Bundessozialgericht, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 4 AS 3/14 R

4. Senat | REWIS RS 2014, 1294

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Mietschulden - Darlehen oder Zuschuss - atypischer Fall - Frage des wesentlichen Mitverschuldens des Grundsicherungsträgers - rechtswidrige Tilgungsanordnung für das Mietschuldendarlehen - keine Anwendung des Kopfteilprinzips bei der Feststellung der Darlehensbelastung


Leitsatz

Eine Leistung für Mietschulden ist nur in einem atypischen Fall - zB, wenn die Verwaltung durch ihr fehlerhaftes Verhalten wesentlich an der Entstehung der Mietschulden mitgewirkt hat - vom Grundsicherungsträger als Zuschuss zu übernehmen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des [X.] vom 14. März 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind die Übernahme von Mietschulden als Zuschuss anstelle eines Darlehens nach dem [X.] und - sofern es bei der darlehensweisen Leistungsgewährung verbleibt - die Höhe der Belastung des [X.] hierdurch.

2

Der Kläger, seine Lebenspartnerin und deren 1989 geborene Tochter M. bezogen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten. Ein weiteres Kind erhielt aufgrund von Unterhalts- und Kindergeldzahlungen keine Leistungen. Mitte Oktober 2005 zog der Kläger aus der gemeinsamen Wohnung aus. Im Januar 2006 schlossen er und seine Lebenspartnerin zum [X.] einen Mietvertrag über eine andere Wohnung. Die Lebenspartnerin und ihre Tochter waren zu diesem Zeitpunkt schwanger.

3

Im Dezember 2005 bewilligte der Beklagte ein Mietkautionsdarlehen für die neue Wohnung, überwies die Kaution jedoch einstweilen nicht an den Vermieter. Zum ebenfalls gestellten Antrag auf Direktüberweisung der Miete an den Vermieter teilte der Beklagte mit, die "Aufwendungen laufender angemessener Mietkosten" würden "nach Vorlage des [X.] und mit der nächstmöglichen Einarbeitung, der in diesem Zusammenhang stehenden Datensätze zur Zahlung angewiesen". Bis zur Einarbeitung der Datensätze sei die Mietzahlung selbst vollständig und fristgerecht vorzunehmen. Eine Kopie des [X.] ging kurz danach bei dem Beklagten ein. Da der Vermieter der neuen Wohnung deren Bezug vom Erhalt der Kaution abhängig machte, verblieben der Kläger und seine Lebenspartnerin über den [X.] hinaus in ihren bisherigen jeweiligen Unterkünften und verwendeten die vom Beklagten erbrachten Unterkunftsleistungen für die dort anfallenden Mietzahlungen. Zahlungen an den Vermieter der neuen Wohnung erfolgten im Februar und März 2006 nicht. Nach erneuter Vorsprache wurde vom Beklagten ein Darlehen zur Deckung der Mietkaution (Bescheid vom [X.]) bewilligt und an den Vermieter der neuen Wohnung ausgezahlt. Im März 2006 erfolgte dann der Umzug der nunmehr um die zwei neu geborenen Kinder vergrößerten Familie in die neue Wohnung. Der Beklagte nahm im Weiteren das Vorliegen von zwei Bedarfsgemeinschaften an. Er überwies von April bis Juni 2006 jeweils die Bruttowarmmiete in voller Höhe an den Vermieter, jedoch für Juli und August 2006 geringere Beträge. Der Kläger und seine Lebenspartnerin zahlten von März bis Mai und im Juli 2006 monatlich jeweils die Miete für die beiden angemieteten Stellplätze sowie einmalig 500 [X.] im April 2006. Der Vermieter forderte sie mehrfach zur Zahlung der rückständigen Miete auf.

