Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2020, Az. I R 7/18

1. Senat | REWIS RS 2020, 3352

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Gegenstand

(Billigkeitserlass nach § 34c Abs. 5 EStG bis zur Festsetzungsverjährung)


Leitsatz

Der Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses (BMF-Schreiben vom 31.10.1983, BStBl I 1983, 470) wird zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 05.12.2017 - 1 K 501/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Kläger und [[X.].] (Kläger) wurden im Jahr 2010 (Streitjahr) zur Einkommensteuer [[X.].]. Der Kläger erzielte als Fluggerätemechaniker Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Arbeitgeber des [[X.].] war die A. Gemäß Abordnungsvertrag vom 08.07.2009 war der Kläger im Streitjahr auf dem [[X.].] ([[X.].]) eingesetzt und dort mit der Wartung und Störbehebung von Flugzeugen der Fluggesellschaft B befasst.

2

Während der Arbeitgeber für die Veranlagungszeiträume vor dem Streitjahr die Regelungen des [[X.].] (Schreiben des [[X.].] --BMF-- vom 31.10.1983, [[X.].], 470) bereits im Rahmen des [[X.].] berücksichtigte, unterwarf er den im Streitjahr erzielten Arbeitslohn der Lohnsteuer in der [[X.].] ([[X.].]). In der von den Klägern für das Streitjahr eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten sie den vom Kläger bezogenen Arbeitslohn als in [[X.].] steuerpflichtig. In der [[X.].] beantragten sie Kosten für Familienheimfahrten zwischen [X.] und der Familienwohnung in [[X.].] als Werbungskosten, welche vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) antragsgemäß berücksichtigt wurden.

3

Mit Bescheid vom 19.10.2011 setzte das [X.] die Einkommensteuer auf ... € fest. Der Bescheid stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde bestandskräftig.

4

Mit beim [X.] am 16.01.2015 eingegangenem Schreiben beantragten die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([[X.].]) dahingehend, dass der [X.] zur Anwendung komme. Nach Ablehnung dieses Antrags durch das [X.] beantragten die Kläger mit Schreiben vom 27.04.2015 die Anwendung des Erlasses nach § 34c Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 163 [[X.].]. Mit Verfügung vom 20.05.2015 lehnte das [X.] diesen Antrag ab, weil unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der allgemeinen Billigkeitsregelungen der [[X.].] eine zeitliche Begrenzung der Zulässigkeit eines Antrags nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. dem [X.] vorzunehmen sei.

5

Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Kläger dagegen Klage vor dem [X.] ([X.]), welches dieser durch in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 732 veröffentlichtes Urteil vom 05.12.2017 - 1 K 501/16 stattgab.

6

Dagegen richtet sich die Revision des [X.], welches diese auf die Verletzung materiellen Rechts stützt und mit der es beantragt, das Urteil des Hessischen [X.] vom 05.12.2017 - 1 K 501/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Kläger haben Anspruch auf Erlass von Einkommensteuer in der von ihnen beantragten Höhe nach § 34c Abs. 5 EStG.

9

1. Nach § 34c Abs. 5 EStG können die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragten Finanzbehörden mit Zustimmung des [X.] die auf ausländische Einkünfte entfallende [X.] Einkommensteuer ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist oder die Anwendung des Abs. 1 der Vorschrift besonders schwierig ist. Die Norm räumt insoweit den Finanzbehörden in verfassungskonformer Weise einen Ermessensspielraum ein und stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen Fälle dar, in denen die Regelungen in den vorhergehenden [X.] im konkreten Einzelfall nicht zu sachgerechten, außenwirtschaftlich erwünschten Ergebnissen führen (vgl. Beschluss des [X.] vom 19.04.1978 - 2 BvL 2/75, [X.] 48, 210, [X.] 1978, 548; Urteile des [X.] --BFH-- vom 18.08.1987 - VIII R 297/82, [X.], 25, [X.] 1988, 139; vom 14.06.1991 - VI R 185/87, [X.], 208, [X.] 1991, 926). Die nach § 34c Abs. 5 EStG erforderliche "volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit" liegt danach nur dann vor, wenn die Steuerbegünstigung der [X.]n Außenwirtschaft dient. Vor diesem Hintergrund dient der [X.], soweit er gestützt auf § 34c Abs. 5 EStG die Möglichkeit eines Erlasses von Einkommensteuer durch die Finanzverwaltung schafft, in erster Linie der Förderung der [X.]n Exportwirtschaft (Senatsbeschluss vom 08.12.2010 - I B 98/10, [X.] 2011, 596).

