Bundessozialgericht, Urteil vom 13.07.2022, Az. B 7/14 AS 52/21 R

7. Senat | REWIS RS 2022, 5271

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - darlehensweise Übernahme von Mietschulden - Sicherung der Unterkunft - Erforderlichkeit einer gesonderten Antragstellung


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 10. September 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist die Gewährung eines Darlehens wegen Mietschulden.

2

Die Klägerin ist ledig und lebt allein. Sie erhielt bis Januar 2015 [X.] und von März 2014 bis zum 10.8.2015 Krankengeld. Das beklagte Jobcenter überwies die Miete direkt an den Vermieter der von ihr bewohnten Wohnung. Ab Februar 2015 beantragte die Klägerin zunächst keine Leistungen. Nach einem Antrag aus Juni 2015 bewilligte der Beklagte [X.] von Juni bis Dezember 2015 (Bescheid vom 22.9.2015). Die Direktzahlung der Miete iHv 355 Euro an den Vermieter nahm er rückwirkend wieder auf.

3

Schon am 19.8.2015 hatte der Vermieter die Kündigung der Wohnung angedroht. Nachdem die Klägerin über ihren Anwalt den Beklagten mehrfach auf den entstandenen Mietrückstand und die drohende Obdachlosigkeit hingewiesen hatte, forderte dieser Anfang September 2015 Nachweise über die entstandenen Mietschulden sowie ggf über eine erhobene Räumungsklage und die Bestätigung, dass diese bei Zahlung der Mietschulden ausgesetzt werde.

4

Ebenfalls am 19.8.2015 beantragte die Klägerin [X.] ab Februar 2015; den Antrag lehnte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 22.9.2015 ab. Zugleich teilte er mit, bei drohendem Verlust der Wohnung könnten Bedarfe für Unterkunft und Heizung für Februar bis Mai 2015 als Darlehen erbracht werden. Die Klägerin beantragte am [X.] ausdrücklich ein Darlehen für die von Februar bis Mai 2015 zu zahlenden Kosten der Unterkunft und Heizung. Mit Schreiben vom 6.10.2015 bat der Beklagte dazu um Mitteilung der konkreten Höhe der Mietschulden und um Vorlage von Nachweisen über einen unabweisbaren Bedarf (drohende Obdachlosigkeit, Räumungsklage, Bestätigung, dass diese bei Zahlung der Mietschulden ausgesetzt werde). Am 9.10.2015 legte die Klägerin die fristlose Kündigung ihres Vermieters vom 5.10.2015 vor, die wegen Mietrückständen von Januar bis Oktober 2015 iHv 2295 Euro ausgesprochen worden war. Der Beklagte forderte mit Schreiben aus Oktober und Dezember 2015 weitere Mitwirkung. Im Januar 2016 teilte eine Mitarbeiterin des Anwalts der Klägerin dem Beklagten mit, die noch verbliebenen Mietschulden iHv 1420 Euro seien beglichen und belegte die Rücknahme der Kündigung am 16.10.2015. Es bleibe beim [X.], da die Klägerin nunmehr ihr diese Summe schulde.

5

Der Beklagte lehnte den [X.] ab (Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]). Weil der Vermieter die Kündigung zurückgenommen habe, sei kein Bedarf mehr zu decken. Mögliche Schulden bei [X.] seien unerheblich.

