Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. 1 StR 424/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16610

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:040216B1STR424.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 424/15
vom
4. Februar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes
u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 4. Februar 2016 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Februar 2015
a)
im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährli-cher Körperverletzung in acht
tateinheitlichen
Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei schuldig ist, sowie
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu einer Jugend-strafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die weiteren Mitangeklag-ten hat es jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit [X.]
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fährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Ange-klagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349
Abs. 2 StPO).

I.
Nach den Feststellungen des [X.] war der damals 20 Jahre und elf
Monate alte Angeklagte Mitglied der Gruppierung "[X.]", die am [X.] aus mindestens 26 Personen bestand. Diese der "[X.]"
zugehö-rigen Personen hatten elf
Angehörige der gegnerischen Gruppierung "[X.]"
aus einer Bar gelockt und umstellt, um sie ohne Vorwarnung in [X.] anzugreifen und erheblich zu verletzen. Zu Beginn der Auseinandersetzung zog der Angeklagte unvermittelt ein Messer, stach [X.] gezielt in die Bauchregion des hierdurch überraschten Anführers der geg-nerischen Gruppierung und fügte diesem u.a. eine stark blutende Stichverlet-zung zu. Der Angegriffene schlug dem Angeklagten mit der Faust in das Ge-sicht, um den Angriff zu beenden. Ein weitergehender [X.] der Angreifer, der das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen umfasste und sich darauf erstreckte, mit diesen die Gegner lebensgefährlich zu verletzen
oder zu töten, konnte nicht festgestellt
werden. Jedem Angreifer war aber [X.], dass es bei den Angegriffenen auch zu tödlichen Verletzungen kommen könnte.
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[X.] setzte mit dem Einsatz seines Messers als Startsignal bewusst das Niveau der Intensität des [X.] und nahm
billigend in Kauf, dass auch andere Angreifer Messer in lebensgefährlicher Weise [X.] und dabei zum Tode führende Verletzungen auf Seiten der "Black
Jackets"
verursachen könnten. Nach dem Messerangriff des Angeklagten be-gann "explosionsartig"
der Angriff. Für jeden Angreifer war vorhersehbar, dass es bei den Gegnern zu tödlichen Verletzungen kommen konnte. Tatsächlich wurde im Rahmen des [X.] ein Mitglied der "[X.]"
durch Stiche mit einem Messer getötet. Wer das Messer auf diese Weise ein-gesetzt hatte, der genaue Zeitpunkt im Kampfgeschehen, die zeitliche Abfolge und die sonstigen Umstände der Messerstiche konnten nicht aufgeklärt werden. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob der Angreifer, der die tödlichen Messerstiche gesetzt hatte, zuvor den Messerangriff des Angeklagten [X.] hatte.
Die Strafkammer hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Ange-klagte müsse sich die tödlichen Messerstiche
nach den Regeln der [X.] aufgrund seiner Tatherrschaft und seines
Tatinteresses
zurechnen las-sen. Mit seiner den Angriff einleitenden Messerattacke auf den Anführer der gegnerischen Gruppierung habe er auch die potentiell tödliche Verwendung von Messern durch andere Angreifer gebilligt.

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II.
Der zu der [X.] Verurteilung wegen gefährlicher Körperver-letzung in acht tateinheitlichen Fällen tateinheitlich hinzutretende Schuldspruch wegen Mordes hat keinen Bestand.
1. [X.] können dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zuge-rechnet werden.

Die subjektiven Voraussetzungen der Mittäterschaft sind erst gegeben, wenn ein Tatbeteiligter mit seinem Beitrag [X.] fördern will, sondern dieser Beitrag im Sinne arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt [X.] als Ergänzung seines eigenen [X.] wollen ([X.] Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 29. September 2015
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3 StR 336/15, [X.], 6
f. und vom 2. Juli 2008 -
1 [X.], [X.], 25, 26; Urteil vom 17.
Oktober 2002 -
3 [X.], [X.], 253, 254). Voraussetzung für die Zurechnung späteren fremden Handelns als eigenes
mittäterschaftliches
Tun ist ein zumin-dest konkludentes
Einvernehmen
der Mittäter.
An dieser Zurechnungsgrundlage
fehlt es. Die Tathandlung des Ange-klagten wurde nach den Feststellungen nicht von einem gemeinsamen [X.] hinsichtlich des Mitführens von Waffen und der Tötung eines Gegners getra-gen. Sie ist auch nicht Teil einer
späteren konkludenten Erweiterung des [X.] durch bewusstes
und gewolltes
Zusammenwirken des Angeklagten mit dem für die tödlichen Stiche verantwortlichen Angreifer.