2. Soweit die auf ausländische Einkünfte entfallende [X.] Einkommensteuer nach dem [X.] ganz oder zum Teil erlassen werden soll, ist darüber verfahrensrechtlich nicht im Steuerfestsetzungsverfahren oder im Rahmen der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, sondern durch einen eigenständigen Bescheid zu entscheiden (Senatsurteil vom 25.04.2001 - I R 80/97, [X.] 2001, 1541). Auch wenn dieser Verwaltungsakt regelmäßig mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung handelt es sich um einen Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst, die ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] umzusetzen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12.07.2012 - I R 32/11, [X.], 307, [X.] 2015, 175 zum Antrag nach R 14 Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 2005).

3. Im Gesetz bzw. im [X.] ist insoweit allerdings nicht geregelt, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen ein Antrag auf [X.] nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des [X.] gestellt werden kann.

a) Teilweise wird dazu die Auffassung vertreten, schon aus der Natur der Entscheidung nach § 34c Abs. 5 EStG als Grundlagenbescheid folge, dass der Erlass der Entscheidung zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt werde (so etwa Weinschütz in [X.], EStG, § 34c EStG Rz 137; [X.] in [X.], EStG, § 34c Rz E 13; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 34c EStG Rz 171; [X.]/[X.], § 34c EStG Rz 115).

b) Demgegenüber wird aber geltend gemacht, Anträge auf Durchführung eines Erlassverfahrens nach § 34c Abs. 5 EStG könnten nicht mehr gestellt werden, wenn die Steuerfestsetzung bestandskräftig sei und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe ([X.], [X.] Steuer-Zeitung [X.], 136, 140; derselbe in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 34c Rz 35).

c) Der Senat schließt sich im Ergebnis der erstgenannten Auffassung an.

aa) Er geht hierbei davon aus, dass es sich bei § 34c Abs. 5 EStG um eine gegenüber den allgemeinen Erlassregelungen in §§ 163 und 227 [X.] speziellere Regelung handelt (ebenso [X.], [X.], 136, 137 ff.; [X.], a.a.[X.]; a.A. [X.] in [X.], a.a.[X.], § 34c Rz E 3), die allerdings ggf. unter Rückgriff auf die genannten allgemeinen Regelungen auszufüllen ist.

bb) Äußert sich eine Verwaltungsvorschrift (hier: der [X.]) zu einem nach allgemeinen Grundsätzen als Ermessenskriterium dienenden Punkt (hier: zum Zeitfaktor) nicht, so kann dies bedeuten, dass sie die Berücksichtigung des zeitlichen Elements generell ausschließen will. Sie kann aber auch so zu begreifen sein, dass sie sich auf die Nichtregelung beschränkt und die Lücke mit Hilfe der allgemeinen Grundsätze aufzufüllen ist (BFH-Urteil vom 21.07.2016 - X R 11/14, [X.], 497, [X.] 2017, 22). Die Gerichte dürfen dabei Verwaltungsanweisungen nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 13.01.2011 - V R 43/09, [X.], 58, [X.] 2011, 610; in [X.], 497, [X.] 2017, 22).