6

Beim [X.] und L[X.] hat die Klägerin geltend gemacht, es komme auf das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Mietschuldendarlehen bei Antragstellung an. Im [X.] und nach der fristlosen Kündigung habe sie sich ein Privatdarlehen bei [X.] verschafft. Sie hat die Kopie eines Schuldscheins vorgelegt, nach dem sie [X.] 1420 Euro schuldet und Kontoauszüge eingereicht, die eine Bareinzahlung iHv 1055 Euro und die Überweisung dieses Betrags an den Vermieter am 9.10.2015 belegen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 21.8.2017), das L[X.] die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Es sei nicht festzustellen, dass die Klägerin Schulden bei [X.] wegen der Untätigkeit des Beklagten habe. Denn dieser habe im Oktober und Dezember 2015 durch [X.] wegen der Aufklärung des Sachverhaltes reagiert.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 10. September 2020, den Gerichtsbescheid des [X.] vom 21. August 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr 1420 Euro als Darlehen zu zahlen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, einen Bescheid über die Zahlung eines Darlehens an die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der [X.] kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden, ob die Klägerin unmittelbar mit ihrem Zahlungsbegehren durchdringen kann, der [X.] hinsichtlich des Darlehens noch eine Ermessensentscheidung zu treffen hat oder Leistungen ausscheiden.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des [X.]n vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], mit dem dieser ein Darlehen wegen Schulden iHv 1420 [X.] abgelehnt hat. Gegen diese Bescheide wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG; BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 12; zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bei der "Umwandlung" des Darlehens in einen Zuschuss BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 12). Sie macht vorrangig geltend, es bestehe ein - gebundener - Anspruch auf die Zahlung des Darlehens.

Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des [X.]s nicht entgegen. Insbesondere fehlt der Klägerin nicht das Rechtschutzbedürfnis für die Klage, weil sie nur darlehensweise Leistungen erhalten will, die Mietschulden aber - nach ihrem Vorbringen durch ein Privatdarlehen - schon beglichen hat, womit die Unterkunft gesichert ist. Das gilt unabhängig davon, wie die Rückzahlungsmodalitäten des Privatdarlehens zB mit Blick auf die Fälligkeit von Teilbeträgen oder Zinsen im Konkreten ausgestaltet sind. Wie der 4. [X.] des BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat, ist ein privatrechtliches Darlehen mit einem aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährten Darlehen nicht vergleichbar. Das gilt - von abweichenden Sonderregelungen abgesehen - allgemein, weil ein Darlehen als lediglich vorübergehende Leistung den Bedarf nicht deckt (vgl BSG vom 8.12.2020 - [X.] [X.]0/20 R - [X.], 123 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.] 16, 19 ff). Ob im Fall der Umschuldung von Mietschulden der Bedarf aus § 22 Abs 8 [X.] weiterhin ungedeckt sein kann, ist folglich eine Frage des materiellen Rechts.

2. Rechtsgrundlage für die darlehensweise Übernahme von Schulden ist § 22 Abs 8 [X.] (idF des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011, [X.]). Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 22 Abs 5 [X.] (idF des Gesetzes zur Änderung des [X.] Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom [X.], [X.] 558; im Folgenden: aF). Gemäß § 22 Abs 8 [X.] können, sofern [X.] für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs 2 Satz 1 [X.] ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

3. Die Zahlung eines Darlehens durch den [X.]n kommt in Betracht, soweit es sich bei dem Zahlungsrückstand der Klägerin ihrem Vermieter gegenüber um Mietschulden iS von § 22 Abs 8 [X.] gehandelt hat (dazu 4.). Einer gesonderten Antragstellung bedurfte es nicht, ausreichend war die Anzeige des Bedarfs im August 2015 (dazu 5.). Soweit zeitlich nachfolgend aufgrund einer "Umschuldung" keine Mietschulden - beim Vermieter - mehr bestanden, sondern Schulden aus einem Privatdarlehen - von [X.] - offen sind, ermöglicht § 22 Abs 8 [X.] auch die Übernahme von unterkunftsbezogenen Schulden bei [X.]. Das setzt voraus, dass der [X.] nicht rechtzeitig entschieden hat, aber die Voraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens objektiv vorlagen (dazu 6.). Der Höhe nach ist die Darlehensgewährung begrenzt auf den Betrag, den die Klägerin als Privatdarlehen erlangt und zum Ausgleich von Mietschulden verwendet hat (dazu 7.).

