Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2017, Az. VI ZR 529/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4791

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Gegenstand

Arzt- und Krankenhaushaftung: Verbrennungen eines Patienten bei der Verwendung eines Hochfrequenzgeräts während einer Prostataoperation; Beweislastumkehr bei objektiv beherrschbarem Risiko


Leitsatz

Zu Verbrennungen des Patienten durch atypischen Stromfluss bei der Verwendung eines Hochfrequenzgeräts.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 26. Zivilsenats des [X.] vom 4. November 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 75.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die [X.] wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

2

Der am 8. Juni 1955 geborene Kläger wurde am 27. April 2011 in dem von der [X.] zu 2 betriebenen Krankenhaus von dem [X.] zu 1 wegen eines Prostata-Karzinoms unter Verwendung eines Hochfrequenzgeräts (Elektrokauter) operiert. Am Folgetag wurde beim Kläger eine Rötung mit Blasenbildung auf beiden Gesäßhälften festgestellt, die sehr schmerzhaft war. Der zuständige Stationsarzt forderte deshalb ein Konsil in der Verbrennungsabteilung des [X.]an. Die Befunde wiesen eine Verbrennung Stadium 2a mit einer Längenausdehnung von 20 cm und einer Breitenausdehnung von 10 cm aus. [X.] wurde vom [X.]          die Behandlung der entsprechenden Stellen mit Flammazine Salbe empfohlen und eine ambulante Vorstellung für den nächsten Tag vereinbart. Diese ergab den Verdacht auf eine entzündliche Komplikation. Das daraufhin durchgeführte [X.] zeigte ein Ödem der Gesäßmuskulatur und der Rückenmuskulatur. Aufgrund deutlich angestiegener Entzündungsparameter, einem Fieberanstieg auf 38,8° und des [X.]-Befundes wurde die Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Komplikation der Verbrennungsläsion in Form einer sogenannten nekrotisierenden Fasziitis gestellt und der Kläger im [X.]           notoperiert. Hierbei wurde das von dem nekrotisierenden Entzündungsgeschehen erfasste Binde- und Muskelgewebe - 2/3 des Musculus gluteus maximus rechts - entfernt. Später wurde eine weitere Revisionsoperation mit Entfernung von entzündetem Muskel- und Bindegewebe notwendig. Aus Hygienegründen war darüber hinaus die vorübergehende Anlage eines Anus praeter erforderlich. Der Kläger macht geltend, dass seine Lagerung und/oder die Durchführung der [X.] fehlerhaft gewesen sei. Bei ordnungsgemäßer Lagerung und Anwendung des Geräts sei eine Läsion, wie sie bei ihm aufgetreten sei, ausgeschlossen. Außerdem sei er über das Risiko einer intraoperativen Verbrennung nicht aufgeklärt worden.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dass es im Rahmen der [X.] zwar zu einer erheblichen Verbrennung im Bereich des Rückens und des Gesäßes des [X.] gekommen sei. Dies beruhe aber nicht auf Behandlungsfehlern der [X.], sondern stelle einen schicksalhaften Verlauf dar. Es sei auch bei Berücksichtigung sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen möglich, dass sich während der [X.] durch Schwitzen des Patienten Flüssigkeitsansammlungen unter ihm bildeten, die dann zu erheblichen Verbrennungen führen könnten, wenn über diese Flüssigkeitsansammlung ein Kontakt zum leitfähigen [X.]stisch hergestellt werde. Nach dem sterilen Abdecken des [X.]sfeldes könne der Operateur nicht mehr kontrollieren, ob zwischen [X.]stisch und Patienten Flüssigkeitsansammlungen vorhanden seien.

