Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2009, Az. IV ZR 181/07

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 332

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/07 Verkündet am:

2. Dezember 2009

[X.]

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein [X.]R: ja AVB Unfallversicherung (hier [X.], § [X.]) Aus dem allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung nach § [X.] [X.] fristgemäß vorbehaltenem Recht, die [X.] der Invalidität zu ver-langen, erwächst für den Versicherungsnehmer nicht die Pflicht, eine solche Neube-messung tatsächlich herbeizuführen. Die Weigerung des Versicherungsnehmers, zum Zweck der [X.] einen vom Versicherer benannten Arzt aufzusuchen, steht insoweit einem - zulässigen - Verzicht auf die [X.] gleich und ver-letzt nicht die Obliegenheit aus § [X.] [X.]. [X.], Urteil vom 2. Dezember 2009 - [X.]/07 - [X.] LG [X.] - 2 -

[X.] hat durch [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. [X.] und [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2009 für Recht erkannt: Auf die Revision des [X.] wird - unter Zurückwei-sung der [X.] der [X.] - das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.], Zivilsenate in [X.], vom 21. Juni 2006 im Kosten-punkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag auf [X.] von 65.445,38 • nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 23. August 2002 in Höhe von 57.428,33 • nebst darauf entfallende Zinsen zu-rückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der am 1. Februar 2000 aus 3,5 Metern Höhe von einer Leiter ge-stürzte Kläger fordert weitere Invaliditätsleistungen aus einer bei der [X.] gehaltenen Unfallversicherung, der die [X.] zugrunde liegen. 1 - 3 -

Die [X.]en streiten unter anderem um den Grad der Invalidität, den der Kläger durch die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen davongetragen hat. [X.] hat die Beklagte auf der Grundlage eines von Ärzten der [X.]in ihrem Auftrag am 12. Juli 2001 erstatteten Gutachtens, welches zur Feststellung eines [X.]sgrades von 30% gelangt war, eine Versicherungsleistung von 24.051,18 • erbracht.
Der Kläger meint, er sei bis zu 80% invalide und fordert daher eine zusätzliche Versicherungsleistung in Höhe von 65.445,38 •. Er hat mit Schreiben an die Beklagte vom 11. August 2001 Widerspruch gegen die von der [X.] in deren Schreiben vom 7. August 2001 [X.] seines Invaliditätsgrades erhoben und zugleich des-sen Neufestsetzung nach 15 Monaten gefordert. Mit Schreiben vom 15. August 2001 erklärte sich die Beklagte lediglich dazu bereit, das Neufestsetzungsverfahren gemäß § [X.] [X.] ein Jahr nach der Erstbegutachtung mittels einer weiteren Begutachtung des [X.] durchzuführen. Dementsprechend wurde der Kläger Ende Mai/Anfang Juni 2002 von der [X.] und der von ihr erneut beauftragten [X.]

aufgefordert, sich am 8. Juli 2002 nochmals zur Untersu[X.] und Begutachtung einzufinden. Der Kläger erhob daraufhin in einem Schreiben an die Beklagte vom 2. Juli 2002 den Vorwurf, die Ärzte der Unfallklinik hätten ihn schon 2001 unzu-reichend, insbesondere unter Außerachtlassung zahlreicher Befunde und unter Manipulation von Röntgenbildern "inkompetent" untersucht. Er [X.] deshalb eine erneute Untersu[X.] in derselben Klinik für sinnlos. Mit Schreiben an die Unfallklinik vom selben Tage sagte der Kläger den an-beraumten Untersu[X.]stermin ab. 2 - 4 -

