Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.04.2012, Az. 4 StR 45/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7329

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung: Annahme einer konkreten Gefahr für andere Personen oder Sachen bzw. den Mitfahrer


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2011 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;

b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen schuldig ist; die Einzelstrafen in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe und die isolierte Sperrfrist von acht Monaten entfallen.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt; ferner hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von acht Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer teilweisen Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Senat stellt das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist. Insbesondere tragen die bisherigen Feststellungen des [X.]s nicht den Schuldspruch aus § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB.

3

a) Die Feststellungen belegen nicht die für die Annahme einer Tat nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht ([X.], Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315c StGB; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB; vgl. weiter [X.], StGB, § 315c Rn. 22 ff.). Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 [X.], [X.]St 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 [X.], [X.], 350, 351), auch nicht erkennbar ist, ob der – allein maßgebliche – [X.] an Laterne und Baum die tatbestandsspezifische Wertgrenze erreicht (vgl. [X.], Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, [X.], 215; [X.], StGB, § 315c Rn. 25), kommt es auf die Gefährdung der Beifahrerin an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügt die hierauf bezogene knappe Bemerkung des [X.]s („Dadurch gefährdete er H.      .“) nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr. Einen Vorgang, bei dem es beinahe zu einer Verletzung der Mitfahrerin gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (Senat, Urteil vom 30. März 1995 und Beschluss vom 4. September 1995 – [X.]. aaO; Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 [X.], [X.], 217) – hat die [X.] auch nach dem Gesamtzusammenhang ihrer auf das Unfallgeschehen bezogenen Feststellungen nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.

4

b) Nach den bisherigen Feststellungen bleibt zudem offen, ob die Beifahrerin des Angeklagten vom Schutzbereich des § 315c StGB überhaupt erfasst ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ist dies für an einer solchen Straftat beteiligte Insassen des Fahrzeugs zu verneinen ([X.], Urteile vom 23. Februar 1954 – 1 [X.], [X.]St 6, 100, 102, vom 28. Oktober 1976 – 4 [X.], [X.]St 27, 40, 43, und vom 20. November 2008 – 4 [X.], [X.], 1155, 1157; vgl. [X.], StGB, § 315c Rn. 24 m.w.N.). Die Mitfahrerin könnte sich mit der an den Angeklagten gerichteten Aufforderung, „auch einmal zu fahren“ ([X.]), der Anstiftung gemäß § 26 StGB schuldig gemacht haben. Zwar ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt worden, so dass es an der in § 26 StGB vorausgesetzten vorsätzlichen Haupttat fehlen könnte. Diese rechtliche Würdigung beschwert den Angeklagten, soweit der Schuldspruch in Rede steht, nicht. Jedoch war ihm nach den Feststellungen „bewusst, dass er Alkohol getrunken hatte und möglicherweise nicht mehr fahrtauglich war. (Das) nahm er zumindest billigend in Kauf, als er sich an das Steuer setzte.“ ([X.]). Danach liegen die Voraussetzungen der [X.] in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB vor, zu der strafbar angestiftet werden kann (§ 11 Abs. 2 StGB). Abschließend kann der Senat die Frage einer strafbaren Teilnahme der Beifahrerin nicht beurteilen, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zur Frage eines „doppelten“ Anstiftervorsatzes enthält.

5

2. Die Verfahrenseinstellung führt zum Wegfall der Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Damit entfallen die beiden Einzelstrafen von 60 und 40 Tagessätzen in den Fällen [X.] und 5 der Urteilsgründe; die Teileinstellung des Verfahrens entzieht auch der Maßregel nach § 69a StGB die Grundlage.

6

3. Die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe kann bestehen bleiben. Der Senat schließt im Hinblick auf die verbleibende Einsatzstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie die vier weiteren Einzelstrafen von [X.]eils einem Jahr und sechs Monaten in Übereinstimmung mit der Auffassung des [X.] aus, dass die [X.] ohne die eingestellten Fälle auf eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.

7

4. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

[X.]

                               Bender                                                [X.]

Meta

4 StR 45/12

16.04.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gießen, 10. Oktober 2011, Az: 1 KLs 606 Js 8437/11

§ 315c Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 315c Abs 3 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.04.2012, Az. 4 StR 45/12 (REWIS RS 2012, 7329)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7329

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 45/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 164/15 (Bundesgerichtshof)

Vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung durch Vorfahrtverletzung und falsches Fahren am Fußgängerüberweg: Anforderungen an die Urteilsfeststellungen


4 StR 435/12 (Bundesgerichtshof)

Straßenverkehrsgefährdung bei Trunkenheitsfahrt: Anforderungen an die konkrete Gefährdung eines anderen Menschen oder einer fremden Sache; …


4 StR 435/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 164/15 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.