Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2000, Az. 1 StR 582/99

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 2071

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[X.] 582/99vom30. [X.]i 2000in der Strafsachegegenwegen Vergewaltigung u.a.- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 30. [X.]i 2000 gemäß § 349Abs. 2 StPO beschlossen:Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. Juni 1999 wird als unbegründet [X.].Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittelsund die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstande-nen notwendigen Auslagen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechsMonaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit [X.] eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das [X.] hat keinen Erfolg.[X.] von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet. [X.] bedarf allein die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Verlet-zung von § 244 Abs. 4 2. Halbsatz StPO rügt.- 3 -Dazu ist folgendes Prozeßgeschehen festgestellt: Das [X.] be-auftragte eine [X.] der [X.]mit der aussagepsy-chologischen Begutachtung der 17jährigen Hauptbelastungszeugin. Die Sach-verständige kam zu dem Ergebnis, die Aussage des Mädchens, sie sei [X.] vergewaltigt worden, sei glaubhaft. In der Hauptverhandlung [X.] die Verteidigung als weiteren Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. von der [X.] zur Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin zuhören. Die Verteidigung behauptete unter Bezugnahme auf eine [X.] von Prof. Dr. S. , das [X.] der [X.] sei zum Teil mit erheblichen Mängeln und Versäumnissen bela-stet. Das [X.] lehnte den Beweisantrag mit der Begründung ab, dasGegenteil der behaupteten Tatsachen sei durch die Anhörung der [X.] bereits erwiesen. Die Sachkunde der Sachverständigen sei nichtzweifelhaft. Ihr Gutachten gehe nicht von unzutreffenden tatsächlichen Voraus-setzungen aus und enthalte keine Widersprüche. Es seien keine Anhaltspunkteersichtlich und solche auch nicht vorgetragen, daß der neue [X.] verfüge, die denen der gehörten Gutachterin überlegenerscheinen könnten.Die Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Überprüfung stand.II.Der [X.] vom 4. [X.]i 1999 entspricht allerdings nichtden Anforderungen, die der Senat seit seinem Urteil vom 30. Juli 1999 [X.] 1 StR- 4 -618/98 -, [X.], 100 an die Begründung eines Beschlusses stellt, mit demdas Gericht trotz erhobener Einwände gegen die Sachkunde des [X.] eines weiteren aussagepsychologischen Gutachtens ablehnenkann.1. Wird unter Bezugnahme auf eine kritische Würdigung des [X.] durch einen anderen Fachvertreter auf konkrete Mängel dieses Gut-achtens hingewiesen, muß sich das Tatgericht mit den behaupteten [X.] einzelnen auseinandersetzen. Dieses Erfordernis gilt dann nicht, wenn diegeltend gemachten Mängel nach anerkannten wissenschaftlichen [X.] nicht bestehen ([X.] aaO S. 101). Dies gilt auch für Fälle, in de-nen [X.] ohne nähere Kenntnis der gesamten Aktenlage [X.] allein das schriftlicheSachverständigengutachten einer eher allgemein gehaltenen Methodenkritikausgesetzt wird.2. Der Senat ist den von der Verteidigung vorgebrachten Einwändennachgegangen und hat das von der Revision vorgelegte schriftliche Gutachtender [X.] überprüft. Dies gibt dem Senat Anlaß klarzustellen,daß es sich bei den im Urteil vom 30. Juli 1999 niedergelegten methodischenGrundprinzipien für die aussagepsychologische Begutachtung um Prüfungs-schritte handelt, nach denen der wissenschaftlich ausgebildete psychologischeSachverständige gedanklich arbeitet. Für die Beteiligten muß überprüfbar sein,auf welchem Weg der Sachverständige zu den von ihm gefundenen Ergebnis-sen gelangt ist ([X.] aaO S. 104). Die aussagepsychologischen [X.] nicht einheitlich einer bestimmten Prüfstrategie folgen und einen ein-heitlichen Aufbau haben. Die einzelnen Elemente der Aussagebegutachtungmüssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden. Es gilt- 5 -weiterhin der Grundsatz, daß es in erster Linie dem Sachverständigen überlas-sen ist, in welcher Art und Weise er sein Gutachten dem Gericht unterbreitet([X.] aaO S. 104).3. Der Senat schließt aus, daß die in der Stellungnahme von Prof.Dr. S. behaupteten Mängel im Gutachten der [X.] zu einemfalschen Gutachtenergebnis geführt haben:a) Das Gutachten enthält allerdings keinen Bericht über die [X.] deren Verlauf, der auf einem Wortprotokoll auf der Grundlage einer [X.] oder Videoaufnahme beruht und aus dem die Fragen und Antwortenhervorgehen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Juli 1999 ausge-führt: Im Interesse einer besseren Dokumentation sind [X.] der [X.] ggf.Videoaufnahmen zu erstellen ([X.] aaO S. 104). Nur durch eine genaue Do-kumentation kann eine Abschätzung erfolgen, welche Aussagequalitäten beiden Schlußfolgerungen zur Glaubhaftigkeitseinschätzung verwertet werdenkönnen. Enthält jedoch wie hier das Gutachten der [X.] einenumfangreichen, detailreichen Bericht über die maßgeblichen Anknüpfungstat-sachen, der auch Erzählanstöße aufweist und dem - unter Verwendung derindirekten Rede - mittelbar eine Anzahl der gestellten Fragen und Antworten zuentnehmen