4. Dass die geltend gemachten 1420 [X.] überhaupt auf Mietschulden iS des § 22 Abs 8 [X.] zurückzuführen sind, kann der [X.] anhand des vom [X.] festgestellten Sachverhalts nicht beurteilen.

Ob Schulden iS des § 22 Abs 8 [X.] oder Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 [X.] vorliegen, richtet sich - unabhängig von deren zivilrechtlicher Einordnung - im Grundsatz danach, ob die Forderung einem während der Hilfebedürftigkeit eingetretenen und bisher noch nicht gedeckten Bedarf zuzuordnen ist. Dann handelt es sich um vom [X.] zu übernehmende tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs 1 [X.] (stRspr; vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.]/09 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 17; BSG vom 20.12.2011 - [X.] [X.]/11 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 18). [X.] sind jedenfalls dann als Schulden anzusehen, wenn sie sich auf fällige Verpflichtungen aus einem Mietverhältnis in [X.]räumen beziehen, in denen keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] bezogen worden sind (BSG vom 24.11.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 15; BSG vom 12.12.2019 - [X.] AS 26/18 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 19; vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.] 400, Stand Januar 2021).

Welcher Teil der durch den Vermieter mitgeteilten Zahlungsrückstände sich auf Aufwendungen iS des § 22 Abs 1 [X.] bezieht und welcher Teil Schulden iS des § 22 Abs 8 [X.] sind, kann anhand der bisherigen Feststellungen zum Inhalt der Kündigung am 5.10.2015 wegen [X.] von Januar bis Oktober 2015 iHv 2295 [X.] nicht beurteilt werden. Aus laufenden [X.] für Juni bis Oktober 2015 könnte sich ein Teilbetrag iHv 1775 [X.] (355 [X.] x 5 Monate) ergeben, der wegen der rückwirkenden Bewilligung von [X.] ab Juni 2015 § 22 Abs 1 [X.] zuzuordnen wäre. Ebenso unklar ist, welcher Betrag sich auf Januar 2015 bezieht. Letztlich bleibt aufzuklären, ob ein für Januar oder Juni bis Oktober 2015 ergebender Zahlungsrückstand auf einer Nebenkostennachforderung beruht. Diese Bedarfe hätte der [X.] ebenfalls über § 22 Abs 1 [X.] zu decken (vgl BSG vom 24.11.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.]). Nur hinsichtlich der für Februar bis Mai 2015 offenen Zahlungen ist die Übernahme gemäß § 22 Abs 8 [X.] zu prüfen.

5. Soweit sich ein Zahlungsverzug für Februar bis Mai 2015 feststellen lässt, handelt es sich bei den gegenüber dem Vermieter bestehenden Verbindlichkeiten der Klägerin um Mietschulden iS des § 22 Abs 8 [X.]. Für ihre Übernahme ist kein gesonderter Antrag iS von § 37 Abs 1 [X.] erforderlich. Vielmehr genügt die Anzeige des Bedarfs, die das [X.] in die Lage versetzt, mit der Prüfung einer Übernahme von Mietschulden einzusetzen.

Bereits für Darlehen nach § 22 Abs 5 [X.] aF hat das BSG offengelassen, ob ein Anspruch auf Übernahme von Mietschulden in jedem Fall von einer gesonderten Antragstellung abhängig ist. Nur für den Regelfall war die Geltendmachung von Bedarfen für Mietschulden nicht vom Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Zuschuss erfasst, sondern vom Leistungsberechtigten gesondert geltend zu machen (BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 14; BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 15; [X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 331). Ausgangspunkt war eine Fassung des § 37 Abs 1 [X.], nach der - ohne weitere Konkretisierungen - Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag zu erbringen waren (§ 37 Abs 1 [X.] idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954).

