Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2016, Az. VI R 21/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 12133

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Gegenstand

(Berechnung nach § 33a EStG abziehbarer Unterhaltsleistungen bei Selbständigen)


Leitsatz

1. Bei Selbständigen und Gewerbetreibenden, deren Einkünfte naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen, ist bei der Ermittlung des Nettoeinkommens regelmäßig ein Dreijahresdurchschnitt zu bilden (Bestätigung des Senatsurteils vom 28. März 2012 VI R 31/11, BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769).

2. Steuerzahlungen sind von dem hiernach zugrunde zu legenden unterhaltsrelevanten Einkommen grundsätzlich in dem Jahr abzuziehen, in dem sie gezahlt wurden (Bestätigung des Senatsurteils in BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769).

3. Führen Steuerzahlungen für mehrere Jahre jedoch zu nicht unerheblichen Verzerrungen des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommens im Streitjahr, sind die im maßgeblichen Dreijahreszeitraum geleisteten durchschnittlichen Steuerzahlungen zu ermitteln und vom "Durchschnittseinkommen" des Streitjahres abzuziehen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. Februar 2015  16 K 10187/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Berechnung der nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbaren Unterhaltsleistungen bei einem Selbständigen, der Steuerzahlungen für mehrere Jahre geleistet hat.

2

Der mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (2012) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 425.642 €. In den Jahren 2010 bis 2012 betrug der Durchschnitt seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit 483.096 €. Daneben erwirtschafteten die Eheleute im Streitjahr noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 4.190 € bzw. 2.934 €. Im Streitjahr leistete der Kläger Zahlungen für Einkommensteuer 2009 (in Höhe von 1.085 €), 2010 (in Höhe von 210.905,31 €), 2011 (in Höhe von 195.059 €) und 2012 (in Höhe von 129.657 €) sowie für Solidaritätszuschlag und Annexsteuern 2009 (in Höhe von 59,67 €), 2010 (in Höhe von 9.974,41 €), 2011 (in Höhe von 10.520,10 €) und 2012 (in Höhe von 7.140 €). Hierfür verwendete er u.a. Bankguthaben in Höhe von 270.288,44 € und 140.696,87 €.

3

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten der Kläger und seine Ehefrau, für Unterhaltsleistungen an die beiden volljährigen Söhne des [X.] und Stiefsöhne der Ehefrau gemäß § 33a Abs. 1 EStG einen Betrag in Höhe von jeweils 8.004 € als außergewöhnliche Belastungen anzusetzen. Die [X.] und B studierten im Streitjahr und wohnten in [X.] bzw. [X.] Nach den Angaben in der Steuererklärung bezogen beide keine eigenen Einkünfte und Bezüge oder öffentlichen Ausbildungshilfen. Des Weiteren lebte der [X.] der Ehefrau und Stiefsohn des [X.] C im Haushalt des [X.] und seiner --insoweit kindergeldberechtigten-- Ehefrau.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte die geltend gemachten Unterhaltsleistungen im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung nicht, weil die sog. Opfergrenze aufgrund der Steuerzahlungen im Streitjahr von insgesamt ca. 564.000 € unterschritten worden sei. Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hingegen statt. Es führte aus, das [X.] habe die Opfergrenze vorliegend fehlerhaft berechnet. Denn es habe außer [X.] gelassen, dass der Kläger zur Abdeckung der Steuerschulden angesparte Mittel in Höhe von etwa 410.000 € eingesetzt habe.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Es beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 19. Februar 2015  16 K 10187/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Während des Revisionsverfahrens ist das [X.] ([X.]) dem Rechtsstreit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) beigetreten.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat die streitigen [X.] des [X.] an seine Söhne A und [X.] im Ergebnis zu Recht als außergewöhnliche [X.]elastungen gemäß § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt.

1. Erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen (im Streitjahr) bis zu 8.004 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG).

a) Die von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltsberechtigung richtet sich ebenso nach dem Zivilrecht wie die [X.] (Senatsurteil vom 28. März 2012 VI R 31/11, [X.]FHE 237, 79, [X.]St[X.]l II 2012, 769; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 33a EStG Rz 42). Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind damit diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige unterhaltsverpflichtet ist. Nach der sog. konkreten [X.]etrachtungsweise setzt die Abziehbarkeit von Leistungen des Steuerpflichtigen an dem Grunde nach unterhaltsberechtigte Personen zudem voraus, dass die unterhaltene Person bedürftig ist (§ 1602 des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs --[X.]G[X.]--; Senatsurteil vom 5. Mai 2010 VI R 29/09, [X.]FHE 230, 12, [X.]St[X.]l II 2011, 116). Darüber hinaus ist § 1603 [X.]G[X.] zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei [X.]erücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt zu gewähren. Dabei kommt es auf das Vermögen und die Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten (sog. Nettoeinkommen) an (Senatsurteil vom 6. Februar 2014 VI R 34/12, [X.]FHE 245, 127, [X.]St[X.]l II 2014, 619). Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs können daher [X.] im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich als außergewöhnliche [X.]elastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur [X.]estreitung des Lebensbedarfs verbleiben (sog. Opfergrenze, vgl. z.[X.]. Senatsurteil in [X.]FHE 245, 127, [X.]St[X.]l II 2014, 619, m.w.[X.]). Dies gilt allerdings nicht für Ehegatten und minderjährige Kinder, mit denen der Steuerpflichtige gemäß § 1603 Abs. 2 [X.]G[X.] alle ihm verfügbaren Mittel teilen muss (Senatsurteil in [X.]FHE 245, 127, [X.]St[X.]l II 2014, 619), sowie bei einer bestehenden [X.] mit der unterhaltenen Person (sozialrechtliche [X.]edarfsgemeinschaft; Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 VI R 64/08, [X.]FHE 227, 491, [X.]St[X.]l II 2010, 343, m.w.[X.]; [X.]MF-Schreiben vom 7. Juni 2010, [X.]St[X.]l I 2010, 582, Tz 12).

