Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2017, Az. VI ZR 89/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10886

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:160517BVIZR89.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR
89/16
vom

16. Mai
2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 296 Abs. 1, § 411 Abs. 4 Satz 2, § 531 Abs. 1, §
544 Abs.
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a)
Ein Gehörsverstoß liegt vor, wenn der Tatrichter Angriffs-
oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet (Fortführung Senatsbeschluss vom 31. Mai 2016

[X.], NJW 2016, 3785 Rn. 11).
b)
Hat das
Gericht eine Frist zur Stellungnahme zum Gutachten gemäß § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt, so kann nach Fristablauf eingehender Parteivortrag, der sich nicht auf die im Gutachten behandelte Beweisfrage bezieht, nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.

[X.], Beschluss vom 16. Mai 2017 -
VI [X.]/16 -
OLG Schleswig

[X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
16. Mai
2017
durch den [X.] [X.], [X.],
die Richterinnen Dr.
[X.] und Dr.
Roloff
und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
1.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der [X.] des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlan-desgerichts vom 15. Februar 2016 im Kostenpunkt mit Ausnahme der Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des [X.] zu 2 und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 1 im Urteil des [X.] vom 27. Februar 2015 zurückgewiesen worden ist.
2.
Die Sache wird
im Umfang der Aufhebung zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des [X.] mit Ausnahme der außergerichtlichen Kos-ten des [X.] zu 2,
an das Berufungsgericht zurückverwie-sen.
3.
Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ge-gen den vorgenannten Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] zurückgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die dem [X.] zu 2 im Beschwerdeverfah-ren entstandenen außergerichtlichen Kosten (§ 97 Abs. 1 ZPO).
5.
Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens

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Gründe:
I.
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche nach einer im Haus der [X.] zu 1 vom [X.] zu 2 durchgeführten Schilddrüsenresektion gel-tend.
Bei der 1966 geborenen Klägerin war im Jahr 1985 aufgrund eines pa-pillären Schilddrüsenkarzinoms eine subtotale Schilddrüsenresektion durchge-führt worden. Im Februar 2011 wurden im Rahmen einer in der Klinik für Nukle-armedizin der
[X.] zu 1 durchgeführten Kontrolluntersuchung (Sonogra-phie) in der [X.] drei auffällige Herdbefunde festgestellt. Zur Über-prüfung einer möglichen Zellveränderung wurde eine Feinnadelpunktion vorge-nommen. Die pathologische Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab den Nachweis atypischer, bösartiger
Zellen, wobei das [X.] als vereinbar mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom oder dessen follikulärer Variante [X.] wurde. Die Klägerin stellte sich mit diesem Befund Anfang März 2011 bei dem [X.] zu 2, Oberarzt in der [X.] der [X.] zu 1, vor, der ihr zu einer totalen Schilddrü-senentfernung riet und diesen Eingriff
dann
auch durchführte. Im Rahmen des operationsbegleitenden Neuromonitorings wurde auf der linken Seite des [X.] vagus ein Signalverlust festgestellt; eine Quetschmarke des [X.] konnte nicht ausgeschlossen werden. Postoperativ zeigten
sich eine Stimmbandparese links und eine Minderbeweglichkeit des [X.] rechts. Die pathologische Untersuchung des im Rahmen der [X.] entfernten [X.] ergab keinen Nachweis eines Schilddrüsenkarzinoms; es fand sich [X.] ein 1,2 cm messendes mikrofollikuläres Adenom ohne Anhalt auf Malignität.
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Insbesondere mit der Behauptung, fehlerhaft behandelt worden zu sein, nimmt die Klägerin die [X.] auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.
Das [X.] hat die Klage nach Einholung eines chirurgischen Sachverständigengutachtens im Wesentlichen mit der Begründung abgewie-sen, die Klägerin habe einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der im Jahr 2011 in der Klinik der [X.] zu 1 erfolgten Behandlung an der [X.] nicht bewiesen.
Soweit sie
erstmals im Schriftsatz vom 28. Januar 2015 einen Fehler der Pathologie der [X.] zu 1 bei der Befundung des durch die
Feinnadelpunktion
gewonnenen Gewebes
geltend
mache, sei das Vorbrin-gen gemäß § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Die Klägerin habe
die Information, dass es sich bei den im Rahmen
der Feinnadelpunktion festge-stellten atypischen Zellen auch um [X.] handeln könne, bereits im März 2011 erhalten. Gleichwohl habe sie den ihr danach bekannt gewesenen Behandlungsfehlervorwurf weder mit ihrer Klage noch nach Erhalt des im [X.] eingeholten Sachverständigengutachtens
innerhalb der vom Gericht
zum Gutachten
gesetzten
Stellungnahmefrist erhoben.
Das [X.] hat die dagegen gerichtete Berufung durch ein-stimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg und führt gemäß §
544 Abs. 7 ZPO im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung der 3
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angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Im Übrigen ist sie
unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung insbe-sondere
ausgeführt, Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollstän-digkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des [X.]s bestün-den nicht. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Be-handlung
der Klägerin
in der Klinik der [X.] zu 1 fehlerhaft gewesen sei. Die
Behauptung der Klägerin im Schriftsatz vom 28. Januar 2015, beim
Feinna-delpunktat seien [X.] mit malignen Krebszellen verwechselt worden, habe das [X.] zu Recht gemäß § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen, weshalb der
Vortrag im Berufungsverfahren gemäß § 531
Abs. 1
ZPO ausge-schlossen sei.
2. Die Klägerin
rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe ihren Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es ihre Behauptung, die Patho-logie der [X.] zu 1 habe bei der Untersuchung des Feinnadelpunktats [X.] fehlerhaft mit Krebszellen verwechselt, zurückgewiesen habe.
a) Nach ständiger höchstrichterlicher und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung liegt ein Gehörsverstoß dann vor, wenn der Tatrichter Angriffs-
oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom
31. Mai 2015

