Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2011, Az. VI ZR 5/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3198

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 5/11

vom

20. September
2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO §§ 156, 296a
Räumt das Gericht einer Partei ein Schriftsatzrecht zur Stellungnahme zu einem erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis ein und wird in einem daraufhin eingegangenen Schriftsatz neuer entscheidungserheblicher Prozessstoff eingeführt, so muss das Gericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen oder in das schriftli-che Verfahren übergehen, um dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren.
[X.], Beschluss vom 20. September 2011 -
VI ZR 5/11 -
Saarländisches OLG

LG [X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
20. September 2011
durch den Vorsitzenden [X.], die Richter
Wellner, Pauge und [X.] sowie die Richterin von Pentz
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 1.
Zivilsenats des [X.] vom 1.
Dezember 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen
fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger wurde am 30. August 2006 in der von der [X.] betriebenen Klinik wegen eines Plattenepithelkarzinoms im Mundraum einem über 14 Stunden dauernden operativen Eingriff unterzogen. Die [X.] gliederte sich in verschiedene Abschnitte, über die jeweils gesonderte [X.]sberichte und [X.]spro-1
-
3
-

tokolle erstellt wurden. Während der ersten 37 Minuten der [X.] wurde eine Tracheotomie vorgenommen. Nach der [X.] wurden beim Kläger [X.] am Rücken, Kopf, Gesäß und rückseitigen Oberschenkel fest-gestellt. Der Kläger führt diese Veränderungen auf von der [X.] zu ver-antwortende Fehler bei der Lagerung im Rahmen der [X.] zurück. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den An-spruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG in entschei-dungserheblicher Weise verletzt.
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG ist das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt,
der Kläger sei ordnungs-gemäß auf dem [X.]stisch gelagert worden. Die Nichtzulassungsbe-schwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht seiner
Überzeugungsbil-dung die erst mit nachgelassenem Schriftsatz vom 8. November 2010 und [X.] nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgelegten [X.]sprotokol-le über die [X.], die Tumorresektion und den mikrochirurgischen Gewebetransfer sowie den [X.] zugrunde gelegt hat, ohne zuvor die Verhandlung wieder zu eröffnen, um dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und über das Beweisergebnis zu verhandeln (§
285 ZPO).
2
3
-
4
-

a) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung von einer ordnungsge-mäßen Lagerung des [X.] auf dem [X.]stisch auf die Angaben des Zeugen W.

und die von der [X.] mit Schriftsatz vom 8. November 2010 vorgelegten Urkunden ([X.]sprotokolle und [X.]) gestützt. Der Zeuge W.

hatte angegeben, dass er für den operativen Eingriff eingeteilt und u.a. für die Instrumente und für Verbrauchsmaterial zu-ständig gewesen sei. Er habe Frühdienst gehabt, so dass er vom Beginn der [X.] bis etwa 15.30 Uhr dabei gewesen sei. An die konkrete Art und [X.], wie der Kläger gelagert worden sei, habe er keine Erinnerung. Er könne nur dazu etwas sagen, wie in solchen Fällen standardgemäß verfahren werde. Nachdem der Kläger ausgeführt hatte, dass der Zeuge W.

ausweislich der [X.]sberichte lediglich dem letzten Teil der [X.] -
dem mikrochirurgi-schen Gewebetransfer
-
beigewohnt habe, hat das Berufungsgericht die [X.] in der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2010 auf Widersprüche zwischen dem vorgelegten [X.]sprotokoll über die Tracheotomie, wonach der Zeuge W.

zugegen gewesen sei, und den vier [X.]sberichten, wo-nach der Zeuge W.

lediglich während des letzten Teils der [X.] anwe-send gewesen sei, hingewiesen. Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 8.
November 2010 hat die Beklagte daraufhin ergänzend vorgetragen und erstmals auch die [X.]sprotokolle über die [X.], die [X.] und den mikrochirurgischen Gewebetransfer sowie einen Ausdruck der Arbeitszeiterfassung vorgelegt. Ohne die Verhandlung wiederzueröffnen und ohne dem Kläger Gelegenheit zur Erwiderung zu geben,
hat
das Berufungsge-richt seine Überzeugung von einer ordnungsgemäßen Lagerung des [X.] auf dem [X.]stisch u.a. auf die nach Schluss der mündlichen
Verhandlung vorgelegten Urkunden gestützt und die Klage abgewiesen.
b) Hierdurch hat es den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Art.
103 Abs.
1 GG gibt dem an ei-4
5
-
5
-

nem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtli-chen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu [X.]. Das Gericht darf nur solche Tatsachen und Beweise verwerten, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten ([X.] NJW 1994, 1210). Räumt das Gericht einer Partei ein Schriftsatzrecht zur Stellungnahme zu einem erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis ein und wird in einem daraufhin ein-gegangenen Schriftsatz neuer entscheidungserheblicher Prozessstoff einge-führt, so muss das Gericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen
oder in das schriftliche Verfahren übergehen, um dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren
(vgl. Musielak/[X.], ZPO, 8.
Aufl.,
§
156 Rn.
4; [X.]/[X.], ZPO, 28.
Aufl., §
296a Rn.
4). Dies gilt umso mehr, wenn -
wie im vorliegenden Fall
-
im nachgelassenen Schriftsatz präsente Beweismittel vorgelegt werden, die gemäß §
285 Abs.
1 ZPO zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 20.
Dezember 2005 -
VI
ZR 307/04, [X.]-Report
2006, 529).
2.
Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht den Beweis für eine ord-nungsgemäße Lagerung des [X.] auf dem [X.]stisch nicht als geführt angesehen hätte, wenn es die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und dem Kläger Gelegenheit zur Erwiderung gegeben hätte.
3.
Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen. Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass die [X.] bei Auftreten operationsbedingter Lagerungsschä-den wie im Streitfall die Beweislast nicht nur für die technisch richtige Lagerung des Patienten auf dem [X.]stisch und die Beachtung der dabei zum Schutz des Patienten vor etwaigen Lagerungsschäden einzuhaltenden ärztli-6
7
-
6
-

chen Regeln, sondern auch dafür trägt, dass die richtige Lagerung vor und wäh-rend der [X.] in standardgemäßem Umfang kontrolliert worden ist (vgl. Senatsurteile vom 24.
Januar 1984 -
VI
ZR 203/82, [X.], 386; vom 24.
Januar 1995 -
VI
ZR 60/94, [X.], 539; [X.], [X.], 695 mit NA-Beschluss des Senats vom 20.
November 1990; [X.], [X.], 1194 mit NA-Beschluss des Senats vom 11.
Juli 1995).

Galke
Wellner
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 26.02.2009 -
16 O 329/07 -

OLG [X.], Entscheidung vom 01.12.2010 -
1 U 166/09-38-
-

Meta

VI ZR 5/11

20.09.2011

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2011, Az. VI ZR 5/11 (REWIS RS 2011, 3198)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3198

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 5/11 (Bundesgerichtshof)

Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung: Einführung von neuem entscheidungserheblichem Prozessstoff nach Einräumung eines Schriftsatzrechts zur Stellungnahme …


VI ZR 529/16 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 529/16 (Bundesgerichtshof)

Arzt- und Krankenhaushaftung: Verbrennungen eines Patienten bei der Verwendung eines Hochfrequenzgeräts während einer Prostataoperation; Beweislastumkehr …


5 U 228/07 (Oberlandesgericht Köln)


VI ZR 25/09 (Bundesgerichtshof)

Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Arzthaftungsprozess: Nicht nachgelassener Schriftsatz nach neuen und ausführlicheren Beurteilungen des …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZR 5/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.