Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. IX ZB 34/16

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 16584

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:260117BIXZB34.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 34/16
vom

26. Januar 2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 520 Abs. 2 Satz 3
Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, sofern er erhebliche Gründe wie Arbeitsüberlastung oder Urlaubsabwesenheit dargelegt hat.
ZPO § 233 Abs. 1 Satz 1 B, C
Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem erstmaligen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wurde, wenn er nach dem Inhalt der mitgeteilten Gründe auf eine Verlängerung vertrauen durfte.

[X.], Beschluss vom 26. Januar 2017 -
IX ZB 34/16 -
LG [X.]

[X.]

-

2

-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.],
[X.] Dr. Gehrlein, die Richterin [X.] und die Richter
Dr. [X.] und Meyberg

am
26. Januar 2017
beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 5.
April 2016 in der Fassung vom 22.
Juni 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung

auch über die Kosten des [X.] -
an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.

Die gerichtlichen
Kosten des [X.] blei-ben außer Ansatz (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Der Streitwert wird auf 1.048,15

Gründe:

I.

Die klagende Versicherungsgesellschaft nimmt den beklagten Rechts-anwalt auf Erstattung von [X.] in Anspruch, die sie an ihn für die Vertretung einer Versicherungsnehmerin in einem gerichtlichen Verfahren 1
-

3

-
entrichtet
hatte. Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 25.
Juni 2014 zur Zahlung von 1.048,15

von 98,55

.
Gegen das ihm am 7.
Juli 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 5.
August 2016, der am selben Tag bei dem [X.] eingegangen ist, Berufung eingelegt.
Durch am 4.
September 2014 verfassten und
dem [X.] zugegangenen Schriftsatz
hat er unter Hinweis auf urlaubsbedingte Abwesenheit und damit einhergehende
Arbeits-überlastung beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu ver-längern.
Schließlich hat der Kläger mit Schriftsatz vom 7.
Oktober 2014, [X.] an diesem Tage bei dem
[X.] eingegangen, die Berufung begrün-det
und die Abweisung der Klage beantragt.
Das [X.] hat
den [X.]en durch Hinweisbeschluss vom 8.
Juni 2015 mitgeteilt, dass es die Berufung des Beklagten
als begründet erachte, und den Abschluss eines Vergleichs vorge-schlagen.

Durch Verfügung vom 8.
März 2016 hat der Vorsitzende der Berufungs-kammer
den Beklagten dahin unterrichtet, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt worden sei, weil sich die Akte noch bei dem Amtsgericht befunden habe. Folglich sei die Berufung nicht [X.] begründet worden.
Diese Verfügung ist dem Beklagten am 29.
März 2016 zugegangen.
Mit am 7.
April 2016 verfassten und beim [X.] eingegan-genen Schriftsatz hat der Beklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt
und begründet.
Zwischenzeitlich hat das [X.] die Berufung des [X.] durch Beschluss vom 5.
April 2016 als unzulässig verworfen.
Dagegen rich-tet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
2
-

4

-
II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz
1 Nr.
1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§
574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wir-kungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer [X.] den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz aufgrund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die [X.] auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste ([X.], Beschluss vom 15.
März 2005 -
VI
ZB 83/04, NJW-RR 2005, 792 mwN).

1. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Berufung des Beklagten sei unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Da die [X.] nicht verlängert worden sei, sei die Frist zur Begründung der Berufung mit Ablauf des 7.
September 2014 verstrichen. Binnen dieser Frist sei keine Berufungsbegründung eingegangen.
Vielmehr sei die Berufungsbegrün-dung erst nach Fristablauf am 7.
Oktober 2014 eingereicht worden.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Berufung des [X.] nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als
unzu-lässig verworfen werden durfte, wenn sein Antrag auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt worden war ([X.], Beschluss vom 3.
Februar 1988 -
IVb [X.], 3
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5
6
-

5

-
NJW-RR 1988, 581; vom 5.
April 2001 -
VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931; vom 15.
März 2005, aaO). Über
die beantragte Fristverlängerung hat gemäß §
520 Abs.
2 Satz
2 ZPO der Vorsitzende des [X.] zu [X.]. An einer ablehnenden -
ebenso wie einer stattgebenden
-
Entscheidung fehlt es indessen.