Der Gesetzgeber hat § 37 Abs 1 [X.] zum 1.1.2011 (durch das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011, [X.]) geändert und in dessen Satz 2 ausdrücklich Bedarfe geregelt, die gesondert geltend zu machen sind. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass für nicht in § 37 Abs 1 Satz 2 [X.] genannte Leistungen - wie für diejenigen nach § 22 Abs 8 [X.] - keine gesonderte Antragstellung erforderlich ist, soweit diese nicht anderweitig gesetzlich vorgeschrieben wird. Ausreichend ist daher die Anzeige eines (noch) zu deckenden Bedarfs. Damit verbleibt Leistungsberechtigten weiterhin die Entscheidung, Mietschulden ohne den drohenden Rückgriff auf ihre laufenden existenzsichernden Leistungen (vgl § 42a Abs 2 [X.]) auszugleichen, etwa durch Einsatz ihres nicht § 12 Abs 2 Satz 1 [X.] unterfallenden Schonvermögens oder sie (vgl § 22 Abs 9 Satz 3 [X.]) gar nicht zu bedienen.

Vorliegend hat die Klägerin nach der Androhung der Kündigung am 19.8.2015 noch im August 2015 den Bedarf einer Mietschuldenübernahme angezeigt. Das ergibt sich aus dem vom [X.] mitgeteilten zeitlichen Ablauf zwischen der Androhung der Kündigung am 19.8.2015 sowie der schon Anfang September 2015 eingeleiteten Prüfung einer Darlehensgewährung. Die "Antragstellung" am [X.] ist insoweit bloße Reaktion auf die Mitteilung im Ablehnungsbescheid vom 22.9.2015.

6. Sollten nach der Geltendmachung des Bedarfs im August 2015 aufgrund einer "Umschuldung" Mietschulden weggefallen sein, ermöglicht § 22 Abs 8 [X.] auch die Übernahme von unterkunftsbezogenen Schulden bei [X.] (dazu a). Das setzt voraus, dass zum [X.]punkt der Aufnahme des Darlehens bei [X.] die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung eines Mietschuldendarlehens durch das [X.] objektiv vorlagen (dazu b; zu § 22 Abs 5 aF BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 11), diese Mietschulden nach ermessensfehlerfreier Entscheidung zu übernehmen gewesen wären (dazu c) und das [X.] die Gelegenheit zur Entscheidung gehabt hat (dazu d). Um das beurteilen zu können, sind weitere Ermittlungen des [X.] erforderlich.

a) Wie das BSG bereits zu § 22 Abs 5 [X.] aF entschieden hat, steht der Übernahme von Schulden zur Sicherung der Unterkunft durch ein Darlehen nicht entgegen, dass Mietschulden gegenüber dem Vermieter nicht mehr bestehen. Auch Schulden gegenüber [X.], die Leistungsberechtigte eingegangen sind, um drohende Wohnungslosigkeit abzuwenden, können Schulden im Sinne des § 22 Abs 8 [X.] sein. Der Wortlaut des § 22 Abs 5 [X.] aF war - wie es derjenige des § 22 Abs 8 [X.] heute ist - insoweit offen gefasst und ausdrücklich nicht auf Schulden aus dem Mietvertrag beschränkt (zu § 22 Abs 5 [X.] aF BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 20). Eine Sonderregelung, wie sie der Gesetzgeber für den Kostenerstattungsanspruch bei selbstbeschafften Leistungen in Teilbereichen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe mit § 30 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.] normiert hat, gibt es zu § 22 Abs 8 [X.] nicht.

b) Die Klägerin hatte den Bedarf zum hier in Betracht kommenden [X.]punkt einer Darlehensaufnahme angezeigt. Sie war nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem [X.]. Ihr Anspruch auf [X.] umfasste auch Bedarfe für Unterkunft und Heizung, wie sich aus deren rückwirkender Bewilligung für die [X.] ab Juni 2015 ergibt. Dass ihr solche Leistungen nicht laufend im August 2015, sondern erst rückwirkend erbracht worden sind, steht der Übernahme der Schulden nicht entgegen. Insoweit genügt ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung dem Grunde nach ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 253; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.] 393, Stand Januar 2021; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/[X.], § 22 Rd[X.] 204, Stand Oktober 2017; [X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 316; [X.] in jurisPK-[X.], § 22 Rd[X.] 272, Stand 12.1.2022).

