Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2018, Az. B 2 U 3/17 R

2. Senat | REWIS RS 2018, 4080

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Zurückverweisung gem § 170 Abs 2 SGG - absoluter Revisionsgrund: Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gem Art 101 Abs 1 GG - nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank - Entscheidung des Berichterstatters bzw des konsentierten Einzelrichters anstelle des Senats - Ermessensfehler - Nichtvorliegen der von der BSG-Rechtsprechung entwickelten Ausnahmetatbestände - objektiv grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem § 160 Abs 2 Nr 1 SGG: rückwirkendes Verletztengeld - Übergangsgeld - Verletztenrente - Auslegung des § 46 Abs 3 Nr 2 SGB 7 und Nichtvorliegen höchstrichterlicher Rechtsprechung)


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2016 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztengeld ([X.]) anstatt des ihm bereits bewilligten Übergangsgelds ([X.]).

2

Der Kläger erlitt 2004 einen Unfall bei seiner damaligen Tätigkeit als Fleischer. Nach mehreren operativen Eingriffen leidet er an Bewegungs- und Belastungseinschränkungen des rechten Arms. Er erhielt von der Beigeladenen bis einschließlich 24.5.2006 [X.]. Danach bewilligte die Beigeladene ihm ab 25.5.2006 Verletztenrente ([X.]) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vH. [X.] wurde ihm die Verletztenrente sodann auf unbestimmte [X.] gewährt, und zwar für die [X.] nach einer MdE von [X.] und später nach einer MdE von 40 vH. Die Beigeladene förderte zunächst eine Weiterbildung des [X.] zum Fachassistenten für [X.]. Für diese Maßnahme erhielt er in der [X.] vom 1.11.2006 bis [X.] auch [X.]. Die geförderte Tätigkeit als Fachassistent für [X.] konnte der Kläger aufgrund seiner Schulterverletzung aber nicht ausüben. Deshalb stellte er einen Antrag auf Gewährung einer weiteren berufsqualifizierenden Rehabilitationsmaßnahme zum Lebensmittelkontrolleur. Die Beigeladene lehnte diese Weiterbildung des [X.] zum Lebensmittelkontrolleur zunächst ab. Erst nach Durchführung eines erfolgreichen Klageverfahrens wurde dem Kläger durch Bescheid vom 25.11.2011 [X.] zur Teilnahme an einem Meisterkurs ab 29.8.2011 bewilligt. Der Unfallbetrieb war zum 1.1.2006 an die Beklagte überwiesen worden, sodass diese nunmehr für diese Bewilligung zuständig war.

3

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 8.3.2011 bei der Beklagten die Zahlung von [X.] rückwirkend und durchgehend ab Mai 2006. Dies lehnte die Beklagte ab, weil die Einstellung des [X.] im Mai 2006 zu Recht erfolgt sei. Sie bewilligte dem Kläger dagegen für den [X.]raum vom [X.] bis 28.8.2011 [X.] (Bescheid vom 2.12.2011). Der Widerspruch, mit dem der Kläger die Zahlung des höheren [X.] für die [X.] vom 1.5.2006 bis 28.8.2011 an Stelle des bereits bewilligten [X.] begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.3.2012).

4

Das [X.] hat durch Urteil vom 21.10.2015 die Beklagte unter Änderung der Bescheide verpflichtet, dem Kläger [X.] für die [X.] vom [X.] bis 28.8.2011 unter Anrechnung des gezahlten [X.] zu gewähren. Der Anspruch auf Zahlung des [X.] habe nach § 46 Abs 3 [X.]B VII nicht geendet. Auch aus § 51 Abs 1 [X.]B IX aF folge, dass das [X.] weiter zu zahlen sei. Im Übrigen hat das [X.] die Klage abgewiesen, weil der Anspruch auf [X.] vom 25.5. bis 31.10.2006 entsprechend § 44 Abs 4 [X.]B X wegen des erst am 8.3.2011 gestellten Antrags frühestens ab 1.1.2007 zu gewähren sei.