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Der vor Beginn des [X.] gefasste gemeinsame [X.] sah keine Bewaffnung und keine Tötung der Gegner vor. [X.] selbst beging mit dem Einsatz seines Messers einen Exzess. Feststellungen über eine
Erweiterung des [X.]s unter Einbindung des die tödlichen Stiche setzenden Angreifers sind nicht getroffen worden. Die einseitige Zustimmung des Ange-klagten zur todbringenden Verwendung mitgeführter Messer durch andere An-greifer genügt nicht. Ein zumindest konkludentes wechselseitiges Einverneh-men hätte zunächst vorausgesetzt, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat. Das ist gerade nicht festgestellt.
Damit entbehrt
der Schluss des [X.], auch der tödliche Messerstich sei aufgrund einer konkludenten Erweiterung des ur-sprünglichen [X.]s dem Angeklagten zuzurechnen, einer tragfähigen Grund-lage.
2. Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zum vollendeten Tötungsdelikt kommt nicht in Betracht, weil nach den Feststellungen des Land-gerichts gerade nicht feststeht, dass der Angeklagte bei dem anderen durch seine Messerattacke den [X.] zur Tötung hervorgerufen hat. Dies hätte zumindest vorausgesetzt, dass dieser das Messer in der Hand des Ange-klagten überhaupt wahrgenommen hat und zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Begehung eines Tötungsdelikts entschlossen war.
Daran fehlt es indes.
3. Eine Verurteilung wegen Beihilfe scheidet nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ebenfalls aus.
Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. [X.] Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt 10
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zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert
oder fördert ([X.] Rspr.;
[X.], Beschluss vom 9. Juli 2015
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2 StR 58/15, [X.], 343, 344; Urteil vom 16. Januar 2008 -
2 [X.], [X.], 284 mwN). Dies belegen die Feststellungen nicht.
Auch eine psychische Beihilfe scheidet aus, da diese vorausgesetzt [X.], dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklag-ten wahrgenommen hat und dadurch in seinem [X.] bestärkt oder ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt wurde.

4. [X.] war nach der [X.] Wertung der [X.] Mittäter der begangenen gefährlichen Körperverletzung in acht tatein-heitlichen Fällen.
Die [X.] Feststellungen tragen auch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), der nach dem Wegfall der Verurteilung wegen Mordes nicht mehr zurücktritt.
Die tödlichen Messerstiche wurden durch die vorsätzlich begangene, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung verursacht. Nach den [X.] erfolgten sie im Rahmen des [X.], das durch einen plötz-lichen Angriff der äußerst aggressiv gestimmten und sich in Überzahl befinden-den Angreifer auf den Signalwirkung entfaltenden Messerangriff des Angeklag-ten eröffnet worden war, nachdem der Gegner umzingelt worden war. Darin war die spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang angelegt. Der hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht dabei nicht entgegen, dass der Angeklagte vor dem Beginn des [X.] nichts von dem Mitführen eines Messers durch andere Gruppenmitglieder gewusst hatte. Denn es reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeits-14
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komponente aus, wenn der Täter die Möglichkeit des [X.] im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht ([X.], Urteil vom 10. Juni 2009 -
2 [X.], [X.], 309, 310).
[X.] hat sich darüber hinaus auch wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
5. Der Senat konnte den Schuldspruch entsprechend ändern (§ 354 Abs.
1 StPO). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruch-änderung führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Raum Radtke

Mosbacher

Fischer

Bär

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Meta

1 StR 424/15

04.02.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.02.2016, Az. 1 StR 424/15 (REWIS RS 2016, 16610)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16610

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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