Hinsichtlich der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für ein Mietschuldendarlehen gemäß § 22 Abs 8 Satz 1 [X.] gibt es keine Anhaltspunkte, die gegen die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in der von der Klägerin bewohnten Wohnung sprechen (vgl zur erforderlichen abstrakten Angemessenheit BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 26). Es dient zur Sicherung "der" Unterkunft, also der konkret von der Klägerin bewohnten Wohnung, weil der Vermieter am 18.9.2015 die Kündigung der Unterkunft konkret angedroht hatte (zu dieser Voraussetzung [X.] in [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 254; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/[X.], § 22 Rd[X.] 205, Stand Oktober 2017; zu niedrigen Anforderungen an den drohenden Verlust der bisherigen Unterkunft wegen der möglichst frühzeitigen Übernahme der Schulden [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.]1, Stand Januar 2021; zur fehlenden Erforderlichkeit des drohenden Wohnungsverlusts iR des § 22 Abs 8 Satz 1 [X.] auch [X.] in [X.], GK-[X.], § 22 Rd[X.]8, Stand September 2021). Die Klägerin war mit der Miete in einem zur außerordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs berechtigenden Rückstand (vgl insoweit § 543 Abs 2 Satz 1 [X.] 3 BGB sowie zum Umfang des hierfür erforderlichen [X.] zuletzt [X.] vom 8.12.2021 - [X.] - NJW 2022, 1014); das gilt unabhängig von der sozialrechtlichen Zuordnung zu § 22 Abs 1 oder Abs 8 [X.]. Angesichts dieser Sachlage spricht nichts gegen die Ernsthaftigkeit der angedrohten Kündigung.

Demgegenüber ist nicht zu fordern, dass die Wohnung bereits gekündigt oder Räumungsklage erhoben worden ist (so aber [X.] in [X.], [X.], § 22 Rd[X.] 309, Stand Oktober 2017). Auswirkung können solche Umstände ggf auf das gebotene Bearbeitungstempo beim [X.] haben (zum [X.]element auch [X.] in [X.], GK-[X.], § 22 Rd[X.]0, Stand September 2021).

Gemäß § 22 Abs 8 Satz 1 [X.] steht die Übernahme der Schulden im Ermessen des [X.]. Dieses Ermessen ist nach Satz 2 eingeschränkt, wenn - als weitere Tatbestandsvoraussetzungen - die Übernahme der Schulden gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. In diesem Fall sollen die Schulden übernommen werden. Wohnungslosigkeit droht einzutreten, wenn bei Verlust der bewohnten, kostenangemessenen Wohnung keine Möglichkeit besteht, ebenfalls angemessenen Ersatzwohnraum zu erhalten. Dabei ist die konkrete Wohnungsmarktlage zu berücksichtigen (vgl BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 30; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.]0, Stand Januar 2021; [X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 327; allgemein [X.] in jurisPK-[X.], 5. Aufl 2020, § 22 Rd[X.] 272, Stand 12.1.2022; [X.] in [X.], [X.], § 22 Rd[X.] 316, Stand Oktober 2017). Diese kann nach den bisherigen Feststellungen des [X.] nicht beurteilt werden.

c) Kommt das [X.] zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen des § 22 Abs 8 Satz 2 [X.] nicht vorliegen, ist die Verpflichtung des [X.]n zur Entscheidung über den [X.] im Ermessensweg nach Maßgabe von § 22 Abs 8 Satz 1 [X.] zu prüfen.