5

Die Beklagte hat Berufung und der Kläger Anschlussberufung eingelegt. Im Einverständnis mit den Beteiligten hat anstelle des Senats der Berichterstatter ([X.]) des L[X.] als Einzelrichter gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G durch Urteil entschieden. Durch Urteil vom 13.7.2016 ist das Urteil des [X.] geändert und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide verurteilt worden, dem Kläger auch für den [X.]raum vom 25.5. bis 31.10.2006 [X.] zu zahlen. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das L[X.] ua ausgeführt, der [X.] am L[X.] habe allein entscheiden können, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise noch von grundsätzlicher Bedeutung sei. Die Berufung der Beklagten sei unbegründet, weil keiner der Tatbestände für die Beendigung des [X.] nach § 46 Abs 3 [X.]B VII erfüllt sei. Zwar sei der Anspruch des [X.] auf [X.] für die [X.] ab 1.11.2006 bis [X.] zunächst beendet gewesen. Er sei jedoch für die anschließenden [X.]en nicht endgültig erloschen. Anderes würde sich aus dem Gesetzeswortlaut nur ergeben, wenn es in § 46 Abs 3 S 1 [X.]B VII hieße, dass der Anspruch auf [X.] mit der erstmaligen Bewilligung von [X.] ende bzw mit der Entstehung eines Anspruchs auf [X.] erlösche. Zum anderen komme ein Beendigungstatbestand gemäß § 46 Abs 3 S 2 [X.]B VII schon deshalb nicht in Betracht, weil ein feststellender Verwaltungsakt der Beklagten mit einer entsprechenden Prognoseentscheidung fehle. Auch sei der Anspruch auf [X.] nicht allein durch die rückwirkende Gewährung von [X.] beendet worden, weil maßgebend sei, ob ein Anspruch auf [X.] entstanden sei, was nur der Fall wäre, wenn der Versicherte aufgrund des [X.] Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben tatsächlich erhalte. Die Berufung des [X.] habe hingegen Erfolg, weil § 44 Abs 4 [X.]B X in dem vorliegenden Fall nicht entsprechend angewandt werden dürfe.

6

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 20.12.2016 die Revision zugelassen. Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung der § 155 Abs 3 und 4 [X.]G sowie der § 46 Abs 3 S 1 Nr 2 [X.]B VII und des § 51 [X.]B IX aF. Der [X.] habe nicht anstelle des Senats des L[X.] als Einzelrichter entscheiden dürfen, weil sich hier entscheidungserhebliche Rechtsfragen stellen würden, die höchstrichterlich nicht geklärt seien. Eine Entscheidung durch den [X.] komme bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht in Betracht. Die zu klärende Frage, wann ein Anspruch auf [X.] gemäß § 46 Abs 3 S 1 Nr 2 [X.]B VII ende, sei weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der bisherigen Rechtsprechung eindeutig zu beantworten. Ein Wiederaufleben des Anspruchs auf [X.] sei schon nicht mit § 51 [X.]B IX aF zu vereinbaren, weil dort die Weiterzahlung der Leistung abschließend geregelt sei. Das Wiederaufleben des [X.]-Anspruchs führe darüber hinaus zu erheblichen Wertungswidersprüchen bei einem gleichzeitigen Bezug von [X.]. Nach § 72 Abs 1 Nr 1 [X.]B VII werde [X.] von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folge, an dem der Anspruch auf [X.] ende. Bei Bezug von [X.] könne gleichzeitig ein Anspruch auf [X.] bestehen. Würde man mit dem L[X.] den Anspruch auf [X.] wieder aufleben lassen, so würde der Kläger zeitgleich und systemwidrig für einen erheblichen [X.]raum in der Vergangenheit [X.] und [X.] erhalten. Dass dies nicht so gewollt sein könne, folge auch aus § 74 Abs 2 [X.]B VII.

7

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Urteile des [X.] vom 13.7.2016 und des [X.] Berlin vom 21.10.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Entscheidung des L[X.] für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht in der Sache geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 [X.]G) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist gemäß § 170 Abs 2 S 2 [X.]G im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. An einer den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung in der Sache ist der [X.] gehindert, denn das Verfahren vor dem [X.] leidet an einem Mangel, der zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zwingt. Das Berufungsgericht war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn über die Berufung hat der [X.] zwar im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G, aber dennoch ermessensfehlerhaft anstelle des gesamten [X.] durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 [X.]G) entschieden, obwohl die Rechtssache objektiv grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]) hat (vgl [X.] vom [X.] - B 2 U 176/17 B). Damit ist den Beteiligten [X.] (Art 101 Abs 1 GG) entzogen worden (absoluter Revisionsgrund nach § 202 S 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO), was grundsätzlich zur Zurückverweisung an den eigentlich zuständigen Spruchkörper führt ([X.]-2500 § 33 [X.] 24 Rd[X.] 9).