4

Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Nach seiner Auffassung lasse sich nicht feststellen, dass den [X.] Behandlungsfehler unterlaufen seien. Der Kläger habe insbesondere eine fehlerhafte Lagerung nicht bewiesen. Eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos sei nicht gerechtfertigt. Es handele sich nicht um voll beherrschbare Abläufe, da sich noch während der [X.] leitfähige Feuchtigkeit durch unbemerkt am Körper entlanggelaufene Spülflüssigkeit oder Schwitzen bilden könne. Nach dem sterilen Abdecken des [X.]sfeldes habe der Operateur aber keine Kontrollmöglichkeit mehr im Hinblick auf eine Feuchtigkeitsansammlung unter der Abdeckung, über die ein Kontakt zum leitfähigen [X.]stisch hergestellt werde. Aus diesem Grund sei nicht festzustellen, dass eine Verbrennung auf einem Behandlungsfehler beruhen müsse. Auch wenn keine Verbrennung, sondern ein Lagerungsschaden beim Kläger aufgetreten sei, habe dieser eine fehlerhafte Lagerung nicht bewiesen. Aus den Krankenunterlagen ergäben sich insoweit keine Anhaltspunkte.

II.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen Behandlungsfehler in Form fehlerhafter Lagerung nicht bewiesen, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

6

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. [X.] 88, 366, 375 f. mwN). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. [X.] 47, 182, 189). Geht ein Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. [X.] 86, 133, 146; [X.], Beschluss vom 15. Mai 2012 - 1 BvR 1999/09, juris Rn. 13).

7

2. Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht.

8

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht [X.] des Vortrags des [X.] nicht erfasst und wesentliche, dem Kläger günstige Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen unberücksichtigt gelassen hat. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, hatte der Kläger bereits in der Klageschrift ausgeführt, dass ein Behandlungsfehler darin zu sehen sei, dass er aufgrund unsachgemäßer Lagerung Verbrennungen davongetragen habe. In der Berufungsbegründung hat er diesen Vorwurf aufgegriffen und unter Hinweis auf einen beigefügten Aufsatz ausgeführt, dass dann, wenn er so gelagert worden wäre, wie die [X.] behaupteten, es technisch nicht zu einer Verbrennung habe kommen können. Diese Behauptung des [X.] wird gestützt durch die Angaben des medizintechnischen Sachverständigen D. in seinem schriftlichen Gutachten, wonach ein ungewollter [X.] aus dem Körper des Patienten bei der Anwendung monopolarer HF-Chirurgie nur bei nicht ordnungsgemäßer Lagerung des Patienten zustande kommen könne, d.h. in Fällen, in denen der Patient Körperkontakt zu elektrisch leitfähigen geerdeten Teilen, entweder direkt oder indirekt über feuchtes Material habe. Auch der urologische Sachverständige Prof. Dr. W.-J. gab im Rahmen seiner Anhörung im Termin vom 28. August 2015 an, dass nach Auskunft des Sicherheitsingenieurs in seinem Hause eine Schädigung des Patienten nicht möglich sei, solange keine leitfähige Verbindung des Patienten zum Tisch und keine Ableitung von Strom erfolge. Der Tisch sei hoch leitfähig, aber mit einer isolierenden Gel-Matte und Tüchern belegt, wodurch der Patient vor [X.] geschützt werde. In seiner Anhörung im Termin vom 6. Dezember 2013 gab Prof. Dr. W.-J. an, dass physikalisch ein Strom geflossen und durch das Laken in den Tisch abgeleitet worden sein müsse, der die Erdung darstelle. Es müsse sich um einen Fehlerstrom auf der Oberfläche oder in den Unterlagen gehandelt haben.

9

Diese ihm günstigen Ausführungen der Sachverständigen hatte sich der Kläger zumindest konkludent zu eigen gemacht (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 24. März 2015 - [X.], NJW 2015, 2125 Rn. 17; vom 16. August 2016 - [X.], [X.], 1380 Rn. 12). Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, liegt bei dieser Sachlage die Annahme nahe, dass die - vom Berufungsgericht als eine mögliche Schädigungsursache angenommene - Verbrennung des [X.] sicher hätte vermieden werden können, wenn er auf einer dauerhaft nicht leitfähigen, d.h. auch nach dem Verbleiben von Spülflüssigkeit oder dem intraoperativen Austritt von Körperflüssigkeiten wie Schweiß nicht leitfähig bleibenden Unterlage gelagert worden wäre. Diese Frage hätte das Berufungsgericht aufklären müssen. Denn trifft diese Annahme zu, so hätte sich ein Risiko verwirklicht, das von der [X.] voll hätte beherrscht werden können und müssen mit der Folge, dass sie hätte beweisen müssen, alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen zu haben, um dieses Risiko zu vermeiden (vgl. [X.]sbeschluss vom 16. August 2016 - [X.], [X.], 1380 Rn. 6 mwN). Kann das Risiko von Verbrennungen durch atypischen Stromfluss bereits dadurch verhindert werden, dass der Patient auf einer dauerhaft nicht leitfähig bleibenden Unterlage gelagert wird, ist es unerheblich, dass [X.] unter dem Patienten während der [X.] nicht festgestellt werden können.

