Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2014, Az. B 8 SO 59/13 B

8. Senat | REWIS RS 2014, 6510

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Entscheidung über eine Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Einbeziehung eines im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht streitgegenständlichen, die Prozesssituation entscheidungserheblich verändernden Bescheides


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 24. April 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) für die [X.] ab dem [X.].

2

Die 1928 geborene Klägerin erhielt von der Beklagten ua seit dem [X.] Hilfe zur Pflege auf der Grundlage eines Bedarfs für die hauswirtschaftliche Versorgung im Umfang von 10,75 Stunden pro Woche (Bescheid vom 30.5.2008; Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008). Die Klage, gerichtet auf eine zusätzliche hauswirtschaftliche Hilfe im Umfang von drei Stunden täglich, blieb beim Sozialgericht ([X.]) [X.] ohne Erfolg (Urteil vom [X.]). Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte für die [X.] vom 1.12.2012 bis zum 30.11.2013 häusliche Pflege durch Übernahme der Kosten für besondere Pflegekräfte im Umfang von elf Stunden und zehn Minuten wöchentlich und daneben weitere vier Stunden wöchentlich für sonstige Verrichtungen bewilligt (Bescheid vom [X.]). Das [X.] ([X.]) hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben vom [X.]) zurückgewiesen (Beschluss vom [X.]). Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin sei dahin auszulegen, dass lediglich noch die Änderung des Bescheids vom [X.] begehrt werde. Der Rechtsstreit, soweit er die Vergangenheit betreffe, habe sich dagegen erledigt; denn die Inanspruchnahme einer Sachleistung für die Vergangenheit sei nicht möglich. Entsprechende Pflegeleistungen habe sich die Klägerin auch nicht zwischenzeitlich selbst beschafft, sodass ein Kostenerstattungsanspruch ausscheide. Ein Anspruch in der Sache bestehe nicht.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie rügt einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Das [X.] habe unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit § 153 Abs 4, § 62 [X.]G verletzt. Hierin liege zugleich ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] (ZPO), weil das Berufungsgericht fehlerhaft nur mit Berufsrichtern besetzt gewesen sei.

4

II. [X.] ist zulässig und begründet. Die gerügten Verfahrensmängel liegen vor. Das [X.] hat mit seinem Vorgehen § 153 Abs 4 [X.]G und damit zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör der Klägerin (§ 62 [X.]G) verletzt; in dem Verstoß gegen § 153 Abs 4 [X.]G liegt wegen der fehlerhaften Besetzung der Richterbank zugleich ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO), bei dem nähere Ausführungen zur Kausalität entbehrlich sind (vgl [X.]-1500 § 153 [X.] 5 Rd[X.] 10 mwN). Gemäß § 160a Abs 5 [X.]G konnte deshalb der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen werden.

5

Das [X.] hätte nach dem von der Klägerin in der Begründung der Beschwerde zutreffend dargestellten Sachstand nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen. Nach § 153 Abs 4 [X.]G kann das [X.], außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 [X.]G, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zwar steht die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G zurückzuweisen, in pflichtgemäßem Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden ([X.]-1500 § 153 [X.] 13; [X.] 4-1500 § 153 [X.] 7). Die Einschätzung des [X.], nach § 153 Abs 4 [X.]G entscheiden zu können, war hier aber deshalb fehlerhaft, weil es über einen Bescheid (vom [X.]) entschieden hat, der noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, und sich mit Erlass dieses Bescheides aus Sicht des [X.] die Prozesssituation in entscheidungserheblicher Weise geändert hat. Vorliegend ist das [X.] davon ausgegangen, dass mit dem Bescheid vom [X.] nicht lediglich eine Bewilligung für die Zukunft erfolgt ist, die jedenfalls keine weitergehende Beschwer für die Klägerin bedeutet, sondern sich der Rechtsstreit für die Vergangenheit ohne Weiteres erledigt hat. Damit hat sich aus Sicht des [X.] gegenüber der Entscheidung des [X.] die prozessuale Situation maßgeblich verändert. In einer solchen Konstellation ist den Beteiligten grundsätzlich Gelegenheit zu geben, aus ihrer Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 153 Rd[X.] 15b mwN). Dies gilt umso mehr, als die Klägerin nicht damit rechnen musste, dass das [X.] ihre Anträge anders als das [X.] auslegen und davon ausgehen würde, sie wolle Ansprüche für die Vergangenheit gar nicht (mehr) geltend machen.

6

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 59/13 B

08.04.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Frankfurt, 28. Februar 2012, Az: S 27 SO 336/08, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 62 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2014, Az. B 8 SO 59/13 B (REWIS RS 2014, 6510)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6510

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