4

Alsdann beantragte der Kläger mit Schreiben vom [X.] beim Beklagten die Übernahme der Mietschulden. Auch der im Weiteren vom Beklagten an den Vermieter überwiesene Mietzins deckte die tatsächlichen Aufwendungen nicht und ab Januar 2007 stellte der Beklagte die Zahlungen an den Vermieter wegen noch zu ermittelnden Einkommens vorläufig vollständig ein. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen der aufgelaufenen Mietschulden am 30.4.2007. Nach erhobener Räumungsklage und einer daraufhin geleisteten Einmalzahlung des Beklagten wurden die zwischenzeitlich weiter angewachsenen Mietschulden mit 2277,92 [X.] beziffert. Durch an den Kläger gerichteten Bescheid vom 27.6.2007 gewährte der Beklagte "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zwecks Übernahme von rückständigen Mietkosten" in Höhe von 1518,62 [X.]; den Betrag errechnete er aus der Aufteilung des Gesamtumfangs der Mietschulden auf die beiden Bedarfsgemeinschaften. Weiter verfügte der Beklagte: "2. [X.] erfolgt in Form eines Darlehens. 3. Das Darlehen ist unverzinslich. 4. Das Darlehen ist mit dem Gesamtbetrag fällig am 31.12.2007. 5. Zusätzlich fallen jährlich Verzugszinsen ab dem Fälligkeitstag in Höhe von 2 v. H. über dem am 30.06 des Jahres gültigen Basissatz an." Nach dem Begleichen der Mietschulden fand die Räumungsklage ihre Erledigung. Der gegen "die Bewilligung als Darlehen" vom Kläger für seine Bedarfsgemeinschaft erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008).

5

Auch im erstinstanzlichen Klageverfahren konnte der Kläger mit dem Begehren auf Übernahme der Mietschulden durch den Beklagten als Zuschussleistung nicht durchdringen (Urteil des [X.]). Das [X.] hat am 14.3.2013 das Urteil des [X.] abgeändert, den Bescheid des Beklagten vom 27.6.2007 aufgehoben, soweit die Darlehensbewilligung 506,21 [X.] (= ein Drittel des dem Kläger bewilligten Darlehens von 1518,62 [X.]) übersteigt, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Es hat die Ablehnung der zuschussweisen Leistungsbewilligung bestätigt. Ein solcher Anspruch sei nicht durch ein Verschulden des Beklagten zu begründen. Allerdings sei der Beklagte nicht berechtigt, allein den Kläger mit einem Darlehen zu belasten. Das Darlehen für die Mietschuldenübernahme sei kopfteilig auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, der er angehöre, aufzuteilen. Der [X.] könne nicht in der Weise ausgelegt werden, dass der Kläger auch für die Bedarfsgemeinschaft habe handeln wollen. Dabei sei es irrelevant, dass er als Gesamtschuldner für die Verbindlichkeiten einzustehen habe, weil das hier einzig maßgebliche Grundsicherungsrecht nur Individualansprüche der einzelnen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft kenne.

6

Der Beklagte hat die vom B[X.] zugelassene Revision gegen das Urteil des [X.] eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 22 Abs 5 [X.] idF des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze durch die nur kopfteilige Berücksichtigung des Darlehens beim Kläger. Seiner Ansicht nach ist allein der Kläger zur Tilgung des Darlehens in Höhe des Gesamtbetrags verpflichtet.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 14. März 2013 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2011 sowie dessen [X.] zurückzuweisen.

8

Der Kläger, der [X.] eingelegt hat, beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen und die Urteile des [X.] vom 14. März 2013 sowie des [X.] vom 16. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 27. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 zu verpflichten, die Mietschulden als Zuschuss an Stelle des hierfür bereits geleisteten Darlehens zu übernehmen.

9

Er verfolgt sein Begehren mit der Begründung weiter, der Beklagte trage die Schuld an der Entstehung der Mietschulden, sodass ein atypischer Fall iS des § 22 Abs 5 [X.] anzunehmen sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Beteiligten sind im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Ob der [X.]läger einen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden als Zuschussleistung des Beklagten hat, vermag der Senat aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht abschließend zu beurteilen.

1. Streitgegenstand ist die Übernahme von Mietschulden als Leistung an den [X.]läger in Höhe von 1518,62 Euro. Der Beklagte hat durch Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2008 die Leistung als Darlehen erbracht. Dieser Bescheid beinhaltete zugleich eine konkludente Ablehnung einer Bewilligung der Übernahme der Mietschulden als Zuschuss.

