Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. I R 32/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 4739

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Gegenstand

Billigkeitserweis: Abgrenzung zur Steuerfestsetzung, kein Vorbehalt der Nachprüfung, Bindungswirkung


Leitsatz

Beantragt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Steuererklärung eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen (hier: Verzicht auf eine Bilanzierung von Feldinventar nach Maßgabe von R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 2001, R 14 Abs. 2 Satz 3 EStR 2005) und veranlagt das FA erklärungsgemäß, aber unter Vorbehalt der Nachprüfung, erstreckt sich der Vorbehalt nicht auf den gewährten Billigkeitserweis . Die abweichende Festsetzung der Steuer ist deshalb für die Steuerfestsetzung regelmäßig verbindlich .

Tatbestand

1

I. Streitig ist eine einkommensmindernde Ausbuchung des Werts eines bisher als Umlaufvermögen aktivierten [X.]s.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr, betrieb im Streitjahr 2007 die Erzeugung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten aller Art, insbesondere von Getreide und Kartoffeln, sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Aktivitäten. Bis zum Streitjahr hatte sie ihr [X.] (d.h. die aufgrund der Feldbestellung auf den Feldern vorhandenen Pflanzenbestände) bilanziert.

3

Mit Bescheid vom 13. Februar 2008 (verbunden mit dem Bescheid zur Körperschaftsteuer 2006) setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die Körperschaftsteuervorauszahlungen für 2007 auf 18.778 € fest. Die Klägerin teilte daraufhin dem [X.] mit, dass sie eine Anpassung der [X.] nicht als sachgerecht ansehe. Ab dem Streitjahr nehme sie die steuerliche Billigkeitsregelung gemäß R 14 Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien ([X.]) 2005 i.V.m. R 34 Satz 2 der [X.] 2004 in Anspruch und verzichte auf die Bilanzierung des [X.]s; dies führe zu einer Ergebnisminderung von rd. 220.000 €. Der verbleibende Gewinn sei vollständig durch die bestehenden Verlustvorträge abgedeckt. Das [X.] änderte die festgesetzten Vorauszahlungen nicht.

4

In der Bilanz zum 31. Dezember 2007, die sie mit der Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr am 17. Dezember 2008 einreichte, setzte die Klägerin den Wert des [X.]s mit 0 € an. Sie fügte dazu als Erläuterung folgenden Hinweis bei: "Im Berichtsjahr wird erstmalig gemäß R 131 Abs. 2 [X.] vom Wahlrecht der Nichtaktivierung des [X.]s Gebrauch gemacht. Das [X.] ist ausgebucht worden. Der nach den durchschnittlichen Standardherstellungskosten des [X.] bewertete Bestand zum Bilanzstichtag beträgt [X.] 223.538,63." Das [X.] veranlagte die Klägerin erklärungsgemäß (Bescheid vom 11. März 2009) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --[X.]--). In dem Bescheid setzte es außerdem die Vorauszahlungen für die Kalenderjahre 2008 bis 2010 fest. Die Erläuterungen des Bescheides befassen sich mit der Festsetzung der Vorauszahlungen für 2008.

5

Nach einer Außenprüfung vertrat das [X.] in einem auf § 164 Abs. 2 Satz 1 [X.] gestützten Änderungsbescheid vom 24. November 2009 die Auffassung, dass das [X.] bilanziert werden müsse, weil ein Landwirt aufgrund der [X.] an eine einmal erfolgte Bilanzierung des [X.]s gebunden sei. Mit diesem Bescheid, der keine Ausführungen zur Billigkeitsregelung enthält, hob das [X.] zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Das [X.] ([X.]) gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage statt (Urteil vom 16. März 2011  2 K 1833/10, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2011, 1758). Das [X.] habe im Bescheid vom 11. März 2009 von einer Aktivierung des [X.]s aus Billigkeitsgründen abgesehen.

6

Das [X.] macht mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

9

Das [X.] hat ohne Rechtsfehler entschieden, dass der Änderungsbescheid nicht auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO gestützt werden konnte; vielmehr hatte das [X.] im Ursprungsbescheid vom 11. März 2009 eine verbindliche Entscheidung des Inhalts getroffen, der Klägerin im Wege der Billigkeit einen einkommensmindernden Abzug des bisherigen Werts des Umlaufvermögens ([X.]) zu gewähren.