b) [X.] hat das Berufungsgericht einen Behandlungsfehler auch für den - von ihm ebenfalls als möglich angesehenen - Fall als nicht feststellbar erachtet, dass beim Kläger kein Verbrennungs-, sondern ein Lagerungsschaden im engeren Sinne aufgetreten ist. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, hat das Berufungsgericht verkannt, dass nach [X.]en entstandene Lagerungsschäden grundsätzlich als vollbeherrschbar gelten, mit der Folge, dass sich die [X.] von der [X.] entlasten muss (vgl. [X.]surteile vom 24. Januar 1984 - [X.], [X.], 386, juris Rn. 14; vom 18. Dezember 1990 - [X.], [X.], 310 juris Rn. 12; vom 24. Januar 1995 - [X.], [X.], 539 juris Rn. 11; Beschluss vom 20. September 2011 - [X.], [X.], 1462, 1463). Danach sind die technisch richtige Lagerung des Patienten auf dem [X.]stisch und die Beachtung der dabei zum Schutz des Patienten vor etwaigen Lagerungsschäden einzuhaltenden ärztlichen Regeln Maßnahmen, die dem Risikobereich des Krankenhauses und dem ärztlichen Bereich zuzuordnen sind und von diesem voll beherrschbar sind (vgl. [X.]surteile vom 24. Januar 1984 - [X.], [X.], 386, juris Rn. 14; vom 24. Januar 1995 - [X.], [X.], 539 juris Rn. 11; Beschluss vom 20. September 2011 - [X.], [X.], 1462, 1463). Die Beweislastumkehr bei Lagerungsschäden beruht darauf, dass bei der Lagerung des Patienten während der [X.] auch die Risikofaktoren, die sich etwa aus seiner körperlichen Konstitution ergeben, ärztlicherseits eingeplant und dementsprechend ausgeschaltet werden können und es deshalb Sache der [X.] ist, zu erklären, warum es gleichwohl zu einem Lagerungsschaden gekommen ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der [X.] nur dann angenommen, wenn bei dem Patienten eine ärztlicherseits nicht im Voraus erkennbare, seltene körperliche Anomalie vorliegt, die ihn für den eingetretenen Schaden anfällig gemacht hat. Denn liegt eine seltene und mit vertretbarem Aufwand nicht vorab [X.] vor, was zur Beweislast der [X.] steht, ist das damit verbundene Risiko für sie nicht mehr uneingeschränkt beherrschbar ([X.]surteil vom 24. Januar 1995 - [X.], aaO juris Rn. 11). Die vom Berufungsgericht beiläufig erwähnten Umstände (OP-Dauer, Übergewicht des Patienten und Periduralanästhesie) waren allesamt Risikofaktoren, die vor der [X.] eingeplant werden konnten. Das Berufungsgericht hat sich aber schon nicht mit der Frage befasst, ob für den Fall, dass Ursache der Schädigung des [X.] keine Verbrennung, sondern eine fehlerhafte Lagerung im engeren Sinne ist, eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen des objektiv beherrschbaren Risikos in Betracht kommt.

c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des [X.] zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

III.

Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde in der Beschwerdebegründung zu befassen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken.

[X.]     

      

von [X.]     

      

Offenloch

      

[X.]     

      

Müller     

      

Meta

VI ZR 529/16

26.09.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 4. November 2016, Az: 26 U 67/13, Urteil

§ 280 BGB, § 630a BGB, § 630h BGB, § 823 Abs 1 BGB, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2017, Az. VI ZR 529/16 (REWIS RS 2017, 4791)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1420-1421 REWIS RS 2017, 4791


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 529/16

Bundesgerichtshof, VI ZR 529/16, 26.09.2017.


Az. 26 U 67/13

Oberlandesgericht Hamm, 26 U 67/13, 04.11.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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