3 Die Beklagte wies den Kläger unter dem 11. Juli 2002 schriftlich auf § [X.] [X.] und die darin geregelte Obliegenheit hin, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, die der Versicherer beauftrage. Für den Fall erneuter Weigerung wurde der Kläger zugleich auf drohende Leis-tungsfreiheit des Versicherers hingewiesen (§ 10 [X.]). Dennoch be-harrte der Kläger sowohl telefonisch als auch schriftlich auf seiner Wei-gerung, sich der Untersu[X.] durch Ärzte der Unfallklinik M. zu stellen. Am 23. August 2002 teilte ihm die Beklagte unter Berufung auf §§ [X.] und 10 [X.] schriftlich mit, sie sei nunmehr leistungsfrei und sehe die Bearbeitung seiner Unfallangelegenheit damit als "endgültig be-endet" an. 4 Hiergegen wendet sich die Klage, mit der der Kläger unter [X.] auf den nach seiner Behauptung höheren Invaliditätsgrad weitere 65.445,38 • fordert. 5 Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat dem Kläger nach erneuter Begutachtung seines [X.] auf der Grundlage eines dabei festgestellten Invaliditätsgrades von 40% weitere 8.017,05 • nebst Zinsen zugesprochen und seine Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Insoweit verfolgt der Kläger mit der [X.] sein ursprüngliches Begehren weiter. 6 Mit ihrer [X.] wendet sich die Beklagte gegen das Berufungsurteil, soweit sie darin zur Zahlung verurteilt worden ist. 7 - 5 -

Entscheidungsgründe:
8 Das Rechtsmittel des [X.] führt zur Aufhebung des [X.], soweit der Antrag auf Zahlung von weiteren 65.445,38 • nebst Zinsen in Höhe von 57.428,33 • nebst darauf entfallende Zinsen zurück-gewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Die [X.] der [X.] hat keinen Erfolg. 9 [X.] Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht deshalb von der Leistungspflicht frei geworden, weil sich der Kläger [X.] habe, sich nochmals von Ärzten der [X.]begutachten zu lassen. Die Obliegenheit aus § [X.] [X.] sei nicht verletzt. Sie betreffe lediglich den Fall, dass der [X.] eine ärztliche Untersu[X.] für erforderlich halte und der [X.] eine solche im Interesse des Versicherers vorgesehene Untersu[X.] verweigere. Hier sei Anlass der erneuten Untersu[X.] aber das Widerspruchsschreiben des [X.] vom 11. August 2001 ge-wesen, mit welchem er sich vorwiegend gegen die [X.] [X.] gewandt habe. Zwar habe er in dem genannten Schreiben auch verlangt, von der Möglichkeit einer ärztlichen [X.] [X.] binnen 15 Monaten Gebrauch zu machen, seine Einwen-dungen hätten sich aber in erster Linie gegen die Erstbemessung der [X.] gerichtet. Die Beklagte habe sich mit der weiteren Begutachtung des [X.] einverstanden erklärt. Damit sei die erneute Begutachtung nicht im Interesse der [X.], sondern allein im Interesse des [X.] vorgesehen worden. Das könne nicht dazu führen, dass aus dem 10 - 6 -

Wunsch des [X.] eine Obliegenheit gegenüber der [X.] werde. Dass er die von ihm selbst geforderte Begutachtung letztlich nicht [X.] habe, habe keine Interessen der [X.] verletzt.
Die Höhe der Versicherungsleistung hat das Berufungsgericht un-ter Berücksichtigung eines dem Kläger von der [X.] zugesagten Treuebonus auf der Grundlage des seiner Auffassung nach überzeugen-den Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. M. bestimmt, der den Invaliditätsgrad des [X.] bezogen auf den [X.] auf 40% bemessen hat. Infolge der Ausführungen dieses Sachverständigen sei die Einholung weiterer Gutachten nicht mehr ge-boten gewesen. 11 I[X.] Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das [X.]sgericht bei der Feststellung des Invaliditätsgrades des [X.] des-sen Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es von ihm vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu seinem Gesundheitszustand übergangen hat. 12 1. Nach ständiger Rechtspre[X.] des [X.] muss der Tatrichter Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesondere auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den [X.] mehrerer Sachverständiger ergeben ([X.]surteil vom 25. Februar 2009 - [X.]/08 - [X.], 817 [X.]. 9; [X.], Urteil vom 4. März 1997 - [X.] - NJW 1997, 1638 unter [X.], jeweils m.w.[X.]). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger [X.] - 7 -

