Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2012, Az. VI ZB 16/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5860

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

VI [X.]
vom

5. Juni
2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 233 (Ff)
Ein Prozessbevollmächtigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob sein Antrag auf Verlängerung der Frist rechtzeitig eingegangen sei und ihm stattgegeben werde.

[X.], Beschluss vom 5. Juni 2012 -
VI [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-

Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am 5. Juni
2012 durch den Rich-ter Zoll, die Richterin [X.], [X.] und [X.] und die Richte-rin von Pentz

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 13. Februar 2012
aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-gen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Kläger, der am 22. September 2010 zu Fall kam und sich [X.] zuzog, nimmt den Beklagten als Tierhalter eines Schäferhundes auf Ersatz 1
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3
-

materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 3.
November 2011 stattgegeben. Dieses Urteil ist den erst-instanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 8.
November 2011 zugestellt worden. Dagegen hat der Beklagte mit anwaltlichem Schriftsatz Beru-fung eingelegt. Mit einem am 11. Januar 2012 beim [X.] eingegange-nen
anwaltlichen Schriftsatz hat der Beklagte die Berufung begründet. Auf [X.] Hinweis, dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegan-gen sei, hat der Beklagte mit einem am 19. Januar 2012 beim [X.] ein-gegangenen anwaltlichen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur [X.] dieses Antrags hat er ausgeführt, seine Prozessbevollmächtigten hätten am 23. Dezember 2011 ein Schreiben zur Post gegeben, in dem sie die Verlän-gerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hätten. Ein solches Schreiben befindet sich nicht bei den Gerichtsakten.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] den Wiederein-setzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei am 9. Januar 2012 abgelaufen. Die [X.] sei nicht innerhalb dieser Frist und deshalb verspätet beim [X.] eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne dem Beklagten nicht gewährt werden, weil er die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne Verschulden ver-säumt habe. Er
müsse sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es könne dahinstehen, weshalb ein Schriftsatz mit einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu den Akten gelangt sei. Da den Prozessbevollmächtigten des Beklagten bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 9. Januar 2012 eine Verlängerungsbewilligung nicht zugegangen sei, obwohl zu diesem [X.]punkt die (angebliche) Einbringung des Antrags bereits mehr als zwei Wochen zurückgelegen habe, wäre es zwin-2
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gend
geboten gewesen, die Gründe dafür zu hinterfragen. Zwar werde dem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig stattgegeben, doch liege dem Gericht kein derartiger Antrag, über den es hätte entscheiden können, vor. Deshalb sei die Berufungsbegründungsfrist unverlän-gert abgelaufen. Die nunmehr abgelaufene Frist könne nicht mehr verlängert werden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbe-schwerde.

II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
574 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 in Verbin-dung mit
§
522 Abs.
1 Satz 4, §
238 Abs.
2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§
574 Abs.
2 Nr.
1 und 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Beklagte die Beru-fungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§
233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung
des [X.] und des [X.] verbietet es der verfassungsrechtlich [X.] Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art.
2 Abs.
1
GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), einer [X.] die [X.] in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorg-faltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrich-terlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter 3
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5
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Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. [X.] 79, 372, 376
f.; 88, 118, 123
ff.; [X.], NJW-RR 2002, 1004; Senatsbeschluss vom 20.
September 2011 -
VI
ZB 5/11, [X.], 334 Rn.
6).
b) Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten [X.] glaubhaft gemacht, dass Frau [X.] am 23. Dezember 2011 den später in Kopie zur Gerichtsakte eingereichten Schriftsatz mit dem darin enthaltenen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
nach Unterzeichnung durch Rechtsanwalt [X.] einkuvertiert und noch am selben Tag nachmittags zur Post gebracht hat. Danach durften die Prozessbevollmächtig-ten des Beklagten davon ausgehen, dass der Antrag rechtzeitig vor der am 9.
Januar 2012 ablaufenden Berufungsbegründungsfrist beim [X.] ein-gehen würde. Ihnen kann nicht vorgeworfen werden, auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vertraut zu haben, nachdem sie einen ersten [X.] unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des §
520 Abs.
2 Satz
3 ZPO gestellt hatten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.
September 2001 -
VI
ZB 26/01, [X.], 1579, 1580; vom 13.
Dezember 2005 -
VI
ZB 52/05, [X.], 568
Rn.
6; vom 20.
Juni 2006 -
VI
ZB 14/06,
juris Rn.
6 und vom 16.
Oktober 2007 -
VI
ZB 65/06, [X.], 234 Rn. 9). Die in der Begründung des [X.] angegebene urlaubsbedingte Abwesenheit in der [X.] vom 24. Dezember 2011 bis zum 8.
Januar 2012 ist ein erheblicher Grund im Sinne von §
520 Abs.
2 Satz
3 ZPO.
c) Entgegen
der Auffassung des Berufungsgerichts waren die Prozess-bevollmächtigten des Beklagten auch nicht verpflichtet, sich vor Ablauf der [X.] über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern.
7
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-
6
-

