Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.10.2014, Az. B 1 KR 96/14 B

1. Senat | REWIS RS 2014, 2233

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beweisaufnahme - Verwertung eines Sachverständigengutachtens ohne Anhörung - Pflichten des Sachverständigen - persönliche Untersuchung - Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 30. April 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, 3053,98 Euro Kosten der [X.] vom 18.1. und 15.2.2006 zur Korrektur der Fehlsichtigkeit beider Augen bei Brillenunverträglichkeit von der Beklagten erstattet zu erhalten, bei dieser und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat zur Begründung ua ausgeführt, die durchgeführte neue Behandlungsmethode der photorefraktiven Keratektomie diene entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen [X.] zur Korrektur der Fehlsichtigkeit und sei vom Gemeinsamen Bundesausschuss ([X.]) in Richtlinien ([X.]) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) ausgeschlossen. Ausnahmetatbestände, die die [X.] für die phototherapeutische Keratektomie vorsähen, griffen entsprechend [X.] nicht ein. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme bei der bestehenden starken Sehstörung nach der Rechtsprechung des [X.] nicht in Betracht. Es habe der beantragten Anhörung von [X.] nicht bedurft, da die Klägerin keine konkreten Fragen gestellt und er durch den Zusatz "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" seine persönliche Verantwortung kenntlich gemacht habe (Urteil vom 30.4.2014).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil und rügt Verfahrensmängel.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Der Kläger bezeichnet insbesondere ausreichend einen Verfahrensfehler (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] SGG), muss zur Bezeichnung des [X.] die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun (vgl [X.] SozR 1500 § 160a [X.], 24, 34, 36). Er hat zudem darzulegen, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl [X.] SozR 1500 § 160a [X.], 36). Die Klägerin trägt diesen Anforderungen mit ihrer Begründung hinreichend Rechnung. Sie rügt ua, das [X.] habe [X.] zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden müssen, da nicht er, sondern [X.]
aus der gleichen Arztpraxis das Gutachten erstellt habe. [X.] habe die Klägerin überhaupt nicht gesehen.

5

Die Klägerin rügt damit die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs und eine Verletzung von § 118 Abs 1 SGG iVm § 407a ZPO. Gemäß § 407a Abs 2 S 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs 2 [X.] ZPO). Dazu trägt die Klägerin vor, das [X.] habe seine Entscheidungsgründe auf das Gutachten von [X.] gestützt, dieses aber nicht verwerten dürfen, weil der Sachverständige das Gutachten von [X.] habe erstellen lassen. Es sei grundlos dem daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag nicht gefolgt, [X.] im Hinblick hierauf zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Das [X.] hat durch die Verwertung des eingeholten Sachverständigengutachtens ohne Anhörung von [X.] das rechtliche Gehör der Klägerin und § 118 Abs 1 SGG iVm § 407a Abs 2 ZPO verletzt. Den Beteiligten steht das Recht zu, den Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten (§ 116 [X.] SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO). Die Klägerin hat innerhalb der ihr gesetzten Frist nach Erhalt des Gutachtens ua gerügt, dass das Gutachten nicht vom Sachverständigen erstellt worden sei, und sodann dessen Ladung zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt. Das [X.] hätte dem Antrag stattgeben müssen. Denn [X.] hatte sich der Mitarbeit von [X.] bedient, ohne den Umfang seiner Tätigkeit anzugeben. Es hatte sich hierbei auch nicht nur um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung gehandelt, denn die Klägerin hatte [X.] nach ihrem Vorbringen - in Kenntnis der Erklärung des Sachverständigen - überhaupt nicht gesehen. Allein der vom [X.] in diesem Zusammenhang genannte Umstand, dass [X.] das Gutachten mit der Formulierung "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" unterzeichnet hat, belegt angesichts der sofort geltend gemachten und abweichenden Darstellung der Klägerin nicht, dass der Sachverständige die Klägerin tatsächlich persönlich untersucht hat (vgl auch [X.] SozR 4-1500 § 118 [X.] RdNr 8). In einem solchen Fall muss das [X.], wenn es nicht anderweitig Klarheit über die Verwertbarkeit des Gutachtens erzielen will, den Sachverständigen auf Antrag des Betroffenen zur Erläuterung des Umfangs seiner Mitwirkung zur mündlichen Verhandlung laden. Dies hat das [X.] unterlassen.

7

Das angegriffene Berufungsurteil kann auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, weil sich das [X.] für seine Feststellungen, dass die durchgeführte neue Behandlungsmethode der photorefraktiven Keratektomie zur Korrektur der Fehlsichtigkeit diene, der [X.] die Methode in [X.] aus dem Leistungskatalog der [X.] ausgeschlossen habe und Ausnahmetatbestände, die die [X.] für die phototherapeutische Keratektomie vorsähen, nicht eingriffen, auf das Gutachten von [X.] gestützt und dieses seiner Entscheidung mit zugrunde gelegt hat.

8

Das [X.] kann in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] SGG vorliegen (§ 160a Abs 5 SGG). Der [X.] macht auch zur Beschleunigung des Verfahrens von dieser Möglichkeit hinsichtlich des angefochtenen Urteils Gebrauch, da dieses von dem erfolgreich gerügten Verfahrensmangel insgesamt betroffen ist. Der erkennende [X.] kann unter diesen Umständen die Frage offenlassen, ob auch die weiteren von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel vorliegen.

9

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren bleibt dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 1 KR 96/14 B

14.10.2014

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hannover, 30. April 2014, Az: S 16 KR 568/06

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 118 Abs 1 SGG, § 62 SGG, § 407a Abs 2 S 1 ZPO, § 407a Abs 2 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.10.2014, Az. B 1 KR 96/14 B (REWIS RS 2014, 2233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2233

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