Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2022, Az. 2 StR 435/21

2. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5145

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Gegenstand

Verwertung von Tatsachen zur Feststellung des Fortbestehens schädlicher Neigungen eines Jugendlichen aufgrund des Nachtatverhaltens


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Juni 2021, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Höhe der [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes, Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung, vorsätzlicher Körperverletzung, Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen sowie wegen exhibitionistischer Handlungen unter Einbeziehung von vier amtsgerichtlichen Urteilen zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

2

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld hat das [X.] ebenfalls rechtsfehlerfrei begründet. Die Erwägungen des [X.]s zum Vorliegen schädlicher Neigungen und zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich während laufender Hauptverhandlung Folgendes ereignet.

„Am 08.06.2021, dem dritten Hauptverhandlungstag, steckte einer der im Gericht Anwesenden dem in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten [X.]    zwei Handys, zwei Ladegeräte sowie mindestens 10 Gramm Haschisch zu. Bei der vorherigen morgendlichen körperlichen Durchsuchung der Vorführstelle wurden keine verbotenen Gegenstände gefunden. Aufgrund eines Hinweises aus der Justizvollzugsanstalt wurde der Angeklagte [X.]    am Ende des [X.] in der Vorführzelle des Gerichts nochmals durchsucht, wobei die genannten Gegenstände in der Unterhose des Angeklagten [X.]    gefunden wurden.“

4

Die Annahme schädlicher Neigungen hat die [X.] u.a. wie folgt begründet:

„Auch die gegenständlichen Strafverfahren nebst der stattgefundenen Hauptverhandlung sowie die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits seit knapp ein halbem Jahr andauernde Untersuchungshaft konnten den Angeklagten nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Er scheute sich dabei nichtmals unter den Augen des Gerichts Straftaten zu begehen und die Vorführungen zu den Verhandlungsterminen dazu auszunutzen, Drogen (und verbotenen Gegenständen) in die Justizvollzugsanstalt schmuggeln zu wollen.“

5

Auch bei der Bemessung der zu verhängenden Jugendstrafe legt ihm das [X.] sein Verhalten am dritten Prozesstag zur Last, bei dem er versucht habe, unter den Augen des Gerichts Mobiltelefone und Betäubungsmittel in die Vollzugsanstalt zu schmuggeln.

6

Der [X.] hat dazu ausgeführt:

„Es kann dahinstehen, ob die vom [X.] getroffenen Feststellungen bereits hinreichend belegen, dass in dem Angeklagten bereits vor den verfahrensgegenständlichen Taten auf schädliche Neigungen hinweisende Persönlichkeitsmängel angelegt waren. Die Feststellungen zum Fortbestehen solcher Neigungen auch im Urteilszeitpunkt sind indes unvollständig. Für die Feststellbarkeit des [X.] schädlicher Neigungen kann auf das nachtatliche Geschehen verwiesen werden, insbesondere auf das Nachtatverhalten. Da es sich bei schädlichen Neigungen um eine selbständige Voraussetzung der Jugendstrafenverhängung handelt, muss das fragliche Folgedelikt aber prozessordnungsgemäß festgestellt oder in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt worden sein ([X.] [X.] 22. Auflage § 17 [X.] Rn. 36). Es muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen und entsprechend festgestellt werden (MüKo-StGB [X.]/[X.] § 17 [X.] Rn. 43). Daran fehlt es hier. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die [X.] das postdeliktische Verhalten des Angeklagten vom 08.06.2021 prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt hat ([X.]). Der zwei-malige Hinweis der [X.], der Angeklagte habe sich nicht gescheut, „unter den Augen des Gerichts“ Straftaten zu begehen ([X.]) genügt nicht. Unabhängig davon steht dies auch im Widerspruch dazu, dass der Angeklagte erst aufgrund eines Hinweises aus der Vollzugsanstalt am Ende des [X.] in der Vorführzelle des Gerichts nochmals durchsucht und die hier relevanten Gegenstände in der Unterhose des Angeklagten gefunden wurden ([X.]). …

Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Höhe der Jugendstrafe. Auch wenn die [X.] in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafe auch auf die Schwere der Schuld gestützt hat, ist nicht auszuschließen, dass sich die bisher von den Feststellungen nicht getragene Annahme schädlicher Neigungen bei der Bemessung der Jugendstrafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat; zumal das [X.] auch insoweit das vorstehend genannte postdeliktische Verhalten des Angeklagten straferschwerend berücksichtigt hat ([X.] 55).“

7

Dem schließt sich der [X.] an. Das [X.] hat zum Nachteil des Angeklagten Tatsachen verwertet, die weder im [X.] eingeführt wurden noch als gerichtskundig dem Urteil zugrunde gelegt werden durften. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] ohne Berücksichtigung des nicht eingeführten Umstands eine (noch) mildere Jugendstrafe verhängt hätte.

Franke     

        

Appl     

        

RiBGH Prof. Dr. [X.] ist
erkrankt und daher gehindert
zu unterschreiben.

                                   

Franke

        

Schmidt     

        

Lutz     

        

Meta

2 StR 435/21

23.06.2022

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 15. Juni 2021, Az: 22 KLs 1/21

§ 17 JGG, § 18 JGG, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2022, Az. 2 StR 435/21 (REWIS RS 2022, 5145)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5145

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