1. Das [X.] hat das [X.] der Klägerin dahin verstanden, dass es sowohl gegen die Steuerfestsetzung als auch gegen die Ablehnung einer [X.] nach § [X.] [X.]. R 14 Abs. 2 Satz 3 EStR 2005 gerichtet ist. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist damit sowohl die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides (Festsetzung der Körperschaftsteuer) vom 24. November 2009 als auch die zugleich (konkludent) ausgesprochene Ablehnung der von der Klägerin beantragten abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Dem ist beizupflichten.

a) Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Satz 3 AO). Zwar kann der [X.] ([X.]) nach ständiger Rechtsprechung im Anfechtungsverfahren gegen die Steuerfestsetzung grundsätzlich nicht über einen Billigkeitsantrag entscheiden, weil dieser Gegenstand eines besonderen Verwaltungsverfahrens ist. Von einer Verbindung beider Verfahren im Wege einer objektiven Klagehäufung (§ 43 [X.]O) ist jedoch auszugehen, wenn der Kläger im Einspruchs- und im Klageverfahren ausdrücklich auch einen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen geltend gemacht und das [X.] darüber entschieden hat (vgl. [X.]-Urteil vom 18. März 2010 IV R 23/07, [X.]E 228, 526, [X.], 654, m.w.N.).

b) So verhält es sich im Streitfall. Die Klägerin hat sich im Einspruchs- und im Klageverfahren nicht nur gegen die Steuerfestsetzung gewandt, sondern sich ausdrücklich auch auf die Billigkeitsregelung in R 131 Abs. 2 Satz 3 EStR 2001 bzw. R 14 Abs. 2 Satz 3 EStR 2005 berufen und eine abweichende Steuerfestsetzung beantragt.

2. Der Änderungsbescheid vom 24. November 2009 konnte nicht auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO gestützt werden. Dem stand eine bindende Entscheidung des [X.] entgegen, im Streitjahr eine Einkommensminderung von 223.538 € im Wege einer abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen zu gewähren.

a) Die ursprüngliche Veranlagung des [X.] (Bescheid vom 11. März 2009) erging rechtswirksam unter Nachprüfungsvorbehalt. Da dieser Vorbehalt in der Zwischenzeit nicht aufgehoben worden war, konnte das [X.] einen Änderungsbescheid grundsätzlich auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO stützen. Dies ist in seiner Grundlage unter den Beteiligten nicht streitig und bedarf keiner näheren Ausführungen.

b) Eine Entscheidung über eine [X.] (§ [X.]) wird durch Verwaltungsakt getroffen. Auch wenn dieser Verwaltungsakt gemäß § 163 Satz 3 AO mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung ist dieser Verwaltungsakt Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst, die gegebenenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO umzusetzen ist (vgl. [X.]-Urteil vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, [X.]E 168, 500, [X.] 1993, 3; [X.]surteil vom 8. August 2001 I R 25/00, [X.]E 196, 485, [X.] 2003, 923; [X.]-Urteile vom 16. März 2004 VIII R 33/02, [X.]E 205, 270, [X.] 2004, 927; vom 14. April 2011 IV R 15/09, [X.]E 233, 206, [X.], 706). Im Streitfall ist eine die [X.] gewährende Entscheidung des [X.] mit dem Festsetzungsbescheid vom 11. März 2009 getroffen worden. Das ergibt die sachgerechte Auslegung des gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheides.

aa) [X.] muss --den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips entsprechend-- inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Dies schließt zwar nicht aus, dass sein Inhalt durch Auslegung ermittelt wird. Das erfordert jedoch, dass der Verwaltungsakt klar, eindeutig und widerspruchslos erkennen lässt, welche Rechtswirkungen er entfalten soll. Einer Billigkeitsentscheidung des [X.] muss danach zu entnehmen sein, ob und in welchem Umfang von der an sich gesetzlich vorgesehenen Steuerfestsetzung abgewichen worden ist (z.B. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § [X.] Rz 25; s. auch von [X.]/ [X.], § [X.] Rz 134 ["Quantifizierung"]). Dazu muss in der Situation des § 163 Satz 3 AO nicht die Steuer vor und nach der [X.] angegeben werden (so aber --jedenfalls als Sollerfordernis-- [X.] in Tipke/[X.], ebenda); es kann genügen, dass sich die abweichende Steuerfestsetzung aus der Höhe der festgesetzten Steuer ermitteln lässt.

