Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.12.2011, Az. 4 BN 38/11

4. Senat | REWIS RS 2011, 851

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Gegenstand

Zulässigkeit der Rüge eines Verfahrensmangels im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Vorentscheidung


Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Zu Unrecht rügt die Beschwerde einen Verstoß gegen § 93 Satz 1 VwGO, wonach das Gericht durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Verfahren über den gleichen Gegenstand zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbinden kann. Zwar ist umstritten, ob die Vorschrift auch eine Verbindung mehrerer Verfahren nur zur gemeinsamen Verhandlung zulässt (vgl. Rudisile, in: [X.]/[X.]/[X.], VwGO, § 93 Rn. 19 mit Nachweisen in Fußnote 56). Der Antragsteller trägt jedoch selbst vor, dass ein Verbindungsbeschluss nicht ergangen ist. Einer nur tatsächlich gemeinsamen Verhandlung der Streitsachen kommt die Wirkung einer rechtlichen Verfahrensverbindung nicht zu ([X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 93 Rn. 4). Selbst wenn dies anders zu beurteilen sein sollte und die nicht förmliche Entscheidung, mehrere Verfahren gemeinsam zu verhandeln, wie ein Verbindungsbeschluss zu behandeln wäre, bliebe die Rüge, das [X.] habe sich über § 93 Satz 1 VwGO hinweggesetzt, erfolglos. Da Beschlüsse über eine Verbindung von Verfahren nach § 146 Abs. 2 VwGO unanfechtbar sind, unterliegen sie nach § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO nicht der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Beschluss vom 5. Juni 2000 - BVerwG 11 B 23.00 - juris).

3

Durch die Prüfungsbeschränkung des § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO wird die unanfechtbare Vorentscheidung allerdings nur als unmittelbarer Gegenstand einer Revisionsrüge ausgeschlossen. Dem Revisionsgericht nicht entzogen ist die Nachprüfung derjenigen Folgerungen, die die Vorinstanz aus der Prozesslage, die sie durch die Vorentscheidung geschaffen hat, für die mit der Revision angefochtene Endentscheidung gezogen hat (Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <323>). Im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Vorentscheidung ist die Rüge eines [X.] daher dann zulässig, wenn sie sich nicht gegen die Vorentscheidung selbst richtet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung dem angefochtenen Urteil anhaftet. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

4

Der Antragsteller trägt vor, infolge der gemeinsamen Verhandlung mehrerer Verfahren sei dem [X.] entgangen, dass die [X.], die seinem Grundstück seewärts vorgelagert sei, nicht, wie im Urteil festgestellt ([X.]), zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an die Antragsgegnerin überlassen gewesen sei. Die Feststellung treffe nur für die Beteiligten der anderen Verfahren, nicht aber für ihn zu. Er habe seinen Besitz an der [X.] der Antragsgegnerin nicht übergeben. Der [X.] geht davon aus, dass das [X.] mit der kritisierten Feststellung nicht hat zum Ausdruck bringen wollen, der Antragsteller habe der Antragsgegnerin die [X.] durch Einräumung des unmittelbaren Besitzes überlassen. Vielmehr hat die Vorinstanz ersichtlich nur die Feststellung aus dem Tatbestand des Urteils aufgegriffen, dass das [X.] die gesamte [X.] schuldrechtlich für die Dauer von 12 Jahren ab dem 1. Oktober 2010 der Antragsgegnerin überlassen hat ([X.]). Die Verfahrensrüge hätte aber selbst dann keinen Erfolg, wenn das [X.] die Überlassung der [X.] dem Antragsteller zugeschrieben hätte und das unrichtig wäre. In diesem Fall würde das angefochtene Urteil nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen. Nach dem materiellrechtlichen Standpunkt der Vorinstanz, auf den abzustellen ist (vgl. Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 183), war die Planverwirklichung abzusehen, weil das [X.] die privatrechtliche Nutzungsvereinbarung, die es mit dem Antragsteller über die [X.] geschlossen hatte, fristgerecht gekündigt und der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des [X.] mitgeteilt hat, einer schuldrechtlichen Überlassung an sie stehe nichts entgegen. Mit dem Zusatz, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sei die [X.] sogar an die Antragsgegnerin überlassen gewesen, hat das [X.] bekräftigt, dass mit einer Planverwirklichung zu rechnen sei. [X.] ist der Zusatz nicht.

5

2. Auch wegen der gerügten Verstöße gegen § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, § 86 Abs. 3 VwGO ist die Revision nicht zuzulassen.

6

Soweit sich der Antragsteller dagegen wendet, dass ihm das [X.] hindernde zivilrechtliche Berechtigungen abgesprochen hat ([X.]), verfehlt seine Rüge den Anwendungsbereich des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Der Antragsteller hält sich für berechtigt, über die [X.] zu verfügen, weil das [X.] und die Antragsgegnerin trotz der ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses keine Räumungsklage eingereicht hätten. [X.] bleiben kann, ob es auf diese Frage bei der Beurteilung der Rechtswirksamkeit des angegriffenen Bebauungsplans überhaupt ankommt. Mit dem Vorwurf, das [X.] habe aus einem unstreitigen Sachverhalt eine unzutreffende Schlussfolgerung gezogen, macht er jedenfalls keinen Verfahrensmangel, sondern einen materiellrechtlichen Fehler geltend. Gleiches gilt für den Vorhalt, das [X.] habe zu Unrecht ein den Planvollzug hinderndes Wegnahmerecht an den Aufschüttungen gemäß § 539 Abs. 2 [X.] verneint ([X.] 11).

