Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.02.2022, Az. 2 B 27/21

2. Senat | REWIS RS 2022, 6115

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Gegenstand

Erhebung der Disziplinarklage bereits vor Rücknahme der Einstellung des Disziplinarverfahrens


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 14. April 2021 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

1. Der 1954 geborene [X.]eklagte war zuletzt als [X.] ([X.]esoldungsgruppe [X.]) [X.]eamter im gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienst des klagenden [X.]. Er war zuletzt als Leiter der Wirtschaftsverwaltung in einer Justizvollzugsanstalt eingesetzt. Ende April 2017 trat der [X.]eklagte nach Vollendung seines 63. Lebensjahres in den Ruhestand. Er ist unverheiratet sowie kinderlos und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.

2

Im November 2015 leitete der Kläger gegen den [X.]eklagten ein Disziplinarverfahren ein und setzte es zugleich bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus. Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom Februar 2016 wurde gegen den [X.]eklagten wegen des [X.]esitzes kinderpornographischer Schriften eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen festgesetzt. In dem Strafbefehl wird ihm zur Last gelegt, dass er in seiner Wohnung auf verschiedenen Medien - etwa [X.], DVDs oder ausgeschnittenen Fotos - offenkundig bereits seit langer Zeit über eine Vielzahl von Abbildungen nackter Kinder im Alter unter 14 Jahren verfügt habe. Zum Teil sei der sexuelle Missbrauch der Kinder durch erwachsene Männer mittels Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr zu sehen.

3

Nach dem Eintritt des [X.]eklagten in den Ruhestand stellte die Leiterin der Justizvollzugsanstalt im Juli 2017 das Disziplinarverfahren gegen den [X.]eklagten ein. Im Oktober 2017 hob das [X.] als oberste Dienstbehörde die Einstellungsverfügung auf und hat [X.] erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die [X.] abgewiesen.

4

Auf die [X.]erufung des [X.] hat das Oberverwaltungsgericht dem [X.]eklagten das Ruhegehalt aberkannt. Der [X.]eklagte habe sich des vorsätzlichen außerdienstlichen [X.]esitzes kinderpornographischer Schriften schuldig gemacht. Er habe insbesondere weitaus mehr als 1 291 kinderpornographische Schriften in Form von [X.]ildern in seiner Wohnung aufbewahrt, die zum Teil den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Erwachsene mittels Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr und damit den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne des § 176a StG[X.] darstellten. Damit habe er schuldhaft gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zum achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen. [X.]ei ihm als [X.] trete ein mittelbarer Amtsbezug hinzu. Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte habe der [X.]eklagte durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Der Orientierungsrahmen bis zur [X.] sei schon wegen des erhöhten Strafrahmens des § 184b StG[X.] auf drei Jahre im Zeitpunkt des fortdauernden [X.]esitzes des kinderpornographischen Materials im November 2015 eröffnet. Dieser Orientierungsrahmen sei mit [X.]lick auf die in der Anzahl und dem Inhalt der Abbildungen zum Ausdruck kommende Schwere des Dienstvergehens (jedenfalls in 197 Fällen sei schwerer sexueller Missbrauch von Kindern durch Erwachsene abgebildet), die Vielzahl der [X.]ilder sowie die Dauer des einheitlichen Dienstvergehens auch nach oben auszuschöpfen. Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des [X.]eklagten und zum Umfang der [X.] fielen nicht derart ins Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten sei.

5

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 67 Satz 1 [X.] NRW) zuzulassen.

6

Die Rüge der Divergenz ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und § 67 Satz 1 [X.] NRW genügt.

7

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des [X.] tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 12. Juli 2018 - 2 [X.] 17.18 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 118 Rn. 7 und vom 21. Juli 2021 - 2 [X.] 30.21 - Rn. 3 f., stRspr). Diese Voraussetzungen erfüllt die [X.]eschwerdebegründung nicht.

8

a) Die [X.]eschwerde sieht die Divergenz zum einen darin, dass sich die vorherige Unbescholtenheit des [X.]eklagten, seine Leistungen und die eigenständig aufgenommene Therapie nicht ausschlaggebend positiv ausgewirkt hätten. Das stehe im Widerspruch zum Urteil des [X.] vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - ([X.]VerwGE 168, 254 Rn. 42), in dem das [X.]undesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine auf Eigeninitiative begonnene Therapie berücksichtigungsfähig und als entlastender Umstand zu gewichten sei.

