Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.04.2012, Az. I B 100/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 7054

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Gegenstand

Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache bei Billigkeitsmaßnahme - Keine Revisionszulassung wegen unrichtiger Sachentscheidung des FG


Leitsatz

NV: Trägt der von der Vorinstanz gewährte Billigkeitserweis den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalls --verspätete Weitergabe von Daten infolge einer technischen Panne beim Registergericht-- Rechnung, sind diese Gegebenheiten ebenso wie der Billigkeitserweis im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage deswegen nicht klärungsbedürftig .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine [X.]mbH, schloss am 16. November 2007 mit ihrer alleinigen [X.]esellschafterin einen notariell beurkundeten [X.] ([X.]), in dem sie sich verpflichtete, erstmals für das ab dem 1. Januar 2007 laufende [X.]eschäftsjahr ihren ganzen [X.]ewinn an ihre [X.]esellschafterin abzuführen. Der [X.] wurde nebst Zustimmungsbeschlüssen der beteiligten [X.]esellschaften, Handelsregisteranmeldung und Begleitschreiben am 10. Dezember 2007 durch den beurkundenden Notar im Wege der elektronischen Registeranmeldung zur Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts (A[X.]) A übermittelt und ist dort am selben Tag auf dem Server des [X.] eingegangen. Aufgrund einer technischen Panne bei der Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten wurden die Anmeldedokumente zunächst nicht an das zuständige Registergericht weitergeleitet. Erst am 7. Januar 2008 wurde der Abschluss des [X.] schließlich im Handelsregister des [X.] eingetragen. Die Eintragungsvoraussetzungen für den [X.] lagen ausweislich eines ergänzenden Hinweises zum Handelsregistereintrag bereits am 13. Dezember 2007 vor.

2

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) lehnte den Antrag der Klägerin auf Herabsetzung der Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer und des [X.] für [X.] für das Streitjahr (2007) auf 0 € ab. Als Begründung wurde angeführt, dass der [X.] erst mit der Eintragung im Jahr 2008 wirksam geworden sei. Nachdem der Einspruch erfolglos geblieben war, erhob die Klägerin hiergegen Klage vor dem [X.] ([X.]). Erstmals im Klageverfahren hat die Klägerin hilfsweise auch einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung ([X.]) gestellt. Dieser Antrag wurde vom [X.] ebenfalls abgelehnt. Die hiergegen zulässig erhobene Sprungklage wurde vom [X.] zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem bereits anhängigen Verfahren verbunden.

3

Das [X.] gab der Klage mit Urteil vom 17. Mai 2011 ([X.]. 6 K 3100/09 K,[X.],[X.]) statt. Es hat dabei offengelassen, ob es noch vor Ablauf des Streitjahres zu einer wirksamen Eintragung des [X.] gekommen ist. Jedenfalls könne die Klägerin eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 [X.] beanspruchen, da sie die verspätete Eintragung in das Handelsregister nicht zu vertreten habe und die Zurechnung der sich hierdurch ergebenden nachteiligen Rechtsfolgen den Wertungen des [X.]esetzgebers eindeutig widersprechen würde.

4

Mit der Beschwerde beantragt das [X.], die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) sowie zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision des [X.] ist als unbegründet zurückzuweisen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O), noch dient sie der Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O).

6

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch [X.] ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (so z.B. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 4. März 2009 [X.]/08, [X.], 1140). Die klärungsbedürftige Rechtsfrage kann jedoch nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich ist, um das Entscheidungsergebnis zu begründen; sie muss für die Entscheidung des [X.] rechtserheblich sein (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 15. März 2011 [X.]/10, [X.], 1003; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 [X.]O Rz 53, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.

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a) Wenn das [X.] die Rechtsfrage formuliert, es sei zu klären, ob bei der Frage der sachlichen Unbilligkeit das Fehlverhalten bzw. der Fehler einer anderen Behörde --außerhalb der [X.] zugunsten des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden kann, ist diese Rechtsfrage für den zu entscheidenden Fall nicht rechtserheblich. Denn diese Rechtsfrage stellt sich in dieser Allgemeinheit im zu entscheidenden Streitfall nicht.