schaftlicher Fragen ([X.]surteil vom 25. Februar 2009 aaO; vgl. dazu schon [X.], Urteil vom 12. Januar 1962 - [X.] - NJW 1962, 676 unter 1). Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Ge-gensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständi-gen steht, so ist vom Tatrichter zudem besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachver-ständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt ([X.]surteile vom 25. Februar 2009 aaO; vom 24. September 2008 - [X.]/06 - [X.], 1676 unter [X.]. 11 und vom 22. September 2004 - [X.]/03 - [X.], 676 unter [X.], jeweils m.w.[X.]). 2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. 14 a) Unstreitig hat sich der Kläger bei dem Sturz von der Leiter eine Deckplattenimpressionsfraktur des achten Brustwirbels und der vorderen Oberkante des dritten Lendenwirbels, ferner Kompressionsfrakturen des zwölften Brust- und des zweiten Lendenwirbels zugezogen. Daraus [X.] eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule mit schmerzhaf-ter Bewegungseinschränkung und Funktionsbehinderung jedenfalls der Lendenwirbelsäule. Die so verursachten dauerhaften Gesundheitsschä-den hat der gerichtlich bestellte Sachverständige vorwiegend auf ortho-pädischem Gebiet gesehen und mit einem Invaliditätsgrad von 40% be-wertet. 15 b) Demgegenüber hat der Kläger weitergehende Beschwerden be-hauptet: Es habe sich infolge des Sturzes ein Rippenbuckel gebildet, au-ßerdem seien beidseitige Schultergürtelstörungen mit Bewegungsein-16 - 8 -

schränkungen beider Schultergelenke und ein Schulterhochstand rechts eingetreten. Infolge der Brustkorbverletzungen komme es bei ihm nicht nur zu Lungenfunktionsstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung, sondern es habe auch eine mit den Verletzungen einhergehende Locke-rung der Brustkorbaufhängung mit nachfolgender Brustkorbverschiebung zu [X.] geführt. Die Lendenwirbelverletzungen hätten zudem eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur Folge. Schließlich habe der Sturz auch Morbus Bechterew und Rheumatismus ausgelöst.
c) Diesen Vortrag, der sich unter anderem auch auf vom Kläger vorgelegte ärztliche Äußerungen stützt, hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet. 17 aa) Seine Überzeugung, beim Kläger habe sich kein Rippenbuckel gebildet, stützt es auf den in der Berufungsverhandlung genommenen Augenschein und die begleitende Erklärung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, die beobachtete leichte Verformung beruhe nicht auf einer knöchernen Deformierung, sondern auf einer lokalen Muskelverhär-tung. Das übersieht, dass der Sachverständige selbst in seinem schriftli-chen Gutachten eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule in [X.] und [X.] Richtung mit einer diskreten Rippenbuckelbildung links festgestellt hat. Das Berufungsurteil löst den darin liegenden [X.] zu den mündlichen Angaben des Sachverständigen nicht auf. Es nimmt weiter nicht dazu Stellung, dass auch die Orthopäden Dr. [X.]

([X.] Bericht vom 28. August 2001) und [X.](Arztbrief vom 20. August 2001) ausweislich der vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen die Ausbildung eines leichten Rippenbuckels beschei-nigt haben. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde in der Lage war, zu entscheiden, ob die von ihm 18 - 9 -

bei gebückter Körperhaltung des [X.] beobachtete diskrete Verfor-mung des Rückens auf einer knöchernen oder einer lediglich muskulären Ursache beruht.
[X.]) Auch sonstige, auf einer unfallbedingten Deformation des Brustkorbes beruhende Beschwerden, wie Atem- oder Herzstörungen, hat das Berufungsgericht im [X.] an die Ausführungen des gericht-lich bestellten Sachverständigen ausgeschlossen. Dieser hat es zwar für möglich erachtet, dass der Kläger beim Sturz eine Herzprellung erlitten habe, eine solche heile indes folgenlos aus. Das Berufungsgericht hat dabei nicht erörtert, dass das vom Kläger vorgelegte Gutachten des [X.] Dr. [X.] zu dem Ergebnis gelangt war, der Kläger leide an [X.], die als Unfallfolge interpretiert werden könne. Warum das Berufungsgericht demgegenüber der gutachtlichen Einschätzung des von ihm beauftragten Neurochirurgen den Vorzug gibt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen. 19 Auch dazu, dass die Internistin [X.]