[X.], NJW 2016, 3785 Rn. 11;
vom 3. März 2015

VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 7; [X.], [X.] vom 26. Oktober 1999

2 BvR 1292/96, [X.], 945, 946). Das ist vorliegend der Fall. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung des dargestell-ten Sachvortrags der Klägerin nach § 531 Abs. 1 ZPO lagen offenkundig nicht vor.
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b) Nach § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffsmittel, die im ersten [X.] zurückgewiesen worden sind, im zweiten Rechtszug nur dann ausge-schlossen, wenn die Zurückweisung im ersten Rechtszug zu Recht erfolgt ist. Das ist bezüglich der dargestellten Behauptung der Klägerin nicht der Fall; sie hätte

wie die
Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend darlegt

schon im ersten Rechtszug nicht gemäß § 296 Abs. 1, § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO zurückgewie-sen werden dürfen.
c) Die Zurückweisung eines Angriffs-
oder Verteidigungsmittels nach §
296 Abs. 1 ZPO setzt

auch in Verbindung mit § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO

voraus, dass das betreffende Angriffs-
oder Verteidigungsmittel erst nach [X.] einer hierfür gesetzten Frist vorgebracht wurde. Im Streitfall war
für die Zu-rückweisung der Behauptung, in der Pathologie der [X.] zu 1 sei es zu einem Fehler gekommen, also Voraussetzung, dass auch sie von der bei Über-sendung des Gutachtens vom [X.] nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO ge-setzten Frist erfasst wurde. Dies ist bereits nach dem Wortlaut des die Frist set-zenden Beschlusses

und damit offenkundig

nicht der Fall.
aa) Das [X.] hatte zur Frage von Behandlungsfehlern ein schrift-liches viszeralchirurgisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sach-verständige führte im Gutachten
unter anderem aus, auf der Grundlage der [X.] Befunde

