X.]nspruch auf Kindergeld hat.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr (2011) bezog er Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit in Höhe von 38.002 € und erwirtschafte einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 144 €. Seine Ehefrau bezog keine Einkünfte. Im Haushalt des [X.] leben seine drei Söhne. [X.] (geb. ... 1985) war Student und erhielt [X.]usbildungszuschüsse nach dem [X.] in Höhe von monatlich 218 € bzw. 277 €. [X.] (geb. ... 1985) war Schüler. Er ist behindert. Der Grad der [X.]ehinderung beträgt 70. Im Streitjahr erzielte er [X.]ruttoeinkünfte in Höhe von insgesamt 1.347,24 € aus nichtselbständiger [X.]rbeit. [X.] (geb. ... 1987) erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit in Höhe von 8.335,02 € brutto und bezog für ca. zwei Monate [X.]rbeitslosengeld. [X.]b Oktober 2011 war er an der [X.] immatrikuliert, und der Kläger erhielt Kindergeld für ihn.

3

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Unterhaltsleistungen in Höhe von 16.008 € für [X.] und [X.] als außergewöhnliche [X.]elastung nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der [X.]eklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) ließ nach [X.]nwendung der Opfergrenze nur 9.216 € zum [X.]bzug zu. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das F[X.] zurück.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2016, 1173 veröffentlichten Gründen teilweise statt. Das F[X.] habe die Opfergrenze insoweit fehlerhaft berechnet, als es das Nettoeinkommen des [X.] wegen des Sohnes [X.] um weitere 5 % gekürzt habe, obwohl der Kläger gegenüber diesem Kind nicht ganzjährig, sondern nur drei Monate zu Unterhaltsleistungen verpflichtet gewesen sei. Dieser Umstand sei bei der [X.]erechnung der Opfergrenze durch eine entsprechende Kürzung der hierfür anzusetzenden 5 %-Pauschale --vorliegend um 9/12-- auf 1,25 % zu berücksichtigen.

5

Mit der Revision rügt das F[X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Es beantragt,
das Urteil des [X.] des Saarlandes vom 5. [X.]pril 2016  2 K 1213/13 insoweit aufzuheben, als das [X.] der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Der nicht vertretene Kläger hat keinen [X.]ntrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat bei der Berechnung der Opfergrenze zu Recht eine monatsbezogene Betrachtungsweise angelegt und das verfügbare Nettoeinkommen des Klägers wegen der zeitlich beschränkten Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem [X.] nicht um 5 %, sondern nur um 1,25 % gekürzt.

9

1. Erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen (im Streitjahr) bis zu 8.004 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG).

a) Die von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltsberechtigung richtet sich ebenso nach dem Zivilrecht wie die [X.] (Senatsurteil vom 28. März 2012 VI R 31/11, [X.], 79, [X.], 769). Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind damit diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige unterhaltsverpflichtet ist. Nach der sog. konkreten Betrachtungsweise setzt die Abziehbarkeit von Leistungen des Steuerpflichtigen an dem Grunde nach unterhaltsberechtigte Personen zudem voraus, dass die unterhaltene Person bedürftig ist (§ 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--; Senatsurteil vom 5. Mai 2010 VI R 29/09, [X.], 12, [X.], 116). Darüber hinaus ist § 1603 BGB zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt zu gewähren.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) können daher Unterhaltsaufwendungen im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs verbleiben (sog. Opfergrenze, z.B. Senatsurteile vom 28. April 2016 VI R 21/15, [X.]E 253, 403, [X.], 742, und vom 6. Februar 2014 VI R 34/12, [X.]E 245, 127, [X.], 619; jeweils m.w.N.).

aa) Wo die steuerliche Opfergrenze im Einzelfall liegt, hängt zunächst von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und damit seinem Vermögen ab, Unterhalt zu leisten. [X.] ist insoweit das verfügbare Nettoeinkommen des Steuerpflichtigen (Senatsentscheidungen in [X.]E 253, 403, [X.], 742; in [X.]E 245, 127, [X.], 619, und in [X.], 79, [X.], 769, sowie [X.]-Urteil vom 11. Dezember 1997 III R 214/94, [X.]E 185, 168, [X.] 1998, 292; Schreiben des [X.] --BMF-- vom 7. Juni 2010, [X.], 582, [X.] 9 f.).

