Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2010, Az. 6 AZR 948/08

6. Senat | REWIS RS 2010, 7386

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Gegenstand

Massenentlassungsanzeige bei Nachkündigung in der Insolvenz


Leitsatz

Die durch eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG eröffnete Kündigungsmöglichkeit wird mit der Erklärung dieser Kündigung verbraucht. Für jede weitere Kündigung ist unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG eine neue Massenentlassungsanzeige erforderlich. Aus § 18 Abs. 4 KSchG folgt nichts anderes.

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. September 2008 - 8 Sa 476/07 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom beklagten Insolvenzverwalter erklärten ordentlichen Kündigung.

2

Der 1952 geborene Kläger war bei der Schuldnerin seit 1990 als Arbeitnehmer beschäftigt. Am 3. November 2006 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag. Durch Beschluss vom 6. November 2006 bestellte das [X.] den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter.Die Schuldnerin zeigte mit Zustimmung des Beklagten im Schreiben vom 20. November 2006 gegenüber der [X.] die beabsichtigte Entlassung von 19 ihrer insgesamt 59 Arbeitnehmer an. Der Kläger war von dieser [X.] erfasst. Als vorgesehenen Entlassungszeitpunkt für den Kläger gab sie den 30. April 2007 an. Tatsächlich lief die Kündigungsfrist auch bei einer Kündigung noch im November 2006 erst am 31. Mai 2007 ab. Die abweichende Angabe gegenüber der [X.] beruhte auf einem Schreibversehen. Die [X.] setzte im [X.] vom 24. November 2006 vorbehaltlich der Tatsache, dass im Betrieb kein Betriebsrat bestehe, die Sperrfrist auf die [X.] vom 23. November 2006 bis zum 22. Dezember 2006 fest. Die Amtszeit des Betriebsrats der Schuldnerin hatte im Mai 2006 geendet. Eine im November 2006 durchgeführte Betriebsratswahl war nichtig.

3

Die Schuldnerin kündigte unter dem 23. November 2006 19 Arbeitnehmern. Das Arbeitsverhältnis des [X.] kündigte sie zum 31. Mai 2007. Das dagegen eingeleitete Kündigungsschutzverfahren ist nach § 240 ZPO unterbrochen.

4

Die Schuldnerin zeigte - wiederum mit Zustimmung des Beklagten - mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 bei der [X.] die beabsichtigte Entlassung der verbliebenen 40 Arbeitnehmer an. Von dieser [X.] war der Kläger unstreitig nicht erfasst. Die [X.] setzte mit [X.] vom 8. Januar 2007 die Sperrfrist auf die [X.] vom 19. Dezember 2006 bis zum 18. Januar 2007 fest.

5

Am 22. Dezember 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte am 28. Dezember 2006 36 Arbeitnehmern und nach Zustimmung des [X.] den vier schwerbehinderten Arbeitnehmern der Schuldnerin im Januar 2007. Das Arbeitsverhältnis des [X.] kündigte er ordentlich mit Schreiben vom 9. Januar 2007 zum 30. April 2007, nachdem er von der gegen die erste Kündigung erhobenen Kündigungsschutzklage des [X.] Kenntnis erlangt hatte. Eine [X.] erstattete der Beklagte bezüglich dieser Kündigung, gegen die sich der Kläger mit seiner am 30. Januar 2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet, nicht. Zwischenzeitlich ist das Arbeitsverhältnis jedenfalls durch eine weitere Kündigung des Beklagten zum 30. November 2007 beendet worden.

6

Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigung des Beklagten vom 9. Januar 2007 sei unwirksam, weil es insoweit an der erforderlichen [X.] fehle. Dieser Mangel könne auch nicht durch § 18 Abs. 4 KSchG geheilt werden. Dieser Vorschrift komme nach der Änderung der Rechtsprechung zum Entlassungsbegriff keine praktische Bedeutung mehr zu. Jedenfalls sei die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich. Die Kündigung vom 9. Januar 2007 hätte das Arbeitsverhältnis aber erst nach Ablauf der bis zum 22. März 2007 laufenden [X.] beenden können. Im Übrigen seien die [X.]n der Schuldnerin auch inhaltlich nicht ordnungsgemäß und damit nicht rechtswirksam erfolgt.