aa) Den Prozessbevollmächtigten einer [X.] trifft im Regelfall kein [X.] an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlasst, dass der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, dass er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände [X.] sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen [X.], darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 30.
September 2003 -
VI
ZB 60/02, [X.], 354, 355; [X.], Beschlüsse vom 5.
Juli 2001 -
VII
ZB 2/00, juris Rn.
6; vom 9.
Februar 1998 -
II
ZB 15/97, [X.], 1301, 1302). Er ist dann auch nicht gehalten, sich vor Fristablauf durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des [X.] von einem rechtzeitigen Eingang zu überzeugen ([X.] 79, 372, 375
f.; [X.], NJW 1992, 38; Senatsbeschluss vom 30.
September 2003 -
VI
ZB 60/02, aaO; [X.], Beschlüsse vom 23.
Januar 2008 -
XII
ZB 155/07, [X.], 1096
Rn.
10; vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 238/08, juris
Rn.
10). Denn der Prozessbevollmächtigte ist bereits in besonderem Maße verpflichtet, für eine zuverlässige Ausgangskontrolle zu sorgen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 20.
Dezember 2011 -
VI
ZB 25/11, juris Rn.
9). Dann kann er regelmäßig nicht auch noch gehalten sein, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen ([X.] 79, 372, 375
f.; [X.], NJW 1992, 38; Senatsbe-schluss vom 20. Dezember 2011 -
VI
ZB 28/11, juris Rn.
7; [X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 238/08, aaO
Rn.
10).
bb) Eine Nachfragepflicht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht ([X.] 42, 120, 126
f.; [X.], NJW 1992, 38, 39; [X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 238/08, aaO Rn.
11). Ein solcher konkreter Anlass besteht nicht schon dann, wenn
der An-walt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Denn allein daraus müs-9
10
-
7
-

sen sich ihm noch keine Zweifel aufdrängen, dass sein Schriftsatz nicht bei [X.] eingegangen sein könnte
(Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2011 -
VI
ZB 28/11, aaO Rn.
8). Eine Erkundigungspflicht wird nur durch eine solche Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergibt, dass etwas fehlge-laufen ist ([X.], NJW 1992, 38, 39; [X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 238/08, aaO
Rn.
11). Die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtig-ten würden überspannt und der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, wenn man in derartigen Fällen verlangen würde, Erkundigungen über den Verbleib seines Schriftsatzes einzuholen ([X.], NJW 1992, 38, 39).
d) Nach diesen Grundsätzen waren die Prozessbevollmächtigten des Beklagten vorliegend nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der [X.] zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag [X.] eingegangen sei und ihm stattgegeben werde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. Dezember 2005 -
VI
ZB 52/05, aaO und vom 16.
Oktober 2007 -
VI
ZB 65/06, aaO; [X.], Beschlüsse vom 12.
März 1986 -
VIII
ZB 6/86,
VersR 1986, 787, 788
und vom 11.
November 1998 -
VIII
ZB 24/98, [X.], 1559, 1560).
e) Da den Beklagten somit kein Verschulden an der Versäumung der [X.] trifft und die versäumte Rechtshandlung mit dem am 11. Januar 2012 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz innerhalb der insoweit maßgeblichen Frist von einem Monat (§
234 Abs.
1 Satz 2, §
236

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-
8
-

Abs.
2 Satz 2 ZPO) nachgeholt worden ist, ist der angefochtene Beschluss auf-zuheben und dem fristgerecht gestellten Wiedereinsetzungsantrag stattzuge-ben.
Zoll
[X.]
[X.]

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 03.11.2011 -
2 [X.]/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 13.02.2012 -
4 [X.]/11 -

Meta

VI ZB 16/12

05.06.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2012, Az. VI ZB 16/12 (REWIS RS 2012, 5860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5860

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VI ZB 16/12

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