bb) Sodann wird bemessen, welcher Anteil des verfügbaren Nettoeinkommens für Unterhaltsleistungen steuererheblich "geopfert" werden kann. Denn die geleisteten Unterhaltsaufwendungen müssen in einem "vernünftigen Verhältnis zu den Einkünften stehen" (BMF-Schreiben in [X.], 582, [X.] 11), d.h. sie dürfen einen bestimmten Prozentsatz des verfügbaren Nettoeinkommens nicht übersteigen. Dieser beträgt 1 % je volle 500 € des verfügbaren Nettoeinkommens, höchstens 50 %, und ist um je 5 % für den (ggf. auch geschiedenen) Ehegatten und für jedes Kind, für das der Steuerpflichtige Anspruch auf Freibeträge für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG, Kindergeld oder eine andere Leistung für Kinder (§ 65 EStG) hat, zu kürzen, höchstens um 25 % (BMF-Schreiben in [X.], 582, [X.] 11).

cc) Für alle in § 33a Abs. 1 und Abs. 2 EStG genannten Beträge kommt abweichend vom Jahressteuerprinzip (§ 2 Abs. 7 Satz 1 EStG) das Monatsprinzip zur Anwendung ([X.]/[X.], EStG, 35. Aufl., § 33a Rz 53; [X.]/[X.], § 33a EStG Rz 402; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 33a EStG Rz 141). Der Höchstbetrag für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen (§ 33a Abs. 1 EStG) und der Freibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG sowie der anrechnungsfreie Betrag nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG ermäßigen sich für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen für die Anwendung der betreffenden Vorschrift nicht vorgelegen haben, um je ein Zwölftel (§ 33a Abs. 3 Satz 1 EStG). Eigene Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person sind nur anzurechnen, soweit sie auf den [X.] entfallen (§ 33a Abs. 3 Satz 2 EStG). Ist in einem Kalenderjahr der Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 EStG oder der Freibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG in unterschiedlicher Höhe anzusetzen, z.B. bei Anwendung der Ländergruppeneinteilung für einen Teil des Kalenderjahres, wird für den Monat, in dem die geänderten Voraussetzungen eintreten, der jeweils höhere Betrag angesetzt (R 33a.3 der Einkommensteuer-Richtlinien 2012). Entsprechendes gilt für den Anspruch auf Freibeträge für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG, Kindergeld oder eine andere Leistung für Kinder (§ 65 EStG). Auch insoweit ist eine dem Monatsprinzip folgende Betrachtungsweise angezeigt (dazu Senatsurteil vom 21. Oktober 2015 VI R 35/14, [X.]/NV 2016, 178). Dieser Wertung des Gesetzgebers ist auch bei der Berechnung der Opfergrenze zu folgen ([X.]-Urteil vom 25. September 1996 III R 102/95, [X.]/NV 1997, 221; [X.]/[X.], § 33a EStG Rz 43). Folglich ist das verfügbare Nettoeinkommen nicht pauschal um 5 % im Jahr für jedes Kind, sondern nur insoweit zu kürzen, als der Steuerpflichtige Anspruch auf Freibeträge für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG, Kindergeld oder eine andere Leistung für Kinder (§ 65 EStG) hat. Denn nur in diesen Fällen geht die Opfergrenzenregelung davon aus, dass der Steuerpflichtige für dieses Kind vorrangig unterhaltsverpflichtet ist und ihm Mittel für den Unterhalt einer nachrangig unterhaltsberechtigten Person deshalb nicht zur Verfügung stehen. Dies steht auch im Einklang mit dem Zivilrecht. Denn der Steuerpflichtige ist in den Monaten, in denen er zivilrechtlich nicht zum Unterhalt verpflichtet ist, in seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nicht gemindert. Daher ist für diese [X.] auch kein Abzug bei der Ermittlung seines zum Unterhalt einsetzbaren Einkommens (Opfergrenze) gerechtfertigt.

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] die Opfergrenze vorliegend zutreffend mit 10.125 € (41,75 % des Nettoeinkommens in Höhe von 24.251 €) beziffert. Das Nettoeinkommen des Klägers war bei der Berechnung der Opfergrenze wegen seines [X.] nicht um 5 %, sondern nur um 1,25 % (5 % × 3/12) zu kürzen. Denn der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) für seinen [X.] nur in der [X.] von Oktober 2011 bis Dezember 2011 kindergeldberechtigt. Damit war die Revision des [X.] als unbegründet zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 15/16

14.12.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 5. April 2016, Az: 2 K 1213/13, Urteil

§ 33a Abs 3 S 1 EStG 2009, § 32 Abs 6 EStG 2009, § 65 EStG 2009, § 2 Abs 7 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.12.2016, Az. VI R 15/16 (REWIS RS 2016, 792)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1567 REWIS RS 2016, 792

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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