Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2005, Az. I ZR 95/03

I. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 238

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 95/03 Verkündet am: 15. Dezember 2005 [X.] Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.] Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhand-lung vom 15. Dezember 2005 durch [X.] Dr. [X.] und [X.] v. Ungern-Sternberg, Prof. [X.], Pokrant und Dr. Schaffert für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das [X.]eil des [X.], 6. Zivilsenat, vom 6. März 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht [X.].
Von Rechts wegen

Tatbestand: Die Klägerin ist Transportversicherer der [X.]

B.V. in Ven- lo/Niederlande (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen des Verlusts von Transportgut im Rahmen ei-1 - 3 - [X.] durchgeführten internationalen [X.] auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Die Versicherungsnehmerin kaufte bei der [X.]

GmbH (im Weiteren: [X.]) in [X.] Computer-Festplatten. Mit der Beför- derung wurde die Beklagte beauftragt, die in ständiger Geschäftsbeziehung mit der [X.] stand. Diese übergab der Beklagten Festplatten in zwei [X.] dungen zur Beförderung; Wertangaben erfolgten hierbei nicht. Die erste [X.]dung im Wert von 11.626,78 • ging teilweise - wertmäßig in Höhe von 7.751,18 • - verloren, die zweite Sendung im Wert von 34.032,61 • insgesamt. Die Beklagte hatte sich zur Erbringung der Transportleistungen ihrer nie-derländischen Schwestergesellschaft bedient. Bei dieser durchgeführte Nach-forschungen ergaben, dass die beiden Sendungen in deren Lager in [X.] eingegangen und danach außer Kontrolle geraten waren. 3 Die Klägerin zahlte an die Versicherungsnehmerin wegen der beiden Verlustfälle unter Berücksichtigung des vereinbarten Selbstbehalts insgesamt 41.330,05 •. Für ein Gutachten zur Feststellung der Schadensentstehung und des Schadensumfangs wandte sie weitere 1.785,63 • auf. 4 Das [X.] hat der von der Klägerin wegen der beiden Schadensfäl-le aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin erhobenen Scha-densersatzklage in Höhe von 43.115,68 • nebst Zinsen stattgegeben. 5 Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. 6 - 4 - Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel [X.]. 7 Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat der Klägerin aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin (§ 284 des [X.] Handelsgesetzbuches, der dem [X.] § 67 [X.] entspricht) einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1, Art. 29 [X.] zuerkannt. Dazu hat es [X.]: 8 Die Beklagte hafte gegenüber der Versicherungsnehmerin, die sie [X.] habe, gemäß Art. 17 Abs. 1 [X.] für den Verlust des übernommenen [X.]. Für das Verhalten ihrer [X.] Schwestergesellschaft habe sie gemäß Art. 3 [X.] einzustehen. Auf die Haftungsbegrenzung des Art. 23 Abs. 3 [X.] könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie zum Transportab-lauf nichts dargelegt habe und daher gemäß Art. 29 [X.] unbeschränkt hafte. 9 Die Klägerin müsse sich auch kein Mitverschulden anrechnen lassen, weil die Beklagte über den Wert der Sendungen nicht aufgeklärt worden sei. Der Beklagten sei dieser Wert aufgrund ihrer ständigen Geschäftsbeziehung zu der [X.] bekannt gewesen. 10 I[X.] Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat [X.]. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur [X.] an das Berufungsgericht. 11 - 5 - 12 1. Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin geltend gemachten Schadensersatzan-spruch jedenfalls im Ergebnis zutreffend für begründet erachtet. 13 Die Revision weist allerdings mit Recht darauf hin, dass die im Beru-fungsurteil getroffenen Feststellungen zu der Frage, wer Vertragspartner der Beklagten war, widersprüchlich sind: Das Berufungsgericht hat eine Auftragser-teilung durch die Versicherungsnehmerin im Tatbestand zunächst als unstreitig dargestellt, im Weiteren aber ausgeführt, die Beklagte sei dem entgegengetre-ten, ohne dass es diesen Widerspruch in den Gründen seiner Entscheidung aufgelöst oder auch nur erörtert hat. Die Haftung der Beklagten bleibt davon jedoch unberührt. Denn sie ergibt sich entweder aus dem mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen Vertrag gemäß Art. 17 Abs. 1 [X.] oder aber - da der Verlust des Gutes feststeht - bei einem Vertragsschluss der Beklagten mit der [X.] aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 [X.]