Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.11.2017, Az. I B 27/17

1. Senat | REWIS RS 2017, 2338

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Gegenstand

Unsubstantiierter Beweisantrag - Prüfung einer Steuerhinterziehung als Voraussetzung einer verlängerten Festsetzungsfrist


Leitsatz

1. NV: Unsubstantiierten Beweisanträgen eines Beteiligten muss das FG nicht nachgehen .

2. NV: Die Finanzgerichte haben den Tatbestand der Steuerhinterziehung als Voraussetzung einer auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist in eigener Zuständigkeit nach den Verfahrensvorschriften der AO und der FGO zu prüfen. Eine Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung im Strafverfahren besteht nicht .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 7. Februar 2017  2 K 3154/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis 31. Juli 2007 bei der [[X.].] angestellt. Für den Verlust seines Arbeitsplatzes erhielt der Kläger im August 2007 von der vormaligen Arbeitgeberin eine Abfindungszahlung von ... €.

2

Gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) gab der Kläger in seiner im Juli 2009 eigereichten Steuererklärung für das Streitjahr (2007) an, er sei ab Juni 2007 in [X.] ([X.] --VAE--) wohnhaft gewesen und daher im Hinblick auf die Abfindungszahlung beschränkt steuerpflichtig. In der Lohnsteuerbescheinigung war die Abfindung als nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ([X.]) steuerfreier Arbeitslohn eingetragen. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 setzte das [X.] die Einkommensteuer des [X.] in der Weise fest, dass es die Abfindungszahlung nicht in die Bemessungsgrundlage einbezog.

3

Nachdem im Juni 2014 ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden war, kam das [X.] zu der Auffassung, dass der Kläger seinen inländischen Wohnsitz nach dem 31. Mai 2007 nicht vollständig aufgegeben habe und daher auch im Zeitpunkt der Abfindungszahlung noch unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Das [X.] nahm des Weiteren an, der Kläger habe den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht. Es erließ am 5. Oktober 2015 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([[X.].]) einen geänderten Steuerbescheid für das Streitjahr, in dem es die Abfindungszahlung zur Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer hinzurechnete.

4

Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) [X.] hat sie mit Urteil vom 7. Februar 2017  2 K 3154/15 als unbegründet abgewiesen.

5

Der Kläger beantragt mit seiner Beschwerde, die Revision gegen das [X.] zuzulassen.

6

Das [X.] beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegen nicht vor.

8

1. Der Kläger rügt, das [X.] habe unter Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) und das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) vom Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2017 gestellte [X.]eweisanträge auf Vernehmung von insgesamt 15 Zeugen übergangen. Das [X.] war jedoch auf der Grundlage seiner --für die Prüfung auf Verfahrensmängel maßgeblichen (vgl. z.[X.]. Urteil des [X.] --[X.]FH-- vom 17. Mai 2017 II R 35/15, [X.], 95, [X.], 966)-- materiell-rechtlichen Sichtweise nicht gehalten, den [X.]eweisangeboten nachzugehen.

9

a) Den [X.]eweisangeboten des [X.] war ein richterlicher Hinweis mit Aufklärungsanordnung des [X.] vom 15. November 2016 vorausgegangen. Darin hat die [X.]erichterstatterin die später auch im angefochtenen Urteil zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des [X.] dargelegt, der zufolge der inländische [X.]esteuerungszugriff auf die Abfindung --auch unter [X.]eachtung des mit den [X.] seinerzeit bestehenden D[X.]A-- dann gegeben wäre, wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung entweder einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hätte und dass aus Sicht des [X.] nach gegenwärtiger Aktenlage beides zu bejahen sei. Der Kläger wurde auch darauf hingewiesen, welche tatsächlichen Anforderungen an einen inländischen Wohnsitz zu stellen sind und dass es dafür nicht erforderlich sei, dass die inländische Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen bilde. Der Kläger wurde vom [X.] aufgefordert, seinen Sachvortrag u.a. zur Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und zum gewöhnlichen Aufenthalt durch Unterlagen oder andere [X.]eweismittel nachzuweisen.

b) Darauf hat der Kläger in der Weise reagiert, dass er mit dem erwähnten Schreiben vom 15. Januar 2017 eine Liste von 15 Zeugen eingereicht hat, die --so der [X.] "befragt werden können, wo im Streitjahr 2H/2007 mein Lebensmittelpunkt gewesen ist". Das [X.] hat diesen [X.]eweisanträgen nicht entsprochen, weil zum einen die Frage des [X.] unerheblich für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes sei und zum anderen den [X.]eweisanträgen eine substantiierte [X.]ehauptung von Tatsachen, die der jeweilige Zeuge bekunden solle, fehle; es handele sich um [X.]eweisanträge "ins [X.]laue hinein" bzw. unzulässige Ausforschungsbeweise.

c) Das [X.] hat dadurch weder die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht noch die Grundsätze zur [X.]eweiserhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 2 [X.]O verletzt. Die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 [X.]O erfordert, dass das [X.] Tatsachen und [X.]eweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 27. Juli 2016 V [X.] 4/16, [X.], 1740). Es darf substantiierte [X.]eweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen ([X.] vom 15. Dezember 2016 VI [X.] 50/16, [X.], 598). Demgegenüber muss das [X.] unsubstantiierten [X.]eweisanträgen nicht nachgehen; eine unzulässige Vorwegnahme der [X.]eweiswürdigung ist in der Zurückweisung von unsubstantiierten [X.]eweisanträgen nicht zu sehen. Ein [X.]eweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche konkrete Tatsache durch welches [X.]eweismittel nachgewiesen werden soll ([X.]FH-Urteil in [X.], 95, [X.], 966).

