Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2012, Az. IX ZB 86/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9262

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/10

vom

9. Februar
2012

in dem Insolvenzeröffnungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] §§ 4a, 26 Abs. 1 Satz 1 und 2

a)
Ein Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö-gen des Schuldners kann nicht ohne gleichzeitige Entscheidung über dessen eigenen Eröffnungs-
und Stundungsantrag mangels Masse abgewiesen wer-den.

b)
Der Schuldner kann einen Eröffnungsantrag nebst Antrag auf Stundung
der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung wirksam unter der prozessualen Bedingung stellen, dass das Insolvenzgericht auf einen Gläubigerantrag seine -
vom Schuldner bestrittene
-
internationale Zuständigkeit bejahe (im [X.] an [X.], [X.], 888).

[X.], Beschluss vom 9. Februar 2012 -
IX [X.]/10 -
LG [X.]

[X.]

-

2

-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], den
Richter [X.], die Richterin [X.] und die Richter Dr.
Fischer und Dr.
Pape

am 9. Februar 2012
beschlossen:

Auf die Rechtsmittel
des Schuldners werden der Beschluss der 6.
Zivilkammer des [X.] vom 9.
April 2010 und der Beschluss des [X.] vom 29.
Januar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur
erneuten Entscheidung an das Insolvenzge-richt zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 5.000

Gründe:

I.

Mit am 12.
Januar 2007 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz beantragte das Finanzamt W.

die Eröffnung des Insolvenzverfah-rens über das Vermögen des Dr.
Dr.
G.

(im Folgenden: Schuldner). Am 26.
Juni 2007 beantragte der Schuldner die Eröffnung des [X.]
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fahrens über sein Vermögen, Verfahrenskostenstundung und Restschuldbe-freiung. Der Antrag erfolgte vorbehaltlich des Schreibens des Schuldners vom 22.
Juni 2007, in dem er die Auffassung aufrecht erhielt, eine gerichtli-che Verfügung vom 30.
Mai 2007 sei ihm in B.

nicht ord-nungsgemäß zugestellt worden, weil er an dieser Anschrift nicht ansässig sei. Das Verfahren sei unzulässig, weil die [X.] Zuständigkeit gege-ben sei. Vorsorglich beantrage er jedoch die Eröffnung des Insolvenzverfah-rens über sein Vermögen und stelle Antrag auf Restschuldbefreiung.

Nach Durchführung von Ermittlungen zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit verband das Insolvenzgericht die beiden Insolvenzantragsver-fahren und holte ein Gutachten zum Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und zu einer die Verfahrenskosten deckenden Masse
ein.

Mit Beschluss vom 29.
Januar 2010 hat das Insolvenzgericht den [X.] des Finanzamts mangels einer die Kosten des [X.] deckenden Masse abgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde hat der Schuldner
gerügt, dass über seinen Antrag nicht entschieden worden sei. In der Abhilfeentscheidung hat das Insolvenzgericht ausgeführt, der "unter Vorbehalt" gestellte [X.] des Schuldners sei dahin auszulegen, dass der [X.] unter der Bedingung gestellt sei, dass der Fremdantrag zur Eröffnung führe. Diese Bedingung sei nicht eingetreten.

Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbe-schwerde verfolgt der Schuldner das Ziel der Verfahrenseröffnung weiter.

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II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§
6, 7, 34 Abs.
1 [X.], Art.
103f EG[X.], §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§
574 Abs.
2, §
575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-scheidungen und zur Zurückverweisung an das Insolvenzgericht.

1. Das Beschwerdegericht hat hinsichtlich des Eröffnungsantrags des Schuldners allein auf die Ausführungen des [X.] in der [X.] verwiesen.

2. Die dortigen Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Abweisung des [X.] auf Eröffnung des Insolvenzverfah-rens mangels Masse war ohne gleichzeitige Entscheidung über den [X.] und den Antrag auf Verfahrenskostenstundung unzulässig, weil der Schuldner einen zulässigen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, auf Restschuldbefreiung und auf Stundung der [X.] gestellt hat.

a) Die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse hat nach §
26 Abs.
1 Satz
2 [X.] zu unterbleiben, wenn die Kosten des Verfahrens nach §
4a [X.] gestundet werden. Ist der Schuldner eine natürliche Person und hatte er einen wirksamen Antrag auf Verfahrenskostenstundung gestellt, ist dieser vor einer Abweisung des [X.] mangels Masse zu prüfen (HK-[X.]/Kirchhof, 6.
Aufl. §
26 Rn.
21).