Der [X.]läger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage iS des § 54 Abs 4 SGG. Er begehrt die Umwandlung einer Darlehensleistung in eine solche als Zuschuss. Es ist insoweit nur noch darüber zu befinden, ob die bereits gezahlten Darlehensleistungen als Zuschuss hätten erbracht werden müssen. Allerdings war auch über den Umfang der Leistungsgewährung zu entscheiden. Denn soweit der [X.]läger die zuschussweise Leistungsbewilligung beantragt, umfasst sein Begehren auch eine Freistellung von der Tilgungsverpflichtung bzw eine Reduzierung dieser durch eine niedrigere Festsetzung des Tilgungsbetrags.

2. Der [X.]läger erfüllt nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 Nrn 1 - 4 [X.]; insbesondere war er hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 [X.]. Ob er jedoch einen Anspruch auf die Übernahme der Mietschulden als Zuschuss anstelle des bereits gezahlten Darlehens hat, konnte der erkennende Senat aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden.

Die Übernahme der Mietschulden richtet sich hier nach § 22 Abs 5 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom [X.] ([X.]). Danach können auch Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Satz 2 bestimmt, dass Schulden übernommen werden sollen, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Der für die Übernahme von Mietschulden iS des § 22 Abs 5 [X.] erforderliche Antrag, der im Regelfall nicht vom Antrag auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff [X.] erfasst wird, sondern vom Hilfebedürftigen gesondert geltend zu machen ist (BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]4), ist hier spätestens am 4.10.2006 für beide - von dem Beklagten angenommene - Bedarfsgemeinschaften durch den klägerischen Anwalt gestellt worden.

Da der Beklagte vorliegend bereits eine Darlehensleistung erbracht hat, bedurfte es keiner Prüfung, ob dem Beklagten ein Spielraum für das "ob" seiner Entscheidung zugestanden hätte (vgl hierzu BSG vom [X.] [X.]/09 R - [X.], 190 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]1). Allerdings erfolgt auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 22 Abs 5 [X.] gegeben sind, also ohne die Schuldenübernahme Wohnungslosigkeit droht - hier war bereits die Räumungsklage anhängig -, die Übernahme von Schulden im Regelfall nur darlehensweise. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 22 Abs 5 [X.] und dessen Sinn und Zweck.

Nach § 22 Abs 5 [X.] sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Dies bedeutet, dass ein Zuschuss nur in atypischen Fällen zu leisten ist. Damit soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Leistungsberechtigten und denen der Allgemeinheit der Steuerzahler bewirkt werden (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 22 RdNr 266, Stand [X.]). So steht auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag, einer Übernahme der Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem [X.] nicht entgegen. Es ist das elementare Grundbedürfnis der Unterkunftssicherung, ggf auch bei schuldhafter Gefährdung der Unterkunft diese durch staatliche Hilfe zu sichern. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates aus dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua, [X.]E 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.]36) und findet in der Leistung nach § 22 Abs 5 [X.] ihre Ausformung. Andererseits sollen Leistungen nach dem [X.] grundsätzlich nicht der Schuldentilgung dienen. Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsberechtigte sich dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen (vgl nur BSG vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - [X.], 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.], Rd[X.]9). Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen sind Grundsicherungsleistungen zur Schuldentilgung zu gewähren. Wenn dies dem Grunde nach in Betracht zu ziehen ist, dann besteht jedoch regelmäßig die Verpflichtung, die erbrachten Leistungen zur Schuldentilgung zurückzuzahlen, und die Leistungsgewährung erfolgt als Darlehen. Das Auswahlermessen des [X.] nach § 22 Abs 5 [X.] ist insoweit reduziert (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 22 Rd[X.]2, Stand VI/2014).

