Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2016, Az. XI R 23/12

11. Senat | REWIS RS 2016, 8282

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Gegenstand

Kindergeld: Vorrangige Anspruchsberechtigung des im anderen EU Mitgliedstaat lebenden Elternteils - Rechtsschutzbedürfnis


Leitsatz

NV: Der in einem anderen EU-Mitgliedstaat lebende Elternteil kann gegenüber dem im Inland lebenden Elternteil nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. Art. 67 der VO Nr. 883/2004, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 vorrangig kindergeldberechtigt sein, wenn er sein Kind dort in seinen Haushalt aufgenommen hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 17/13, BFHE 253, 134, BStBl II 2016, 612).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2012  1 K 19/11 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Tatbestand

1

I. Die [X.]eteiligten streiten über die Kindergeldberechtigung für zwei Kinder für September 2010 bis Januar 2011 (Streitzeitraum).

2

Der freizügigkeitsberechtigte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und die mit ihm nicht verheiratete [X.]eigeladene sind [X.] Staatsangehörige und die leiblichen Eltern der im Februar 1990 geborenen [X.] sowie der im September 1996 geborenen [X.] Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Inland; die [X.]eigeladene hat ihren Wohnsitz in [X.], [X.] ([X.]).

3

Der Kläger bezieht seit Juni 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Sozialgesetzbuch.

4

Nach [X.]bschluss der Oberschule im Juni 2009 besuchte [X.] für ein Schuljahr eine Privatschule in [X.], die die Rechte einer öffentlichen Schule hatte. [X.]b Oktober 2010 studierte [X.] an der Universität [X.] Pädagogik. [X.] und [X.] lebten im Streitzeitraum im Haushalt der [X.]eigeladenen. [X.] hatte in den Jahren 2010 und 2011 keine eigenen Einkünfte oder [X.]ezüge.

5

Die [X.]eigeladene übte jedenfalls seit September 2010 in [X.] eine berufliche Vollzeittätigkeit aus. [X.] Familienleistungen wurden nach [X.]uskunft der zuständigen [X.]n [X.]ehörde vom 24. Oktober 2011 ab September 2010 nicht geleistet, da kein [X.]ntrag gestellt worden war. Stattdessen stellte die [X.]eigeladene am 11. Oktober 2010 einen eigenen [X.]ntrag auf [X.] Kindergeld.

6

Die frühere [X.]eklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte zunächst Kindergeld für die Kinder [X.] und [X.] zugunsten des Klägers als [X.] fest und zahlte das Kindergeld aufgrund eines [X.]bzweigungsantrags an die [X.]eigeladene aus.

7

Mit [X.]escheid vom 25. [X.]ugust 2010 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für [X.] und [X.] ab September 2010 auf und zahlte das Kindergeld ab September 2010 nicht mehr aus. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 3. Januar 2011), woraufhin der Kläger Klage erhob.

8

Während des Klageverfahrens hat das Finanzgericht ([X.]) die Kindsmutter beigeladen ([X.]eschluss vom 28. Februar 2012).

9

Das [X.] gab der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2012, 1684 veröffentlichtem Urteil statt. Es hob den [X.]escheid vom 25. [X.]ugust 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Januar 2011 auf und verpflichtete die Familienkasse, das ab September 2010 festgesetzte Kindergeld für die Kinder [X.] und [X.] an die [X.]eigeladene auszuzahlen.

Es führte aus, Kindergeld für die Kinder [X.] und [X.] sei ab September 2010 für den Kläger festzusetzen, der als freizügigkeitsberechtigter [X.]-[X.]usländer nach § 62 [X.]bs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anspruchsberechtigt für die bei ihm zu berücksichtigenden Kinder sei. Die [X.]eigeladene sei nicht anspruchsberechtigt, da sie im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen [X.]ufenthalt habe und auch die Voraussetzungen von § 1 [X.]bs. 1 des [X.]undeskindergeldgesetzes nicht vorlägen. § 64 [X.]bs. 2 EStG sei nicht anzuwenden, da diese Vorschrift voraussetze, dass mehrere Personen nach [X.] Recht kindergeldberechtigt seien. Etwas anderes ergebe sich weder aus [X.]rt. 67 der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. [X.]pril 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ([X.]mtsblatt der [X.] --[X.][X.]l[X.]-- 2004 Nr. L 166, [X.]; im Folgenden: [X.] Nr. 883/2004) noch aus [X.]rt. 60 [X.]bs. 1 Satz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ([X.][X.]l[X.] 2009 Nr. L 284, [X.]; im Folgenden: [X.] Nr. 987/2009).

Das Kindergeld sei gemäß § 74 [X.]bs. 1 EStG weiterhin an die [X.]eigeladene auszuzahlen.

Mit der Revision rügt die Familienkasse die unzutreffende [X.]uslegung von § 64 EStG.