dem Kläger in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 30. Juli 2003 eine geringgradige re-striktive [X.] mit einer Einschränkung der Totalkapazität auf 80% und der [X.] auf 73% des [X.] attestiert und einen Zusammenhang mit dem Sturz von der Leiter insoweit für möglich erachtet hat, verhält sich das Berufungsurteil nicht. Ebenso wenig [X.] sich das Berufungsgericht und der von ihm bestellte Sachverständi-ge mit der ärztlichen Stellungnahme des [X.]. vom 21. Juni 2004, in welcher neben der Feststellung einer leicht einge-schränkten Lungenfunktion der Verdacht einer Asthmaerkrankung und eines Schlafapnoesyndroms ausgesprochen werden. Es ist insoweit nicht ersichtlich, ob und mit welchen Erwägungen das Berufungsgericht [X.] - 10 -

nommen hat, ein Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Sturz des [X.] sei nicht erwiesen.
[X.]) Mit Blick auf die vom Kläger geltend gemachte Blasenentlee-rungsstörung hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine Unfallbedingtheit sei praktisch im Rahmen einer spinalen Kontusion kaum vorstellbar, solange nicht gleichzeitig eine relevante Einengung des [X.] im [X.] und neurologisch bedingte Ausfälle der unteren Extremitäten vorlä-gen. In seiner mündlichen Anhörung hat er ergänzt, neurogene Blasen-entleerungsstörungen träten nur in Fällen auf, in denen eine höhergradi-ge Verlegung des [X.] und des [X.], etwa durch Bruchstücke des Wirbelkörpers, vorliege. In einem solchen Fall seien begleitende neurologische Auswirkungen, etwa ein Cauda-Syndrom (sog. Reithosenanästhesie), zu erwarten. Das Berufungsgericht folgert daraus, der Sachverständige habe eine unfallbedingte neurogene Blasenentlee-rungsstörung überzeugend ausgeschlossen. Das Berufungsurteil verhält sich aber nicht dazu, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten eine neurologische Ausfallerscheinung, nämlich eine "sensi-bel inkonstant streifige" Verminderung der Empfindlichkeit für Berüh-rungsreize (Hypästhesie) im Bereich der ventralen Oberschenkel sowie beider lateralen Unterschenkel festgestellt hatte. Ebenso wenig nimmt das Berufungsgericht dazu Stellung, dass anlässlich der Kernspintomo-graphie in der [X.]am 9. Februar 2001 eine leichte Einengung des [X.] im Bereich der [X.] zwei und drei diagnostiziert worden war, wie sich aus einem vom Kläger vorgelegten Bericht der Unfallklinik ergibt. Der Urologe Dr. S. hat in mehreren vom Kläger vorgelegten Stellung-nahmen angenommen, es liege beim Kläger eine ausgeprägte [X.] - 11 -

ne Blasenentleerungsstörung vor. Im urodynamischen Gutachten vom 24. Juli 2003 hat er ausgeführt, Ursache sei mit hoher Wahrscheinlich-keit die Kompressionsfraktur der beiden [X.]. Das [X.]surteil befasst sich damit nicht. Weshalb das Berufungsgericht [X.] die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters für über-zeugender hält und aufgrund welcher besonderen Sachkunde das [X.]sgericht dies beurteilen konnte, kann dem Berufungsurteil nicht ent-nommen werden.