. 14 2. Das Berufungsgericht hat zutreffend und von der Revision auch unan-gegriffen angenommen, dass die Beklagte gemäß Art. 29 [X.] unbegrenzt [X.]. Der Vorwurf qualifizierten Verschuldens trifft entweder sie selbst (Art. 29 Abs. 1 [X.]) oder ihre Leute (Art. 29 Abs. 2 [X.]). 15 Die Beklagte hat den Schadenseintritt in zeitlicher, räumlicher und perso-neller Hinsicht nur dahin einzugrenzen vermocht, dass das Transportgut nach Eingang bei dem von ihr eingeschalteten Schwesterunternehmen im Lager [X.] verloren gegangen ist. Bei dem Umschlag von Gütern - wie hier im Lager [X.] - handelt es sich aber um einen besonders [X.] - 6 - gen Bereich, der Eingangs- und Ausgangskontrollen zumal dann erfordert, wenn ein rechtlich selbständiges Drittunternehmen in die Erbringung der Trans-portleistung eingebunden wird (vgl. [X.], 322, 330). Die Beklagte hätte wegen ihrer besonderen Sachnähe zum eingetretenen Schaden Umstände [X.] und zu beweisen gehabt, die gegen die Kausalität eines entsprechen-den Sorgfaltsverstoßes bei den Kontrollmaßnahmen sprachen (vgl. [X.], [X.]. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, [X.] 1999, 19, 21 ff.; [X.]. v. [X.] - I ZR 95/01, [X.] 2005, 311, 314). Da die Beklagte in dieser Hinsicht nichts vorgetragen hat, ist das Berufungsgericht zutreffend von einem qualifizierten Verschulden i.S. des Art. 29 [X.] ausgegangen. 3. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich kein Mitverschulden wegen der un-terlassenen Aufklärung der Beklagten über den Wert der beiden Sendungen anrechnen lassen. 17 a) Die Anwendung des § 254 [X.] ist hier nicht deshalb ausgeschlossen, weil die [X.] die Haftung des Frachtführers abschließend regelt. Unabhängig davon, ob das Haftungssystem der [X.] im Rahmen der Haftung nach Art. 17 Abs. 1 [X.] den [X.] nach § 254 [X.] ausschließt, kann der Frachtführer jedenfalls im Rahmen der verschärften Haftung nach Art. 29 [X.] einwenden, dass es der Ersatzberechtigte vor Vertragsschluss trotz Kenntnis oder Kennenmüssen der Tatsache, dass mit der Angabe des tatsäch-lichen Werts der Sendung gegen höheren Tarif auch eine sicherere Beförde-rung verbunden ist, unterlassen hat, den wirklichen Wert des zu transportieren-den Gutes anzugeben (§ 254 Abs. 1 [X.]). Im Rahmen der Haftung nach Art. 29 [X.] kann sich ein anspruchsminderndes Mitverschulden zudem aus § 254 Abs. 2 Satz 1 [X.] ergeben, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, den Schädiger im Hinblick auf den Wert des [X.] eines [X.] - 7 - lich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die dieser weder kannte noch kennen musste (vgl. [X.]Z 149, 337, 353; [X.], [X.]. [X.], [X.] 2003, 317, 318 = NJW-RR 2003, 1473). Insoweit ist lückenfüllend na-tionales Recht heranzuziehen ([X.] [X.] 2005, 311, 314; [X.], [X.], 5. Aufl., Art. 29 [X.] [X.]. 8). b) Die Obliegenheit zur Warnung gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 [X.] hat den Zweck, dem Schädiger Gelegenheit zu geben, geeignete Schadensabwen-dungsmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müs-sen, dass der Frachtführer [X.] mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird (vgl. [X.] [X.] 2005, 311, 314 f.). 19 c) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden zu Unrecht verneint. 20 aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Mitverschulden scheide aus, weil die Beklagte aufgrund ihrer ständigen Geschäftsbeziehung zu der [X.] gewusst habe, dass Güter von nicht unerheblichem Wert transpor- tiert werden sollten. Die Beklagte habe in ihrer Preisvereinbarung mit der [X.] keine Differenzierungen hinsichtlich der [X.] vorgenommen, sondern allein auf die Anzahl der versandten Pakete abgestellt. Die [X.] 21 - 8 - GmbH habe nicht davon ausgehen müssen, auf weitere Besonderheiten [X.] nehmen zu müssen. 