Der [X.] hat ermessensfehlerhaft gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G anstelle des [X.]s des [X.] durch Urteil über die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des [X.] entschieden, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Zwar hatten die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G erteilt. Die Rechtssache hat jedoch objektiv grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]), sodass grundsätzlich allein der [X.] zur Entscheidung berufen war (hierzu unter 1.). Die Voraussetzungen, unter denen das [X.] ausnahmsweise trotz Vorliegens der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache einen Ermessensfehler verneint hat, lagen nicht vor (hierzu unter 2.). Der auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler (hierzu unter 3.) führt zur Zurückverweisung an das [X.] (hierzu unter 4.).

1. Der [X.] am [X.] durfte nicht alleine über die Streitsache entscheiden, weil sie objektiv von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] ist. Nach § 33 Abs 1 S 1 [X.]G (idF des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011, [X.]) hat ein [X.] des [X.], wenn er durch Urteil entscheidet (§ 33 Abs 1 S 2 iVm § 12 Abs 1 S 2 [X.]G), grundsätzlich in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig zu werden. Abweichend hiervon kann gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G der Vorsitzende oder - sofern bestellt - der [X.] im Einverständnis der Beteiligten anstelle des [X.]s entscheiden (sog "konsentierter Einzelrichter").

a) Voraussetzung für eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G durch den Vorsitzenden oder [X.] anstelle des [X.]s ist zum einen das Einverständnis der Beteiligten, das hier unproblematisch gegeben ist. Darüber hinaus setzt die Entscheidung durch den Vorsitzenden oder [X.] anstelle des [X.]s bei verfassungskonformer Auslegung dieser Regelungen zur Entscheidungskompetenz mit Rücksicht auf die Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) aber auch voraus, dass der Vorsitzende oder [X.] im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens pflichtgemäß darüber befindet, ob er von der besonderen Verfahrensweise einer Entscheidung nur durch einen Berufsrichter Gebrauch macht oder ob es aus sachlichen Gründen bei einer Entscheidung durch den gesamten [X.] und/oder zumindest unter Mitwirkung [X.] verbleiben muss (vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557; vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 20 ff - mwN; vgl auch [X.] vom [X.] - B 4 RS 2/06 R - [X.]-1500 § 155 [X.] 1; vom [X.] KR 2/08 R - [X.]-2500 § 33 [X.] 24 Rd[X.] 11; vom [X.] - B 7 [X.] 43/08 R - Juris Rd[X.] 11; [X.] vom 31.8.2011 - [X.] 2/10 - [X.]E 109, 81 = [X.]-1200 § 52 [X.] 4). Die hiernach gebotene Ermessensausübung hat sich am Zweck der Regelungen in § 155 Abs 3 und 4 [X.]G zu orientieren, die zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung des [X.] beitragen wollen. Allerdings darf der Anspruch der Beteiligten auf einen angemessenen Rechtsschutz nicht vernachlässigt werden, sodass jeweils zu berücksichtigen ist, dass die Sozialgerichte grundsätzlich als Kollegialgerichte ausgestaltet sind und den Entscheidungen eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr beigemessen wird. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass insbesondere der Teilnahme [X.] an Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit ein hoher Stellenwert beizumessen ist (vgl hierzu Masuch/Spellbrink in Denkschrift 60 Jahre [X.], 2014, 437, 452 ff mwN). Deshalb sollen nur solche Verfahren von einem Einzelrichter entschieden werden, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen. Dies stellt im Übrigen auch § 153 Abs 5 [X.]G durch seinen Verweis auf § 105 Abs 2 S 1 [X.]G ausdrücklich klar. Folglich ist bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung (iS von § 160 Abs 2 [X.]) oder im Fall einer Divergenz (iS von § 160 Abs 2 [X.] 2 [X.]G) eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder [X.] regelmäßig ausgeschlossen (vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - Juris Rd[X.] 14 ff mwN; vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 20 ff - mwN; auch [X.]-1500 § 155 [X.] 1 Rd[X.] 46; [X.] [X.]E 109, 81 = [X.]-1200 § 52 [X.] 4, Rd[X.] 7; vgl aber auch [X.] vom 29.6.2015 - [X.] V 45/14 B - Juris Rd[X.] 9).