sind, entzieht dies jedenfalls den bis zur Entscheidung des [X.] 30. Juli 1999 erstellten Gutachten die wissenschaftliche Grundlage nichtzwingend.b) Gegenstand einer aussagepsychologischen Beurteilung ist allerdingsnicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit der Untersuchten [X.] -Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft ([X.] aaO S. 101). [X.] hier Besonderheiten vor, die es notwendig machten zu prüfen, ob [X.] beim Tatopfer festgestellten Bulimie eine Beeinträchtigung der Fähigkeitder Zeugin zur Wahrnehmung, Speicherung und Reproduktion von komplexenSachverhalten und zur Realitätskontrolle vorlag. Diese Prüfung ist erfolgt. [X.] der Fähigkeiten der Geschädigten zu einer qualifizierten [X.] hat das [X.] aufgrund der Aussage des als Zeugen gehörten [X.] vom [X.] in [X.] ver-neint.c) Der Einwand, das Gutachten habe zur Klärung externer Einflüsse aufdie Aussage die Alternativhypothese fibewußte oder irrtümliche [X.] die Aussagegenese nicht ausreichend berücksichtigt, ist nicht begründet.Das Vorbringen richtet sich im Grunde gegen die von der Gutachterinverwendeten [X.] und die von ihr gewählte Prüfungsreihenfolge.Nach den Gutachten der seinerzeit vom Senat gehörten [X.] Prof. Dr. Steller und Prof. Dr. [X.], wie sie im Urteil vom 30. Juli 1999mitgeteilt worden sind, soll der Gutachter den zu überprüfenden Sachverhalt anHand von anerkannten Realkennzeichen auf einen realen [X.]. Das erlangte Ergebnis ist durch die Bildung von [X.] zu überprüfen. Mit dieser Hypothesenbildung soll überprüft werden, obdie im Einzelfall vorfindbare Aussagequalität durch sogenannte [X.] oder reine Erfindung erklärbar sein könnte. Die Nullhypothese sowie diein der Aussagebegutachtung im wesentlichen verwendeten Elemente der Aus-sageanalyse (Qualität, [X.], [X.]), der [X.] 7 -lyse und der Fehlerquellen [X.] bzw. der Motivationsanalyse sind gedanklicheArbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage. Sie sindnicht nur in einer Prüfungsstrategie anzuwenden und verlangen keinen [X.] losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau.Die gerichtlich bestellte Gutachterin hat nicht den Weg der Analyse [X.] und der nachfolgenden Überprüfung der Ergebnisse durch [X.] gewählt. Sie untersucht die Aussage der Geschädigtenfiformal und [X.] unter dem Abschnitt [X.] undbeginnt mit der Entstehung der Aussage. Dabei überprüft sie mögliche Motive,die auf eine Falschaussage hindeuten könnten. Die [X.] prüftausführlich die fibewußte Falschaussagefl und schließt diese aus, nachdem [X.] am Tag nach dem Vorfall zu der Anzeige bei der Polizei gedrängtund dort sofort vernommen worden ist. Für die Prüfung der Alternative [X.] bietet der zu prüfende Sachverhalt einer Vergewaltigungkeinen Anlaß.Die [X.] befaßt sich im Rahmen der Prüfung der Ge-schichte der Aussage [X.] wenn auch nur kurz - auch mit der fiSuggestionshypo-thesefl. Sie schließt diese aus, weil in der Erstaussagesituation die Notwendig-keit einer Rechtfertigung vor der Mutter oder auf erwartete negative Reaktionenauf das Bekanntwerden des sexuellen Erlebnisses nicht bestanden habe.Ihrer Prüfung legt die Gutachterin die Mitteilungen der Geschädigten andie Personen zugrunde, die das Tatopfer unmittelbar im Anschluß an die [X.] in einer Telefonzelle in unmittelbarer Nähe des [X.] befragt haben. Daß die kurz nach der Tat gemachte Aussage der [X.] -digten auch konstant ist, belegt die Sachverständige an Hand der vor der [X.] gemachten Aussagen der [X.]M. , [X.]. und [X.]. [X.] Sachverständige sich auf die polizeilichen Vernehmungen der Zeugenstützt und ohne ausdrücklichen Auftrag des Gerichts keine eigenen informato-rischen Anhörungen im Vorfeld durchgeführt hat, sieht der Senat wegen der [X.] vom 30. Juli 1999 gemachten strafprozessualen Vorbehalte ausdrücklichnicht als [X.]ngel des Gutachtens an ([X.] aaO S. 103).Der Senat schließt aus, daß die Sachverständige unter [X.] objektiven Begleitumstände des [X.] in der Telefonzelle (zerrissenesT-Shirt, Kratzspuren am Hals des Angeklagten) bei einem anderen methodi-schen Vorgehen zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre. Im übri-gen hat das [X.] der Aussagegenese nach dem Auffinden der Geschä-digten in der Telefonzelle in seiner Beweiswürdigung breiten Raum [X.] hat durch eigenständige Würdigung der Zeugenaussagen die Möglichkeiteiner Falschbezichtigung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.d) Soweit schließlich Prof. Dr. S. den Einwand erhebt, hinsichtlich derFeststellungen der Sachverständigen zur fi[X.]fl der Aussage des Tatop-fers als Zeugin bestünden erhebliche Zweifel, ist dies nicht näher ausgeführt.Die von der [X.] angenommene [X.] der Aussagen beiden wiederholten Vernehmungen wird im übrigen von den Feststellungen derStrafkammer [X.] -II[X.] Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.[X.] Ri[X.] Dr. [X.]ul ist wegen Granderath Urlaubs an der Unterschrift ver- hindert. Schäfer Nack Boetticher

Meta

1 StR 582/99

30.05.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2000, Az. 1 StR 582/99 (REWIS RS 2000, 2071)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 2071

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