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b) Der Schuldner hatte zulässige Anträge
auf Eröffnung des [X.] und auf Stundung der Verfahrenskosten gestellt. Über diese Anträge war zu entscheiden. Die Auslegung des Vorbehalts durch die [X.] ist unzutreffend.
Sie ist diesen auch nicht vorbehalten, sondern kann
vom Senat selbst vorgenommen werden ([X.], Urteil vom 2.
Juli 2004 -
V
ZR 290/03, NJW-RR 2005, 371, 372).

aa) Die Auslegung einer Prozesshandlung hat sich an dem Grundsatz auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage ent-spricht ([X.], Urteil vom 10.
März 1994 -
IX
ZR 152/93, NJW 1994, 1537, 1538; vom 2.
Juli 2004, aaO). Denn das Verfahrensrecht dient der Wahrung der Rechte der Beteiligten. Es soll eine einwandfreie Durchführung des [X.] unter Wahrung ihrer
Rechte sicherstellen und nicht behindern (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Juli 2004, aaO mwN).

bb) Die vom Insolvenzgericht vorgenommene Auslegung, dass der [X.] nur für den Fall gestellt worden sei, dass der Fremdantrag zur Eröffnung führt, hätte zur Folge, dass der [X.] in jedem Fall als unzu-lässig und unwirksam anzusehen wäre (vgl. im Einzelnen [X.], Beschluss vom 11.
März 2010 -
IX
ZB 110/09, [X.], 888 Rn.
7
ff). Das war vom Schuldner nicht gewollt.

Geboten ist die Auslegung, dass der [X.] für den Fall gestellt wurde, dass das Insolvenzgericht seine internationale und örtliche Zustän-digkeit bejaht. Eine solche Bedingung ist prozessual zulässig. Als Prozess-

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handlungen sind
Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar nach den allgemeinen Grundsätzen bedingungsfeindlich. Auch für sie gilt aber die Regel, dass sie an eine bloße innerprozessuale Bedingung geknüpft und deshalb hilfsweise für den Fall zur Entscheidung gestellt werden können, dass ein bestimmtes innerprozessuales Ereignis eintritt ([X.], Beschluss vom 11.
März 2010, aaO Rn.
7). Von einer solchen innerprozessualen Be-dingung hat der Schuldner seinen Eröffnungsantrag abhängig gemacht, näm-lich von der Bejahung der von ihm bestrittenen internationalen und örtlichen Zuständigkeit des [X.]. Nur diese hatte
der Schuldner in seinem [X.] in Zweifel gezogen. Er hat sich dagegen nicht gegen die Annahme der Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund gewandt.

Die Zulässigkeit einer Prozesshandlung unter der innerprozessualen Bedingung, dass das Gericht seine Zuständigkeit verneint oder bejaht, ist anerkannt ([X.], Urteil vom 8.
Februar 1952 -
V
ZR 122/50, [X.]Z 5, 105, 107; [X.]/[X.], ZPO, 29.
Aufl., vor §
128 Rn.
20, §
281 Rn.
11; [X.], ZPO, 4.
Aufl.,
§
281 Rn.
14; Musielak, ZPO, 8.
Aufl.,
Einlei-tung Rn.
62).
Diese Bedingung war eingetreten, weshalb das Insolvenzge-richt auch über den Eröffnungsantrag des Schuldners und seinen Stun-dungsantrag vor einer Abweisung mangels Masse zu entscheiden hatte.

3. Die Zurückverweisung erfolgt an das Insolvenzgericht, weil das Be-schwerdegericht vernünftigerweise ebenso verfahren wäre (vgl. [X.], [X.] vom 22.
Juli 2004 -
IX
ZB 161/03, [X.]Z 160, 176, 185
f). Das Insol-venzgericht wird die bisher unterlassene Prüfung des [X.]

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und des [X.]es des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfah-rens nachzuholen haben.

Kayser
[X.]

[X.]

Fischer
Pape
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.01.2010 -
8 IN 3/07 -

LG [X.], Entscheidung vom 09.04.2010 -
6 T 160/10 -

Meta

IX ZB 86/10

09.02.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2012, Az. IX ZB 86/10 (REWIS RS 2012, 9262)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9262

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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