Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31.10.2023, Az. 1 BvR 571/23

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 8917

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Entscheidung über Volljährigenadoption ohne hinreichende Einbeziehung eines Abkömmlings des Annehmenden in das Adoptionsverfahren verletzt dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) - Zum aus dem Gehörsanspruch folgenden Informationsanspruch im FamFG-Verfahren


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 20. Januar 2023 - 24 F 94/22 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Rechtskraft des in Ziffer 1. genannten Beschlusses wird insoweit aufgehoben, als sie einer erneuten Prüfung und Entscheidung entgegensteht.

3. Die Sache wird zur Entscheidung darüber, ob der Ausspruch der Adoption aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist, an das Amtsgericht Schöneberg zurückverwiesen.

4. Damit wird der Beschluss des [X.] vom 9. März 2023 - 24 F 94/22 - gegenstandslos.

5. Das [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine [X.].

I.

2

1. Im zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hat der verwitwete, mittlerweile selbst verstorbene Vater des Beschwerdeführers (nachfolgend: der Annehmende) die volljährige Enkelin seiner Lebensgefährtin (nachfolgend: die [X.]) als Kind angenommen.

3

a) Der Beschwerdeführer ist das einzige Kind des Annehmenden und dessen 1998 vorverstorbener Ehefrau. Die Großmutter der [X.]n war in seinen letzten Lebensjahren, etwa ab 2012, die Lebensgefährtin des Annehmenden, ohne dass sie mit ihm zusammenwohnte. Der Annehmende hatte mit seiner Ehefrau 1973 ein notarielles Ehegattentestament geschlossen, in dem die Ehegatten sich wechselseitig zu alleinigen Erben und den Beschwerdeführer als Schlusserben des Letztversterbenden einsetzten.

4

b) Mit notariellem Antrag vom 11. Mai 2022, der aufgrund des schlechten gesundheitlichen Zustands des Annehmenden in dessen Wohnung beurkundet wurde, beantragten der Annehmende und die [X.], dass die [X.] durch den Annehmenden als Kind angenommen werden soll. Im Adoptionsverfahren vor dem Amtsgericht teilte der Beschwerdeführer dem Gericht mit, dass der Annehmende am 3. Juli 2022 gestorben sei. Er gehe davon aus, dass zwischen dem Annehmenden und der [X.]n kein [X.] im Sinne des § 1767 [X.] vorgelegen habe, zum anderen der Adoption überwiegende Interessen des Beschwerdeführers gemäß § 1769 [X.]. Zugleich beantragte er Akteneinsicht. Das Amtsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer den Adoptionsantrag und teilte telefonisch mit, dass es aus Datenschutzgründen Bedenken gegen die Akteneinsicht habe, weshalb der Beschwerdeführer den Vortrag der [X.]n nicht zur Kenntnis erhalte. Der Beschwerdeführer beantragte zudem, ihn im Adoptionsverfahren als Beteiligten gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu führen. Das Amtsgericht beschied diesen Antrag nicht förmlich, teilte dem Beschwerdeführer aber telefonisch mit, dass er nicht als Beteiligter hinzugezogen werde, weil dies aus Sicht des Gerichts vom Gesetzgeber nicht vorgesehen sei.

5

Das Amtsgericht führte Ermittlungen zum [X.] zwischen dem Annehmenden und der [X.]n sowie zu entgegenstehenden Interessen des Beschwerdeführers durch. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2023 teilte der den Adoptionsantrag beurkundende Notar dem Gericht mit, dass sich der Kontakt des Annehmenden über seine Lebensgefährtin zu deren Enkelin intensiviert habe. Nach den Schilderungen des Annehmenden sei es zum Bruch mit dem Beschwerdeführer gekommen, weil dieser einer Einladung zur Feier seines 80. Geburtstags (des Annehmenden) nicht nachgekommen sei. Als Konsequenz habe der Annehmende die [X.] als Berechtigte einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht eingesetzt. Am 14. Dezember 2022 führte das Amtsgericht einen Anhörungstermin mit der [X.]n durch, von dem der Beschwerdeführer in Kenntnis gesetzt wurde. Eine Teilnahme daran wurde ihm ausdrücklich nicht gestattet.

6

Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Januar 2023, der dem Beschwerdeführer nicht förmlich zugestellt wurde, sprach das Amtsgericht die Annahme der [X.]n als Kind des Annehmenden wie beantragt aus und begründete die Entscheidung damit, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme als Kind vorlägen und die Entscheidung auf §§ 1767, 1770 [X.] gestützt werde.