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt


        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 9. Januar 2007 nicht aufgelöst wird.

8

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags vorgetragen, er habe vor Ausspruch der Kündigung vom 9. Januar 2007 keine erneute [X.] erstatten müssen. Diese Kündigung sei noch von der [X.] vom 20. November 2006 gedeckt. § 18 Abs. 4 KSchG sei auch nach der geänderten Rechtsprechung des [X.] zum Entlassungsbegriff nicht bedeutungslos geworden. Diese Vorschrift verlange nur, dass die Kündigung innerhalb der [X.] erklärt werde. Die [X.] gelte damit insbesondere für den Fall der Nachkündigung im eröffneten Insolvenzverfahren.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Entscheidung des Beklagten, den Betrieb stillzulegen, abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] der Klage stattgegeben. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des [X.]n vom 9. Januar 2007 nicht zum 30. April 2007 aufgelöst worden, weil der [X.] vor Erklärung dieser Kündigung keine erneute [X.] nach § 17 [X.] erstattet hat.

I.1. Der [X.] konnte zwar das Arbeitsverhältnis des [X.] mit der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 [X.] zum 30. April 2007 kündigen, obwohl bereits die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis mit seiner Zustimmung durch Schreiben vom 23. November 2006 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Mai 2007 gekündigt hatte(vgl. [X.] 13. Mai 2004 - 2 [X.] [X.]E 110, 331, 333). Bei dieser Nachkündigung war er jedoch uneingeschränkt an die in §§ 17 f. [X.] geregelten Pflichten gebunden ([X.] 9. Aufl. §§ 113, 120 - 124 [X.] Rn. 46; vgl. allgemein für die Pflichten aus §§ 17 f. [X.] BSG 5. Dezember 1978 - 7 [X.] - BB 1979, 1666).

2. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist ein Arbeitgeber verpflichtet, der [X.] zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Diese Voraussetzungen waren bei der Kündigung vom 9. Januar 2007 erfüllt.

Unter Entlassung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist bei unionsrechtskonformer Auslegung unter Beachtung der [X.]/[X.] vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen - [X.](ABl. [X.] Nr. L 225 vom 12. August 1998 S. 16) die Erklärung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ([X.] 23. März 2006 - 2 [X.] - [X.]E 117, 281; Senat 13. Juli 2006 - 6 [X.] - [X.]E 119, 66). Davon ausgehend war - was auch der [X.] im Grundsatz nicht in Zweifel zieht - die Kündigung vom 9. Januar 2007 anzeigepflichtig. Die Schuldnerin hatte mit Schreiben vom 28. Dezember 2006 36 der verbliebenen 40 Arbeitnehmer gekündigt. Die Kündigung des [X.] vom 9. Januar 2007 erfolgte weniger als 30 Tage danach. Der gesetzliche Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] war damit auch dann überschritten, wenn kein einheitlicher [X.] vorgelegen haben sollte und deshalb die nach der ersten Kündigungswelle verbliebenen 40 Arbeitnehmer zu der den Betrieb kennzeichnenden Belegschaftsstärke geworden wären (vgl. [X.] 13. April 2000 - 2 [X.] - zu III 1 b der Gründe, AP [X.] 1969 § 17 Nr. 13 = EzA [X.] § 17 Nr. 9).

II. Entgegen der Auffassung des [X.]n entband ihn die von der Schuldnerin erstattete [X.] vom 20. November 2006, von der der Kläger erfasst war, nicht von der Verpflichtung, vor Erklärung der Kündigung vom 9. Januar 2007 eine erneute [X.] zu erstatten. Die durch eine ordnungsgemäße [X.] gem. § 17 [X.] eröffnete Kündigungsmöglichkeit war mit der Erklärung der Kündigung der Schuldnerin vom 23. November 2006 verbraucht. Für jede weitere Kündigung war eine neue [X.] erforderlich, sofern wie bei der Kündigung vom 9. Januar 2007 die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 [X.] erfüllt waren. Aus § 18 Abs. 4 [X.] folgt nichts anderes.

