Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.08.2018, Az. B 9 V 2/18 B

9. Senat | REWIS RS 2018, 4969

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - gerichtliche Zweifel an Glaubhaftigkeit einer Aussage - Unterlassen einer erneuten persönlichen Anhörung - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Unterschied zwischen Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit - Konstanzanalyse des Aussageverhaltens im zeitlichen Verlauf - Prüfung nach Aktenlage - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 7. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt höhere Versorgungsleistungen wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs in seiner Kindheit und einen früheren Leistungsbeginn.

2

Der Beklagte hat beim Kläger als Folgen einer Schädigung im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes ([X.]) ab 1.11.2011 eine posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende mittelgradige bis schwere Depressionen und [X.] im Sinne der Entstehung festgestellt, einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 zuerkannt und ihm eine entsprechende Versorgungsrente ab 1.7.2012 bewilligt (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 21.10.2013).

3

Das [X.] hat den Beklagten nach Anhörung des [X.] und medizinischer Beweiserhebung verurteilt, dem Kläger darüber hinaus Versorgung nach einem GdS von 80 ab dem 1.11.2011 zu gewähren (Gerichtsbescheid vom 10.11.2015).

4

Auf die Berufung des Beklagten hat das L[X.] nach Beweiserhebung den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Beim Kläger liege eine entschädigungspflichtige Gesundheitsschädigung nach dem [X.] infolge sexueller Missbräuche in den Jahren 1971 bis 1975 vor, die der Beklagte ab Leistungsbeginn zutreffend mit einem GdS von 50 bewertet habe. Sie sei nur nach den einschränkenden Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 10a [X.] zu entschädigen. Denn der Senat habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Kläger auch nach dem [X.] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschädigt worden sei (Urteil vom 7.12.2017).

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Das Urteil des L[X.] beruhe auf einer Verletzung der §§ 117, 129 [X.]G.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung vom 19.3.2018 verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie den behaupteten Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.

8

Daran fehlt es hier. Die Beschwerde rügt eine Verletzung der §§ 117, 129 [X.]G. Sie meint, das L[X.] habe nicht ohne persönliche Anhörung des [X.] entscheiden dürfen, weil es die Glaubhaftigkeit seiner Aussage anders beurteilt habe, als die im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen und der Berichterstatter des L[X.] im vorangegangenen Erörterungstermin.

9

Darin liegt keine hinreichend substantiierte Darlegung eines [X.]. Wie die Beschwerde zwar zu Recht annimmt, können der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 [X.]G) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 [X.]G) das Berufungsgericht zu einer erneuten persönlichen Anhörung des [X.] verpflichten, wenn das L[X.] dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom [X.] beurteilen will und es dabei auf den persönlichen Eindruck vom Kläger ankommt (vgl B[X.] Urteil vom [X.]/7a [X.] 14/07 R - [X.] 4-1500 § 128 [X.] RdNr 11 mwN).

Indes lässt die Beschwerde schon eine zusammenhängende Schilderung der Verfahrensgeschichte und der Rechtsauffassung des L[X.] vermissen. Daher legt sie auch nicht hinreichend substantiiert dar, wie das L[X.] seine Annahme einer fehlenden Glaubhaftigkeit im Einzelnen begründet hat und warum es dafür auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Senats vom Kläger ankam. Ebenso wenig teilt die Beschwerde mit, was genau der Kläger vor dem L[X.]-Senat noch hätte vortragen wollen und können und warum dies die Entscheidung des Berufungsgerichts hätte beeinflussen können. Dabei unterscheidet die Beschwerde insbesondere nicht ausreichend zwischen Glaubwürdigkeit, welche die von ihr teilweise zitierte B[X.]-Entscheidung thematisiert (B[X.] Urteil vom 15.8.2002 - B 7 [X.] 66/01 R - [X.] 3-1500 § 128 [X.] RdNr 14; B[X.] Urteil vom [X.]/7a [X.] 14/07 R - [X.] 4-1500 § 128 [X.] RdNr 11 mwN), und der hier maßgeblichen Glaubhaftigkeit. Glaubhaftigkeit bezieht sich, anders als Glaubwürdigkeit, nicht in erster Linie auf die [X.], sondern auf den Inhalt ihrer Aussage. Der Begriff fasst die sachlichen Kriterien zusammen, nach denen sich beurteilt, ob eine Aussage auf tatsächlichen, zutreffend wahrgenommenen und realitätsgetreu wiedergegebenen Erlebnissen beruht (vgl [X.]/[X.]/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl 2014, [X.] ff). Wie die Beschwerde selbst ausführt, hat das L[X.] nicht die persönliche Glaubwürdigkeit des [X.] infrage gestellt, sondern die Glaubhaftigkeit seiner Aussage über lange zurückliegende Ereignisse in seiner Kindheit. Gerade in solchen Konstellationen spielt die Analyse von Entstehung und die Entwicklung der Aussage im Verlauf der [X.] eine maßgebliche Rolle, wie sie sich insbesondere aus den Akten ergibt (Konstanzanalyse, vgl [X.] Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - Juris RdNr 26 mwN). Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum das L[X.] den Kläger für die Analyse der Aussageentwicklung trotzdem noch einmal anhören hätte müssen. Deshalb verfehlt sie insgesamt die [X.] an einen Verfahrensfehler.

Ebenso wenig aufgezeigt hat die Beschwerde einen Verstoß gegen § 129 [X.]G. Die von ihr ins Feld geführte Anhörung des [X.] durch den Berichterstatter im Erörterungstermin ist nicht Teil der mündlichen Verhandlung, auf die sich § 129 [X.]G allein bezieht.

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 V 2/18 B

09.08.2018

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Heilbronn, 10. November 2015, Az: S 2 VG 3732/13, Gerichtsbescheid

§ 117 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 106 Abs 3 Nr 7 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.08.2018, Az. B 9 V 2/18 B (REWIS RS 2018, 4969)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4969

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