Nach diesen Grundsätzen musste das [X.] den [X.]eweisanträgen des [X.] nicht entsprechen. Denn auf der Grundlage der materiell-rechtlichen [X.]eurteilung des [X.] war die Frage, ob der Kläger in der zweiten Jahreshälfte 2007 seinen Lebensmittelpunkt im Inland oder in den [X.] hatte, nicht entscheidungserheblich. Vor dem Hintergrund des richterlichen Hinweisschreibens vom 15. November 2016, in dem das [X.] explizit darauf hingewiesen hatte, dass ein Wohnsitz im Inland nicht voraussetze, dass auch der Lebensmittelpunkt im Inland liege, bieten die Ausführungen im Schreiben des [X.] vom 15. Januar 2017 --entgegen dem Vorbringen in der [X.] keinen [X.] dafür, die [X.]eweisangebote "bei verständiger Würdigung" dahin auszulegen, dass sie auch zum Nachweis dafür dienen sollten, dass der Kläger den bisherigen Familienwohnsitz im Inland Ende Mai 2007 vollständig aufgegeben habe. Dass der Kläger bei der Abfassung des Schreibens vom 15. Januar 2017 nicht mehr durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertreten war, ändert daran nichts, weil die Hinweise der [X.]erichterstatterin auch für einen juristischen Laien gut verständlich gewesen sind.

Zudem hat das [X.] die [X.]eweisanträge zu Recht als unsubstantiiert angesehen. Denn der Kläger hat sich auf die pauschale [X.]enennung der Zeugen zum Problemkreis des [X.] beschränkt, ohne dass anhand seiner Angaben ersichtlich wäre, aufgrund welcher Wahrnehmungen die angebotenen Zeugen über welche konkreten Sachverhalte Auskünfte hätten geben können (vgl. zu diesem Erfordernis [X.] vom 24. September 2013 XI [X.] 75/12, [X.], 164).

2. Soweit der Kläger rügt, das [X.] habe sich nicht mit dem Schreiben von Rechtsanwältin [X.] zum Scheidungsverfahren des [X.] vom ... 2016 befasst, räumt er selbst ein, dass dieses Schreiben dem [X.] nicht zur Kenntnis gebracht worden ist; ein Verfahrensmangel scheidet daher aus. Neuer Sachvortrag kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden. Darüber hinaus lassen die Ausführungen in dem Schreiben, denen zufolge sich der Kläger im Jahr 2007 von seiner Ehefrau getrennt und nach [X.]eendigung seines Arbeitsverhältnisses "mit der erhaltenen Abfindung ins Ausland gegangen" sei, um sich dort eine neue berufliche Existenz aufzubauen, keinen Schluss darauf zu, inwiefern im August 2007 die Voraussetzungen eines inländischen Wohnsitzes auf Seiten des [X.] noch gegeben waren oder nicht.

3. Entgegen der Ausführungen in der [X.]eschwerdebegründung war das [X.] nicht verpflichtet, den Rechtsstreit gemäß § 74 [X.]O bis zum Abschluss des gegen den Kläger laufenden Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung auszusetzen. Vielmehr war das [X.] gehalten, den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO als Voraussetzung einer nach § 169 Abs. 2 Satz [X.] auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist in eigener Zuständigkeit nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen (vgl. z.[X.]. [X.]FH-Urteil vom 29. Oktober 2013 VIII R 27/10, [X.]FHE 243, 116, [X.]St[X.]l II 2014, 295). Ein verfahrensrechtlicher Vorrang eines Strafverfahrens gegenüber dem Verfahren der Steuerfestsetzung besteht nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der strafrechtlichen Unschuldsvermutung.

4. Die weiteren Einwendungen des [X.] zur [X.]eweis- und Sachverhaltswürdigung sowie zur materiell-rechtlichen [X.]eurteilung des Streitfalls durch das [X.] weisen keine hinreichenden [X.]ezüge zu einem der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 [X.]O auf und entsprechen daher nicht den Darlegungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O. Von einer weiter gehenden [X.]egründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I B 27/17

15.11.2017

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 7. Februar 2017, Az: 2 K 3154/15, Urteil

§ 169 Abs 2 S 2 AO, § 370 Abs 1 AO, § 74 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 81 Abs 1 S 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.11.2017, Az. I B 27/17 (REWIS RS 2017, 2338)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2338

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