1. Zwar entfaltet eine vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters erstattete ordnungsgemäße [X.] nach Insolvenzeröffnung in der Regel für den Insolvenzverwalter weiterhin Wirkung. Dieser ist in die Arbeitgeberstellung der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 [X.] fortbestehenden Arbeitsverhältnisse eingerückt(vgl. zu dieser Rechtsstellung des Insolvenzverwalters Senat 5. Februar 2009 - 6 [X.]/08 - Rn. 15, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 308 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 136; zur Wirkung der vom Betriebsveräußerer erstatteten [X.] für den Erwerber im Falle des § 613a BGB [X.] 9. Aufl. § 17 [X.] Rn. 72; APS/Moll 3. Aufl. § 17 [X.] Rn. 95 mwN).

2. Dies gilt jedoch nur, solange die angezeigte Kündigung noch nicht erklärt worden ist.

a) Der [X.] musste allerdings vor Ausspruch der Kündigung vom 9. Januar 2007 das [X.] nach § 17 Abs. 2 [X.] nicht durchführen. Die im November 2006 durchgeführte [X.] war nichtig. Der Betriebsrat hat damit rechtlich nie existiert([X.]/[X.] 10. Aufl. § 19 [X.] Rn. 14; [X.] 25. Aufl. § 19 Rn. 6). Der [X.] blieb jedoch verpflichtet, die Anzeigepflichten gegenüber der zuständigen Arbeitsverwaltung ordnungsgemäß zu erfüllen. Dies hat er unterlassen.

b) Unter dem Begriff der „Entlassung“ in § 17 [X.] und in § 18 Abs. 1 und 2 [X.] ist aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben des [X.](27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 47 f., Slg. 2005, [X.]) die Erklärung der Kündigung zu verstehen. Eine Kündigung kann darum schon unmittelbar nach Eingang der [X.] bei der [X.] erklärt werden. Die betroffenen Arbeitnehmer dürfen allerdings nicht vor Ablauf der Fristen des § 18 Abs. 1 bzw. Abs. 2 [X.] ausscheiden ([X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 25 ff., AP [X.] 1969 § 18 Nr. 4 = EzA [X.] § 18 Nr. 1). Ob auch in § 18 Abs. 4 [X.] der Begriff der „Entlassung“ unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass darunter die Kündigungserklärung zu verstehen ist, kann dahinstehen (ebenso offengelassen von [X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 29, aaO). Jedenfalls lässt sich dieser Norm bei unionsrechtskonformer Auslegung entgegen der Auffassung der Revision nicht das Recht entnehmen, ein nach einer ordnungsgemäßen [X.] gekündigtes Arbeitsverhältnis innerhalb der [X.] des § 18 Abs. 4 [X.] [X.] zu kündigen, wenn diese zweite Kündigung wie hier im zeitlichen Zusammenhang von 30 Tagen mit einer weiteren Massenentlassung erklärt wird. Anderenfalls liefe der von §§ 17 f. [X.] verfolgte Zweck leer, Massenentlassungen zu vermeiden oder deren Folgen zu mildern (vgl. für Art. 2 der [X.] [X.] 10. September 2009 - [X.]/08 - [[X.] Keskusliitto AEK ua.] Rn. 46, EzA [X.]-Vertrag 1999 [X.] Nr. 3; zum bei richtlinienkonformer Berücksichtigung der [X.] im Vordergrund der §§ 17 f. [X.] stehenden individuellen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer APS/Moll 3. Aufl. Vor §§ 17 ff. [X.] Rn. 12; vgl. auch [X.] 9. Aufl. § 17 [X.] Rn. 8; [X.]/[X.] 10. Aufl. § 17 [X.] Rn. 2). Die Verpflichtungen, die der Arbeitgeber bei Massenentlassungen einzuhalten hat, würden bei einer derartigen Auslegung gegenüber den nach der Richtlinie einzuhaltenden Anforderungen verringert. Eine solche Auslegung verbietet das Gebot der unionsrechtskonformen Anwendung des nationalen Rechts (vgl. [X.] 16. Juli 2009 - [X.]/08 - [Mono Car Styling] Rn. 54 ff., EzA [X.]-Vertrag 1999 [X.] Nr. 2).