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aa) Nach § 163 [X.] können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass eine solche Situation dann gegeben sein kann, wenn die Finanzverwaltung steuerrechtliche Folgen an die Entscheidung anderer Behörden (hier des Registergerichts) knüpft und diese Entscheidung (hier Eintragung in das Handelsregister) für das betroffene Unternehmen zu einer höheren Steuerbelastung führt. Dies entspricht im [X.] einer verbreiteten Auffassung, nach der sich die Unbilligkeit der Steuererhebung u.a. aus einem Fehlverhalten einer Behörde ergeben kann, wenn dieses ohne hinzutretendes Verschulden des Steuerpflichtigen zur Entstehung oder Erhöhung einer Steuer geführt hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2004 [X.], [X.] 2005, 707; [X.] in Tipke/ [X.], a.a.[X.], § 227 [X.] Rz 70, m.w.N.).

9

bb) Die Inanspruchnahme einer Billigkeitsmaßnahme hängt jedoch --worauf die Klägerin zutreffend hinweist-- nicht allein davon ab, ob ein behördliches Fehlverhalten vorliegt. Sachliche [X.] sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 25. November 1980 [X.], [X.], 159, [X.] 1981, 204; vom 12. Januar 1989 IV R 67/87, [X.], 484, [X.] 1990, 259; vom 21. Januar 1992 [X.], [X.], 500, [X.] 1993, 3; Senatsurteil vom 8. März 1984 [X.], [X.], 421, [X.] 1984, 415, m.w.N.; [X.]/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 163 Rz 32). Das [X.] geht in seiner Beschwerde insofern von einem Wertungswiderspruch aus, den die Vorinstanz unrichtig eingeschätzt habe. Der beschließende Senat lässt es dahinstehen, ob Letzteres zutrifft. Selbst wenn es sich so verhielte und das [X.] die Rechtsfrage auch hinreichend deutlich herausgestellt hätte, wäre die Revision nicht zuzulassen. Denn der von der Vorinstanz gewährte [X.] trägt den besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des [X.] --verspätete Weiterverarbeitung der eingegangenen Daten infolge einer technischen Panne beim [X.]. Diese Gegebenheiten sind ebenso wie der [X.] nicht verallgemeinerungsfähig und die aufgeworfene Rechtsfrage ist deswegen nicht klärungsbedürftig.

b) Das [X.] kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass auch das [X.] bei seiner Entscheidung weder auf die gesetzgeberische Wertung in § 14 des Körperschaftsteuergesetzes noch auf einen möglichen Schadensersatzanspruch aus § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingegangen ist. Mag der Einzelfall vom [X.] auch sachlich unrichtig entschieden worden sein, genügt dies allein noch nicht, um das für den Zulassungsgrund erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren ([X.] vom 22. Februar 2007 [X.], [X.] 2007, 969).

2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das [X.] bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der [X.] oder ein anderes [X.]. Das [X.] muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 53, m.w.N.).

Aus den Ausführungen des [X.] ist bereits nicht zu entnehmen, dass den genannten Entscheidungen abweichende Rechtssätze zugrunde liegen. Zudem wird nicht herausgearbeitet, dass es sich um vergleichbare Sachverhalte handelt. Die Beschwerde entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O und ist insoweit unzulässig.

3. Soweit die Beschwerdebegründung sich darüber hinaus gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des [X.] richtet, wird damit kein Zulassungsgrund geltend gemacht. Wegen etwaiger inhaltlicher Mängel der finanzgerichtlichen Entscheidung ist die Revision nur dann gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des [X.] "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. [X.] vom 4. August 2010 [X.]/09, [X.] 2010, 2102). Dies ist weder vorgetragen noch erkennbar.

Meta

I B 100/11

23.04.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 17. Mai 2011, Az: 6 K 3100/09 K,G,AO, Urteil

§ 163 AO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.04.2012, Az. I B 100/11 (REWIS RS 2012, 7054)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7054

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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