7

c) Auf Nachfrage des Beschwerdeführers teilte ihm das Amtsgericht mit erläuternder Verfügung vom 20. Januar 2023 mit, dass am selben Tag ein stattgebender Adoptionsbeschluss ergangen sei, weil die Voraussetzungen eines [X.]ses vorlägen. Dieses habe sich insbesondere nach der ausführlichen persönlichen Anhörung der [X.]n und der Stellungnahme des Notars vom 2. Januar 2023 zur Überzeugung des Gerichts ergeben. Mit dieser Verfügung wurde dem Beschwerdeführer erstmals der Vermerk über die Anhörung der [X.]n und der vorgenannte Schriftsatz des Notars übermittelt.

8

Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2023 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge gegen den hier angegriffenen Beschluss. Das Gericht habe die Gefahr des Missbrauchs der Adoption eingehend zu prüfen, zumal die Adoption vorliegend geeignet sei, die Regelungen im [X.] der Eltern des Beschwerdeführers zu unterlaufen. Tatsächlich aber habe das Gericht die möglichen finanziellen Interessen der [X.]n und das fehlende [X.] außer [X.] gelassen und sein mehrmaliges Verlangen auf Anhörung ignoriert. Im Verfahren sei ihm auch nur der Adoptionsantrag übersandt worden. Erst mit der Verfügung vom 20. Januar 2023 habe der Beschwerdeführer die Stellungnahme des Notars, die Vorsorgevollmacht zugunsten der [X.]n, den Vermerk über deren gerichtliche Anhörung und die Stellungnahme des Notars zum Zustandekommen der Vorsorgevollmacht erhalten. Diese Vorgehensweise habe dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, sich mit dem Vortrag der Gegenseite auseinanderzusetzen. Weiter trug der Beschwerdeführer im Einzelnen vor, was er dem Vortrag der [X.]n zum Entstehen eines [X.]ses entgegengehalten hätte. Durch die vom Beschwerdeführer noch vorgebrachten Informationen hätten sich möglicherweise finanzielle Aspekte als vorrangige Motive der Adoption bestätigt. Hätte das Gericht diesen Vortrag berücksichtigt, wäre es möglicherweise zu dem Schluss gekommen, dass die gesetzlichen Anforderungen einer Erwachsenenadoption nicht erfüllt seien.

9

Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 9. März 2023 wies das Amtsgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer sei zwar nach § 188 Abs. 1 Nr. 1 FamFG am Adoptionsverfahren nicht beteiligt, jedoch nach § 1769 [X.] zum Adoptionsantrag zu hören. Dies sei geschehen. Er habe sich dann auch im Adoptionsverfahren mehrfach umfangreich zur Sache geäußert und seine Bedenken gegen die Adoption dargelegt, insbesondere dazu, dass kein [X.] bestanden habe. Diesen Einwand habe das Gericht ausführlich überprüft. Es habe jedoch festgestellt, dass entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers ein die Adoption begründendes enges Vertrauensverhältnis vorgelegen habe. Da der Beschwerdeführer nicht Beteiligter des [X.] gewesen sei, habe ihm auch nicht jeglicher Vortrag der [X.]n zur Stellungnahme übermittelt werden müssen. Die im hiesigen Verfahren vorgebrachten Angaben des Beschwerdeführers seien nicht geeignet, die gerichtliche Überzeugung von dem Vorliegen eines über zehn Jahre gewachsenen Verhältnisses von gegenseitigem Vertrauen und Beistand zu erschüttern.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 103 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geltend.

a) Sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt, weil er keine Informationen des Gerichts über den Verfahrensstand und den Sachvortrag der Beteiligten des [X.] erhalten habe. Lediglich der knapp gehaltene Adoptionsantrag sei dem Beschwerdeführer vor dem Erlass des Beschlusses vom 20. Januar 2023 übermittelt worden. Er habe zwar trotzdem mit mehreren Schriftsätzen zur Sache vorgetragen. Dies sei aber nur "ins Blaue hinein" erfolgt, weil er zum [X.]punkt des Verfassens der Schriftsätze über die tragenden Argumente der [X.]n nicht unterrichtet gewesen sei und dazu nicht im Einzelnen habe Stellung nehmen können. Seine Schriftsätze seien jedoch weitergeleitet worden, wodurch die [X.] sich detailliert habe äußern und ihre Position im Verfahren habe stärken können.