aa) Nach Art. 3 Abs. 1 [X.] hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. § 17 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, der [X.] zu erstatten, bevor er die in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 [X.] genannte Anzahl der Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Sowohl die Richtlinie als auch das diese umsetzende nationale Recht stellen also darauf ab, ob durch die beabsichtigten Kündigungen die Schwellenwerte überschritten werden, die die Pflichten nach Art. 2 bis 4 der [X.] bzw. §§ 17 f. [X.] auslösen. Sie verlangen in jedem Fall, in dem dies der Fall ist, eine eigenständige Anzeige für alle von der [X.] erfassten Arbeitnehmer.

bb) Diese Verpflichtung entspricht auch dem dargelegten Sinn und Zweck der [X.], Massenentlassungen zu vermeiden oder jedenfalls ihre Zahl zu beschränken bzw. ihre Folgen zu mildern. Dazu ist zum einen den Arbeitnehmern als Gemeinschaft mit Art. 2 der [X.] ein kollektiv ausgestaltetes Recht auf Information und Konsultation eingeräumt worden(vgl. [X.] 16. Juli 2009 - [X.]/08 - [Mono Car Styling] Rn. 42, EzA [X.]-Vertrag 1999 [X.] Nr. 2). Zum anderen soll nach Art. 4 Abs. 2 der [X.] die zuständige Behörde, dh. die [X.], in die Lage versetzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Dafür steht ihr die Frist des Art. 4 Abs. 1 der [X.], dh. nach dem nationalen Recht die in der Regel 30 Tage betragende Frist des § 18 Abs. 1 [X.], zur Verfügung ([X.] 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 47 f., Slg. 2005, [X.]). Sollen diese Zwecke erfüllt werden, muss vor jeder Kündigungsentscheidung das in der Richtlinie vorgesehene und durch § 17 [X.] in nationales Recht umgesetzte [X.] durchgeführt werden, sofern ein beteiligungsfähiges Gremium besteht, und die erforderliche Anzeige gegenüber der zuständigen Behörde erfolgen. Der [X.] muss die Möglichkeit verbleiben, hinsichtlich der konkreten Kündigung innerhalb der Frist des § 18 Abs. 1 [X.] Lösungen für die durch die beabsichtigte Massenentlassung aufgeworfenen Probleme zu finden.

cc) Die Schuldnerin hat nach Anzeige der im November 2006 beabsichtigten Massenentlassung von ihrer dadurch eröffneten Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Entgegen der Auffassung des [X.]n berechtigte ihn § 18 Abs. 4 [X.] nicht dazu, innerhalb der [X.] eine weitere, an sich massenentlassungsanzeigepflichtige Kündigung ohne Erstattung einer solchen Anzeige zu erklären. Der [X.] berücksichtigt bei seiner Argumentation nicht, dass, wie er selbst in der Revisionsbegründung formuliert, „die“ Kündigung innerhalb von 90 Tagen nach der erfolgten [X.] erklärt sein muss. Er weist selbst darauf hin, dass es keiner weiteren Aktivitäten der Arbeitsverwaltung bedarf, wenn der Arbeitgeber innerhalb dieser Frist nicht gekündigt hat und nach ihrem Ablauf keine weitere Massenentlassung vornimmt. Er blendet dabei aus, dass die Besonderheit des vorliegenden Falls darin besteht, dass nach der ersten [X.] die Kündigung erklärt worden ist und der [X.] im zeitlichen Zusammenhang mit einer weiteren Massenentlassung dem Kläger unter Verkürzung der Kündigungsfrist [X.] gekündigt hat. § 18 Abs. 4 [X.] verhindert Vorratsmeldungen bzw. -kündigungen ([X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 29, AP [X.] 1969 § 18 Nr. 4 = EzA [X.] § 18 Nr. 1). Diese Vorschrift berechtigt den Arbeitgeber zu einer Kündigung ohne erneute Erstattung einer [X.] möglicherweise dann, wenn er zunächst von der Kündigung eines von einer [X.] erfassten Arbeitnehmers - etwa wegen der fehlenden Zustimmung einer Behörde - Abstand genommen hat, das Formerfordernis nachgeholt hat und nunmehr innerhalb der [X.] kündigt. Sie berechtigt ihn aber nicht dazu, bereits erklärte, massenentlassungsanzeigepflichtige Kündigungen in der [X.] zu wiederholen.