Hieraus folgt, dass ein atypischer Fall iS des § 22 Abs 5 [X.], also eine [X.]onstellation, in der anstelle des Darlehens ein Zuschuss zu erbringen ist, dann vorliegt, wenn die Fallgestaltung im Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei ist auch das Verhalten des Leistungsträgers in die Bewertung einzubeziehen (so auch [X.] in [X.], [X.]/[X.]I, § 22 [X.] Rd[X.]41, Stand IV/2014; [X.] in [X.], [X.], 3. Aufl 2013, § 22 RdNr 253, beide unter Bezugnahme auf [X.] Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.9.2007 - L 2 [X.]/07 [X.] - juris Rd[X.]). [X.] Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falles iS einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu verstehen ist, kann im Einzelfall eine Atypik des verwirklichten Tatbestandes begründen (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 [X.] - [X.], 103 = [X.] 4100 § 103 [X.], juris Rd[X.]8, BSG vom [X.]; BSG vom 28.6.1990 - 7 [X.] - [X.] 3-4100 § 115 [X.], juris RdNr 28). Allerdings muss das Verhalten des Leistungsträgers "wesentlich mitwirkend" für die Entstehung der Mietschulden sein. Haben Umstände in der Sphäre des Leistungsberechtigten und in der Sphäre der Verwaltung zu der Entstehung der Mietschulden beigetragen, ist nur dann von einer wesentlichen Mitwirkung des Leistungsträgers auszugehen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Entstehen der Mietschulden annähernd gleichwertig sind. [X.]ommt dagegen dem "Fehlverhalten" des Leistungsberechtigten eine überragende Bedeutung für die Mietschulden zu, so ist kein atypischer Fall gegeben, denn sein Verhalten verdrängt das Fehlverhalten des Leistungsträgers (vgl zu vergleichbaren Erwägungen im [X.] Entschädigungsrecht BSG vom [X.] V 1/[X.] - juris Rd[X.]8, mwN).

Das [X.] hat vorliegend dem Fehlverhalten des [X.]lägers (und dessen Lebensgefährtin) eine überragende Bedeutung für die Entstehung der Mietschulden beigemessen und aus diesem Grund einen atypischen Fall im Sinne eines wesentlich mitwirkenden fehlerhaften Verwaltungshandelns verneint. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Revisionsgericht ist insoweit nicht gehindert, die Bewertung des [X.] im Hinblick auf die Atypik zu überprüfen und ggf zu einer anderen Schlussfolgerung zu gelangen. Es handelt es sich hierbei nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine rechtliche Wertung auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen. Die Bindungswirkung des § 163 SGG bezieht sich lediglich auf die Tatsachenfeststellungen des [X.], aus denen auf das Vorliegen eines atypischen Falles geschlossen werden kann (vgl zur Atypik im Rahmen von § 48 SGB X: BSG vom 29.6.1994 - 1 R[X.] 45/93 - [X.], 287 = [X.] 3-1300 § 48 [X.], juris RdNr 26; so auch BSG vom 26.10.1998 - B 2 U 35/97 R - juris RdNr 25). Zwar hat sich das [X.] umfänglich mit den Beiträgen des Beklagten und des [X.]lägers zu der Entstehung der Mietschulden befasst. Es mangelt aber an hinreichenden Feststellungen zum Ausgangspunkt der Entstehung der Mietschulden und des Verhaltens des Beklagten in dieser Situation. Daher konnte der erkennende Senat nicht abschließend über das Vorliegen einer "Atypik" befinden.

Das [X.] hat zunächst eine in der Sphäre des Beklagten liegende fehlerhafte Zahlungspraxis festgestellt. Danach hat der Beklagte die Miete nicht vollständig an den Vermieter, sondern nur teilweise an diesen und teilweise an die Leistungsempfänger ausgezahlt. Die Leistung ist nach den Ermittlungen im Berufungsverfahren jedoch vollständig in der bewilligten Höhe zur Auszahlung gelangt, sodass das [X.] insoweit letztlich zutreffend das Fehlverhalten des [X.]lägers als überragenden Beitrag für die Entstehung weiterer Mietschulden angesehen hat. Soweit die Miete nicht in der anerkannten Höhe an den Vermieter überwiesen worden ist, hat das Berufungsgericht bereits eine fehlerhafte Zahlungspraxis des Beklagten verneint. Es stützt sich darauf, dass der [X.] der Lebensgefährtin des [X.]lägers aufgrund von Unterhaltszahlungen und des Bezugs von [X.]indergeld keinen oder nur einen sehr geringen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gehabt hat. Es lag damit in der Sphäre des [X.]lägers, den auf den [X.] entfallenden [X.]opfteil der Miete aus dem Einkommen des [X.]indes selbst an den Vermieter zu überweisen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass nach Auffassung des [X.] die zögerliche Bearbeitung der Anträge des [X.]lägers und die zum Teil lediglich schematischen Ausführungen in den Schreiben des Beklagten ohne Bezug zum konkreten Einzelfall sowie die vom [X.] festgestellten tatsächlichen Buchungsvorgänge zwar an einer ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zweifeln lassen. Um ein im Rechtssinne wesentlich mitwirkendes Fehlverhalten des Beklagten, dass zur Entstehung der Mietschulden beigetragen hat, handelt es sich dabei jedoch nicht.