Er hätte sich im Einzelnen zum Vorbringen der [X.]n unter anderem wie folgt geäußert: Die [X.] habe den Annehmenden nicht aus Zuneigung nach dessen erster Krebsdiagnose 2018 begleitet, der Annehmende habe ihm damals mitgeteilt, dass er die [X.] bezahle, damit sie ihn zu den Ärzten begleite und sie nur zu diesem Zweck benötige, ansonsten aber an keinem Umgang interessiert sei. Weiterhin hätte er zu konkreten Geldabhebungen vorgetragen, welche die [X.] anders vorgetragen habe, als es nach den tatsächlichen Kontobewegungen plausibel sei. Die [X.] habe auch Barabhebungen in zeitlichem Zusammenhang zum Tod des [X.] vorgenommen, die sie nicht nachvollziehbar habe erklären können.

Wenn dies berücksichtigt worden wäre, wäre das Gericht möglicherweise zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anforderungen an eine Erwachsenenadoption nicht erfüllt seien. Es hätte sich erhellt, dass die [X.] ganz erhebliche finanzielle Interessen gehabt habe, die sie unmittelbar vor und auch in der [X.] nach dem Tod des [X.] sehr zielstrebig verwirklicht habe. Dies hätte in Frage gestellt, ob die Beziehung zwischen dem Annehmenden und der [X.]n wirklich von Solidarität und familiärer Beziehung geprägt gewesen sei oder nicht viel mehr von den finanziellen Interessen der [X.]n.

b) Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG seien verletzt, weil die angegriffene Entscheidung über die Annahme nicht aus einem fairen Verfahren hervorgegangen sei. Es sei offensichtlich keine Gleichbehandlung der Beteiligten erfolgt. Während die [X.] stets über den Verfahrensstand im Bilde gewesen und persönlich angehört worden sei sowie die Schriftsätze des Beschwerdeführers erhalten habe, sei der Beschwerdeführer über das Verfahren weitestgehend im Unklaren gelassen worden. Soweit sich Unterschiede aus den prozessualen Positionen ergäben, sei auf die erheblichen materiellen Interessen des Beschwerdeführers zu verweisen. Diese allein geböten es, ihm die Wahrnehmung seiner Verfahrensposition zu ermöglichen.

c) Art. 14 Abs. 1 GG sei verletzt. Die Vorschrift schütze auch das Einrücken in die (alleinige) Erbenposition. Der Vater hätte aufgrund der Bindungswirkung des Ehegattentestaments die [X.] nicht als Erbin einsetzen können.

3. Das [X.] sah von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungahme ab. Die [X.] hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das [X.] bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

1. Die Verfassungsbeschwerde, mit der jedenfalls die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zulässig erhoben wurde, ist in diesem Umfang begründet. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Januar 2023 verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör steht in funktionalem Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie und der [X.] des Staates (vgl. [X.] 81, 123 <129>). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. [X.] 84, 188 <189 f.>; 86, 133 <144>; 89, 28 <35>; 107, 395 <409>; stRspr).

aa) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem verfahrensgegenständlichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 -, Rn. 47 m.w.[X.]) sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen (vgl. [X.] 15, 303 <307>; 36, 85 <87>). Dementsprechend erfordert die Gewährung rechtlichen Gehörs, einer gerichtlichen Entscheidung lediglich solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten (vgl. [X.] 50, 280 <284>; 101, 106 <129>; stRspr). Mit dem [X.] korrespondiert die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.] 84, 188 <190>; 86, 133 <144 ff.>).

bb) Das [X.] ist mit dem ebenfalls in Art. 103 Abs. 1 GG wurzelnden Recht auf Information eng verknüpft. Eine verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert, dass die Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Sie müssen sich unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff unterrichten können (vgl. [X.] 96, 189 <204>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 1809/17 -, Rn. 18). Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen (vgl. [X.] 72, 84 <88>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 -, Rn. 49; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 1809/17 -, Rn. 18; siehe auch [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 78 m.w.[X.]). Zu den der Gegenseite in einem gerichtlichen Verfahren mitzuteilenden Äußerungen eines anderen Verfahrensbeteiligten gehören nicht nur deren Schriftsätze, sondern auch etwa dazu eingereichte Anlagen (vgl. [X.] 50, 280 <284> m.w.[X.]).