Eine
Entscheidung über den Verlängerungsantrag ist durch den [X.] nicht ergangen. Entsprechend seiner Mitteilung vom 8.
März 2016 ist die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt [X.], weil sich die Akte nach Eingang des Antrags noch bei dem Amtsgericht befunden hat. Demgemäß
hat der Vorsitzende zwar
keine Fristverlängerung gewährt,
diese aber auch nicht abgelehnt. In dem Hinweis, dass dem Antrag nicht entsprochen worden sei, liegt keine Ablehnung der begehrten Fristverlän-gerung ([X.], Beschluss vom 15.
März 2005, aaO S.
793). Eine Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung einer Berufungsbegründungsfrist kann grundsätzlich auch nach deren Ablauf ergehen, sofern der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist ([X.], Urteil vom 30.
September 1987 -
IVb [X.], [X.]Z 102, 37, 40; Beschluss vom 15.
März 2005,
aaO).
Im Streitfall ist der [X.] fristgerecht
am 4.
September 2014 vor Ablauf der am Montag, dem 8.
September 2014 endenden Berufungsbegründungsfrist angebracht
worden. Bei dieser Sachlage ist
die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um eine Entscheidung über das Fristverlängerungsgesuch zu treffen.

b) Sollte eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7.
Oktober 2014 im
Streitfall ungeachtet der geltend gemachten erheblichen Gründe abgelehnt werden, würde sich die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen, die gemäß §
236 Abs.
2 ZPO auch von Amts wegen zu gewähren sein kann
([X.], Beschluss vom 15.
März 2005 aaO).
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6

-

aa) Vorliegend durfte
sich der Beklagte für die Entscheidung über seinen [X.] auf die gefestigte Rechtspre-chung des [X.] verlassen, wonach seinem ersten [X.] auf der Grundlage der geltend gemachten Gründe hätte stattgege-ben werden müssen.

Zwar muss der Rechtsmittelführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Er-messens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist ver-sagt. Der Rechtsanwalt kann jedoch nach ständiger Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen erwarten, dass einem ersten [X.] dann entsprochen wird, wenn
ein erheblicher Grund (§
520 Abs.
2 Satz 3 ZPO) vorgetragen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
September 2001 -
VI
ZB 26/01, [X.], 1579, 1580; vom 21.
Februar 2000 -
II
ZB 16/99, [X.], 1433, 1434; vom 1.
August 2001 -
VIII
ZB 24/01, [X.], 1576; vom 13.
Dezember 2005 -
VI
ZB 52/05, [X.], 568
Rn. 6; vom 16.
Oktober 2007 -
VI
ZB 65/06, NJW-RR 2008, 367 Rn.
9). Der
erstmalige Antrag auf Ver-längerung der Berufungsbegründungsfrist
war auf die als erheblich anerkannten Gründe der
Arbeitsüberlastung ([X.], Beschluss vom 7.
Mai 1991 -
XII
ZB 48/91, NJW 1991, 2080, 2081; vom 13.
Dezember 2005, aaO; vom 10.
März 2009
-
VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933 Rn. 12) sowie der [X.] ([X.], Beschluss vom 7.
Mai 1991, aaO; vom 10.
März 2009,
aaO; vom 5.
Juni 2012 -
VI
ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rn.
7) gestützt
worden.
Mithin durfte der Beklagte darauf vertrauen, dass seinem Gesuch entsprochen wird.

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7

-

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte nicht ver-pflichtet, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern.

