Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2019, Az. 1 StR 2/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 5187

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Gegenstand

Verständigungen im Strafverfahren: Vorliegen eines mitteilungspflichtigen Verständigungsgesprächs


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juni 2018 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf zwei Verfahrensrügen und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützten Revision.

2

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. [X.] Erörterung bedarf lediglich die Rüge einer Verletzung der Mitteilungspflicht im Rahmen einer behaupteten Verfahrensverständigung (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die Revision beanstandet insoweit, der Vorsitzende der [X.] habe entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht vollständig über ein Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung unterrichtet, das die Möglichkeit einer Verständigung zum Gegenstand gehabt habe.

4

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5

Am 18. Juni 2018 fand zwischen den Berufsrichtern und Schöffen der [X.], dem [X.] der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern der Angeklagten [X.]    ein [X.] statt, in dem das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme besprochen wurde. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, er könne sich nach entsprechender Anregung der [X.] vorstellen, den Antrag zu stellen, das Verfahren hinsichtlich aller angeklagten Sachverhalte bis auf den Wohnungseinbruch in [X.]         nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO zu behandeln. Dies teilte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung mit. Der Staatsanwalt und die Verteidiger bestätigten anschließend die Richtigkeit der erfolgten Mitteilung.

6

Nach Fortsetzung der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt, die angeklagten Taten bis auf den Wohnungseinbruch in [X.]         nach § 154 StPO vorläufig einzustellen. Die [X.] erließ den entsprechenden Beschluss. Die Beweisaufnahme wurde fortgesetzt. Der Angeklagte [X.]äußerte sich erstmals zur Sache.

7

In der Fortsetzung der Hauptverhandlung am 20. Juni 2018 erteilte der Vorsitzende den rechtlichen Hinweis, dass hinsichtlich des Angeklagten [X.]auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl in Betracht komme. Der [X.] Strafregisterauszug des Angeklagten wurde verlesen und die Beweisaufnahme geschlossen. Nachdem die Schlussvorträge gehalten worden waren, erfolgte die Urteilsverkündung.

8

b) Die Revision meint, in die Mitteilung über den Inhalt des [X.]s hätte aufgenommen werden müssen, dass erörtert worden sei, ob bei dem Angeklagten [X.]von Beihilfe oder Mittäterschaft auszugehen sei und der Vorsitzende erklärt habe, die für diesen Angeklagten in Betracht kommende Strafe werde jedenfalls wesentlich geringer sein als beim Studium der Anklageschrift gedacht. Der Staatsanwalt habe geäußert, er habe bei dem Angeklagten [X.]bei einer Verurteilung nach Anklage sieben, bei dem [X.]     neun bis zehn Jahre „ins Auge gefasst“. Der Vorsitzende habe darauf hingewiesen, die Angeklagten könnten „Punkte sammeln“, wenn sie hinsichtlich ihrer [X.]n Vorstrafen Angaben machen würden, und sich erkundigt, von welchen Strafvorstellungen der Angeklagte [X.]ausgehe. Dessen Verteidiger habe entgegnet, mit seinem Mandanten nicht über konkrete Strafvorstellungen gesprochen zu haben.

9

c) Das während der Unterbrechung der Hauptverhandlung am 18. Juni 2018 geführte [X.] war nicht mitteilungspflichtig nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Es wies keinen [X.] auf.

aa) Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand, also Fragen des prozessualen Verhaltens in [X.] zum Verfahrensergebnis gebracht wurden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe lag ([X.], Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a. Rn. 85; [X.], Urteile vom 23. Juli 2015 – 3 [X.] Rn. 12 und vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 14 f.; Beschlüsse vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 14 und vom 24. Januar 2018 – 1 [X.] Rn. 7; siehe auch [X.], Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 20 ff. zur „synallagmatischen Verknüpfung“).

Ein verständigungsbezogenes Gespräch ist allerdings von sonstigen zur Verfahrensförderung geeigneten Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten abzugrenzen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen, sondern mit denen lediglich ein Gedankenaustausch über die Einschätzung der Sach- oder Rechtslage erstrebt wird (vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15 mwN).