II[X.] Die [X.] der [X.] bleibt ohne Erfolg. Die [X.] ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des [X.] nach §§ [X.], 10 [X.], § 6 Abs. 3 [X.] a.F. leistungsfrei geworden, nach-dem dieser sich geweigert hat, sich auf Verlangen der [X.] im Jah-re 2002 erneut von Ärzten der [X.] untersuchen zu lassen. 22 Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich: 23 1. Nach der Systematik des § 11 [X.] ist, was die Bemessung der unfallbedingten Invalidität anlangt, zu unterscheiden: Zunächst hat sich der Versicherer gemäß § 11 I [X.] nach Erhalt der in der Klausel näher bezeichneten Unterlagen binnen bestimmter Frist - beim [X.] zu erklären, ob und in welcher Höhe er den Anspruch anerkennt. Bei dieser Erstbemessung bleibt es - unbe-schadet der Möglichkeit des Versicherungsnehmers, in einem Rechts-streit eine ihm günstigere Erstbemessung zu erstreiten - grundsätzlich, soweit keine der Vertragsparteien von ihrem Recht Gebrauch macht, den Grad der Invalidität - längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall - [X.] - 12 -

lich neu bemessen zu lassen (§ [X.] [X.]). In diese zweite Stufe der Invaliditätsbemessung gelangen die Vertragsparteien indessen nur dann, wenn entweder der Versicherungsnehmer, der Versicherer oder beide das Recht auf [X.] - fristgebunden - ausüben, d.h. gegenüber dem jeweils anderen eine entsprechende Erklärung abgeben. Unterbleibt eine solche Erklärung oder erfolgt sie nicht fristgemäß, hat die jeweilige Vertragspartei das Recht auf [X.] verloren.
Beide Stufen der Invaliditätsbemessung sind zwar dadurch ver-knüpft, dass die Erstbemessung unter dem Vorbehalt einer Änderung steht, soweit sich eine oder beide Vertragsparteien die [X.] der Invalidität vorbehalten haben und es tatsächlich zu einer Neubemes-sung gemäß § [X.] [X.] kommt. Unbeschadet dessen sind die Stu-fen der Invaliditätsbemessung jeweils rechtlich eigenständig zu betrach-ten. 25 2. Im vorliegenden Falle hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 zum einen eine Abänderung der [X.] auf den für diese maßgeblichen [X.]punkt begehrt, denn er hat [X.] gemacht, bereits zu dieser [X.] an weiteren gesundheitlichen Beein-trächtigungen gelitten zu haben, die bei der Bemessung durch die [X.] unberücksichtigt geblieben seien. Er hat schließlich, darauf ge-stützt, nach Ablauf der Frist des § [X.] [X.] Klage erhoben und auch mit dieser eine ihm günstigere Erstbemessung begehrt. 26 Daneben hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 sein Recht auf [X.] des Invaliditätsgrades (§ [X.] [X.]) ausgeübt, während die Beklagte davon abgesehen hat. Daraus ergibt sich zunächst: Der Streit der [X.]en im vorliegenden Rechtsstreit [X.] - 13 -

trifft allein die Erstbemessung der Invalidität gemäß § 11 I [X.]. Das Recht des [X.], im Klagewege eine seiner Ansicht nach zutreffende höhere Erstbemessung der Invalidität durchzusetzen, lässt sein - ausgeübtes - Recht, eine [X.] der Invalidität zu verlangen, unberührt und besteht unabhängig davon fort. Die Beklagte dagegen hat ihr Recht auf [X.] der Invalidität verloren, weil sie es nicht [X.] von § [X.] [X.] ausgeübt hat.
3. Mit Blick auf die Erstbemessung der Invalidität besteht danach eine Obliegenheit des [X.], sich auf Verlangen der [X.] ärztlich untersuchen zu lassen (§ [X.] [X.]), nicht mehr. Die Beklagte hat ihre Entscheidung über die Erstbemessung mit ihrem Schreiben vom [X.] 2001 getroffen (§ 11 I [X.]). Daraus folgt zugleich, dass ein wei-terer Aufklärungsbedarf insoweit nicht bestand. Es fehlt damit an einem berechtigten Interesse der [X.], den Versicherungsnehmer - zumal mit der Sanktion der Leistungsfreiheit - weiterhin an die Obliegenheit zu binden. Aus Sicht des Versicherers bestand keine Veranlassung mehr zu weiteren Untersu[X.]en durch von ihm beauftragte Ärzte (vgl. [X.]s-urteil vom 16. Juli 2003 - [X.]/02 - VersR 2003, 1165 unter [X.]). 28 Auf den Streit um die Erstbemessung konnte die Beklagte ihr Un-tersu[X.]sverlangen mithin nicht stützen. Der Kläger hat insoweit keine Obliegenheit verletzt. 29 Zu diesem Ergebnis führt es auch, wenn man die bloße Verwei-sung des [X.] auf die begehrte [X.] im Schreiben der [X.] vom 15. August 2001 als Ablehnung weiterer Überprüfungen der Erstbemessung versteht. Denn auch unter diesem Blickwinkel träfen den 30 - 14 -