cc) Art. 103 Abs. 1 GG gilt auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und zwar unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist und auch bei Geltung des Untersuchungs- beziehungsweise Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl. [X.] 19, 49 <51>; 89, 381 <390>). Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es dabei nicht an (vgl. [X.] 89, 381 <390>). [X.] im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG können auch andere Personen sein, wenn die gerichtliche Entscheidung ihnen gegenüber materiellrechtlich wirkt (vgl. [X.] 60, 7 <13>; 89, 381 <390 f.>; stRspr). Zu den materiell Betroffenen in diesem Sinne gehören bei einer Adoption als Abkömmlinge des Annehmenden dessen Kinder, deren rechtliche Interessen bei der [X.] über § 1769 [X.] anerkannt werden (vgl. [X.] 89, 381 <391>). Da nach § 1769 [X.] eine Annahme Volljähriger nicht ausgesprochen werden darf, wenn ihr überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden entgegenstehen, müssen die Kinder auch die Möglichkeit haben, ihre Interessen im Verfahren darzulegen (vgl. [X.] 89, 381 <391>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Oktober 2008 - 1 BvR 291/06 -, Rn. 11; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 1881/21 -, Rn. 15). Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor deren Erlass zu äußern, steht nicht nur den Verfahrensbeteiligten zu, sondern auch den Personen, die nicht förmlich am Verfahren beteiligt sind, die aber durch die Entscheidung materiell betroffen werden. Wenn das Ergebnis der Anhörung der [X.]n im Rahmen einer [X.] entscheidungserheblich ist, ist also auch dazu zumindest Kindern des Annehmenden als dessen Abkömmlingen und damit von der Annahme materiell Betroffenen vor der Adoptionsentscheidung die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben (vgl. [X.] 89, 381 <392>).

Dem trägt das Fachrecht jedenfalls für Kinder eines Annehmenden in [X.] nach § 186 Nr. 1 FamFG hinreichend Rechnung. Zwar sind sie nach zum Fachrecht überwiegend vertretener Auffassung nicht Beteiligte (§ 7 FamFG) des [X.] (dazu näher [X.], Beschluss vom 27. Mai 2020 - [X.]/18 -, Rn. 40 ff. m.w.[X.]). § 193 Satz 1 FamFG räumt ihnen aber ein Anhörungsrecht ein, insbesondere um eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen des der Adoption entgegenstehenden § 1769 [X.] zu ermöglichen (vgl. [X.], in: Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 193 Rn. 2).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt der Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Januar 2023 den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Entscheidung ist ergangen, ohne dass der Beschwerdeführer über den gesamten dafür bedeutsamen Sachverhalt informiert war und ohne dass er zu diesem auf vollumfänglicher Sachverhaltskenntnis hat Stellung nehmen können (aa). Dieser Verstoß ist auch durch den Beschluss über seine fachrechtliche Anhörungsrüge nicht geheilt worden (bb).

aa) Das Amtsgericht hat im angegriffenen Beschluss vom 20. Januar 2023 unter Verweis auf §§ 1767, 1770 [X.] ausgeführt, die gesetzlichen Voraussetzungen einer [X.] lägen vor und auf die erfolgte schriftliche Anhörung des Beschwerdeführers verwiesen. Diese Anhörung genügte aber nicht den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs. Seine vor Ergehen des [X.] erfolgten Stellungnahmen beruhten nicht auf der Grundlage vollständiger Informationen über den entscheidungserheblichen Sachverhalt. Weder war ihm der Vermerk über die persönliche Anhörung der [X.]n durch das Amtsgericht bekannt noch die Ausführungen des den Adoptionsantrag beurkundenden Notars vom 2. Januar 2023. Der Beschwerdeführer konnte sich dementsprechend nicht zu dortigen, für die Beurteilung der Voraussetzungen der Adoption nach § 1767 [X.] und dieser gegebenenfalls entgegenstehenden Interessen im Sinne von § 1769 [X.] möglicherweise entscheidungserheblichen Inhalten äußern.

Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Januar 2023 beruht auch auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers, insbesondere zum Ergebnis der Anhörung der [X.]n, das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte. Der Beschwerdeführer hat insoweit nachvollziehbar vorgetragen, dass aufgrund des von ihm dargelegten Sachverhalts der Verdacht einer in erster Linie wirtschaftlichen Motivation der Adoption bestehe. Das würde nach fachrechtlich verbreiteter Auffassung eine sittliche Rechtfertigung im Sinne des § 1767 Abs. 1 [X.] und damit die Voraussetzungen einer [X.] ausschließen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juni 2009 - 31 Wx 22/09 -, Rn. 9; [X.], Beschluss vom 3. Juni 2009 - 2 W 26/09 -, Rn. 23; vgl. auch [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 1881/21 -, Rn. 15).

bb) Diese Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat das Amtsgericht im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens nicht beseitigt. Zwar wurde dem Beschwerdeführer über seinen Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen des Verfahrens über seine Anhörungsrüge Akteneinsicht gewährt. Dies ermöglichte ihm, auf der Grundlage nun vollständiger Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts in seinem Schriftsatz vom 6. März 2023 seine Anhörungsrüge vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidung darüber zu ergänzen und zu vertiefen.