9

Damit werden nicht divergierende abstrakte Rechtssätze benannt, sondern es wird lediglich eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung - von § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.] NRW - im konkreten Fall beanstandet. Im Übrigen hat das [X.]undesverwaltungsgericht in der von der [X.]eschwerde angeführten Entscheidung nicht nur ausgeführt, dass es ein im Rahmen der Maßnahmebemessung berücksichtigungsfähiger entlastender Umstand von einigem Gewicht ist, wenn sich der [X.]eamte eigeninitiativ einer Therapie unterzogen hat. Es hat vielmehr - im Rahmen seiner eigenen [X.]emessungsentscheidung - auch ausgeführt, dass diesem Umstand dann keine die Maßnahmebemessung entscheidend beeinflussende [X.]edeutung zukommt, wenn dem erheblich belastende Umstände gegenüberstehen; als solche Umstände sind ausdrücklich die große Anzahl und der Inhalt des kinderpornographischen Materials, insbesondere der vaginale, orale und anale Missbrauch von Kindern, genannt ([X.]VerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - [X.]VerwGE 168, 254 Rn. 43). Der von der [X.]eschwerde angenommene Widerspruch besteht also auch deshalb nicht, weil das [X.]undesverwaltungsgericht keineswegs ausgesprochen hat, dass eine aufgenommene Therapie ausschlaggebende [X.]edeutung in dem von der [X.]eschwerde angenommenen Sinne haben müsste, dass sie der [X.] entgegenstünde. Die [X.]erufungsentscheidung hält sich ersichtlich in dem Rahmen des von der [X.]eschwerde angeführten Urteils des [X.].

b) Die [X.]eschwerde sieht die Divergenz zum anderen darin, dass das Oberverwaltungsgericht - anders als vom [X.]undesverwaltungsgericht gefordert - nicht sämtliche für die Frage des endgültigen Vertrauensverlustes des Dienstherrn entscheidenden Aspekte berücksichtigt habe. Unberücksichtigt geblieben seien die Aspekte, dass der [X.]eklagte auf Wunsch seines Dienstherrn und mit der Folge erheblicher Pensionseinbußen vorzeitig in Pension gegangen und dass er nach [X.]ekanntwerden der Straftat nicht vom Dienst suspendiert worden sei, sondern seine Tätigkeit bis zur Pensionierung weiter ausgeübt habe, wobei die Pensionierung sogar wegen Personalmangels auf Wunsch der Justizvollzugsanstalt noch um einen Monat verschoben worden sei.

Auch damit werden nicht divergierende abstrakte Rechtssätze benannt, sondern es wird lediglich eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung im konkreten Fall beanstandet. Im Übrigen ist im [X.]erufungsurteil zum einen nicht festgestellt, dass der [X.]eklagte - wie von der [X.]eschwerde vorgetragen - "auf Wunsch seines Dienstherrn" vorzeitig - und damit auf seinen Antrag hin - in Pension gegangen ist, ohne dass die [X.]eschwerde dem mit einer (durchgreifenden) Verfahrensrüge entgegengetreten ist. Zum anderen war der Umstand, dass der [X.]eklagte nach [X.]ekanntwerden der Vorwürfe nicht vom Dienst suspendiert worden ist, von vornherein nicht relevant für die Maßnahmebemessung. Denn dieser Umstand führt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] nicht zu einer geringeren Schwere des Dienstvergehens. Über die Frage des Verbleibs des [X.]eamten im [X.]eamtenverhältnis nach einem vorangegangenen Dienstvergehen ist nicht von seinem Dienstvorgesetzten, sondern von den Gerichten zu entscheiden. Deren Aufgabe ist es zu beurteilen, ob aufgrund des Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist das der Fall, so vermag daran auch eine vorherige Weiterverwendung im Dienst nichts zu ändern (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. März 2012 - 2 [X.] 140.11 - juris Rn. 7 m.w.N. und vom 17. April 2020 - 2 [X.] 3.20 - [X.] 235.2 [X.]disziplinarG Nr. 73 Rn. 26 m.w.N.).

3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 67 Satz 1 [X.] NRW) zuzulassen.

Die [X.]eschwerde rügt als Verfahrensfehler, dass das Oberverwaltungsgericht die [X.] nicht als unzulässig abgewiesen habe, obwohl diese zu einem Zeitpunkt erhoben worden sei, zu dem die Einstellungsverfügung noch nicht zurückgenommen gewesen sei. Damit kann sie nicht durchdringen.

Der geltend gemachte Mangel liegt nicht vor. Denn nach § 33 Abs. 3 Satz 1 [X.] NRW können ungeachtet der Einstellung des Disziplinarverfahrens die höhere dienstvorgesetzte Stelle oder die oberste Dienstbehörde wegen desselben Sachverhalts innerhalb einer Dreimonatsfrist u.a. [X.] erheben. Wenn somit trotz einer fortbestehenden Einstellung des Disziplinarverfahrens eine [X.] erhoben werden kann, dann ist es insoweit ohne [X.]elang, ob die Einstellungsverfügung überhaupt aufgehoben wird und erst recht, wann sie aufgehoben wird.

4. [X.] beruht auf § 74 Abs. 1 [X.] NRW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil für das [X.]eschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NRW erhoben werden.

Meta

2 B 27/21

15.02.2022

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. April 2021, Az: 3d A 4517/19.O, Urteil

§ 13 BDG, § 13 DG NW 2007, § 33 Abs 3 S 1 DG NW 2007

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.02.2022, Az. 2 B 27/21 (REWIS RS 2022, 6115)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6115

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