Eine Nachfragepflicht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn [X.] ein konkreter Anlass besteht. Ein solcher konkreter Anlass ist nicht schon dann gegeben, wenn der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungs-frist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Der Rechtsanwalt muss sich nicht darüber vergewissern, ob seinem Antrag stattgegeben wurde. Für eine solche Rückfrage besteht kein erkennbarer An-lass, wenn der Anwalt -
wie im Streitfall
-
mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte ([X.], Beschluss vom 11.
November 1998 -
VIII
ZB 24/98, [X.], 1559, 1560; vom 13.
Dezember 2005
-
VI
ZB 52/05, [X.], 568 Rn. 7; vom 16.
Oktober 2007 -
VI
ZB 65/06, NJW-RR 2008, 367 Rn.
9; vom 5.
Juni 2012, aaO Rn.
11).
Über einen rechtzeitig bei Gericht eingegangen Fristverlän-gerungsantrag kann -
wie ausgeführt
-
auch noch nach Ablauf der Frist ent-schieden werden, so dass nicht entscheidend ist, ob der Antrag am letzten Tag der Frist tatsächlich bearbeitet worden wäre ([X.], Beschluss vom 13.
Dezem-ber 2005, aaO).
Mithin dürfte den Beklagten kein Verschulden an der Versäu-mung der Berufungsbegründungsfrist treffen.

cc) Die versäumte Rechtshandlung wurde
jedenfalls
mit der
am 7.
Oktober 2014 bei
dem [X.] eingegangenen Berufungsbegründung
innerhalb der insoweit maßgeblichen Frist von einem Monat (§
236 Abs. 2 Satz
2, §
234 Abs.
1 Satz
2
ZPO) nach Ende der am 8.
September 2014 abge-laufenen Berufungsbegründungsfrist nachgeholt.

11
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-

8

-

dd) Nachdem
dem
Beklagten
am 29.
März 2016 die gerichtliche Verfü-gung vom 8.
März 2016 über die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zugegangen ist, hat er am 7.
April 2016 innerhalb der Frist von einem Monat (§
236 Abs.
2 Satz 2, §
234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nach Wegfall des Hindernisses (§
234 Abs.
2 ZPO) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Die Gewährung von Wiedereinsetzung scheitert nicht daran, dass vom Ende
der versäumten Frist am 8.
September 2014 bis zur Stellung des [X.] am 7.
April 2016 ein Zeitraum von einem Jahr verstrichen
war (§
234 Abs.
3
ZPO).

Dem Beklagten ist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits ge-mäß §
236 Abs.
2 Halbs.
2 ZPO
von Amts wegen zu gewähren, ohne dass
es auf die Beachtung der Jahresfrist des §
234 Abs. 3 ZPO ankommt
(vgl. Prüt-ting/Gehrlein/Milger/Kazele, ZPO, 8.
Aufl., §
234 Rn. 17).
Eines fristgebundenen
Wiedereinsetzungsantrags bedurfte es nicht, weil der Beklagte mit seinem Schriftsatz vom 7. Oktober 2014 die versäumte [X.] innerhalb der Frist des §
234 Abs.
1 Satz 2 ZPO nachgeholt hatte und die Gründe für die un-verschuldete Fristversäumung aktenkundig waren ([X.], Beschluss
vom 24.
Mai 2000
-
III
ZB 8/00, NJW-RR
2000, 1590; vom 19.
Dezember 2012

-
XII
ZB 169/12, [X.], 471 Rn. 17).
Im Streitfall sind diese Voraussetzun-gen erfüllt, weil das Gericht den rechtzeitig eingelegten Fristverlängerungsan-

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9

-
trag nicht rechtzeitig beschieden hat, der Anwalt aber nach den von ihm darge-legten Gründen davon ausgehen durfte, dass seinem Gesuch stattgegeben wird.

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Meyberg

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.06.2014 -
13 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 05.04.2016 -
4 [X.]/14 -

Meta

IX ZB 34/16

26.01.2017

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. IX ZB 34/16 (REWIS RS 2017, 16584)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16584

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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