dd) Daraus, dass die Schuldnerin aufgrund der Verwendung eines veralteten Formulars in der [X.] vom 20. November 2006 sowie in der Liste der zu entlassenden Arbeitnehmer den Termin der Beendigung der Arbeitsverhältnisse angegeben hat und dabei für den Kläger infolge eines, wie der [X.] selbst vorträgt, „offensichtlichen Schreibversehens“ nicht den 31. Mai 2007, sondern den 30. April 2007, zu dem die Kündigung vom 9. Januar 2007 dann tatsächlich erklärt wurde, folgt nichts anderes. Ohne eine erneute [X.] konnte hinsichtlich der Nachkündigung ungeachtet der versehentlich richtigen Angabe des beabsichtigten Entlassungsdatums den mit §§ 17 f. [X.] verfolgten Zwecken nicht genügt werden. Die Sperrfrist des § 18 Abs. 1 [X.] hatte hinsichtlich der [X.] vom 20. November 2006 am 23. November 2006 begonnen und am 22. Dezember 2006 geendet. Diese Frist, die der [X.] für die „Lösung der durch die beabsichtigte Massenentlassung aufgeworfenen Probleme“([X.] 27. Januar 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 47 f., Slg. 2005, [X.]) zur Verfügung stehen sollte, war im Zeitpunkt der Erklärung der Kündigung vom 9. Januar 2007 bereits verstrichen.

III. Es kann wie in der bisherigen Rechtsprechung([X.] 29. November 2007 - 2 AZR 763/06 - Rn. 35, AP [X.] 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 95 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 79; Senat 13. Juli 2006 - 6 [X.] - Rn. 21, [X.]E 119, 66; [X.] 23. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 32, [X.]E 117, 281) offenbleiben, ob Kündigungen, die der Arbeitgeber erklärt, ohne zuvor die nach § 17 Abs. 1 [X.] erforderliche [X.] ordnungsgemäß vorzunehmen, stets unwirksam sind (in diesem Sinne [X.] 9. Aufl. § 17 [X.] Rn. 101 ff.; [X.]/[X.] 10. Aufl. § 17 [X.] Rn. 36). In der Regel führt die Unterlassung der [X.] vor der Kündigung dazu, dass diese das Arbeitsverhältnis nicht auflösen kann und deshalb der Kündigungsschutzklage stattzugeben ist. Für eine besondere Sachverhaltsgestaltung, in der die Kündigung möglicherweise doch zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen könnte, zB wenn andere Kündigungen einvernehmlich „zurückgenommen” werden, so dass der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 [X.] wieder unterschritten wird, oder wenn die [X.] auf eine nachträgliche Anzeige hin der Entlassung zustimmt (vgl. hierzu APS/Moll 3. Aufl. § 18 [X.] Rn. 50 mwN zum Streitstand; gegen jede Heilungsmöglichkeit [X.] § 17 [X.] Rn. 104), besteht kein Anhaltspunkt. Deshalb konnte die Kündigung vom 9. Januar 2007 mangels der erforderlichen [X.] das Arbeitsverhältnis nicht auflösen, so dass der Kündigungsschutzklage stattzugeben war (Senat 13. Juli 2006 - 6 [X.] - Rn. 21, aaO).

IV. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der erst- und zweitinstanzlichen Kosten aus § 91 Abs. 1 ZPO, hinsichtlich der Kosten der Revisionsinstanz aus § 97 Abs. 1 ZPO. Das [X.] hat zwar der Kündigungsschutzklage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts stattgegeben. Es hat dem [X.]n aber lediglich die Kosten der Berufung auferlegt. Über die Prozesskosten war gem. § 308 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zu entscheiden ([X.] 24. November 1980 - [X.] - WM 1981, 46). Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der [X.] gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.


        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    D. Knauß    

        

    [X.]    
                 

Meta

6 AZR 948/08

22.04.2010

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Erfurt, 11. Juli 2007, Az: 5 Ca 201/07, Urteil

§ 17 Abs 1 KSchG, § 18 Abs 4 KSchG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2010, Az. 6 AZR 948/08 (REWIS RS 2010, 7386)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7386

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