Solche unverbindlichen Erörterungen, die das Gericht ohne [X.] als Ausdruck transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind z.B. [X.]e und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage (vgl. BT-Drucks. 16/12310, [X.]) oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses ([X.], aaO, Rn. 106; [X.], Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15 mwN; Urteil vom 28. Juli 2016 – 3 [X.] Rn. 20). Darüber hinaus hielt der Gesetzgeber auch die Mitteilung einer Ober- und Untergrenze der nach dem Verfahrensstand vorläufig zu erwartenden Strafe durch das Gericht für ein Beispiel einer offenen und sachgerechten Verfahrensführung (vgl. BT-Drucks. 16/12310, [X.]; [X.], Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15 Rn. 15).

Gespräche, die auf eine Einstellung von Taten während laufender Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO abzielen, lösen keine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO aus, soweit sie allein auf die Möglichkeit einer [X.] gerichtet sind (vgl. [X.], Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 13 ff.).

Eine [X.] gemäß § 154 Abs. 2 StPO kann aber auch Gegenstand einer förmlichen Verständigung sein (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 20; [X.], Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 15 mwN). Dies ist dann der Fall, wenn sie in einen [X.] zu Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten gebracht wird, sich also die (vorläufige) Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO durch das Gericht als „Gegenleistung“ für eine von einem anderen Verfahrensbeteiligten in Aussicht gestellte oder zugesagte Leistung darstellt ([X.], Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15 Rn. 21 „synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen [X.]“; [X.], Urteil vom 3. Mai 2017 – 2 StR 576/15 Rn. 15).

bb) Nach diesem Maßstab weist das außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräch vom 18. Juni 2018 keinen [X.] auf. Die Äußerungen des Vorsitzenden sind lediglich Aspekte eines kommunikativen offenen Verhandlungsstils.

Zwischen der von der Staatsanwaltschaft angestoßenen Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO und der nach deren Umsetzung erfolgten Sacheinlassung des Angeklagten ist keine Verknüpfung in Gestalt der Abgabe einer Sacheinlassung bzw. der Zusage sonstigen Prozessverhaltens des Angeklagten als Gegenleistung zu Tage getreten.

Ebenso wenig hat der Hinweis des Vorsitzenden, der Angeklagte könne durch Angaben zu seinen [X.]n Vorstrafen „Punkte sammeln“, einen solchen synallagmatischen [X.] zwischen einem prozessualen Verhalten des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis begründet. Die Äußerung des Vorsitzenden erschöpfte sich darin, auf eine mögliche strafmildernde Berücksichtigung hinzuweisen.

Auch die allgemein gehaltenen Erklärungen des Vorsitzenden und des Staatsanwalts zu ihren Strafvorstellungen gehören zum beispielhaften Inhalt unverbindlicher Erörterungen ohne [X.]. Von keinem der Verfahrensbeteiligten wurde ein Geständnis oder sonstiges Prozessverhalten des Angeklagten und damit verbundene Strafunter- und Strafobergrenzen genannt. Die Erklärung des Vorsitzenden, die Strafhöhe werde niedriger sein, als ursprünglich beim Studium der Akten gedacht, enthält keine Strafvorstellung und liegt jenseits einer sich anbahnenden Verständigung. Auch die [X.] seiner Strafvorstellungen durch den Staatsanwalt, die ohne Bezug zu einem prozessualen Verhalten des Angeklagten erfolgte, diente nicht der Vorbereitung einer Verständigung.

Soweit das Gespräch die Abgrenzung von Beihilfe oder Mittäterschaft bei dem Angeklagten [X.]zum Gegenstand hatte, handelt es sich lediglich um einen Gedankenaustausch über die Einschätzung der Sach- und Rechtslage.

Im Falle eines [X.] würde der Senat im Hinblick darauf, dass die unterlassene Mitteilung der von der Verteidigung genannten Aspekte weder für die Verteidigung von Bedeutung waren noch die Belange der Öffentlichkeit berühren könnten, ein Beruhen ausschließen.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Raum     

      

[X.]     

      

Fischer

      

Bär     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 2/19

23.07.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München II, 20. Juni 2018, Az: 37 Js 26600/17 - 3 KLs

§ 154 Abs 2 StPO, § 202a StPO, § 212 StPO, § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257b StPO, § 257c StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2019, Az. 1 StR 2/19 (REWIS RS 2019, 5187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5187

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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