Eine Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter ist dabei nicht nur für den Fall ausgeschlossen, dass dieser selbst einer zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst. Eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G ist auch dann unzulässig, wenn über eine Rechtssache zu befinden ist, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil sie nach den zu § 160 Abs 2 [X.] entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat (vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557, Juris Rd[X.] 14 ff mwN; [X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 22).

b) Vorliegend hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.]. Zwar hat das [X.] der Rechtssache diese Bedeutung nicht beigemessen, objektiv stellen sich jedoch im Berufungsverfahren Rechtsfragen, die klärungsbedürftig und entscheidungserheblich sind.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Auslegung des § 46 Abs 3 [X.] streitentscheidend. Nach § 46 Abs 3 [X.] 2 [X.] endet das [X.] mit dem Tag, der dem Tag vorausgeht, an dem ein Anspruch auf [X.] entsteht. Welche Vorstellungen der Gesetzgeber mit dem Entstehen eines Anspruchs auf [X.] und dem "enden" des Anspruchs auf [X.] verbindet, lässt sich den Gesetzesmaterialien zum [X.] nicht zweifelsfrei entnehmen (vgl BT-Drucks 13/2204, [X.] zu § 46). Fraglich ist dabei zum einen der mit der Anschlussberufung des [X.] verfolgte Anspruch auf Zahlung von [X.] für den Zeitraum vom 25.5. bis [X.] Ob in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der für den streitigen Zeitraum eine [X.] als vorläufige Entschädigung mit bestandskräftigem Bescheid bewilligt und auch ausgezahlt wurde, der Anspruch auf [X.] endet, lässt sich allein anhand des Gesetzes nicht beantworten. Geregelt ist in § 72 Abs 1 [X.] 1 [X.] lediglich, dass die [X.] beginnt, wenn der [X.]-Anspruch endet. [X.] Rechtsprechung hierzu fehlt ebenfalls. Ebenso ergibt auch eine kursorische Durchsicht der wissenschaftlichen Fachliteratur, dass die vorliegende Konstellation weder besprochen noch als unproblematisch eingestuft wird.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache besteht aber insbesondere im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf die Zahlung von [X.] anstatt des bereits gezahlten [X.] für den Zeitraum vom [X.] bis 28.8.2011. Die hier zu entscheidende Frage, ob [X.] an Stelle des bereits bezogenen [X.] zu zahlen ist, setzt ebenfalls voraus, dass geklärt wäre, was das Ende des [X.] gemäß § 46 Abs 3 [X.] 2 [X.] bedeutet. Ebenso ist unklar, ob gemäß § 50 [X.] iVm § 51 [X.], jeweils in der hier anwendbaren, bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung, neben der bewilligten Verletztenrente [X.] oder lediglich [X.] "weiter" zu zahlen ist. Antworten auf diese Fragen sind den gesetzlichen Regelungen nicht ohne Weiteres zu entnehmen und ebenso sind diese noch nicht höchstrichterlich entschieden. Schließlich ist auch zur vom [X.] befürworteten und vom [X.] am [X.] abgelehnten entsprechenden Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X auf die vorliegende Fallkonstellation höchstrichterliche Rechtsprechung bisher nicht ergangen.

2. Es lag hier auch keine Fallkonstellation vor, bei der nach der Rechtsprechung des [X.] der [X.] am [X.] trotz grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ermessensfehlerfrei anstelle des [X.]s des [X.] entscheiden konnte. Nach der Rechtsprechung des [X.] kann erkennbar in drei Fallgruppen ausnahmsweise eine Entscheidung durch den Einzelrichter anstelle des [X.]s des [X.] trotz Vorliegens einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in Betracht kommen. Dies ist zum einen der Fall, wenn ein Verfahren deshalb keine rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, weil einer ständigen Rechtsprechung - auch des eigenen [X.]s - gefolgt wird (vgl zB [X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 22). Weiterhin kommt eine Entscheidung ausschließlich durch den [X.] gemäß § 155 Abs 3 und 4 [X.]G dann in Betracht, wenn die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung gerade auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt haben (vgl zB [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557, Juris Rd[X.] 15 mwN; [X.] vom 3.12.2009 - [X.] [X.] 38/08 R - [X.]-4300 § 53 [X.] 4 Rd[X.] 14; [X.] [X.]E 109, 81 = [X.]-1200 § 52 [X.] 4, Rd[X.] 7; [X.]-1500 § 105 [X.] 1 Rd[X.] 15 ff). Schließlich ist in einer dritten Konstellation die Zulässigkeit des konsentierten Einzelrichters denkbar, wenn sich das Urteil auf eine bereits vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger [X.]sbesetzung getroffene Leitentscheidung des [X.] oder auf bereits beim [X.] anhängige Parallelfälle bezieht (vgl zB [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557, Juris Rd[X.] 15 mwN; [X.] vom 2.5.2012 - [X.] [X.] 18/11 R - [X.]-4300 § 144 [X.] 24 Rd[X.] 14 f mwN; [X.] vom [X.] - B 7 [X.] 43/08 R - Juris Rd[X.] 11; [X.] vom [X.] KR 2/08 R - [X.]-2500 § 33 [X.] 24 Rd[X.] 11). Keiner dieser aufgezeigten Ausnahmefälle liegt vor. Der [X.] am [X.] folgte erkennbar keiner gefestigten Rechtsprechung. Die Einverständniserklärung der Beteiligten vor dem [X.] beinhaltete keinen Bezug auf eine mögliche Zulassung der Revision. Schließlich sind auch keine Parallelfälle beim [X.] anhängig. Vielmehr liegt höchstrichterliche Rechtsprechung zu den aufgezeigten Fragen nicht vor. Schließlich ist auch der [X.] am [X.] in seinem Urteil nicht von dem Vorliegen eines solchen Ausnahmetatbestands ausgegangen.