22 bb) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kann allein aus der Tatsache, dass zwischen der Beklagten und der [X.] eine ständige Ge- schäftsbeziehung bestanden hat, noch nicht auf eine Kenntnis oder ein [X.] der Beklagten von dem erheblichen Wert der streitgegenständli-chen Transportgüter geschlossen werden. Wie die Revision zu Recht rügt, konnte die Beklagte allenfalls davon ausgehen, dass die [X.] von der Beklagten vor allem Computerzubehör befördern ließ. Da Computerzubehör im Wert aber erheblich differieren kann, kann daraus noch nicht auf die Kenntnis der Beklagten von dem erheblichen Wert des zu befördernden [X.] werden. Besondere Umstände, die das Vorhandensein einer entsprechen-den Kenntnis im vorliegenden Einzelfall nahelegen könnten, sind vom [X.] nicht festgestellt worden. cc) Der Wert der in Verlust geratenen Sendungen war erheblich, so dass die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens bestand. 23 Die Voraussetzung einer ungewöhnlichen Höhe des Schadens lässt sich nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation (z.B. zwischen dem unmittelbar gefährdeten Gut und dem Gesamtschaden) angeben ([X.]/[X.], [X.] [2005], § 254 [X.]. 75). Die Frage, ob ein unge-wöhnlich hoher Schaden droht, kann vielmehr regelmäßig nur unter Berücksich-tigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen (vgl. [X.], [X.]. v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, NJW 2002, 2553, 2554; [X.] NJW-RR 1998, 380; [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 254 [X.]. 28). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß - also nicht nur 24 - 9 - selten - erreichen. Da insoweit die Sicht des Schädigers maßgeblich ist, ist na-mentlich zu berücksichtigen, in welcher Höhe dieser, soweit für ihn die Möglich-keit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertrag-lich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist. [X.] dessen, dass hier in ersterer Hinsicht Beträge in Höhe von 1.000 DM und in letzterer Hinsicht 50.000 US-$ im Raum stehen, liegt es aus der Sicht des Senats nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 [X.] in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der [X.]dung 5.000 •, d.h. etwa den zehnfachen Betrag der [X.] der Nr. 10 der Beförderungsbedingungen übersteigt, die die Beklagte ihren Beförderungsleistungen zugrunde legt, soweit Vertragsfreiheit besteht. [X.]) Da es bei einem Mitverschulden wegen des unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens nicht auf die Kenntnis des Auftraggebers ankommt, dass der Frachtführer [X.] mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, ist es insoweit auch unerheblich, wer Vertragspartner der [X.] war. Eine Wertangabe ist weder durch die Versicherungsnehmerin noch durch die [X.] erfolgt. 25 4. Die [X.] nach § 254 [X.] obliegt grundsätzlich dem Tatrichter ([X.]Z 149, 337, 355; [X.], [X.]. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, [X.] 2004, 399, 402). 26 Im Rahmen der [X.] ist zu beachten, dass die Reichweite des bei wertdeklarierten Sendungen gesicherten Bereichs einen für die Bemes-sung des Mitverschuldensanteils relevanten Gesichtspunkt darstellt: Je größer der gesicherte Bereich ist, desto größer ist auch der Anteil des Mitverschuldens des Versenders, der durch das Unterlassen der Wertangabe den Transport der 27 - 10 - Ware außerhalb des gesicherten Bereichs veranlasst ([X.] [X.] 2003, 317, 318). 28 Ferner ist der Wert der transportierten Ware von Bedeutung: Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der [X.] liegende [X.]. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine besonders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist das in dem Unterlassen der [X.] liegende Verschulden des Versenders gegen sich selbst. II[X.] Danach war das Berufungsurteil auf die Revision der [X.] und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses 29 - 11 - wird, soweit es zu der Beurteilung kommen sollte, dass der [X.] nicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1 [X.] zu mindern ist, auch die Möglichkeit zu prüfen haben, ob sich eine Minderung des [X.]s aus § 254 Abs. 1 [X.] er-gibt. [X.] v. Ungern-Sternberg Bornkamm

Pokrant Schaffert Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.] - 415 O 54/01 - [X.], Entscheidung vom 06.03.2003 - 6 U 170/02 -

Meta

I ZR 95/03

15.12.2005

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2005, Az. I ZR 95/03 (REWIS RS 2005, 238)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 238

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