Das [X.] hat allerdings den Ausgangspunkt der Entstehung der Mietschulden nicht in seine Bewertung einbezogen. Nach seinen Feststellungen hat der [X.]läger eine Leistung für eine Mietkaution bereits im Dezember 2005 beantragt. Der Beklagte hat sie auch bewilligt, jedoch erst nach dem 1.2.2006, dem geplanten Einzugstermin, ausgezahlt. Der [X.]läger und die weitere Bedarfsgemeinschaft sind alsdann in ihren bisherigen Wohnungen verblieben. Ob und ggf in welcher Höhe es deswegen zu doppelten Mietforderungen gekommen ist, hat das [X.] nicht festgestellt. Dies ist jedoch nach den Ausführungen im Tatbestand des Urteils zur "Verrechnung" der Mietleistungen für die bisherigen Wohnungen mit denen für die neue Wohnung durch den Änderungsbescheid vom 7.3.2006 naheliegend. Sollte es dem [X.]läger und der weiteren Bedarfsgemeinschaft also wegen der nicht rechtzeitig gezahlten Mietkaution nicht möglich gewesen sein, in die angemietete Wohnung umzuziehen, könnte hierin ein Fehlverhalten des Beklagten erkannt werden, das wesentlich zur Entstehung der Mietschulden beigetragen hat. Immerhin hat der Vermieter der neuen Wohnung nach den Feststellungen des [X.] gegenüber dem Beklagten bereits sehr früh wegen der nicht erfolgten Mietzahlungen für Februar und März 2006 eine fristlose [X.]ündigung angekündigt.

3. Sollte das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, es sei gleichwohl kein atypischer Fall gegeben, wird es im Weiteren zu beachten haben, dass der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig ist, als durch die [X.] 4 und 5 die Fälligkeit des gesamten [X.] am 31.12.2007 und der Anfall von Verzugszinsen für den Fall der nicht rechtzeitigen Tilgung geregelt wird.

Für die Tilgung einer den [X.]osten der Unterkunft und Heizung zuzuordnenden Leistung als Gesamtbetrag zu einem Fälligkeitsdatum, an dem ausgehend vom Zeitpunkt der [X.] nicht absehbar ist, ob der Leistungsberechtigte sich noch im Leistungsbezug befindet - was hier der Fall war -, mangelt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage im [X.] Im Hinblick auf die Tilgung eines Mietkautionsdarlehens aus der Regelleistung hat der erkennende Senat dies nach der Rechtslage bis zum [X.] selbst für eine ratenweise Abzahlung befunden (BSG vom [X.] - B 4 AS 26/10 R - [X.], 288 = [X.] 4-1200 § 46 [X.], Rd[X.]). So war im Gegensatz zur Darlehensgewährung für einen einmaligen Bedarf iS des § 23 Abs 1 [X.] idF des [X.] über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom [X.], [X.] 2954) in § 22 Abs 3 [X.] für das Mietkautionsdarlehen ebenso wie für das Mietschuldendarlehen nach § 22 Abs 5 [X.] keine Tilgungsregelung im [X.] vorgesehen. Eine solche ist auch nach der Neufassung des § 22 Abs 5 [X.] durch das Gesetz zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze nicht eingefügt worden. Eine analoge Anwendung der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 [X.] hat der erkennende Senat ebenfalls abgelehnt. Wie beim Mietkautionsdarlehen liegen der Tilgungsregelung des § 23 Abs 1 S 3 [X.] und dem Darlehen für Mietschulden andere Tatbestände zugrunde (BSG vom [X.] - B 4 AS 26/10 R - [X.], 288 = [X.] 4-1200 § 46 [X.], Rd[X.]6). Erst durch § 42a [X.] ist zum 1.4.2011 eine Aufrechnungsregelung insoweit geschaffen worden. Abgesehen davon, dass diese Regelung nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine "echte Rechtsänderung" ist (BSG vom [X.] - B 4 AS 26/10 R - [X.], 288 = [X.] 4-1200 § 46 [X.], Rd[X.]6), sieht auch § 42a Abs 4 [X.] erst nach Beendigung des Leistungsbezugs die Fälligkeit des gesamten noch nicht getilgten [X.] vor. Diese Art der Tilgung eines Darlehens für Mietschulden während des laufenden Leistungsbezugs wäre nur zu Lasten der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts möglich. Dies führt im vorliegenden Fall zu einer nicht mehr ausgleichbaren Unterdeckung des Existenzminimums, denn der Aufrechnungsbetrag von 1518,62 Euro übersteigt das Vierfache der Regelleistung.