cc) Das [X.] versteht den [X.] so, dass ein Antrag nur bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt werden kann. Dass das nicht zutreffend ist, ergibt sich aber bereits daraus, dass die Finanzverwaltung das Zeitmoment im ebenfalls auf § 34c Abs. 5 EStG gestützten [X.] ([X.]-Schreiben vom 10.04.1984, [X.], 252, [X.]. 2) positiv dahingehend geregelt hat, dass der dortige Antrag gestellt werden kann, "solange die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar ist oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht". Daraus, dass der [X.] eine entsprechende Regelung nicht enthält, lässt sich nur schließen, dass der [X.] eine zeitliche Beschränkung der Antragstellung dort gerade nicht hat vornehmen wollen.

dd) Selbst wenn man aber den [X.] als lückenhaft auffassen und ihn nach allgemeinen Grundsätzen ergänzen wollte, ergäbe sich nichts anderes: Nach hergebrachter Rechtsprechung zu § 163 [X.] ist ein Erlass nämlich auch dann möglich, wenn die Steuerfestsetzung bereits bestandskräftig ist (vgl. BFH-Urteile vom 17.06.2004 - IV R 9/02, [X.] 2004, 1505; in [X.], 497, [X.] 2017, 22). Dies gilt jedenfalls, soweit die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (BFH-Urteil in [X.] 2004, 1505, m.w.[X.]). Im Streitfall handelt es sich indessen nicht um eine fehlerhafte, sondern um eine zutreffende Steuerfestsetzung, weil die Begünstigungen nach dem [X.] ausschließlich über das Billigkeitsverfahren, nicht aber isoliert im Rahmen des [X.] geltend gemacht werden können.

ee) Zwar kann im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme der Zeitablauf auch als solcher berücksichtigt werden und er bildet insoweit einen selbständigen Grund für den [X.], der neben die Verwirkung tritt und von dieser zu trennen ist (vgl. BFH-Urteil in [X.], 497, [X.] 2017, 22, m.w.[X.]). [X.] tritt ein solcher [X.] aber nicht bereits vor dem Ablauf der Festsetzungsverjährung ein. Hierfür spricht, dass das Festsetzungsverfahren einerseits und das Billigkeitsverfahren andererseits zwei getrennte Verfahren sind und ein nach Eintritt der Bestandskraft ergangener Billigkeitserweis nach § 34c Abs. 5 EStG im Rahmen der Festsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] nachträglich zu berücksichtigen ist.

4. Das [X.] ist im Ergebnis von den vorstehenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat auch zutreffend einen Anspruch der Kläger auf die Gewährung des begehrten Billigkeitserlasses bejaht.

a) Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass im Streitfall die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ziffern I bis IV des [X.] vorliegen. Auch unter zeitlichen Gesichtspunkten war im Streitfall die Antragstellung nicht zu beanstanden, da bei Antragstellung noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.

b) Das [X.] hat auch zutreffend einen Anspruch der Kläger auf die begehrte Billigkeitsmaßnahme nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. dem [X.] bejaht, weil das Ermessen des [X.] im Streitfall auf Null reduziert ist. Sind sämtliche Voraussetzungen für den Ausspruch der begehrten Billigkeitsmaßnahme erfüllt, hat das [X.] die Finanzbehörde nach § 101 Satz 1 [X.]O zu verpflichten, die allein rechtmäßige Ermessensentscheidung vorzunehmen. Der [X.] erzeugt insoweit als ermessensleitende Verwaltungsvorschrift unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Selbstbindung der Finanzverwaltung dahingehend, dass sie in gleichgelagerten Fällen an die die Ermessensausübung regelnden Verwaltungsvorschriften gebunden ist. Im Streitfall sind mit dem [X.] keine Umstände ersichtlich, die es rechtfertigen würden, trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des [X.] diesen in der Sache nicht anzuwenden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 7/18

17.06.2020

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 5. Dezember 2017, Az: 1 K 501/16, Urteil

§ 34c Abs 5 EStG 2009, § 163 AO, § 227 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2020, Az. I R 7/18 (REWIS RS 2020, 3352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3352

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