bb) Von dieser Maßgabe ist das [X.] nicht abgewichen. Es hat in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bzw. in Anwendung des § 124 Abs. 1 Satz [X.] zutreffend darauf abgestellt, wie die Klägerin nach den ihr bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (s. allgemein [X.]-Urteile vom 11. November 1987 [X.], [X.]E 152, 166, [X.] 1988, 307; vom 19. Mai 2004 III R 18/02, [X.]E 206, 201, [X.] 2004, 980; vom 9. April 2008 II R 31/06, [X.]/NV 2008, 1435), und ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, die Klägerin habe aus dem Steuerbescheid vom 11. März 2009 ableiten können und dürfen, dass das [X.] dem Billigkeitsantrag vollen Umfangs stattgegeben hat. Denn die Klägerin hatte mit der Steuererklärung (wie zuvor schon mit dem Antrag auf Anpassung der Vorauszahlungen angekündigt) ausdrücklich einen Antrag auf Gewährung der [X.] gestellt und das [X.] hat die Steuer erklärungsgemäß (in Kenntnis des erläuternden Hinweises zur Inanspruchnahme eines Bilanzierungswahlrechts in Höhe von 223.538 €) festgesetzt; bei Ansatz des [X.]s wäre die Bemessungsgrundlage insoweit zu erhöhen und ein höherer Steuerbetrag festzusetzen gewesen. Für den Steuerpflichtigen war also ersichtlich, dass die Steuer, wie von ihm beantragt, aus Billigkeitsgründen abweichend festgesetzt worden ist. Eines ausdrücklichen Hinweises auf den [X.] bedurfte es in Anbetracht dessen nicht (anders [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § [X.] Rz 25). Gleichermaßen ist es ohne Belang, ob das [X.] die beantragte [X.] tatsächlich gewähren wollte (s. auch [X.]surteil vom 27. Juli 1988 I R 159/84, [X.]/NV 1990, 8).

Dem steht nicht entgegen, dass das [X.] die ([X.]) Festsetzung mit der Nebenbestimmung des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO versehen hat. Denn die mit dem Vorbehaltsvermerk verbundene Suspendierung der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheides (s. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 164 AO Rz 2) berührt den von der eigentlichen Steuerfestsetzung abzugrenzenden Gegenstand der Billigkeitsentscheidung nicht. Der Vorbehaltsvermerk des § 164 Abs. 1 AO erstreckt sich darauf weder unmittelbar noch mittelbar. Die Vorbehaltsfestsetzung ist dadurch auch nicht ihres Sinns --nämlich den Bescheid in der Sache "offen" zu [X.] beraubt, da der Nachprüfungsvorbehalt sich auf sämtliche (anderen) Besteuerungsgrundlagen der Festsetzung des [X.] bezieht und lediglich der [X.] davon ausgespart wird. Die Klägerin musste damit aus der Existenz der Nebenbestimmung nicht darauf schließen, dass die Billigkeitsentscheidung noch ausstehe.

3. Die tatrichterlich getroffenen Feststellungen geben nichts dafür her, dass der auf dieser Grundlage in dem Bescheid vom 11. März 2009 erteilte [X.] aus den Gründen der §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. [X.] hätte zurückgenommen oder widerrufen werden können. Der Erweis ist damit verbindlich; der ursprüngliche Steuerbescheid konnte nicht nach § 164 Abs. [X.] unter Hinweis auf eine Ablehnung des Billigkeitsantrags geändert werden. Ob die zusprechende Entscheidung nach den Maßgaben der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] (vgl. Urteil in [X.]E 228, 526, [X.], 654; s. auch Urteil des [X.] Münster vom 1. Juli 2010  6 K 2727/09 E, E[X.] 2010, 1873; Leingärtner/Wendt, Besteuerung der Landwirte, [X.]. 29a Rz 221) eventuell rechtswidrig war, da der die Billigkeitsregelung tragende Vereinfachungszweck (Verzicht auf eine unter Umständen aufwendige Bewertung) in der im Streitfall vorliegenden Konstellation der bisherigen Bilanzierung des [X.]s nicht erfüllt sei und zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bewertungsstetigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 des Handelsgesetzbuchs, hier [X.]. § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes, § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes) vorliegen könnte, kann angesichts dessen offenbleiben.

Meta

I R 32/11

12.07.2012

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 16. März 2011, Az: 2 K 1833/10, Urteil

§ 130 Abs 2 AO, § 131 Abs 2 AO, § 163 AO, § 164 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO, § 119 Abs 1 AO, § 43 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. I R 32/11 (REWIS RS 2012, 4739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4739

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Wird zitiert von

L 9 EG 36/18

L 9 EG 40/18

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