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 9. März 2023 über die [X.] lässt jedoch nicht erkennen, dass das vor und nach der Gewährung der Akteneinsicht erfolgte Vorbringen des Beschwerdeführers nunmehr in einer den Gewährleistungen des Art. 103 Abs. 1 GG genügenden Weise berücksichtigt wurde. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt auch eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten, wenn und soweit es sich nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts um unerhebliches oder offensichtlich unsubstantiiertes Vorbringen handelt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. August 2023 - 1 BvR 1654/22 -, Rn. 25 m.w.[X.]).

Daran gemessen hat das Amtsgericht dem Verstoß gegen den Anspruch des Beschwerdeführers in dem Beschluss vom 20. Januar 2023 durch den Beschluss über die Anhörungsrüge nicht abgeholfen. So geht es zum einen unter Verkennung der für das Verfahren der [X.] aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen weiterhin davon aus, der Beschwerdeführer sei als Kind des Annehmenden entscheidungserheblicher Vortrag aufgrund seiner Stellung als bloß [X.]er, nicht förmlich Beteiligter des Verfahrens, nicht vor der Entscheidung zur Kenntnis zu geben gewesen. Zum anderen verhält sich auch der Beschluss vom 9. März 2023 über die Anhörungsrüge nicht zu Kernvorbringen (vgl. Rn. 28) des Beschwerdeführers, das sowohl die Annahmevoraussetzungen nach § 1767 [X.] als auch der Annahme entgegenstehende Interessen im Sinne von § 1769 [X.] umfasst. Das Amtsgericht geht allenfalls auf das Vorliegen eines [X.]ses zwischen dem Annehmenden und der [X.]n (§ 1767 Abs. 1 [X.]) ein. Für eine Berücksichtigung der von § 1769 [X.] erfassten Vermögensinteressen (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 2019, § 1769 Rn. 6 m.w.[X.]) des Beschwerdeführers als volljähriges Kind des Annehmenden finden sich Anhaltspunkte weder im Rahmen der zu § 1769 [X.] möglichen umfassenden Abwägung der jeweiligen Interessen (vgl. zu dieser Einbindung in § 1769 [X.] [X.] a.a.[X.], Rn. 2) noch durch eine gesonderte Berücksichtigung der Interessen des Beschwerdeführers. Gerade berücksichtigungsfähige Vermögensinteressen hatte dieser aber vorgebracht; das gilt auch für seinen nach der Gewährung von Akteneinsicht erfolgten Vortrag.

III.

1. Der festgestellte Verstoß führt nicht zu einer Aufhebung des angegriffenen [X.]. Der Rechtsfolgenausspruch ist stattdessen auf die Beseitigung der Rechtskraft dieses Beschlusses und die Zurückverweisung an das Amtsgericht zu beschränken. Dieses ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu gewähren und unter Berücksichtigung seines Vorbringens darüber zu entscheiden, ob der Adoptionsbeschluss aufzuheben oder aufrechtzuerhalten ist. Bis zu seiner Entscheidung bleiben die Wirkungen des [X.] bestehen (vgl. [X.] 89, 381 <393>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Oktober 2008 - 1 BvR 291/06 -, Rn. 14; Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 1881/21 -, Rn. 23).

Durch die Zurückverweisung wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 9. März 2023 über die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers gegenstandslos.

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 571/23

31.10.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend AG Schöneberg, 9. März 2023, Az: 24 F 94/22, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 1767 BGB, § 1769 BGB, § 7 FamFG, § 186 Nr 1 FamFG, § 193 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31.10.2023, Az. 1 BvR 571/23 (REWIS RS 2023, 8917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8917

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

10 F 298/22 (Amtsgericht Steinfurt)


33 UF 1292/14 (OLG München)

Volljährigenadoption - Verlust der Geschäftsfähigkeit des Annehmenden nach Antragstellung aber vor Entscheidung über den Adoptionsantrag


1 BvR 1881/21 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Nichtberücksichtigung eines im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingereichten Schriftsatzes im Zivilprozess verletzt Anspruch …


33 UF 918/19 (OLG München)

Zur Feststellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen Annehmendem und einem erwachsenen Anzunehmendem


XII ZB 442/18 (Bundesgerichtshof)

Volljährigenadoption: Erfordernis des Identitätsnachweises; sittliche Rechtfertigung der Volljährigenadoption eines ausländischen Anzunehmenden; Entbehrlichkeit der Anhörung der …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 1654/22

XII ZB 54/18

1 BvR 1881/21

2 BvR 1809/17

2 BvR 3068/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.