3. Auch ohne Rüge der Beteiligten ist ein Verstoß gegen § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G von Amts wegen zu beachten. Der den Anspruch der Beteiligten auf [X.] (Art 101 Abs 1 GG) verletzende Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren nach § 202 S 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557, Juris Rd[X.] 18 mwN; [X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 11, 13). Es muss daher hier nicht weiter geprüft werden, ob die Beklagte diesen Verfahrensfehler ordnungsgemäß gerügt hat.

4. Eine abschließende Entscheidung ist dem [X.] nicht möglich. Grundsätzlich führt ein zur fehlerhaften Besetzung des Gerichts führender Verstoß gegen § 155 Abs 3 iVm Abs 4 [X.]G zur Zurückverweisung an den eigentlich zuständigen Spruchkörper (vgl zB [X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.]E 99, 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 24). Eine abschließende Entscheidung des [X.] soll allerdings auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds in Betracht kommen, wenn auf der Grundlage eines in tatsächlicher Hinsicht geklärten und nicht umstrittenen Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht nur in einer ganz bestimmten Weise entschieden werden kann, weil unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine andere Entscheidung denkbar ist (vgl § 170 Abs 1 S 2 [X.]G; vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - [X.] 2014, 557 mwN; [X.] vom [X.] KR 2/08 R - [X.]-2500 § 33 [X.] 24 Rd[X.] 11). Dies gilt zB dann, wenn die auch durch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden und festzustellenden Sachurteilsvoraussetzungen nicht gegeben sind, sodass die Klage in jedem Falle abgewiesen werden müsste.

Dagegen kann sich eine Sachentscheidung des [X.] nicht auf die von dem Einzelrichter des [X.] [X.] festgestellten Tatsachen stützen, die - unabhängig davon, ob die Tatsachen unstreitig sind oder von den Beteiligten bestritten werden - jedenfalls [X.] wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] festgestellt wurden. Damit würde der Grundrechtsverstoß durch den konsentierten Einzelrichter ggf noch intensiviert und verfahrensentscheidend fortwirken, wenn die von ihm [X.] festgestellten Tatsachen einer Sachentscheidung zugrunde gelegt würden (vgl [X.] vom [X.] - B 4 RS 2/06 R - [X.]-1500 § 155 [X.] 1 Rd[X.] 11, 37). Diese Frage kann hier aber dahinstehen, weil der [X.] auch auf Grundlage der insoweit durch den [X.] "festgestellten" Tatsachen zu keiner abschließenden und alternativlosen, dh inhaltlich nicht anders treffbaren Entscheidung, gelangen kann.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 3/17 R

06.09.2018

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Berlin, 21. Oktober 2015, Az: S 115 U 165/12, Urteil

§ 46 Abs 3 Nr 2 SGB 7, § 50 SGB 7, § 51 SGB 9, § 33 Abs 1 S 1 SGG vom 24.11.2011, § 33 Abs 1 S 2 SGG, § 12 Abs 1 S 2 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG, § 170 Abs 2 SGG, Art 101 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2018, Az. B 2 U 3/17 R (REWIS RS 2018, 4080)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4080

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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