[X.]ei der [X.]eurteilung des Streitfalls sei nach [X.]rt. 67 der [X.] Nr. 883/2004 i.V.m. [X.]rt. 60 [X.]bs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 zu unterstellen, dass die [X.]eigeladene mit den Kindern [X.] und [X.] in der [X.]undesrepublik [X.] ([X.]) lebe. In diesem Fall wäre sie gemäß § 64 [X.]bs. 2 Satz 1 EStG gegenüber dem Kläger vorrangig kindergeldberechtigt, da sie beide Kinder in ihren Haushalt aufgenommen habe und kein gemeinsamer Haushalt mit dem Kläger bestehe.

Die Familienkasse beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und die [X.]eigeladene haben keine [X.]nträge gestellt.

Mit [X.]eschluss vom 8. Oktober 2014 hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen [X.]-378/14 ausgesetzt. Der [X.] hat mit Urteil [X.] vom 22. Oktober 2015 [X.]-378/14 ([X.]:[X.]:2015:720, [X.] --DStRE-- 2015, 1501) über die Vorlagefragen entschieden.

Entscheidungsgründe

II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher [X.] stattgefunden. [X.]eklagte und Revisionsklägerin ist nunmehr die [X.] (vgl. z.[X.]. Urteile des [X.] --[X.]FH-- vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, [X.], 1774, Rz 14; vom 16. September 2015 XI R 10/13, [X.], 543, Rz 11). Das Rubrum war entsprechend zu ändern.

III. Die Revision ist begründet. Das [X.] ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld dem Kläger zusteht. Vielmehr hat die in [X.] lebende [X.]eigeladene einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld.

1. Die Klage ist zulässig. Soweit die Familienkasse Zweifel am Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses hat, weil der Kläger (neben der Festsetzung zu seinen Gunsten) die Abzweigung an die [X.]eigeladene begehrt und eine Kindergeldfestsetzung gegenüber der [X.]eigeladenen für den Kläger vorteilhafter wäre, da er von Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten befreit wäre, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen.

a) Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt z.[X.]. dann, wenn die [X.] im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bereits erreicht worden ist (vgl. dazu [X.] vom 18. Februar 1994 VIII [X.] 46/92, [X.] 1994, 728, unter 1., Rz 14; vom 11. September 2013 I [X.] 179/12, [X.] 2014, 48, Rz 13; Urteil des [X.] --[X.]VerwG-- vom 15. Januar 1999  2 [X.] 5.98, [X.] 310 § 42 Abs. 1 VwGO Nr. 1, Rz 10 ff.; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Vor § 33 Rz 19), d.h. wenn die klagende Partei mit der Klage eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung nicht erreichen kann (vgl. z.[X.]. [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 40 [X.]O Rz 165; [X.] vom 11. März 1992  5 [X.] 32.92, [X.] 310 § 40 VwGO Nr. 254, Rz 4; vom 27. Juli 2005  6 [X.] 37.05, juris, Rz 6).

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die vom Kläger jedenfalls auch begehrte Rechtsstellung als [X.] (die auch bei einem Wegfall der Abzweigungsvoraussetzungen bestehen bleibt) stellt den Kläger besser als eine Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der [X.]eigeladenen.

2. Der Kläger erfüllte im Streitzeitraum (September 2010 bis Januar 2011, dem Monat der [X.]ekanntgabe der Einspruchsentscheidung; vgl. hierzu [X.]FH-Urteil vom 25. September 2014 III R 36/12, [X.]FHE 247, 488, [X.]St[X.]l II 2015, 286, Rz 16) nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden --und zwischen den [X.]eteiligten unstreitigen-- tatsächlichen Feststellungen des [X.] die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld.

Er hatte seinen Wohnsitz im Inland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). [X.]eide Kinder sind bei ihm zu berücksichtigen (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG), denn A befand sich im Streitzeitraum im September 2010 in einer Übergangszeit zwischen zwei [X.] bzw. ab Oktober 2010 in [X.]erufsausbildung (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.]uchst. a bzw. [X.]) und [X.] war im Streitzeitraum minderjährig (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG). Dass beide Kinder ihren Wohnsitz in [X.] hatten, ist für die Kindergeldberechtigung unerheblich (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG in der bis zum 8. Dezember 2014 geltenden Fassung).

3. Allerdings ist die beigeladene Kindsmutter --entgegen der Rechtsauffassung des [X.]-- nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt.

a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem [X.]erechtigten Kindergeld gezahlt. [X.]ei mehreren [X.]erechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern, einem Elternteil und dessen Ehegatten, Pflegeeltern oder Großeltern aufgenommen, so bestimmen diese untereinander den [X.]erechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).

b) Anders als das [X.] meint, ist die [X.]eigeladene als weitere "[X.]erechtigte" i.S. von § 64 EStG anzusehen. Ihre [X.]erechtigung ergibt sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009, wonach zu unterstellen ist, dass die [X.]eigeladene mit beiden Kindern in [X.] wohnt.

aa) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der [X.] Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der [X.] Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten.