Kläger Aufklärungs- oder Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erstbemessung nicht mehr (vgl. dazu [X.]Z 107, 368, 371 f.).
4. Aber auch mit Blick auf eine [X.] der Invalidität (§ [X.] [X.]) hat der Kläger die Obliegenheit aus § [X.] [X.] nicht ver-letzt. Aus dem vom Kläger vorbehaltenen Recht, die Invalidität längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall ärztlich neu bemessen zu lassen, folgt keine Pflicht des [X.], eine [X.] tatsächlich herbeizu-führen. Die Regelung in § [X.] [X.] gibt dafür keinen Anhalt. Erst recht kann die Beklagte eine Untersu[X.] zum Zwecke der Neubemes-sung nicht verlangen, denn sie hat ihr Recht darauf - weil sie es mit der Erstbemessung nicht ausgeübt hat - verloren. Der Kläger kann mithin auf eine ärztliche [X.] verzichten, ohne dass ihn die Beklagte - noch dazu mit der Androhung von Leistungsfreiheit - dazu zwingen könnte. Die Weigerung des [X.], sich von den von der [X.] be-nannten Ärzten untersuchen zu lassen, bleibt damit sanktionslos. Sie steht einem Verzicht auf die [X.] gleich. 31 Soweit der [X.] in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2003 (aaO) angedeutet hat, dass auch im Rahmen der [X.] von Invalidität eine Bindung des Versicherungsnehmers an die Obliegenheit in § [X.] [X.] eintreten könnte, stand das unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer das Recht auf ärztliche [X.] ausübt, insbesondere eine solche auch herbeiführt und darauf gestützt eine hö-here Entschädigung verlangt. Der [X.] kann weiterhin offen lassen, ob der Versicherungsnehmer unter dieser Voraussetzung der Untersu-[X.]sobliegenheit zu genügen hat. Dafür spricht allerdings, dass nach einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten [X.] auch für den Versicherer neuerlicher Prüfungsbedarf entsteht, eine [X.] - 15 -

[X.] durch von ihm beauftragte Ärzte mithin seinem berechtigten Inte-resse an weiterer Aufklärung entsprechen könnte. Offen bleiben kann in-soweit auch, ob - eine Obliegenheitsbindung unterstellt - deren Verlet-zung zu vollständiger Leistungsfreiheit des Versicherers führen könnte oder ob sich diese auf das Verlangen des Versicherungsnehmers nach gegenüber der Erstbemessung höherer Invaliditätsleistung zu beschrän-ken hätte.
Das Berufungsgericht wird deshalb die gebotene Aufklärung hin-sichtlich des Grades der unfallbedingten Invalidität vorzunehmen und dabei zu prüfen haben, inwieweit es angesichts der unterschiedlichen, vom Kläger geltend gemachten Beschwerden geboten ist, dazu Gutach-ten von Medizinern verschiedener Fachrichtungen einzuholen. Da der 33 - 16 -

Streit die Erstbemessung betrifft, ist insoweit maßgeblich der [X.], wie er sich zu diesem [X.]punkt - und nicht nach Ablauf der Dreijahresfrist - dargestellt hat. [X.] [X.] [X.] Dr. [X.] [X.] Vorinstanzen: LG [X.], Entscheidung vom 12.08.2003 - 2 O 1153/03 - [X.] in [X.], Entscheidung vom 21.06.2006 - 14 U 691/03 -

Meta

IV ZR 181/07

02.12.2009

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2009, Az. IV ZR 181/07 (REWIS RS 2009, 332)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 332

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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