Im Rahmen der Ermessensausübung ist zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, [X.], gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte (vgl zum Schutz des Existenzminimums durch Absicherung nicht nur vor Wohnungslosigkeit [X.] Kammerbeschluss vom 1.8.2017 - 1 BvR 1910/12 - [X.] 2017, 643 Rd[X.] 16). [X.] sein können persönliche Umstände, wie der gesundheitliche Zustand der Wohnungsnutzenden und ihr Alter, aber auch die Zumutbarkeit eines Umzugs in Anbetracht der bisherigen Nutzungsdauer der Unterkunft. Außerdem kann Einfluss auf die Ermessensausübung haben, warum die Schulden entstanden sind und ob eine allgemeine Zahlungsbereitschaft durch die Anweisung an das [X.], die Miete unmittelbar an den Vermieter zu zahlen, bereits dokumentiert ist (zur Zahlungsbereitschaft durch Zahlungsanweisung als Teil des Gerechtfertigtseins der Schuldenübernahme [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.] 422, Stand Januar 2021). Allgemein in das Entschließungsermessen einzustellen sein können finanzielle Erwägungen, etwa die anfallenden Anwaltskosten oder diejenigen einer Räumungsklage, die Differenz zwischen den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 [X.]) der derzeit bewohnten Wohnung und den in einer anderen Unterkunft maximal zu übernehmenden Aufwendungen und der Umfang der vom [X.] zu übernehmenden Umzugskosten.

d) Die Pflicht zum Ausgleich ursprünglich auf Mietschulden beruhender Schulden [X.] bei [X.] leitet sich ua aus der Pflicht zur Kostenerstattung bei nicht rechtzeitiger oder zu Unrecht verweigerter Sachleistung ab (BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 21). In diesem Rahmen ist maßgeblich, ob die Behörde rechtzeitig hat entscheiden können, weil der Antrag bewilligungsreif war (vgl BSG vom 6.3.2012 - B 1 KR 17/11 R - [X.] 4-2500 § 18 [X.] 7 Rd[X.] 18) oder hätte sein können (dazu BSG vom [X.] KR 18/17 R - [X.], 189 = [X.] 4-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 43). Übertragen auf die Bedarfsanzeige bedeutet dies, dass das [X.] vor der "Umschuldung" Gelegenheit gehabt haben muss, über die Übernahme der Mietschulden zu entscheiden. Darauf, ob die Schulden auf Umstände aus der Sphäre des Leistungsberechtigten oder des [X.]s zurückzuführen sind, kommt es erst an, wenn - als atypischer Fall - die Schuldenübernahme als Zuschuss und nicht als Darlehen beantragt wird (BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 18) oder wenn Mehrkosten entstanden sind und abgedeckt werden sollen (BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 11, 34, 35), was hier nicht im Streit steht.

Nach den vorstehenden Maßgaben wäre dem [X.]n im September 2015 die Entscheidung über ein Mietschuldendarlehen möglich gewesen. Die Klägerin hatte angezeigt, ein Darlehen erhalten zu wollen. Die Bedarfsanzeige wegen der Leistungshöhe hatte sie von sich aus am [X.] konkretisiert, indem sie erklärt hatte, es gehe um die von Februar bis Mai 2015 zu zahlenden Kosten der Unterkunft und Heizung (4 Monate x 355 [X.]). Zur Ermittlung ermessensrelevanter Gesichtspunkte stand dem [X.]n der Rückgriff auf den Inhalt des laufenden Verwaltungsverfahrens sowie der ihm vorliegenden Verwaltungsakten offen. Darüber hinaus traf die Klägerin, anders als vom [X.]n und zum Teil vom [X.] angenommen, keine Mitwirkungsobliegenheit wegen der Beibringung von Unterlagen, die einen Anspruch auf Übernahme von Mietschulden zwar auslösen können, hierfür aber nicht Voraussetzung sind (hier: Nachweise über eine erhobene Räumungsklage) oder sich auf Anforderungen beziehen, die über das Gesetz hinausgehen (hier: unabweisbarer Bedarf).