bb) Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der [X.] Nr. 883/2004 ist eröffnet, denn der Kläger ist [X.] Staatsangehöriger (Art. 2 Abs. 1 der [X.] Nr. 883/2004) und Kindergeld ist eine Familienleistung (Art. 3 Abs. 1 [X.]uchst. j der [X.] Nr. 883/2004). Die [X.] Rechtsvorschriften sind anzuwenden, da der Kläger seinen Wohnsitz im Streitzeitraum im Inland hatte (Art. 11 Abs. 1 und 3 [X.]uchst. e der [X.] Nr. 883/2004; vgl. dazu [X.]FH-Urteile vom 4. Februar 2016 III R 17/13, [X.]FHE 253, 134, [X.]St[X.]l II 2016, 612, Rz 17; vom 10. März 2016 III R 62/12, [X.]FHE 253, 236, [X.]St[X.]l II 2016, 616, Rz 16 bis 18).

cc) Der [X.] hat in der Rechtssache [X.] ([X.]:[X.]:2015:720, [X.] 2015, 1501) entschieden, dass die in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind. Dem folgend hat der III. Senat des [X.]FH mit Urteilen in [X.]FHE 253, 134, [X.]St[X.]l II 2016, 612 (Rz 16 ff.) und vom 10. März 2016 III R 25/12 ([X.], 1161, Rz 20 ff.), [X.] ([X.], 1164, Rz 21 ff.), in [X.]FHE 253, 236, [X.]St[X.]l II 2016, 616 (Rz 19 ff.) sowie [X.] ([X.], 1166, Rz 19 ff.) entschieden, dass die Anwendung von Art. 67 Satz 1 der [X.] Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 dazu führt, dass die Wohnsituation der im [X.]-Ausland lebenden Familienangehörigen (fiktiv) in das Inland übertragen wird, d.h. die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten. [X.] sei, ob dem in einem anderen Mitgliedstaat lebenden Familienangehörigen nach den dort geltenden Vorschriften ein Anspruch auf Familienleistungen zustehe und damit eine von Art. 68 der [X.] Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben sei ([X.]FH-Urteile in [X.], 1161, Rz 22; in [X.], 1164, Rz 23; in [X.]FHE 253, 236, [X.]St[X.]l II 2016, 616, Rz 21; in [X.], 1166, Rz 21). Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 gehöre auch der andere Elternteil, da dieser nach nationalem Recht gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG berechtigt sei, für seine leiblichen Kinder Anspruch auf Kindergeld zu erheben, und deshalb als Familienangehöriger i.S. des Art. 1 [X.]uchst. i Nr. 1 [X.]uchst. i der [X.] Nr. 883/2004 anzusehen sei ([X.]FH-Urteile in [X.]FHE 253, 134, [X.]St[X.]l II 2016, 612, Rz 18; in [X.], 1161, Rz 23 f.; in [X.], 1164, Rz 24 f.). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

dd) Die Anwendung der unionsrechtlichen Fiktion führt im Streitfall dazu, dass für Zwecke der Anwendung von § 64 EStG zu unterstellen ist, dass die [X.]eigeladene zusammen mit beiden Kindern in einem Haushalt in [X.] lebt.

c) Die [X.]eigeladene erfüllt auch die übrigen Voraussetzungen für einen vorrangigen Kindergeldanspruch.

aa) Das [X.] hat festgestellt, dass die [X.]eigeladene [X.] Staatsangehörige ist; sie fällt damit nicht unter § 62 Abs. 2 EStG. Nach den Feststellungen des [X.] hatte die [X.]eigeladene beide Kinder im Streitzeitraum (September 2010 bis Januar 2011) durchgängig in ihren Haushalt in [X.] aufgenommen (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

bb) Ein vorrangiger Anspruch des [X.] ergibt sich auch nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG. Nach den gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] hatte der Kläger seinen alleinigen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland; deshalb bestand im Streitzeitraum kein gemeinsamer Haushalt des [X.] mit der [X.]eigeladenen und den beiden Kindern, der --gemäß der Fiktion in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009-- als gemeinsamer inländischer Haushalt gelten würde. Demnach ist im Streitfall der Anspruch der [X.]eigeladenen nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig, da nur bei dieser, nicht dagegen beim Kläger, eine Haushaltsaufnahme der beiden Kinder vorliegt.

d) Dass die [X.]eigeladene in [X.] keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt hat, führt nicht dazu, dass die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der [X.] Nr. 987/2009 entfiele (vgl. dazu [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 253, 134, [X.]St[X.]l II 2016, 612, Rz 20). Vielmehr hat die [X.]eigeladene einen eigenen Antrag in [X.] gestellt.

4. Da an den Kläger kein Kindergeld zu zahlen ist, hat der Senat über die Abzweigung nicht zu entscheiden.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O. Der [X.]eigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt hat (§ 135 Abs. 3 [X.]O). Außergerichtliche Kosten der [X.]eigeladenen sind gemäß § 139 Abs. 4 [X.]O nicht zu erstatten.

Meta

XI R 23/12

13.07.2016

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 10. Mai 2012, Az: 1 K 19/11, Urteil

§ 64 Abs 1 EStG 2009, § 64 Abs 2 S 1 EStG 2009, Art 67 EGV 883/2004, Art 68 EGV 883/2004, Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, § 40 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.07.2016, Az. XI R 23/12 (REWIS RS 2016, 8282)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8282

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