b) Im Fall von Selbständigen und Gewerbetreibenden, deren Einkünfte naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen, ist bei der Ermittlung des Nettoeinkommens regelmäßig ein Dreijahresdurchschnitt zu bilden (Senatsurteil in [X.]FHE 237, 79, [X.]St[X.]l II 2012, 769).

c) Steuerzahlungen (einschließlich entsprechender Voraus- und Nachzahlungen) sind von dem hiernach zugrunde zu legenden Einkommen grundsätzlich in dem Jahr abzuziehen, in dem sie geleistet wurden (Senatsurteil in [X.]FHE 237, 79, [X.]St[X.]l II 2012, 769, m.w.[X.]). Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Denn Steuervorauszahlungen, -erstattungen und -nachzahlungen für mehrere Jahre können insbesondere bei Selbständigen und Gewerbetreibenden zu nicht unerheblichen Verzerrungen des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommens im Streitjahr führen. In einem solchen Fall gilt es, das Nettoeinkommen als Grundlage der Unterhaltsbemessung realitätsgerecht zu ermitteln. Das entspricht auch der familienrichterlichen Praxis (z.[X.]. Urteile des [X.]undesgerichtshofs vom 21. September 2011 XII ZR 121/09, [X.] 2011, 3577, und vom 2. Juni 2004 XII ZR 217/01, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2004, 1177; [X.] in [X.]/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl., § 1 Rz 1009 ff.; [X.]/[X.]/Rasch, Handbuch Unterhaltsrecht, 7. Aufl., A. Rz 89, E. Rz 128; Kleffmann/[X.], Unterhaltsrecht, 2. Aufl., Grundlagen der Einkommensermittlung Rz 409 f.; [X.]üte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 3. Aufl., vor § 1361 [X.]G[X.] Rz 35). Deshalb sind in Fällen wie dem vorliegenden, in dem innerhalb eines Jahres die Einkommensteuer für drei zurückliegende Jahre und die Vorauszahlungen für das Streitjahr entrichtet wurden, für die Ermittlung der unterhaltsrelevanten Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sämtliche im maßgeblichen Dreijahreszeitraum geleisteten Steuerzahlungen in den [X.]lick zu nehmen und ein Durchschnittsbetrag zu ermitteln. Dieser ist sodann vom "Durchschnittseinkommen" des Streitjahres in Abzug zu bringen und erst das danach verbleibende Nettoeinkommen der [X.]erechnung der Opfergrenze zugrunde zu legen.

2. Nach diesen Grundsätzen waren die vom Kläger an seine Söhne geleisteten [X.] nach § 33a EStG als außergewöhnliche [X.]elastung zu berücksichtigen. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) waren im Streitjahr die von dem Kläger unterstützten Söhne A und [X.] tatsächlich unterhaltsbedürftig. Überdies war der Kläger entgegen der Auffassung des [X.] auch unter [X.]erücksichtigung der Opfergrenze entsprechend leistungsfähig. Denn das vom [X.] für den maßgeblichen Dreijahreszeitraum (2010 bis 2012) zutreffend ermittelte Durchschnittseinkommen des [X.] in Höhe von 483.096 € war um die durchschnittliche Steuerzahlung in Höhe von ca. 188.000 € zu vermindern. [X.]ei dem danach verbleibenden Nettoeinkommen wird die Opfergrenze bei der vorliegenden Familiensituation und Unterhaltsleistungen des [X.] in Höhe von 16.008 € nicht berührt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beruht die Leistungsfähigkeit des [X.] demnach nicht auf seinen Vermögensverhältnissen, insbesondere dem Umstand, dass er die Steuerzahlungen zum Teil aus privaten Rücklagen bestritten hat, sondern auf der Höhe seines Nettoeinkommens.

3. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 21/15

28.04.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 19. Februar 2015, Az: 16 K 10187/14, Urteil

§ 33a Abs 1 EStG 2009, § 1602 BGB, § 1603 BGB, EStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.04.2016, Az. VI R 21/15 (REWIS RS 2016, 12133)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12133

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