7. Als Darlehen nach § 22 Abs 8 [X.] zu zahlen sein kann von vornherein nur der Betrag, den die Klägerin als Privatdarlehen erlangt und zum Ausgleich von Mietschulden verwendet hat. Insoweit hat das [X.] - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - offengelassen, ob die Klägerin ein Darlehen bei [X.] iHv 1420 [X.] aufgenommen hat, dessen Ausgleich zu leisten sie noch verpflichtet ist. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird daher aufzuklären sein, von wem die Klägerin aus welchem Grund Zahlungen erhalten hat.

In welcher Höhe ein Mietschuldendarlehen gerechtfertigt ist, ergibt sich ua aus § 22 Abs 8 Satz 3 [X.]. Dieser sieht - als gesetzlich geregelten Fall einer zumutbaren Selbsthilfemöglichkeit - den Einsatz des sonst dem Vermögensschutz unterfallenden Grundfreibetrags (§ 12 Abs 2 Satz 1 [X.]) vor. Demgegenüber ist der Anschaffungsfreibetrag (§ 12 Abs 2 Satz 1 [X.] 4 [X.]) nicht zu berücksichtigen. Der erkennende [X.] hält insoweit an anderslautender Rechtsprechung nicht fest (BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.] 33; dazu [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 Rd[X.]9, Stand Januar 2021). Mit dieser Auslegung des § 22 Abs 8 Satz 3 [X.] folgt der [X.] den auf den Wortlaut der Vorschrift bezogenen Einwänden aus der Literatur ([X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 339; [X.] in [X.]/[X.], [X.]/[X.], § 22 Rd[X.] 217, Stand Oktober 2017; [X.] in jurisPK-[X.], 5. Aufl 2020, § 22 Rd[X.] 284, Stand 12.1.2022; [X.] in [X.], GK-[X.], § 22 Rd[X.]9, Stand September 2021). Im Übrigen hat der Gesetzgeber dem Urteil des 14. [X.]s vom 17.6.2010 zeitlich nachfolgend in der allgemeinen Darlehensvorschrift des § 42a Abs 1 [X.] (idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.] 850 zum 1.4.2011) ausdrücklich den Einsatz des unter die Freibeträge des § 12 Abs 2 Satz 1 [X.] 1 und 4 [X.] fallenden Vermögens zur Bedarfsdeckung für vorrangig gehalten, ohne die insoweit schweigende Regelung des § 22 Abs 8 Satz 3 [X.] anzupassen.

Die allgemeinen Grundsätze für Mietschuldendarlehen werden modifiziert, wenn sich Leistungsberechtigte ein Darlehen zur Tilgung der Mietschulden selbst beschafft haben. Mehr als die dadurch anderweitig entstandenen Aufwendungen können nicht als Bedarf berücksichtigt werden, weil darüber hinausgehende Beträge keine Schulden sind. In Anbetracht des bislang vom [X.] festgestellten Sachverhalts spricht viel dafür, dass der Betrag von 1055 [X.], den die Klägerin am 9.10.2015 unbar erhalten und nachweislich an den Vermieter weitergeleitet hat, die maximale Höhe des übernahmefähigen Betrags darstellen kann.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

[X.][X.]

Meta

B 7/14 AS 52/21 R

13.07.2022

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Bremen, 21. August 2017, Az: S 22 AS 1156/16, Gerichtsbescheid

§ 22 Abs 8 S 1 SGB 2, § 22 Abs 8 S 2 SGB 2, § 22 Abs 8 S 4 SGB 2, § 37 Abs 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 13.07.2022, Az. B 7/14 AS 52/21 R (REWIS RS 2022, 5271)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5271

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1 BvR 1910/12

VIII ZR 32/20

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