7

Mit der Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung beanstandet der Antragsteller, dass das [X.] nicht geklärt habe, wie es zur Eintragung des [X.] als Eigentümerin der [X.] im Grundbuch gekommen sei. Diese Rüge ist unbegründet, da angesichts der gesetzlichen Vermutung des § 891 [X.] (vgl. hierzu Bassenge, in: [X.], [X.], 70. Aufl. 2011, § 891 Rn. 8) und des fehlenden Vorbringens des Antragstellers zum Beweis des Gegenteils für das [X.] jedenfalls kein Anlass zu weiterer Aufklärung bestand.

8

Mit der [X.] kritisiert der Antragsteller, dass das [X.] nicht erkannt und demgemäß auch nicht in Erwägung gezogen habe, dass ihm gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Duldung der Inanspruchnahme der [X.] aus § 912 [X.] zustehe. Die Rüge genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil er nicht aufzeigt, das [X.] auf § 912 [X.] aufmerksam gemacht zu haben. Im Übrigen gilt: Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die grundsätzliche Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, auf jedes Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich einzugehen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt auch keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag des Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen ([X.], Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - [X.]E 105, 279 <311>); die Vorschrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen ([X.], Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a. - [X.]E 64, 1 <12>).

9

Mit der Rüge unzureichender Sachverhaltsaufklärung moniert der Antragsteller, dass das [X.]

- nicht der Frage nachgegangen sei, in welchem Umfang das Nordlandgelände zu [X.] nutzbar ist;

- ohne vorherige Augenscheinseinnahme davon ausgegangen sei, der Zugang zum [X.] sei verbreitet verstellt;

- die Bodenrichtwerte nicht ermittelt habe und deshalb fehlerhaft zu dem Schluss gekommen sei, das Grundstück des Antragstellers erfahre trotz des [X.] am Ufer keinen Wertverlust, weil das gesamte Plangebiet vom [X.] zum [X.] hochgestuft werde;

- nicht ermittelt habe, ob die Antragsgegnerin von der Belastung der [X.]n mit Kampfmitteln und Asbest Kenntnis gehabt habe;

- davon ausgegangen sei, dass der Weg am Ufer den Antragsteller nicht belaste, obwohl er direkt an seinem Schlafzimmer vorbeiführe.

Keine der Aufklärungsrügen rechtfertigt die Zulassung der Revision.

Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr). Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen - lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen nicht (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 [X.] - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265) - zu ersetzen.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie zeigt nicht auf, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] Beweisanträge des Inhalts gestellt hat, das Nordlandgelände (Aufklärungsrüge Spiegelstrich 1) und sämtliche Uferzonen des [X.]s (Aufklärungsrüge Spiegelstrich 2) in Augenschein zu nehmen sowie Bodenrichtwerte zu ermitteln (Aufklärungsrüge Spiegelstrich 3). Auch legt sie nicht dar, dass und aus welchen Gründen sich dem [X.] entsprechende Beweiserhebungen hätten aufdrängen müssen.

Im Rahmen der Aufklärungsrüge, die die Kontaminierung der [X.] betrifft (Aufklärungsrüge Spiegelstrich 4), macht der Antragsteller zwar geltend, dass sich dem [X.] die Sachverhaltserforschung hätte aufdrängen müssen. Die Rüge scheitert aber daran, dass die Antwort auf die Beweisfrage aus der maßgeblichen Sicht der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich war. Das [X.] hat angenommen, dass eine Verunreinigung der Anschüttung keinen erheblichen, nur durch die Bauleitplanung zu lösenden städtebaulichen Konflikt auslöse, sondern die Konfliktlösung ggf. in die Sanierungs- und Bauphase verlagert werden dürfe ([X.] 23).

Die Aufklärungsrüge, die sich auf die unzumutbare Beeinträchtigung der Privatsphäre des Antragstellers durch den geplanten Weg bezieht (Aufklärungsrüge Spiegelstrich 5), geht fehl, weil der Antragsteller mit ihr der Sache nach nicht ein Defizit bei der Ermittlung von Tatsachen beanstandet, sondern kritisiert, dass das [X.] aus richtigen Tatsachen eine falsche rechtliche Schlussfolgerung gezogen hat.

Von einer weiteren Begründung sieht der [X.] nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Meta

4 BN 38/11

01.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend OVG Lüneburg, 22. Juni 2011, Az: 1 KN 252/08, Urteil

§ 173 VwGO, § 557 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.12.2011, Az. 4 BN 38/11 (REWIS RS 2011, 851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 851

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 670/91

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