Da es somit bereits an einer rechtmäßigen Verfügung zur Tilgung des Darlehens mangelt, ist auch die Verfügung über die Zahlung von Verzugszinsen rechtswidrig und aufzuheben.

4. Auch die Höhe der Darlehensbelastung ist vom Beklagten unzutreffend bestimmt worden. Dabei ist das [X.] allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem [X.]läger nur ein Darlehen von 506,21 Euro zu bewilligen war. Vielmehr ist ein Darlehen zur Deckung von Mietschulden unabhängig vom [X.]opfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die - jedenfalls in einer [X.]onstellation wie der vorliegenden - aus dem Mietvertrag verpflichtet sind. Somit entfällt auf den [X.]läger eine Darlehensbelastung in Höhe von 1138,96 Euro.

Die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind nach gefestigter Rechtsprechung des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro [X.]opf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzen (stRspr des BSG seit 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.], 265 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], RdNr 28; zuletzt vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.], RdNr 26 und vom 22.8.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.], RdNr 20). Hintergrund für dieses auf die Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom [X.] - [X.]E 79, 17, juris Rd[X.]0) zurückgehende "[X.]opfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des [X.] nicht zulässt.

Bei der Leistung für Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist jedoch keine [X.]opfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem [X.] befassten Senate des BSG haben eine Abweichung vom [X.]opfteilprinzip für diejenigen Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist (vgl nur BSG vom 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.], 265 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], juris RdNr 28; BSG vom 27.1.2009 - [X.]/7b [X.] - [X.] 4-4200 § 21 [X.], juris Rd[X.]9; für eine vorübergehende, auf unter sechs Monate beschränkte Ortsabwesenheit eines Partners BSG Urteil vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.]2 Rd[X.]9; s auch BSG vom [X.] - B 4 [X.]/12 R - [X.], 270 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]9, hierzu zustimmend [X.], [X.] 2014, 339; [X.] [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.], RdNr 23). So liegt es auch bei der Mietschuldenübernahme.

Würde das Darlehen gemäß § 22 Abs 5 [X.] kopfteilig auf die Mitglieder beider - vom Beklagten angenommener - Bedarfsgemeinschaften verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch der [X.]inder einer Bedarfsgemeinschaft, für unerfüllte Mietvertragsforderungen. Unter Berücksichtigung der Neuregelung des § 42a Abs 1 S 3 [X.] träfe eine Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag verpflichtete [X.] unabhängig davon, ob eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten besteht. Abgesehen davon könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die [X.] ergeben. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen - unter Berücksichtigung des internen Schuldnerausgleichs bei gesamtschuldnerischer Haftung - als Darlehensnehmer anzusehen (ebenso [X.] in: [X.]/[X.], [X.], [X.] § 22 Rd[X.]66, Stand III/14; [X.] in: [X.], [X.], 3. Aufl 2013, § 22 RdNr 253), soweit sie - wie hier - die Wohnung gemeinsam nutzen (vgl die Fallkonstellation in BSG vom 22.8.2012 - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] RdNr 2, 18) und im Leistungsbezug nach dem [X.] stehen. Nach diesen Grundsätzen konnte der [X.]läger, der den Mietvertrag gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin geschlossen hatte, ein Darlehen von 1138,96 Euro (= die Hälfte der Mietschulden von 2277,92 Euro) beanspruchen.

5. Das [X.] wird auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 4 AS 3/14 R

18.11.2014

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Dresden, 16. Mai 2011, Az: S 23 AS 6088/08, Urteil

§ 22 Abs 5 S 1 SGB 2 vom 24.03.2006, § 22 Abs 5 S 2 SGB 2 vom 24.03.2006, § 22 Abs 5 S 4 SGB 2 vom 24.03.2006, § 42a Abs 1 S 3 SGB 2, § 42a Abs 4 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 4 AS 3/14 R (REWIS RS 2014, 1294)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1294

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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