[X.] echoarmer Knoten, zytologisch atypische (bösartige) Zellen, vereinbar mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom

und der Vorgeschichte
habe vom Vorliegen eines papillären Schilddrüsenkarzinoms ausgegangen werden müssen, das die vorgenommene Schilddrüsenentfernung indiziert habe. Das Ergebnis der pathologischen Untersuchung des Feinnadel-punktats legte der chirurgische Sachverständige dabei erkennbar als richtig zu-grunde; ihre Überprüfung war

dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung 9
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entsprechend (vgl. Senatsbeschluss vom 8. November 2016

[X.], [X.], 316 Rn. 12)

nicht Gegenstand des Gutachtens.
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bb) Mit der Klägerin am 13. August 2014 zugestelltem Beschluss vom 5.
August 2014 setzte das
[X.] den Parteien unter Hinweis auf § 411 Abs. 4, § 296 Abs. 1, 4 ZPO eine Frist von sechs Wochen,
"insbesondere eventuelle Einwendungen gegen das Gutachten, die [X.] betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem Gutach-ten mitzuteilen".

Bereits nach dem Wortlaut des Beschlusses bezog sich die gesetzte Frist damit allein auf eine Stellungnahme, Einwendungen, Anträge und [X.] zum Gutachten, das sich

wie dargelegt

allein mit der Frage nach einem etwaigen Behandlungsfehler in der Chirurgie der [X.] zu 1 befasste. Mit ihrer Behauptung, in der Pathologie der [X.] zu 1 sei es zu einem Behandlungsfehler gekommen, hat sich die Klägerin aber gerade nicht mit der sachverständigen Bewertung ihrer Behandlung in der chirurgischen Ab-teilung der [X.] zu 1 auseinandergesetzt, sondern einen anderen, von der chirurgischen Behandlung und ihrer Bewertung unabhängigen [X.] in der Pathologie geltend gemacht. Ihr entsprechender Vortrag war damit von der vom [X.] gesetzten Frist
nicht
erfasst.
3. Der in der Zurückweisung des dargelegten Sachvortrags der Klägerin liegende Gehörsverstoß ist in Bezug auf eine Haftung der [X.] zu 1 ent-scheidungserheblich. Es kann nicht
von vornherein
ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des dargestellten Vortrags
und
nach ergänzender Einholung eines pathologischen Sachverständigengutach-tens zu
dem
Ergebnis gelangt wäre, dass die
Behauptung der Klägerin zutrifft und dass in der behaupteten Verwechslung von Milchglas-
und Krebszellen
in der Pathologie der [X.] zu 1
nicht nur ein für die Haftung der [X.] zu 1 unbeachtlicher Diagnoseirrtum, sondern ein haftungsbegründender Behand-12
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lungsfehler (zur Abgrenzung von
bloßem Diagnoseirrtum und [X.] vgl. nur Senatsurteil vom 8. Juli 2003

[X.], NJW 2003, 2827 f., mwN) liegt.
4. [X.] war die Nichtzulassungsbeschwerde hingegen, so-weit sie sich auch gegen den [X.] zu 2 richtet.
Dass der Beklagte zu 2 als in der [X.] der [X.] zu 1 tätiger Oberarzt für den von der Klägerin behaupteten Fehler in der Pathologie verantwortlich sein könnte, zeigt die
Nichtzulassungsbeschwerde schon nicht auf. Der dargestellte Gehörsverstoß
ist
damit insoweit
nicht entscheidungserheblich. Auch im Übrigen legt
die Nicht-zulassungsbeschwerde in Bezug auf den
[X.]
zu 2
nicht dar, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des

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Revisionsgerichts erfordert (§
543
Abs.
2 Satz
1
ZPO). Von einer näheren Be-gründung wird gemäß §
544
Abs.
4 Satz
2, 2.
Halbs.
ZPO abgesehen.
[X.]
[X.]
[X.]

Roloff
Klein

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.02.2015 -
8 O 262/13 -

OLG Schleswig, Entscheidung vom 15.02.2016 -
4 [X.] -

Meta

VI ZR 89/16

16.05.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.05.2017, Az. VI ZR 89/16 (REWIS RS 2017, 10886)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10886

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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