Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2022, Az. 1 StR 380/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8631

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverfahren: Bindungswirkung staatanwaltschaftlicher Zusagen


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2022 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Zur Antragsschrift des [X.] ist ergänzend auszuführen:

1. Die – zulässige – Verfahrensrüge, das [X.] habe dadurch gegen seine Pflicht zur Wahrheitserforschung verstoßen, dass es den Zeugen Rechtsanwalt [X.]in Anwesenheit der Staatsanwälte [X.]und [X.]als [X.] sowie anschließend diese zu demselben Beweisthema, der behaupteten staatsanwaltschaftlichen Zusage der Nichtwiederaufnahme des – mit Abschlussverfügung vor Anklageerhebung im ersten Rechtsgang nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten – Verfahrens bezüglich acht hier streitgegenständlicher bzw. der Nichtverfolgung zum Zeitpunkt der Gespräche (9. und 26. Juli 2019) bekannter weiterer ebenfalls hier geahndeter drei Steuerstraftaten, vernommen hat (§ 244 Abs. 2, § 58 Abs. 1 StPO; vgl. dazu [X.], Urteil vom 15. April 1987 – 2 [X.] Rn. 18-22), ist unter einem weiteren Gesichtspunkt unbegründet:

Einer solchen staatsanwaltschaftlichen Zusicherung kommt von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zu (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168 Rn. 79; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310 S. 13). Durch das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29. Juli 2009 ([X.] I S. 2353) ist das Urteil des [X.] vom 18. April 1990 – 3 [X.] ([X.]St 37, 10, 13 f.), wonach die staatsanwaltschaftliche Zusage, das Verfahren bezüglich einer Straftat einzustellen bzw. diese nicht zu verfolgen, einen Vertrauenstatbestand als gewichtigen Strafmilderungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) begründen könne, insoweit überholt (vgl. [X.]E aaO). Bereits sein vormaliger Verteidiger, der mittlerweile verstorbene Rechtsanwalt   H.               , wies den Angeklagten in seiner E-Mail vom 1. August 2019 (Revisionsbegründung S. 47) auf diesen Gesichtspunkt mit den Worten hin: „Eine rechtliche Bindung ergibt sich hieraus für die Staatsanwaltschaft, hierüber haben wir eingehend gesprochen, allerdings nicht. Die Festschreibung dieser Äußerung ist aber gleichwohl sinnvoll, weil sich hieraus eine psychologische Bindung ergibt.“

Das Urteil des Senats vom 11. November 2020 – 1 StR 328/19 – im ersten Rechtsgang gab wegen der gewichtigen Teilaufhebung einen sachlichen Anlass (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 BvR 1110/21 Rn. 50; [X.], Beschluss vom 30. April 2009 – 1 [X.], [X.]St 45, 1 Rn. 15), neben den rechtskräftig gewordenen neun Einzelstrafen die (gleichgelagerten) Ertragsteuerhinterziehungsfälle wiederaufzunehmen bzw. zu verfolgen.

Ohnehin hat das [X.] eine etwaige – freilich mit der E-Mail vom 1. August 2019 nicht zu vereinbarende – vorübergehende „Erwartung“ des Angeklagten, wegen der verfahrensgegenständlichen elf Steuerstraftaten nicht verfolgt zu werden, strafmildernd berücksichtigt ([X.]); nach alledem ist der Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten in der Strafzumessung gewürdigt worden.

2. Aus dem gleichen Grund dringt auch die an dasselbe Beweisthema anknüpfende Rüge, die Vernehmung des Rechtsanwalts [X.]durch die beiden genannten Staatsanwälte sowie die anschließende Vernehmung des Staatsanwalts [X.]durch den Staatsanwalt [X.]verstießen gegen Art. 6 [X.], nicht durch.

Jäger     

  

Fischer     

  

Bär

  

Leplow     

  

Allgayer     

  

Meta

1 StR 380/22

13.12.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 9. Mai 2022, Az: 27 KLs 10/20

§ 154 Abs 1 StPO, § 257c StPO, § 267 Abs 1 S 1 StPO, § 267 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2022, Az. 1 StR 380/22 (REWIS RS 2022, 8631)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8631

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 545/18 (Bundesgerichtshof)

Pflicht zur Belehrung des Angeklagten über verständigungsbezogene Erörterung


1 StR 425/18 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Belehrungspflicht über die eingeschränkte Bindungswirkung


1 StR 2/19 (Bundesgerichtshof)

Verständigungen im Strafverfahren: Vorliegen eines mitteilungspflichtigen Verständigungsgesprächs


5 StR 82/15 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht über die nur …


2 StR 339/20 (Bundesgerichtshof)

Revision im Strafverfahren: Verletzung von Mitteilungspflichten bei verständigungsbezogenen Erörterungen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.